Projektseite Volksmärchen Sagen Geschichten Etnologie Beriche © Arpa data
Textbreite
Schriftgröße
Kapitel 

DIE ATLANTISCHE GÖTTERLEHRE

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1926

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS / JENA



Atlantis Bd_10-000.4 Flip arpa

TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE

MIT EINER FARBIGEN TAFEL, 16 KARTEN

UND 87 ZEICHNUNGEN IM TEXT


4. Kapitel: Das Gemeinwesen

Arbeit. Beruf. — Fassen wir nunmehr die wirtschaftliche Grundlage der Eheverbindungen ins Auge, so treffen wir auf eine Fülle der Arbeiten und eine Anordnung der Arbeitsteilung, die uns unbedingt wieder daran erinnert, daß die Joruba ein kompliziertes Volk darstellen, dessen Faktoren verschiedenen Kulturen angehören. — So sehen wir die Frauen gänzlich befreit von jeder Mitarbeiterschaft am Feldbau. Feldbau, Hackbau ist hier Männerarbeit und in ihr dürfen wir für ältere Zeit die großartigste und wesentlichste Ausnützung der starken Sklavenmassen suchen, die früher einen Reichtum der Völker darstellten. Wir, die wir zu einer für die Landwirtschaft wichtigen Zeit in Ibadan waren, fanden im größten Teile der Gehöfte nur einige Greise, im übrigen aber einen Überfluß an Frauen. Alles, was Armkraft und Freude am Manneswerk hatte, war draußen auf den Farmen und widerlegte so den Satz, daß die Joruba außerordentlich faul seien. Ist der eigentliche Anbau Mannessache, so liegt der Verkauf der Feldfrüchte - und in Anbetracht der starken städtischen Bevölkerung, die das Jorubaland hat, will das im Wirtschaftsleben recht angesetzt sein -in den Händen der Frauen. Da nun damit so ziemlich der ganze Handel, so weit er nicht von Wanderhändlern bestritten wird, der Nahrungsmittelhandel jedenfalls, vollkommen in den Händen der Frauen liegt, so bedeutet dies allein einen so wesentlichen Teil von dem Gesamtbetriebe, daß er schwer überschätzt werden kann. Vor allem aber ist die ganze Nahrungsmittelbereitung Sache der Weiblichkeit. Jeder Brei, jedes Backwerk, Palmwein, Mais- und Sorghumbier geht aus ihrer Tätigkeit hervor. Viehbetrieb, der immerhin mit zur Nahrungsmittelbeschaffung gerechnet werden muß, kommt wenig in Betracht. Der Besitz an Großvieh ist nicht groß. Dagegen ist viel Vieh zugetrieben. Ziegen und Schafe, vor allem aber Hühner beleben in großer Menge die Gehöfte. Die Wartung, deren sie bedürfen, ist aber für Gehöftgetier Frauensache.

Die Wohnungsbeschaffung liegt der ganzen Grundlage nach mehr



Atlantis Bd_10-047 Flip arpa

in den Händen der Männer. Sie schlagen Holz und Palmrippen und bringen sie herbei. Die Frauen dagegen schneiden die Blätter zur Dachdeckung und tragen sie auf den Köpfen lastenweise zur Stadt. Die Mauern werden heute zumeist aus Ruinen errichtet. Die Männer werfen sie ein. Die Frauen zerschlagen diese großen Lehmblöcke mit keulenartigen Knüppeln, zerstampfen die Bruchteile zu Krumen, tragen Wasser herbei und mischen und treten und kneten den Brei. Richten die Männer die Mauern auf, so tragen sie die gekneteten Patzen heran. Ist das Mauerwerk fertig, so haben die Weiber den Boden glatt- und festzuschlagen, dann die Wände und die Sohle zu glätten. Auch später ist die Erhaltung der Wände ihr Werk, das sie gewissenhaft und geschickt ausüben. Zu diesem Behufe wird Pferdeund Kuhmist gesammelt und gegen die Wand geworfen. Immerwiederholtes Abreiben hat dann eine gewisse Politur und glimmerartigen Glanz bei vollendet schöner blauschwarzer Grundfarbe zur Folge.

Bis auf bestimmte Berufe, die fast überall in Afrika die Männer ausfüllen, scheint auch hierin ein gewisses Gleichgewicht der Geschlechterarbeiten erreicht zu sein. Am meisten fällt das in der Weberei auf. Wie im gesamten höherentwickelten Sudan arbeiten die Männer am Trittwebstuhl, bei dem die Kette wagerecht gelegt ist und der breite, hand- bis doppelhandbreite, Bänder produziert. Dieser Webstuhl heißt hier Ofi-to-kuri. Die Stoffe, angeblich Dascha oder Aemowa, werden zu den Männertoben zusammengenäht. — Die Frauen dagegen haben einen stehenden Webstuhl, einen Griffwebstuhl, auf dem ganz breite Stoffe gemacht werden. Es sind die gleichen Stoffe, wie sie die Kabre und Tim anfertigen. Auch die Durchbrechungen werden hier in gleicher Weise ausgesperrt. — Dieser Frauenwebstuhl ist einer der schlagendsten Belege nordischer Beziehung. Dem Sudaner gehört sonst eigentlich der Männerwebstuhl. Es ist eine der wesentlichsten Tatsachen zur Beurteilung der Jorubakultur, dies Nebeneinander des von Männern gehandhabten Trittwebstuhles und des von Frauen gehandhabten Griffwebstuhles. Es liegt darin der Beleg einer großartigen Zwickelstelle, eines Knotenpunktes ersten Ranges. Im Norden und in der Sahara haben wir den Frauengriffstuhl, im Sudan den Männertrittstuhl, der nicht in der Sahara, aber am Nordrande des Erdteiles heimisch ist. Im südlichen Westafrika wird nun der Griffwebstuhl von Frauen gehanhabt. Dies ist aber nicht unvermittelt. Eben unsere Jorubaländer zeigen die Etappenstation, in der der Griffwebstuhl vom Mittelmeer her durch die Pforte bei Gibraltar dem westlichen und äquatorialen Afrika zuglitt und wo dann, da die Baumwolle hier nicht mehr heimisch war (?) oder gedeihen wollte (?),die Männer nach erythräischem Brauche das Frauengerät übernahmen, so daß es gerade hier dann aus der Hand des einen Geschlechtes in die des andern gelangte. —



Atlantis Bd_10-048 Flip arpa

Gerade an der Weberei, die so harmlos und selbstverständlich dasteht kann man die Bedeutung der Jorubakultur abmessen. Denn daß sie vom Norden stammt, dafür geben auch Rasse, Tradition, Architektur usw. Belege; daß sie aber eine Übergangsphase, eine Mitteisprosse ist, durch die südliche hervorragende und unerwartet vollendete Kulturerscheinungen in ihrer Herkunft aus dem Norden verständlich gemacht werden, das ist das Wertvollste. Und das Wichtigste ist: auch im Jorubagebiet werden Plüschstoffe gewebt, womit der berühmte Bakubasamt seine Erklärung erhält. Das sind wichtige und wesentliche, für die ganze große Völkerkunde eines ganzen Erdteils wichtige Dinge wenn sich auch eine jorubische Penelope nicht darüber klar ist, welchen Beweis ihre Tätigkeit für Entwicklung ganzer Kulturströme bieten kann.

Und wie in der Weberei, so teilen sich auch in der Mattenfiechterei Männer und Weiber ins Werk. Bakiti, d. h. Männermatten, sind gröber, Ewuelle (große) und Atin (kleine) Frauenmatten, feiner. Damit ist die gemeinsame oder parallele Tätigkeit abgeschlossen. Bastweberei oder -flechterei wird in den Farmen nur von Frauen ausgeführt, und vor allem ist die Töpferei das eigentliche Frauenwerk. Wenden wir uns nun demjenigen Teile des Handwerkes zu, der nur von Männern ausgeführt wird.

Als eigene Berufsklassen kennt der Jorube:
Eisenschmiede =Alagwede-illi-dudu,
Gelbgießer =Alagwede-sude,
Holzarbeiter = Onischna,
Lederarbeiter = Onischona,
Jäger = Ode.

Es ist im höchsten Grade auffallend und bemerkenswert, daß diese sämtlichen Handwerker der gleichen Gottheit, nämlich dem Oscha ogun opfern. Sie sind dadurch in gewisser Hinsicht von andern Leuten gesondert, ohne daß ihnen aber im geringsten irgendeine Mißachtung oder besondere Verehrung zuteil würde. Mit ihren Töchtern kann sich jedermann verehelichen und sie erhalten auch Töchter jedes andern Orischa als Gattinnen. Also liegt dieser religiösen Geschlossenheit keinerlei kastenmäßige Absonderung zugrunde.

Was die Schmiede anbelangt, die zwei Repräsentanten in den Eisenleuten einerseits und in den Gelbgießern anderseits aufweisen, so konnte ich bislang nur folgendes feststellen: Die Technik der Arbeit muß zweierlei verschiedenen Ausgangsgebiete haben, denn alle Schwarzschmiede benützen für ihr Werk das westafrikanische Doppelschalengebläse ohne Ventil mit langen Druckstäben, die Gelbgießer dagegen das Baiggebläse mit Handschlußventil. Die Schwarzschmiede konnten mir nichts über ihre Herkunft sagen. Die Gelbgießer



Atlantis Bd_10-049 Flip arpa

aber geben durch die Reihe alle an, aus dem Norden zu stammen. Die angesehensten Gelbgießer der Stadt kamen aus Oyole oder Oyoro, das ist das old Oyo in der Illoringegend, das alte Oyo, das von den Fulbe Gandus zerstört wurde. Bei dieser Gelegenheit flohen viele Leute nach Ibadan, darunter die angesehenen Gelbgießerfamilien. Anderseits hörte ich auch Ilife als ein Heimatland der Gelbgießer nennen. Interessant und beachtenswert ist es, daß die Sage dem dort aus Tappa oder Takpa gekommenen König und Gott, Sango, einen reichen Gelbgußpalast und vielen Gelbgußschmuck zuschreibt. Die Schwarzschmiede ihrerseits besitzen keinerlei Ein.. wanderungssage. Alle Schmiede sind sich darüber einig, daß die Schmiede den Ogundienst zuerst gehabt und daß ihn dann erst die andern Berufe, die so sehr auf das Eisen angewiesen wären, übernommen hätten. Auf den Ogundienst kommen wir nachher noch zurück.

Endlich müssen wir noch einer berufsmäßigen Ausbildung der Trommler gedenken, die eigentlich Oniku, nach ihrem instrument aber auch Anja heißen. Diese Priester der Fröhlichkeiten und Feste opfern nicht den Göttern der andern Joruba, auch nicht dem Orischa Ogun, sondern ihren Trommeln, den Anja. Denen geben sie auch einmal im Jahr ein Fest, gießen das Blut der Opfertiere auf die Instrumente und ergeben sich der Feier. Das diese Trommlerfeste nicht gerade in heiliges Schweigen gehüllt sind, bedarf wohl keiner besonderen Beweisführung.

In der Erziehung der Kinder haben wir vor Anbeginn an eine klare Gliederung nach dem Geschlecht erkannt. Die Mädchen vereinigen sich zum Jegbe, die Burschen zum Egbe. Wir haben gesehen, daß die Zugehörigkeit zu einem Bunde bei den Mädchen nicht viel weiter reicht als bis zur Ehe. Dann scheidet das weibliche Wesen aus der Erziehungsgenossenschaft aus und wird in seinem ganzen äußeren Leben nun an die Familie und an seine Kinder gebannt. im Gegensatz hierzu bleiben die jungen Männer, auch wenn sie längst dem Kindesalter entwachsen sind, durch die "Egbe-Genossenschaft" aneinander gefesselt und kehren bis in das Greisenalter hinein immer wieder zu den Jugendfreunden, die sie im Egbe-Bunde gefunden haben, zurück. Der Bund der Mädchen löst sich im Familienkreise auf. Der Bund der Buben aber erweitert sich zum Staatsleben. Wenn sie alt sind, wenn die Haare ergrauen, wenn sie als Älteste der Familien Wohlhabenheit und Einfluß ihr eigen nennen, treten die Glieder des Egbe in den Ogboni über, in den Bestand der alten Männer.



***
Der Oro, ein Männerbund. — Aber nicht nur darin, daß die Mädchen das Bundwesen aufgeben, während die Burschen es



Atlantis Bd_10-050 Flip arpa

aufrechterhalten, äußert sich bei den Joruben die verschiedene gesellschaftsbildende Kraft der Geschlechter. Vielmehr können wir hier genau so klar wie bei vielen andern westafrikanischen Völkern die Erscheinung der Zurückdrängung der Frauen wahrnehmen. Der Egbe geht nicht nur in den Ogboni über, die Burschen gründen nicht nur fürs Leben festhaltende Bündnisse, sondern sie schütteln im gewissen Sinne auch jeden Einfluß, der von dem weiblichen Geschlechte ausgeht, ab, indem sie noch eine eigene Art von Institution pflegen, die den ausgesprochenen Zweck hat, gleich dem alten taceat mulier in ecclesia, die weiblichen Volksbestandteile schroff und ausgesprochen von der Männergenossenschaft abzuhalten, sie auszuschließen, sie auf ein anderes Nivau des öffentlichen Lebens zu bringen. Es ist dies die Institution des Oro.

Der Oro, auch Oru genannt, ist eine Männergeselischaft. Er ist eine Institution, die nicht im nördlichen Jorubalande entstanden ist. Angeblich soll sie von Abbeokuta ausgegangen sein. Es ist das zweifelhaft, aber jedenfalls hat sie in dieser Stadt doch ihren Hauptsitz, und was ich in Ibadan über diesen Oro hörte, stammte auch in der Tat aus dem Stadtviertel der Abbeokutaleute. Oro ist nun aber eigentlich und streng genommen nicht die Bezeichnung des Bundes, sondern die Bezeichnung eines Gerätes, welches, nächtlicherweile geschwungen, die Aufgabe hat, die Frauen in die Häuser zu jagen, sie zu erschrecken und von den Männerversammlungen fernzuhalten. Die Oro bestehen in länglichen an den Enden abgerundeten Brettchen, welche einerseits durchbohrt, hier mit einem Strick befestigt, und an diesem etwa anderthalb Meter langen Strick über dem Kopfe des Schwirrers geschwungen werden. Die einzelnen Instrumente haben verschiedene Größe und Stärke und bestehen aus verschiedenem Holze. Diejenigen, die ich in Ife erlangte, waren in zierlicher Weise mit Figuren in Relief geschnitzt; jedes Brettchen mit einer solchen, und zwar entweder mit einem Manne oder einer Frau. Ich erhielt auch eine Legende, die vom Ursprunge dieser Schwirrhölzer oder, wie sie die Engländer nennen, dieser buliroarer zu erzählen weiß. Sie lautet folgendermaßen:

In alter Zeit war einmal ein sehr armer Mann. Sein Vater hatte ihm nichts hinterlassen. Seine Frau war krank. Alle Frauen im Lande litten damals. Sie waren krank. Es konnte ihnen niemand helfen. Sie konnten nämlich nicht schlafen. Da begab sich der Mann in den Wald. Er schlug ein Stück Holz vom Igi (d. h. Baume) Oschurun. Er schnitt ein Stück Holz vom Igi Roko, er schnitt ein Stück Holz vom Igi Ire. Er nahm eines der Holzstücke. Er schnitt ein Stück Brett von der Form eines Gliedes. Er schnitt es flach. Er bohrte in das eine Ende ein Loch und zog eine Schnur hindurch. Er wirbelte es um den Kopf herum. Er nannte es Oro (es rauscht, es



Atlantis Bd_10-051 Flip arpa


Schwirrhölzer des Oro (coll. L. Frobenius; C. Arriens del.)



Atlantis Bd_10-052 Flip arpa

surrt, es summt usw.). Er schnitzte Orobretter aus Ireholz, aus Oschurunholz, aus Rokoholz. Dann versteckte er die Schwirrhölzer. Am andern Tage ging er in die Stadt zurück. Er rief seine Buben, Er ließ sie Speise mitnehmen und führte sie in den Wald. Im Walde lehrte er sie, wie es mit dem Oro zu machen sei. Er verbot ihnen, mit irgend jemand darüber zu sprechen. Sie mußten im Walde bleiben, bis sie es gelernt hatten. Jeder lernte es.

Dann nahm der Mann eines Tages seine Schwirrhölzer und ging mit den Burschen in die Stadt zurück. Er ging in sein Gehöft. In der Gondu legte er die Oro auf die Erde und sagte: "Dies ist mein großer Vater. Wir wollen ihm einen Schafbock und einen Hund zu essen geben. Vor allen Dingen wollen wir ihm einen Hund geben, denn mein großer Vater hat einmal den Weg verloren. Der Hund hatte ihn ihm gezeigt. Ohne den Hund hätte mein großer Vater den Weg nicht wieder gefunden." Die Frauen kamen. Die Männer kamen. (Man sieht, auch in der Legende dürfen die Frauen die Orobretter sehr wohl sehen, wenn sie an der Erde liegen!) Es wurden viele Schafböcke geschlachtet. Man schlachtete sie über dem Oro und ließ das Blut der Tiere über den Oro hinfließen. Dann aß man, dann trank man. Es wurde gegessen und getrunken, getrommelt und getanzt. Es war ein sehr großes Fest. Alle Leute waren sehr froh. Sie taten das für den verstorbenen Großvater.

Als es Abend war, sagte der alte Mann: "Heute nacht nun wird mein alter Großvater herauskommen und wird das Essen, das ich ihm gebracht habe, nehmen." Als er das gesagt hatte, gingen alle Frauen schnell weg (denn sie fürchteten sich). Es war Sonnenuntergang. Sie gingen in das Haus und riegelten die Türe hinter sich zu. Nachher gab der alte Mann den Burschen die Schwirrhölzer. Sie begannen sie zu schwingen. Einer sprang immer hierhin, dann dorthin. Man hörte ihn bald hier, man hörte ihn bald dort. Es war ein großer, ein sehr großer Lärm. Die Leute sagten: "Hört, das ist der alte verstorbene Vater selbst" (Baba Oro). Es war einer, der war schlank und in der Mitte ein Stein (ein altes Steinbeil) daraufgebunden. Die Leute sagten: "Hört, das ist der Hund des großen Vaters. Er bellt jetzt hier, er bellt jetzt dort." Die Leute schrien: "Adja Akaoko! Hekwa Oro! Hekwa Oro!" In den Häusern waren die Frauen. Der alte Mann betete zu dem großen Vater. Der alte Mann hatte viele Kinder. Die Kinder hatten wieder Kinder. Man nennt sie alle Omoru (entstanden aus: Ongo = Kind und Oro = Schwirrhölzer). Jedes Kind eines Omoru wurde wieder ein Omoru.

Diese Legende ist natürlich so zu verstehen, daß die Eingeborenen die Sitte und Einrichtung zu erklären suchten und in dem Erklärungsbestreben, welches den höhergebildeten Afrikanern ebenso eigentümlich ist wie den alten Griechen und uns Modernen, sind sie



Atlantis Bd_10-053 Flip arpa

eben zu dieser Legende gekommen. Sie ist insofern interessant, als hier auch ein Hund mit den Schwirrhölzern verbunden ist und als hier ganz ausgesprochen die Stimme des Großvaters des Verstorbenen, des verstorbenen Ahnen, von den nächsten Leuten vernommen wird. Wir haben im fünften Bande über die Äthiopen uns mit den heiligen Geräuschen schon beschäftigt. Hier will ich nur darauf hinweisen, daß ich auch bei den Leuten des oberen Niger von den Schwirrhölzern als den Stimmen der Ahnen und deren Hunde gehört habe und will hier betonen, daß bei vielen dieser Völker die Aussonderung der Frauen aus der zeremoniellen Männergemeinschaft eben durch die Stimmen der Ahnen, durch den Manismus, den Verkehr mit den Verstorbenen, erreicht wird.

Es ist ein Verbot, ein Ewuo, daß die Frauen die Schwirrhölzer nicht in Bewegung sehen dürfen. Die Frauen dürfen den Oro sehen, wenn er am Boden liegt und wenn über ihm geopfert wird. Sie dürfen ihn aber nie in Tätigkeit sehen, sie dürfen niemals mit offenen Augen das ihnen dennoch bekannte Geheimnis erblicken. Das Schwirren sollen sie in keinem Falle ansehen. Es ist außerordentlich interessant, es zu erleben, wie dieses Verbot und die Furcht vor dem tönenden Instrumente nicht nur die Frauen der von mir überhaupt nicht aufgefundenen Omorofamilie, sondern auch die Anhängerinnen eines jeden wirklichen Orischa heute noch in einem geradezu erstaunlichen Respekt hält obgleich die Frauen die Schwirrhölzer ganz harmlos anfassen und tragen. So waren es stets Frauen und nie Männer, die mir die gesammelten Schwirrhölzer verkauften. Nie hat eine der anwesenden Frauen, welchem Bunde sie auch zugehörte, sich gescheut, die Dinge anzufassen. Oft ermahnte die eine oder die andere anwesende Frau aber zu meinem stillen Grimme die Verkäuferin, mir solche Sache ja nicht zu billig abzulassen, denn es wäre ein sehr wertvoller Gegenstand. Darauf trat dann gewöhnlich eine enorme Preissteigerung ein; wenn dies aber allzusehr übers Maß ging, dann brauchte ich nur das Schwirrholz mit der Rechten und die Schnur mit der Linken anzufassen und so den Eindruck zu erwecken, als wolle ich das Instrument in Bewegung setzen, und sogleich schlugen die Frauen die Hände vor das Gesicht, wandten sich um und fuhren kreischend auseinander. Ich mußte sie dann jedesmal beruhigen und auf das Komische, das in dieser Situation lag, aufmerksam machen. Denn dieses manchmal wiederholte kleine Experiment gewann mir ja nicht nur den allgemeinen Respekt, den alle Weiber der Joruben erfahrungsgemäß vor der Einrichtung haben, sondern es belegte auch schlagend, daß die Weiber den Griff des Oroschwingens kennen und gesehen haben müssen, sonst wären sie nicht gleich auseinandergefahren, wenn ich es nur kunstgerecht anfaßte.

Es ist also sicher, daß die Frauen von den Männern durch dieses



Atlantis Bd_10-054 Flip arpa

Instrument eingeschüchtert und ununterbrochen in gehörigem Respekt gehalten werden. Einstimmig wurde mir berichtet, daß früher Frauen, die sich während des plötzlichen Umzuges des Oro auf den Straßen hätten sehen lassen, unbedingt getötet und aufgehängt wurden. Bei der großen Vorliebe der Joruben für Menschenopfer und ihrer Geringschätzung des Menschenlebens ist das durchaus glaubhaft. Übrigens wurden für die Ausführungen des Nachtsummens nur schnelle und leichtfüßige Burschen verwendet, da die schwerfälligen hierfür ungeeignet waren. Es galt, bei der Vorführung bald hierhin, bald dorthin zu springen, bald hier und bald dort die Lärminstrumente in Bewegung zu setzen. In den Nächten, für die die Ankunft und der Umgang des Oro angekündigt wird,halten die Frauen ganz besonders gute Speisen bereit. Es wird dann Schafbock und Hund geschlachtet und die leckersten Gaben werden in Schüsseln draußen vor die Tür gestellt. Die lärmende Bande nimmt die Speisen und vertilgt sie. Als Belohnung für ihre freundlichen Gaben erschrecken die Brummer dann die Frauen durch ihr Lärmen bis zum Tagesgrauen, dann packen sie die Orohölzer wieder zusammen und legen sie an ihren Ort. Noch heute aber werden die Orohölzer aus dem Holze des Oschurun-, des Ire- und des Rokobaumes gefertigt. Besonders der Roko gilt als hervorragend schwirrkräftiges Gewächs. Man schreibt ihm auch die Orogi-Roko, die Irrlichter, zu, die an seinem weißen, mächtig hohen Stamme umhertänzeln. Der Baum ist voll magischer Kräfte, wenn er auch ebensowenig Orischa ist, wie der Oro selbst. Wie alle religiösen Institutionen der Joruben feiert auch der Orobund alljährlich ein großes Fest. Er ist aber im gewissen Sinne ein Rivale des Orischa. Denn kein Omoro, der also lediglich ein Verehrer des Oro ist, ohne aber einem Orischa anzuhängen, darf sich dem Tempel einer wirklichen Gottheit anbetend nähern. Wagt er es dennoch, so wird er verjagt und verspottet als Oroanhänger. So wenigstens wurde mir mitgeteilt. Ich selber habe keinen Mann kennengelernt, der nur den Oro kennt und die Orischa verleugnet. Wohl aber weiß ich, daß viele Orischaanhänger sich an dem Oro. spiele beteiligen. Es tritt also hier die Erscheinung in den Vordergrund, daß die staatenbildende und staatserhaltende Kraft an sich mit dem eigentlichen Orischasysteme nichts mehr zu tun hat. Staat und Gottheit sind bei den Joruben nur im gewissen Sinne miteinander verbunden. Das Orischasystem ist ein System der Familiengliederung, der Klanbildung. Es besitzt, wenn wir von der Schangofamilie und der Alafininstitution absehen, keine staatenbildende Kraft.

Noch deutlicher fast konnten wir das erkennen bei jener Institution, die eigentlich die Staatenlenkerin ist, bei dem Bunde der Ogboni, von dem schon gesprochen wurde.

Hier ist aber noch eine ergänzende Notiz einzufügen, der im Anschluß



Atlantis Bd_10-055 Flip arpa

an die Oroinstitution Beachtung zu schenken ist. Die Frauen der Joruba sind nämlich ebenfalls in einem gewissen Sinne organisiert. Eine solche Organisation ist aber bislang nur in dem das Jorubaland von Tim bis Benue umgebenden Gebiete bekanntgeworden. Die versammelten Frauen eines Distrikts pflegen sich eine alte Frau auszuwählen, die den Titel einer Ijalode oder Jalode erhält und die in der Stellung einer solchen bis an ihr Lebensende bleibt. Sie ist die Richterin in allen Frauenstreitigkeiten. Wenn irgendwo eine Unregelmäßigkeit im Verkehr der Frauen vorkommt, so wird die Sache ihr vorgetragen oder, wenn gerade eine ihrer Vertreterinnen in der Nähe ist, diese sogleich zur Schlichtung herbeigerufen. Mit ihren Gefährtinnen hielt diese Frau regelrechte Gerichtssitzungen ab. Jede von ihr an genommene Sache überwies sie den Bale, sobald sie irgendeine wesentliche Bedeutung anzunehmen schien. Ihre provisorische Entscheidung fand dann evtl. Bestätigung. Die Jalode der Frauen hatte einen Stab von Gefährtinnen genau wie Jegbe und Egbe der Jugend. Diese Frauen hatten folgende Titel:

Otun Jalode, Gehilfin an der rechten Hand,
Osi Jalode, Gehilfin an der linken Hand,
Abesse Jalode, die die Jalode nicht verlassen darf,
Ekelin Jalode, die vierte Jalodegehilfin,
Ekarun Jalode, die fünfte Jalodegehilfin,
Ekeffa Jalode, die sechste Jalodegehilfin,
Areago Jalode, die erinnernde Jalode.

Diese Frauen standen in regelmäßiger Reihenfolge eine unter der andern. Nach allem, was ich gehört habe, ist ihr Einfluß im allgemeinen insofern ein günstiger, als das Gemeindewesen als solches durch sie von allzu großer Belästigung durch Klatsch und Weibergezänk freigehalten wurde, anderseits aber zeichneten sich gerade diese Würdenträgerinnen meistenteils durch Geschicklichkeit im Giftmischen aus.

Auch die jungen Mädchen hatten früher eine Jalode (siehe oben), die aber mütterlich über ihren Torheiten schwebte. — Der Ogbonibund oder Senat. — Das Jorubaland ist ein Königtum,



***
D wenigstens dem Namen nach. Schon rein äußerlich aber erkennt der Beschauer der Verhältnisse, daß das Königtum sich mehr oder weniger auf eine fast nur nominelle Regierung des Alafin, des in der Hauptstadt Ojo herrschenden Gesamtherrn, beschränkt, im Vergleich mit dessen äußerlicher Macht die Leitung der ander Städte eine so selbständige ist, daß der Alafin vor jeder Stadtmauer haltmacht und sich mit einer nominellen Oberherrschaft, mit einem nominellen Bestätigungsrechte und einem nominellen Tribut begnügen muß. Der priesterliche Oberherr des Jorubalandes, der Oni von Ife, hat fast



Atlantis Bd_10-056 Flip arpa

ebensoviel Macht wie der Alafin. Die Städte sind selbständig und es scheint fast so, als ob sie von den Bale, einer Art gewählter Fürsten, beherrscht und regiert werden. Aber diese Bale haben ebensogut nur eine Scheinmacht wie der Alafin in weltlichen Dingen und der Oni in geistlichen. Der Schein trügt. Auch die Bale sind einer andern Macht unterworfen, und diese wird eben durch die Ogbonibünde dargestellt.

Die Stadtfürstentümer des Jorubalandes im weiteren wie im engeren Sinne sind Republiken, und die stolze Fürstenpracht ist ein Präsidentenhofhalt von jedesmal durchaus begrenzter Dauer. Präsidenten europäischer und amerikanischer Kulturstaaten haben längere Amtsdauer als die der Joruben, und diejenigen, die diese Amtsdauer in scharf gezogenen Grenzen halten und stets nach jeder beliebigen Richtung hin zur Durchführung ihrer Wünsche ausnutzen, das sind die heiligen Gesellschaften der Ogboni, welche wir schlechthin auch als Senate bezeichnen können.

Der Senat der Ogboni erweitert und erhält sich durch Zuwahl und ist eine oder vielmehr die wesentliche Grundlage des Staatsregiments -weit mehr noch als das Königtum. Ich erhielt eine hochinteressante Angabe, daß nämlich die Ogboni ursprünglich eine Einrichtung der Egba und nicht eine solche der Joruben gewesen seien. Die Egba hätten in alter, in ältester Zeit und lange, lange vor der Gründung Abbeokutas auch ein Gebiet von Ibadan besessen, hätten hier ihre Staaten gehabt und diese seien von den Ogboni gegründet worden. Dann seien die Joruben - das sei schon sehr, sehr lange her, da der Schango (?)ihr Alafin (Kaiser) gewesen -nach Ojo gekommen, hätten Ibadan eingenommen und die Egba aus dem Lande getrieben. Die Alafin hätten versucht, das ältere Regiment der Ogboni auszurotten, hätten es aber trotz aller Grausamkeit nicht vermocht. Das soll lange, sehr lange her sein, soll unendlich viel weiter zurückliegen als die ursprüngliche Gründung Abbeokutas, die auch früher sich vollzogen hat, als die eigentliche Geschichtserzählung zu sagen weiß. —Diese Geschichte wurde mir erst vom Oberhaupt des Ogboni in Ibadan vorgetragen.Ich übersah damals den Zusammenhang nicht, glaubte auch allzuviel Selbstvergötterung der Ogboni darin wittern zu müssen, sodaß ich sie zuerst als unwesentlich zurückschob. Dann hat sie mir aber später und ohne jede Beziehung zu dem ersten Berichterstatter ein alter Angehöriger der Alafinfamilie bestätigt. Damals war ich schon besser mit dem Verwaltungssystem vertraut, hatte es durchgesetzt, daß wir selbst in den Ogboni aufgenommen wurden, und somit war mir manches klar geworden, so daß ich den Leuten verständliche und der Sachlage entsprechende Fragen aufwerfen konnte.

Es ist wahr: Im Jorubareiche Ojos sind zwei Regierungssysteme miteinander verschmolzen. Das eine ist die Königsmacht, die sich



Atlantis Bd_10-057 Flip arpa

in der erythräischen Figur des Alafin ausgebildet hat, das zweite aber die Ogbonieinrichtung, die im Sinne der atlantischen Kultur aus ihrer Mitte einen Bale, einen Präsidenten nicht des Ogboni, sondern der Stadt hervorgehen läßt. Jede alte Stadt hat heute noch ihren Ogboni, das ist die Vereinigung der angesehenen Leute. Es ist eine Männervereinigung.Wenn Frauen, und zwar nach ganz bestimmter Auswahl, zugelassen werden, so waren diese doch früher nie im eigentlichen Sinne Mitglieder, sondern nur Angestellte des Bundes. Es waren anscheinend meist zwölf, und zwar sehr alte und in den schwierigsten und schlimmsten Künsten gewiegte Weiber, die die Aufgabe hatten zu spionieren und auszukundschaften und evtl. jemand geschickt den Giftbecher beizubringen. Sie gehörten als grausamste Unholde passend zu dem grauenvollen System.

Die Ogboni umgaben und umgeben sich heute noch mit einem Schleier der Mystik und einer Dunstzone von Blutgeruch. Sogar heute, wo die englische Regierung schon seit einigen Jahren im Lande herrscht, fallen der blutigen Sippschaft noch Opfer. Bin ich doch selbst Zeuge der Stimmung und Erlebnisse einer derartigen Opferzeit gewesen. Der Ogboni nahm zu allen Zeiten nur alte, angesehene und vertrauenswürdige Leute in seinen Kreis auf, nur sog. "Ledi". An seiner Spitze stand ein Oluwo Oba, kurz auch Oluoba, Oba oder auch nur Oluo genannt. Das Amt ist erblich und liegt stets in den Händen eines Nachkommen des ersten Oluo. Dieser regierte in der Weise des Ogboni das Land so lange, bis die Alafindynastie nach Ojo kam. Der Oluo soll aber vom Egbastamm sein, und der alte derzeitige Inhaber des richterlichen Amtes in Ife rühmte sich der Altehrwürdigkeit seiner Familie jedesmal, wenn wir uns wiedersahen. Wenn irgendein wichtiges Ereignis in der Luft liegt, wenn irgendeine Maßnahme gegen den Bale oder gegen sonst einen würdigen Großen erwünscht ist, dann kommen die Mitglieder des Ogboni beim Oluwo zusammen, um die Angelegenheit zu besprechen, anzuordnen und in die Wege zu leiten. Ebenso versammelt sich der Ogboni jedesmal wenn ein angesehenes Mitglied aufgenommen werden soll. Die Aufnahmezeremonie wurde schon besprochen.

Um aber die ganze Macht des Ogboni verständlich zu machen, will ich das Orakel beschreiben, das diese dunklen alten Machthaber heute noch handhaben jedesmal, wenn ein ernster Fall ihren Wirkungskreis berührt. Dies Orakel heißt Mummule. Es besteht zum wesentlichen im Werfen von Kolastücken und hat folgenden Verlauf: Wenn irgendein Mann in der Stadt in seinen Unternehmungen, welcher Art sie auch seien, in letzter Zeit reichen Erfolg hatte, so daß er sich in kurzer Zeit vom armen Schlucker zum Wohlhabenden und viele Sklaven besitzenden Manne emporgeschwungen hatte, wenn er fernerhin keinen vornehmen Anhang hatte, d. h. also sich



Atlantis Bd_10-058 Flip arpa

als Emporkömmling über das Niveau seiner Familie hinaufgearbeitet hatte, so hängte man ihm beim Ogboni irgendeine Anklage an. Nicht selten war es der Bale selbst, der die Sache vor diese Gesellschaft brachte, es versteht sich von selbst, unter der Hand! Der Betreffende wurde dann vorgeladen. Wenn der Olowo auch ein Babalawo, ein Prophet und Orakelsager des Gottes Ifa war, so genügte doch solche Wahrsagerei zu solchem Zwecke nicht. Die Edafigur und ein oder mehrere Abebede wurden auf den Boden gelegt und ein richtiges Opfer an Huhn und Küken darüber dargebracht. Der Oluwo nahm dann eine Kolanuß zur Hand. Er weihte sie erst durch Auflegen auf die Figur des Gottes und zerbrach sie dann in ihre natürlichen vier Abschnitte. Er nahm aus jedem Teile ein Samenkorn heraus und warf es zu Boden. Dann schüttelte er die vier Segmente in der Hand und schleuderte sie neben der Figur auf die Erde. Die Abschnitte können nun natürlich so fallen, daß die runden Seiten nach oben liegen, oder auch so, daß sie gerade auf die runden Seiten fallen, so daß also die Samenkante nach oben ragt. Ein gutes Zeichen ist es, wenn sich von den vier Abschnitten je zwei in der ersten und zweiten Lage befinden. Wenn aber die Lage eine ungerade ist, so daß ein Teil nach einer Seite, drei aber nach der andern Seite zu liegen kommen, so ist das von vornherein ein entscheidendes und sehr schlechtes Zeichen. Daß Priester vom Schlage des Oluwo und Bundesglieder von der Art des Ogboni eine große Übung im Werfen der Kolaschnitte besitzen und daß sie das Orakel demgemäß sehr wohl zu dirigieren vermögen, ist selbstverständlich, ist von den Leuten auch zugegeben und mir vorgeführt worden. Wehe, wenn für den Angeklagten eine ungleichmäßige Lage der Kolaschnitte sich ereignet. In aller Eile wird er gepackt, wird sein Kopf über die Figur gelegt und mit dem schweren Edamesser vom Halse getrennt. Der Kopf wird in dem Hause des Oluwo aufgesteckt, der Körper hinausgeworfen auf die Straße. Nicht lange aber hängt der Kopf in der Luft. Schon am gleichen oder am andern Tage wird er in die Erde gegraben, und darin bleibt er drei Tage. Dann wird er aber herausgenommen, gut gereinigt und endlich aus dem Schädeldach ein Trinkgefäß geschnitzt, dessen Verwendung wir sogleich kennenlernen werden.

War der Mann selbst in dieser Weise aus dem Wege geräumt, so machte sich die saubere Gesellschaft sogleich an die Teilung der Beute. Ich sagte oben schon, daß man sich für ein solches Verfahren im allgemeinen Emporkömmlinge aussuchte, also Leute, deren Verwandte noch nicht auf der Höhe der Entwicklung dieses einzigen Ausnahmeschößlings standen. Also hatte nur er selbst einen Einfluß, nicht aber der Familienanhang. Fiel nun er selber durch die Ermordung fort, so war die Familie ihrer einzigen wesentlichen Stütze beraubt und demgemäß der Familienbesitz vogelfrei. Man nahm die Sklaven, den



Atlantis Bd_10-059 Flip arpa

wesentlichsten Reichtum, und teilte sie zwischen dem Bale, dem Oluwo und andern Ogbonileuten. Man streute in der Stadt das Gerücht aus, daß der Mann in irgendeiner Weise gegen die derzeitige Regierung eine Verschwörung angestiftet habe.

Mit dem Mitgliede einer von alters her angesehenen Familie konnte man natürlich nicht so einfach verfahren, denn ein solcher besaß doch immer mehrere angesehene Brüder, Schwäger, Schwiegerväter oder dergleichen, die für den Besitz eines auf diesem Wege geopferten Mannes sicherlich sehr energisch eingetreten wären.

Ich beschrieb, wie aus den Schädeln der Ogboniopfer Trinkschalen bereitet wurden. Sie wurden als Iba-Oli-Inja bezeichnet. Wenn irgend jemand beim Ogboni wegen Lügens oder Diebstahls angezeigt wurde, so füllte man den giftigen Trank hinein. Der Angeklagte ward zum Ogboni geladen. Er mußte den Aufguß aus der Schädelschale genießen. War die Anklage ungerecht und war er unschuldig, so ward ihm im schlimmsten Falle etwas übel, war er aber schuldig, so starb er an den Folgen dieses Genusses. Es war also ein Gottesgericht, wie es aus vielen Teilen Westafrikas bekannt ist.

Aber nicht nur auf solche recht einträgliche Gerichtsbarkeit beschränkte sich die Tätigkeit des Ogboni. Man sprach vielmehr den Messing- und Bronzefiguren des Ogboni eine ganz außerordentliche magische Kraft zu. Wenn der Bale z. B. erkrankte, so pflegte er noch vier solcher Opfer an den Ogboni zu senden, damit sie über den Heiligtümern des Ogbonibundes geschlachtet würden. Er tat dies aber sicherlich nicht nur der heiligen Kraft der Bildnisse wegen, sondern auch um den alten Mitgliedern und deren Genossenschaft, in deren Händen ja vor allem auch die Entscheidung über seine Amtsdauer und sein eigenes Leben lag, zu schmeicheln. Er opferte den Ogboniheiligtümern im selben Sinne wie mancher Fürst des Altertums und des Nilreichs. Er suchte sich stets gut mit dem Ogboni zu stellen und diesen in seiner Machtvollkommenheit zu bestätigen. Er konnte ja auch nicht einmal wissen, ob die Krankheit nicht das erste Symptom einer Vergiftung war, zu der ihn die alten Bürger verurteilt hatten, und ob sie ihm bei solcher Anerkennung ihrer Macht und bei der Schmeichelei, die in einem solchen Sklavenopfer lag, nicht doch noch wohlwollend mit Gegengift beispringen würden. So erkannte er denn gern ihre Gewalt und brachte dem Glanze des Ogboni seine Opfer dar. —Ferner glaubte man die Wunderkraft der Heiligtümer in der Weise ausnützen zu können, daß man, wenn Feinde gegen die Stadt zogen, die Symbole der Macht und geistigen Kraft vor den Toren der Stadt aufstellte. Nach dem Volksglauben schützten sie, zumal wenn Menschenopfer darüber dargebracht wurden. Und wenn das Mummule günstig ausfiel, so war man gewiß, daß die angreifenden Feinde bei ihrem Anblick tot zu Boden fallen würden.



Atlantis Bd_10-060 Flip arpa

Das Zeichen, an dem die Ogbonileute auf Reisen einander verstehen, besteht darin, daß sie die kleinen Messingfiguren am Arme tragen und sich vorweisen, und zweitens darin, daß, wenn einer dem andern sein "Ogboni" zuflüstert, der andere mit "Ogborra" antwortet. Wichtig erscheint mir auch die Mitteilung, daß die Ogboni in allen Zeremonien soviel Gewicht auf Bronze- und Gelbgußgerät legen. Diese Geibgüsse kamen in uralter Zeit aus der Stadt Ogbo oder Ogborro, die südlich von Ilescha oder Jescha und nördlich von Neu-Ojo liegt. Dort und in Ife haben sich die Ogboniinstitute lange bevor es noch einen Alafin gab, zu den heute starren Formen verhärtet, und von da aus haben die Egbaleute sein jetzt gültiges Wesen übernommen. Der Ogboni soll früher auch ein großes Okqua, ein heiliges Gefäß aus schönem Gelbguß, besessen haben, das aber gelegentlich eines Brandes von einer einstürzenden Mauer zerschlagen wurde. Sicheres über Ursprung und Verwendung hörte ich nicht, dagegen die mehrfach wiederholte Angabe, daß dieser schöne Guß weit vom Norden her, vom Niger, gekommen sei.

Diese Geibgüsse der Ogbonileute erinnern fernerhin an die Sage, daß die Institution vordem in den Händen der Schmiede gelegen habe. Da kann ich denn daran erinnern, daß in den Mandeländern die Numu, die Schmiedekaste, alljährlich, wenn sie den großen Guß für das heilige Ackergerät herstellen, nach langwieriger Zeremonie die Macht gewannen, die Amtsführung des Königs zu begutachten und evtl. ihn zum Tode zu verurteilen.



***
Die Bale oder Präsidenten. — Die Bale, die Stadtfürsten der Joruben, sind Geschöpfe und Werkzeuge der Ogboni. Der Alafin, der sogenannte "König" der Joruben, hat dagegen mit den Ogboni nichts zu tun. In alter Zeit regierte dieser Herrscher in einer nahe der Borgugrenze gelegenen alten Stadt, welche wir als "Alt-Ojo" bezeichnen wollen. Die mächtigen Umwälzungen, die diese Länder im Laufe der letzten Jahrhunderte durchmachten, haben aber auch diese alte Stadt vernichtet und den König veranlaßt, mit seinem Hofhalte nach dem Süden zu fliehen und in einer Stadt nahe Ibadan Zuflucht zu suchen. Diese neue Stadt wurde wiederum Ojo genannt, wir können sie als "Neu-Ojo" bezeichnen. Der Alafin ist ein Nachkomme der Gottheit Schango, des gewaltigen Gewitterorischa der Joruben. Die Tradition weiß zu berichten, daß es mehrere Alafindynastien gegeben habe, über die wir dann später zu berichten haben werden. Die älteste Schangodynastie kam der Sage nach aus dem Lande der "Tagba"oder "Takpa" oder "Tappa", d. I aus dem alten Nupe. Sie scheint außerordentlich lange Zeit in Alt-Ojo regiert und dann einer zweiten, aus Borgu stammenden Dynastie den Platz geräumt zu haben. Als die Anhängerschaft des alten Königs nach Neu-Ojo übersiedelte, ward



Atlantis Bd_10-061 Flip arpa

ein neuer Alafin aus der ersten Schangofamilie gewählt, der aber natürlich nicht die gleiche Blutsreinheit aufwies wie die alten Alafine des nördlichen Ojo in alter Zeit. Die Pracht des Königspalastes in Alt-Ojo wird als ganz erstaunlich prunkvoll geschildert. Die Lehmpfeiler waren mit Holzschnitzereien und Bronzeplatten bedeckt. So erzählt der Volksmund und so beweisen es die Funde aus Benin. Und meine Leute haben mir aus den Trümmern Alt-Ojos noch Schnitzwerke von ganz besonderer Schönheit gebracht. Weiterhin galt die Alafinfamilie als ein alter Volksstamm, der durchweg seine Kriege zu Pferde führte. Auch das ist wahrscheinlich; weniger wahrscheinlich ist dagegen die Angabe, daß in Alt-Ojo über 310 Könige aus dem gleichen Stamme geherrscht haben und daß deren Namen alle Leute der verstorbenen Generation noch gekannt haben sollen.

Die Joruben sind durchaus stolz auf ihren Alafin, ohne ihm aber irgendetwas mehr als traditionelle Höflichkeit zu erweisen. Die dem Alafin zustehende rein formelle Bestätigung der durch die einzelnen Staaten gewählten Bale wird selbstverständlich nie verweigert, und diese sind in ihren Maßnahmen unbedingt weniger von ihm als von den Ogbonileuten der eigenen Stadt abhängig. Der König hat seine hohen Beamten, wie Baschorun und Kriegshäuptlinge in Oja, jeder Bale seine eigenen Beamten in seiner eigenen Stadt. Die Würde des Alafin ist erblich, die des Bale nicht. Der Alafin regierte schon während der Dauer der letzten Dynastie bis zu seinem Lebensende, und nur wenn er es allzu arg trieb, sandten seine Großen ihm das Igbaoa, das ist eine bedeckte Schale mit Papageieneiern, die bedeutet: entweder du fliehst in den Busch oder wir bringen dich um. Dagegen durfte der Bale noch bis vor kurzer Zeit immer nur zwei Jahre hindurch sein Amt versehen; war diese Zeit verstrichen, so ward sein Leben schlankweg ohne Gnade abgeschnitten. Mit andern Worten: Es wurde ihm die notwendige Menge Gift beigebracht. Im übrigen war das Verhältnis der Würde des Bale zu der des Alafin in Joruba das gleiche wie im Songhaireiche das des Balama zum Kaiser. Die Übereinstimmung des Namens Bale und Balama ist kein Zufall. Der Name lagert als historisches Residuum über dem Lande zwischen dem Tschadsee und der Höhe des Nigerbogens.

War der Moment des Abschiednehmens für den alten Bale gekommen, so trat der Ogboni zusammen um festzustellen, wen man als Ersatz wählen könne. Der Neuzuerwählende sollte einerseits repräsentieren können, anderseits aber auch ein gefügiges Werkzeug der alten Machthaber sein. Man einigte sich im stillen oft erst nach tagelangen Streitigkeiten. Auch scheint man sich nicht immer dessen gewiß gewesen zu sein, ob der Neugewählte auch die Stellung annehmen würde. Denn es ließ sich nicht mit absoluter Sicherheit



Atlantis Bd_10-062 Flip arpa

sagen, ob nicht die jetzt für den neuen Herrn eintretenden Wähler nach verhältnismäßig kurzer Zeit seinen Tod beschleunigen würden. Die Balestellung hat eben ihre unangenehmen Schattenseiten. War man sich nun im Ogbonirat im klaren, so ward die öffentliche Wahl auf dem Markte vorgenommen. Hier traten dann die Alten auf Verabredung auf ihn zu. Sie hielten Zweige vom Ejeje und solche mit Akoko genannten Blättern (Blätter =Ewue) bereit. Diese legten sie dem neuen Präsidenten auf den Kopf. Ein Alter, wenn ich recht verstanden habe, der Oluwo, trat auf ihn zu und forderte ihn auf, dreierlei einzuhalten: erstens: jederzeit für jedermann zugänglich zu sein und jeden anzuhören, der ein Gesuch habe; zweitens: jede Klage gerecht zu beurteilen und bei keiner Sache sich durch die Stellung der Parteien beeinflussen zu lassen; drittens: sich besonders derjenigen Leute anzunehmen, die als Kranke zu ihm kämen, denn sie hätten viel weniger Umsicht, ihre Sache so klar und energisch zu vertreten wie Gesunde. — Man muß erstaunen über die moralische Deutlichkeit dieser Grundsätze. Aber man sieht doch daraus, daß dem bösen, egoistischen Regimente einiger ausgesottener und abgefeimter Menschenwürger ein gutes Werk für die große Mehrheit entspringen könnte. Diese grausamen Alten konnten ihre Herrschaft über die ganz große, in alter Zeit nach mehreren Hunderttausenden zählende Bevölkerung solcher Städte nur dann aufrechterhalten, wenn sie dieses schöne Programm als Regierungsprinzip laut verkündigten, konnten sich aber, in Anbetracht der Wucht dieser enormen Bevölkerungsziffer, der rückwirkenden Kraft solcher Proklamationen und Präsidialverpflichtungen natürlich auf die Dauer auch nicht entziehen.

Der Bale ward dann mit den Prunkstücken seiner Macht ausgestattet. Er erhielt das aus Silber (Fadaka) hergestellte Armband, in dem jene Ewue Ejeje und Ewue Akoko eingeschlossen waren, die bei der Wahl auf dem Marktplatz seinen Kopf bedeckt hatten. Der Rest der Zweige ward aufbewahrt. Der Bale erhielt fernerhin das Lederkissen "Timtim", dann ein herrliches, Otun und Osi (rechts und links) genanntes Samtkleid, das hier an Stelle des gewöhnlichen, Agbada genannten Uberwurfes tritt. Ein besonders schöner Hut und manches andere Prunkstück vervollständigen die Staatskleidung, die dem Herrn Präsidenten, genannt Bale, am Tage seiner Wahl überreicht wurde und die ihn über das unangenehme Gefühl, nie wissen zu können, wie lange die Freude dauern würde, hinwegtäuschen mußte. Es war bezeichnend, wie einer meiner alten Berichterstatter schmunzelnd erwähnte: "Wenn er das schöne Kleid sieht, wenn die Trommeln geschlagen werden, dann vergißt der neue Bale, daß das Leben sehr kurz sein kann".

In Ede, in Oschogbo und anderweitig, vor allem in Ojo, haben die



Atlantis Bd_10-063 Flip arpa

Staatsleiter besondere Paläste als Dienstwohnung. In Ibadan dagegen wohnt der Bale jeweilig in seinem eigenen Hause. Er bleibt auch nach seiner Wahl in dem von den Vätern ererbten Gehöfte wohnen und erhebt es zum Palaste. Man sieht, der großmächtige Bale ist von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet nichts weiter als eine erweiterte, vergrößerte und offiziell abgestempelte Ausgabe des echten westafrikanischen Dorfschulzen, der sich von den Typen seiner andern Brüder nur dadurch wesentlich unterscheidet, daß er in großartigem Zeremoniell gewählt wird, daß er und seine ganze Familie während der Amtsdauer bedeutendes Ansehen und bedeutende Einnahmen genießt und daß seine Existenz in bestimmte feste Grenzen der Amtsdauer eingeschränkt bleibt.

Der Beamtenstab des neuen Herrn rekrutiert sich zunächst aus der eigenen Familie. Bei den Mossi, Tim, Nupe usw. traf ich die Einrichtung von Pagen, die als Boten und bessere Arbeiter, teilweise auch als Vertraute verwendet werden und die Herrscher meist in größerer Menge umgeben. Bei den westlichen Fürsten habe ich nie gehört, daß ein besonderer Familien- oder Sippenstamm das Pagenmaterial geliefert habe. Der Bale hat dagegen den Vorzug, daß seine eigenen Kinder solche Stellungen einnehmen können. Sie wurden in Ibadan "Madgwele" genannt und sind durch ein Samtkleid, "Togu", ansgezeichnet, das die Wähler am Wahltage stiften. Im Gegensatz zu westlichen Sitten dienen übrigens nicht nur Burschen, sondern auch die Töchter des Bale als Madgwele. Wenn sie in ihrer Amtstracht irgendwo auftreten, muß dem überbrachten Befehl des Bale Folge geleistet werden.

Der eigentlich hohe Beamtenstab des Bale besteht aber aus:

Otun-Bale, das ist der Stellvertreter des hohen Herrn,
Osi-Bale,der Stellvertreter linker Hand ,anscheinend an vielen Orten
ausgestorben,
Balogun, der oberste Minister,
Otun-Balogun, die rechte Hand des Balogun,
Osi-Balogun, die linke Hand des Balogun,
Assiqua-Balogun, der dritte Balogungehilfe,
Abesse-Balogun, der vierte Balogungehilfe,
Ekarun-Balogun, der fünfte Balogungehilfe,
Ekefa-Balogun, der sechste Balogungehilfe,
Asadju-Balogun, der vor dem Bale herschreitet,
Djagun, der Scharfrichter,
Ologbo, der als Stellvertreter des Bale das Richteramt vollführt,
Schobalodju, Maje, ~
Ikolaba, }das sind Rechtsverständige.
Areagu, J



Atlantis Bd_10-064 Flip arpa

Diese Reihe ist sehr unvollständig, da viele Beamte der alten Zeit nicht mehr funktionieren. Auch haben sich in den verschiedenen Staaten verschiedene Ämter ausgebildet, wie ja auch die Könige in verschiedenen Gegenden verschiedene Titel führen. Anderseits scheint es mir, als ob, entsprechend jeweiligem Ansehen und Einfluß geschickter Persönlichkeiten, das eine oder andere Amt modisch geworden sei, dann mit andern abgewechselt habe und schon kurz nach der Entstehung und Blütezeit wieder verschwunden sei. Überall ist aber als Grundlage zu erkennen, daß ein Beamter immer unter dem andern steht. Jeder wird von seinem Hintermann evtl. vertreten. Es wird später auf manche Ämter zurückzukommen sein, die in neuerer Zeit gänzlich verschwunden sind.

Diese Beamten werden teils vom Bale, teils vom Volke gewählt. Das Volk selbst bestimmt vor allen Dingen den Djagun, der Bale die Reihenfolge der Balogune. Die Sachverständigen der Rechtswissenschaft scheinen sich entsprechend der Kenntnis und Erfahrung ergänzt zu haben. Jedenfalls waren sie sehr wichtig, hockten abwechselnd oder gemeinsam um die Person des Bale herum und berichteten ihm bei jeder zu erledigenden Sache über etwaige "Vorgänge", erfüllten also nicht nur jeden Wunsch nach einem "Simile", sondern kamen ihm zuvor, indem sie mit ihm über alte geschichtliche Beispiele sprachen.

Die Balogune, die, wie gesagt, der Reihe nach immer einer unter dem andern stehen, sollen vordem auch die Ogun Illua Amanno, d. h. die Kriegshaufen, die aus verschiedenen Distrikten ausgehoben wurden, geleitet haben, und zwar je nach Bedarf unter der Führung eigener Häuptlinge, die ihrerseits den Balogunen als höheren Führern unterstanden. Sicher bin ich mir der Richtigkeit dieser Behauptung nicht, da ich aus andern Angaben den Eindruck gewann, daß die Balogune mehr Minister als Kriegsherren gewesen sind. Kriegerische Rüstungen und Kriegshaufen überhaupt wurden immer aufgebracht, wenn Sklavenkriege in fernen Gegenden ausgeführt werden sollten.

In früherer Zeit soll der Bale von Ibadan manchen Zug zu solchem Zwecke zu den Kukuruku gesandt haben; auch wurden nicht nur dann und wann Fehden in andern Städten ausgefochten, sondern der Bale benötigte dieser Kriegshaufen auch im eigenen Lande, und das ward nicht allzu selten in folgender Weise veranlaßt:

Alle Männer der Gemeinde, die unter dem Präsidium des Bale lebten, waren verpflichtet, ihm bei der Bestellung seiner Äcker zu helfen. Arme legten selbst Hand mit an, die Wohlhabenden sandten ihre Sklaven. Solcherart gemeinsames Werk wurde vom Bale durch großartige Bewirtung der Arbeiter oder Arbeitsherren und durch Verteilung von Nahrungsmitteln vergütet. Während nun die in der Nähe Wohnenden die Arbeit ausführten, brachten die Fernerstehenden



Atlantis Bd_10-065 Flip arpa

gewissermaßen als Ausgleichssteuer die Nahrungsmittel, Speisen und Leckereien für die großen Abfütterungen heran, und gleichzeitig, wenn die Botschaft des Bale an die umwohnende Bevölkerung die Aufforderung, zur Arbeit zu kommen, überbrachte, gingen andere Sendlinge zu den ferner Wohnenden und forderten Lebensmittellieferung.

Die Pagen fielen nun wohl in ferner gelegene kleine Gemeindewesen ein, um zu veranlassen, daß dieser Aufforderung nicht nachgekommen würde. Bösartige Zungen meinten spöttisch, der Bale habe in letzter Zeit solche Unbotmäßigen nicht gar so ungern gesehen, denn sie gäben ihm Veranlassung, seinen Besitz zu mehren. Denn kaum waren die Berichte über die Ungehorsamen angelangt, so berief der Bale einen Kriegshaufen, stellte ihm einen kriegerischen oder diplomatischen Leiter an die Spitze und sandte ihn ab. Die Leute rückten in die aufrührerische Gegend, näherten sich möglichst unauffällig, damit die Dörfler nicht etwa entwischten, und fielen dann über die kleine Gemeinde her. Männer, Weiber und Kinder, alles, was nur leidlich handfest und kräftig war, ward gefangengenommen. Oftmals soll nur die Hälfte der Bevölkerung dageblieben, die andern glücklich entflohen sein. Von diesem Rest war der größte Teil männlich, denn die Weiber konnten amwenigsten leicht entfliehen. Alle Gefangenen wurden nach der Heimstadt gebracht und dem Bale vorgeführt. Er verwandte einige von ihnen für den eigenen Haushalt, in dem sie als Sklaven und Frauen dienten, verschenkte andere und verkaufte den Rest.

Der glücklich entronnene Teil der Einwohner sammelte sich nachher auf den Trümmern seiner Siedlung und sandte Boten an den Fürsten, die als Zeichen der Unterwerfung Blätter auf den Köpfen trugen. Sie wurden dann begnadigt. Wenn eine Deputation mit dieser Nachricht zurückgekehrt war, begann die Bevölkerung wieder emsig zu arbeiten. Die Felder wurden bestellt, die Häuser neu errichtet. Die Männer arbeiteten jetzt doppelt fleißig und suchten möglichst schnell genügendes Geld zu verdienen, um baldigst in ein fernes Land zu gehen und dort sich eine neue Frau erwerben zu können. Denn infolge der Strafexpedition des Bale waren der Gemeinde die meisten Frauen fortgenommen worden. Mit den neugewonnenen Frauen kehrten die Männer zurück; der Kindersegen stellte sich ein, und wenn die Gemeinde wieder ansehnlich herangewachsen war, so entsandten sie an den Bale eine neue Botschaft mit der Bitte, ihnen einen Adjelle, einen Häuptling zu geben. Der Bale tat es, und von nun ab folgte die verjüngte Gemeinde dem Befehle des Herrn und blieb botmäßig. Die Adjellewürde der kleinen Gemeinden ist aber nicht erblich, sondern es wird nach dem Tode eines jeden von dem regierenden Bale ein neuer ernannt.



Atlantis Bd_10-066 Flip arpa



***
Der Alafin oder König. — Bei keiner Gelegenheit tritt der große Unterschied, der zwischen dem Alafin in Ojo und dem Bale in Ibadan besteht, also der Unterschied zwischen König und Präsidenten, deutlicher hervor als bei deren Lebensabschluß. Der allseitigen Behauptung nach war der Jorubakönig in Ojo während der Herrschaft der letzten beiden Dynastien weder in seiner Amts-, noch in seiner Lebensdauer begrenzt. Er mußte es schon ziemlich arg treiben, bis die Großen seines Hofes ihm das Igbaoa (die Schale mit den Papageieneiern) sandten, was dann allerdings ein schleuniges Ende veranlaßte. In ganz alter Zeit sollen dagegen die Alafine immer nur sieben oder vierzehn Jahre regiert haben. Was dies bedeutete, das werde ich dann, wenn ich die Formen der äthiopischen Königswürde bespreche, zeigen. Im allgemeinen gewährte man aber, wie gesagt, im Laufe der letztverstrichenen Zeit dem Alafin gewöhnlich einen natürlichen Lebens- und Regierungsabschluß. Nach seinem Tode wurde eine ganze Reihe von Gebräuchen ausgeübt, die an Grausamkeit und Deutlichkeit nichts zu wünschen übrigließen. Zunächst schnitt man der königlichen Leiche das Haupt ab und trennte die Hirnschale davon los, reinigte sie und übergab sie dem ältesten Sohne des Königs, dem natürlichen Erben seines Besitzes, seiner Stellung und seines Rechtes. Dieser trank aus der Schale Sorghumbier und ward danach selbst zum Alafin geheiligt. Die göttliche Kraft des Schango selbst, des alten Reichsgründers, ging dadurch auf ihn über. Ferner ward dem königlichen Haupte die Zunge entnommen. Sie ward geröstet, präpariert und dem Sohne zu essen gegeben. Das war Bedingung zur vollendeten Krönung des neuen Herrschers. Dann erst folgte das Begräbnis. Unter den Armen wurde um die Leiche ein Strick gebunden, an dem sie zum Palaste hinausgeschleift wurde. Schon zu Lebzeiten des Verstorbenen hatten einige Leute das Versprechen abgegeben, sich mit dem Herrscher zusammen begraben zu lassen. Solche Leute hießen Apobaku, das sind Leute, die das Wort gegeben haben, mit dem Herrscher zu sterben. Acht lebende Menschen folgten dem Herrscher in das Grab: Weiber, Sklaven und der Zügelhalter des königlichen Rosses.

Die königliche Leiche findet in einem riesigen Topfe, einer gewaltigen Urne, Aufnahme. Die sogenannnten Banka oder Onitsche Awuo tragen diese Graburne nach einem Platze, der Koso heißt und mitten im Busche liegt. Dort draußen ist ein Königsgrab neben dem andern. In Neu-Ojo wird ein tiefes Loch gegraben. Dahinein versenkt man die lebendigen Begleiter der Totenfahrt und das Riesengefäß mit der Leiche des Königs. Man bedeckt dies Grab des Lebens mit Erde und errichtet einen Hügel. Dann wird das Pferd des Königs auf diesem geschlachtet und dem Herrn so nachgesandt. Anders war das Vorgehen in Alt-Ojo. Dort hob man eine tiefe Grube aus, zu der von



Atlantis Bd_10-067 Flip arpa

Osten und Westen je ein Gang führte. In der Mitte ward der Hügel darüber aufgeworfen. Allen Beschreibungen nach muß ich annehmen, daß diese Grabform dem Binigrabe der Songhai entspricht.

Man sagt dann: "Der Alafin ist in Schangos Reich gegangen!" oder aber: "Der Alafin ist in Schangos Reich geritten!"Als Schangostadt ganz im besonderen wird Barra bezeichnet. Das ist ein Weiler, der eine halbe bis eine Stunde entfernt von Ojo liegt und königlichpriesterliches Privatdorf ist. Dort ist Schangos Tempel, vor allem aber Schangos Grab nach der Volksmeinung, die alles aus dem alten Ojo im Norden nach der heutigen Hauptstadt im Süden getragen zu haben scheint. An diesem Platze Barra ist aber ein Ort, der das vollste Interesse in Anspruch nehmen kann: dort ist das Haus, in dem alle Hirnschalen der in Ojo verstorbenen Alafine sorgfältig verborgengehalten werden.

Ganz anders war bisher der Lebensabschluß eines Bale. Sein Abschied erfolgte, wie schon mehrfach erwähnt war, zunächst recht selten nach den Gesetzen der Natur. Vielmehr griffen die Ogboni häufig ein, wenn ein Bale allzu mächtig oder selbständig, zu wohlhabend oder auch zu grausam ward. Man gibt als durchschnittliche Regentschaftszeit des Bale zwei Jahre an. Nach deren Verlauf warfen die Ogboni das Orakel, und dann ward entschieden, ob die Gottheit den Bale eine weitere Amtsdauer gewähren wolle oder nicht. Fiel die Entscheidung der Gottheit dementsprechend aus, so pflegten ihn die Ogboni durch Gift ums Leben zu bringen. Und das durchaus allgemeine Mißtrauen, das die Joruben jedem angebotenen Getränk entgegenbringen, scheint zu beweisen, daß die Giftmischerei hier sehr im Schwunge ist. Das Zeichen zur Vergiftung gab daher Oluwo, der ihm als Oberhaupt der Ogbotii seine Wahl sicherte. Nach dem Tode wurde die Leiche des Bale ganz außerordentlich hoch geehrt. Ein großer, "Bossin" genannter Holzsarg ward hergestellt. Reich gekleidet ward der Bale hineingebettet, dann wurde er im eigenen Hause, anscheinend meist im Oborun, zuweilen aber auch in der Gondu begraben. Es wurde zu diesem Zweck ein außerordentlich tiefer Schacht ausgegraben, in den der Sarg versenkt ward. Nach der Zuschüttung führte man den konischen Hügel darüber auf und schlachtete Pferd, Kuh usw. Ein allgemeines, sehr großes Fest ward in Szene gesetzt, und damit war es denn mit der Fürstenpracht der Familie vorbei. Sie versank meist nach einer Generation in Armut. Vom Tode bis zur Neuwahl des Bale regierte der Otun-Bale. Nach der Neuwahl des Bale erfolgte dann auch die Neuwahl eines andern Beamtenstabes.

Es ist eine wesentliche Erscheinung, daß, abgesehen von Alafin und seiner Familie, die Joruben überall ihre Toten in ihren eigenen Gehöften unter der Veranda, also unter den Lebenden, bestatten.



Atlantis Bd_10-068 Flip arpa

Wenn wir das vorhergehende zusammenfassen, so bemerken wii erstens eine Ausschließung der Frauen als solcher aus dem Staatsverbande, eine Ausschließung, die durch die Tätigkeit des Oro bewirkt wird; wir erblicken zweitens eine republikartige Bundesinstitution mit einem Präsidenten an ihrer Spitze, der ein Werkzeug dieser Männergenossenschaft ist; wir sehen drittens einen König, welcher als ein göttliches Oberhaupt angesehen und dementsprechend nach seinem Ende durch zeremonielle Verehrungsgebräuche gefeiert wird; wir erkennen zum vierten die Stufenreihe eines Beamtentums, in der der Hintermann immer dem ihm voranstehenden untergeordnet ist. Es wird später, wenn wir die Staatsbildung des Sudans überhaupt besprechen, unsere Aufgabe sein, die verwandtschaftlichen und entwicklungsgeschichtlichen Beziehungen hierzu aufzufinden. Hier können wir mit der Feststellung abschließen, daß unter diesen Faktoren zunächst nur die Königswürde mit dem Orischasystem in Beziehung steht, wenn es auch nicht ausgeschlossen ist, daß die überall wiederkehrende Einrichtung der otun- (rechts) und osi (links) stehenden Beamten sehr wohl einen tieferen Sinn haben kann.


Copyright: arpa, 2015.

Der Text wurde aus der Märchen-, Geschichten- und Ethnien-Datenback von arpa exportiert. Diese Datenbank wurde dank Sponsoren ermöglicht. Es würde uns freuen, wenn wir mit Ihrer Hilfe weitere Dokumente hinzufügen können.
Auch bitten wir Sie um weitere Anregungen in Bezug auf Erweiterungen und Verbesserungen.
Im voraus Dank für die Mithilfe. Spenden können Sie unter In eigener Sache

Ihr arpa team: www.arpa.ch Kontakt