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VOLKSERZÄHLUNGEN UND VOLKSDICHTUNGEN


AUS DEM ZENTRAL-SUDAN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1924

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS / JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT 2 KARTENBEILAGEN

120. Wandergenossenschaft

Ein König hatte von sechs Männern gehört, die sich jeder rühmten, die kühnste Tat ausführen zu können. Er ließ sie alle rufen und stellte sie zweien seiner Leute gegenüber, die das gleiche behaupteten. Der erste sagte: "Ich hole jede Frau, die kein anderer sehen darf, und sei es aus eines Königs Palast." Der zweite sagte: "Ich nehme den Kampf mit jedem auf, der sich mir gegenübersteht." Der dritte sagte: "Ich bin der sicherste Kanufahrer und Schwimmer im ganzen Lande." Der vierte sagte: "Ich bin der größte Jäger; kein Wild entgeht meinem Pfeil." Der fünfte: "Ich fange alles auf, was mir entgegenfliegt oder entgegengeworfen wird." Der sechste: "Ich bin der geschickteste Dieb, geschickter als jede Ratte." Der König sagte: "Geht alle hinaus und tut euer Meisterstück." So zogen die sechs aus und kamen in eine große, große Stadt. Dort mieteten sie sich bei einer alten Frau ein, die in der Nähe des Königspalastes wohnte und dort täglich aus und ein ging. Der Mann, der behauptete, er finge jedes Weib, fragte die alte Frau: "Der König hat eine Frau, die niemand berühren darf, noch nicht einmal eine Fliege. Kommst du nicht mal zu ihr?" "Ich will es, wenn der König fort



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ist, denn wenn er mich sieht, werde ich geköpft." Der Mann kaufte Kola und Lavendeiwasser, gab es der Alten, es der Königsfrau zu übermitteln und zu sagen, von wem es käme. Die Alte ging und überbrachte ihren Auftrag. Die Königsfrau sagte: "Auch ich liebe ihn, denn er ist der erste Mann, der den König nicht fürchtet. Der König schläft heute nacht bei einer andern Frau, ich bitte den Fremden daher, zu kommen. Er muß 500 Kolanüsse und ein Stück Fleisch mit sich bringen und viel Lavendeiwasser an seine Kleider machen. Er muß in leichten Schuhen sechs Sauri (Torhäuser) passieren, und wenn die Wachen den Geruch spüren, werden sie denken der König sei es. Dann gebe er im ersten Sauri jedem Manne drei Kola, im zweiten vier Kola, im dritten fünf Kola usw. Im Torhaus findet er Hunde, denen gebe er das Fleisch. Dann wird er ein großes Haus finden, das ist das meine. Daran wird außen ein Stück Stoff hängen. Meine Sklaven sende ich alle weg."

Die Alte ging und überbrachte die Antwort und der Mann rüstete sich wie befohlen mit dem Kola und dem Fleisch, nahm seine Gitarre unter das Gewand, leichte Schuhe an die Füße und einen Turban auf den Kopf. So machte er sich auf den Weg. Im ersten Sauri reckten die Wachen die Köpfe: "Wa neni ?" (Wer da?) "Kei", antwortete er. "Rankei edede!" "Gott gebe dir langes Leben," sagten die Wachen, denn sie dachten, der König wäre es. Sie knieten nieder und bekamen drei Kolanüsse. Bei jedem Sauri dasselbe. Beim letzten Torhaus knurrten die Hunde und bekamen das Stück Fleisch. Dann trat der Mann in das Haus der Königsfrau, die in ihren besten Kleidern auf dem Bette saß. Der Mann schloß die Türe: "Willst du die Lampe nicht auslöschen ?" fragte die Schöne. "Ich habe keine Angst", antwortete er, setzte sich neben sie, zog erst sich, dann ihr die Kleider aus, und so schliefen sie zusammen. Um Mitternacht begann der Mann seine Mob (Gitarre) zu spielen, und manche Frau in der Nachbarschaft wunderte sich, wie gut der König bei seiner schönen Frau Gitarre spielen könne. Dann schliefen sie beide fest umschlungen. Morgens um vier Uhr kam der König, als alle Wachen noch schliefen, nach seiner schönen Frau zu sehen. Vor Schreck erstarrt, blieb er in der Türe und sah die beiden in ihrer Umarmung schlafen. Leise schloß er die Türe, ging zurück und rief seinen Leibsklaven: "Ruf mir alle meine Leute zusammen in mein Gehöft. Als die Leute kamen, ließ er einen vierfachen Ring um das Haus bilden und befahl, vorsichtig das Dach abzudecken und jedes lebende Wesen, das da herauskäme, zu fangen und ihm zu bringen. Die alte



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Frau, bei der die sechs Männer wohnten, hörte die Unruhe, lief zu des Königs Gehöft und erfuhr die Geschichte.

Schnell erzählte sie es den Fremden: "Und sie schlafen noch immer." Der große Dieb sagte: "Macht euch bereit, wir müssen ihnen helfen. Ich hole alle beide, ihr aber erwartet mich vor der Stadt." Dann fragte er die Alte: "Hat der König ein Tier, das er gut kennt?" "Ja, der König hat eine schneeweiße Katze mit weißen Augen." Der Dieb verwandelte sich in eine schneeweiße Katze mit weißen Augen und schlich sich zum König, der bei dem vierfachen Ring der Leute saß und mit der Katze zu spielen begann. Die rannte bald in den Kreis, und die Leute wollten sie greifen: "Laßt sie,"rief der König, "vielleicht fängt sie eine Ratte." Die Leute ließen die Katze, und diese sprang durch das Dach in das Haus, wo die beiden immer noch schliefen. Mit einem Schlage der Tatze weckte sie die beiden auf, verwandelte die Frau in eine Spinne, die sie ins Maul nahm, den Mann in eine Ratte, die sie in die Zähne nahm. Dann kam sie wieder aus dem Haus und alle Leute riefen: "Der König hat recht! Der König hat recht!" Die Katze kam zum König und schmiegte sich an ihn: "Geh und friß deine Ratte", sagte er. Die Katze verschwand, sprang über Mauer und Mauer und erreichte die Freunde vor der Stadt, verwandelte sich und die beiden in Menschen und sagte: "Ich habe nun auch mein Werk getan. Nun seid ihr vier an der Reihe." Alle zusammen liefen an den Fluß. Dort fällte der Kanumann und Schwimmer einen Baum, der sich alsbald in ein Kanu und Paddel verwandelte. Sie stiegen hinein und fuhren auf dem Fluß. Da kam auch schon der König, der den Betrug inzwischen bemerkt hatte, mit seinen Reitern herangesprengt. Sogleich verwandelte sich einer seiner Leute in einen Adler, stieß auf die Frau hernieder und entführte sie aus dem Boot. Der Jäger aber, der so gut schießen konnte, nahm seine Keule und warf sie nach dem Adler. Der ließ seine Beute, und der Mann im Boot, der so gut fangen konnte, fing die Königsfrau auf. Schon kam ein anderer Adler, ergriff die Frau wieder und ward wieder durch die Keule des Jägers getroffen. Und der andere fing diesmal Frau und Adler auf. Inzwischen erreichten sie das andere Ufer und sahen, wie der König und seine Leute sich ins Wasser stürzten. "Nun kommt die Reihe an mich," rief der große Krieger, "geht ruhig voraus, ich erwarte die Leute hier." Die andern gingen mit der Frau voraus. Der Krieger begann mit des Königs Leuten zu streiten. Hatte er einige erschlagen so ging er etwas zurück, um sie dann zum Fluß zurückzutreiben,



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bis alle erschlagen waren. Dann kamen die sechs Männer zu ihrem König zurück und brachten ihm die Frau. Der König rief seine Leute zusammen und fragte, wer nun seine Arbeit am besten gemacht hätte? Keiner konnte eine Antwort finden. Dann fragte er die Frau selbst. Sie sollte den Besten auswählen. Aber sie fand, daß jeder so tapfer war wie der andere. Da nahm der König die Frau selbst in seinen Palast. Die sechs Tapferen aber wurden seine steten Begleiter.


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