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VOLKSERZÄHLUNGEN UND VOLKSDICHTUNGEN


AUS DEM ZENTRAL-SUDAN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1924

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS / JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT 2 KARTENBEILAGEN

75. Der Drachentöter

Auta war ein kleiner Junge. Auta wohnte in einem großen Hause, in dem jedermann viel Geld hatte. Der Vater Autas war der reichste Mann in der Stadt. Der Vater Autas starb. Auta trug alle Kleider, alles Holzwerk, alles, was im Hause war, an einer Stelle zusammen. Er trug Feuer hin. Das Feuer nahm das Holzwerk und begann es zu verschlingen. Das Feuer verschlang alles, was im Haus war. Auta sagte: "Nun habe ich nichts mehr hier. Was werde ich nun morgen essen?"



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Auta ging in das Haus eines anderen reichen Mannes. Auta blieb da. Auta aß in dem Hause. Der Herr dieses Hauses hatte viele kleine Knaben und Mädchen. Auta tötete eines der Kinder nach dem andern. Auta tötete die Kinder alle. Auta aß die kleinen Kinder auf. Dann rannte Auta von dannen. Auta rannte in den Busch.

Nach einiger Zeit kam der Herr des Hauses. Der Herr des Hauses sah, daß seine Kinder getötet und gegessen waren. Der Herr des Hauses war der Serki selbst. Der Serki rief: "Wo sind alle meine Kinder geblieben?" Alle Frauen, alle Männer suchten die Kinder. Man fand die Kinder nicht. Die Leute sagten: "Das muß der Auta, der Junge, gewesen sein." Der Serki sagte: "Sucht den Auta. Ich will den Auta auch suchen. Wir wollen diesen Auta schon finden." Der Serki machte sich mit seinen Leuten auf. Alle Leute suchten mit im Busch.

Auta lief im Busch weit hin. Auta sah den König mit seinen Leuten hinter sich her kommen. Auta war an einem Baum. Auta stieg auf den Baum. Der König kam mit seinen Reitern heran. Der König stieg an dem Baume vom Pferde. Der König setzte sich unter dem Baum hin, um auszuruhen. Er nahm seinen Hut ab. Da entleerte sich Auta auf dem Baume. Sein Unrat fiel genau auf des Königs, Kopf. Der König sah auf. Der König sah Auta. Der König sagte: "Dort sitzt dieser Auta! Ergreift ihn!" Die Leute machten sich auf, Auta zu ergreifen.

Es kam ein Schirua (ein Hühnerweihe) über dem Baume hingeflogen. Der Schirua nahm Auta auf und trug ihn in die Luft, ehe die Leute des Königs Auta erreichten. Der Schirua brachte Auta weit fort. Der Schirua brachte Auta in eine große Stadt und setzte ihn dort hin.

In dieser Stadt war es verboten nachts auszugehen. Es war da ein großes Gjado (Schwein). Das Gjado lief nachts durch die Straßen. Wenn es einen Mann auf der Straße fand, tötete und fraß das Gjado ihn. Deshalb schlossen sich nachts alle Leute in den Häusern ein. Es war aber niemand da, der das Gjado anzugreifen wagte, denn niemand glaubte, daß ein Mensch das Gjado töten könne. Auta kam in diese Stadt. Die Leute sagten ihm: "Schließe dich nachts auch in ein Haus ein. Sonst tötet dich das Gjado."

Auta ging am andern Tag in der Stadt umher. Auta ließ sich überall einen Furrakloß (Sorghummehlkloß), einen runden Stein und Feuerholz geben. Auta schichtete das Holz auf. Auta legte die runden Steine auf das Holz. Er setzte die Schüssel mit den Furraklößen daneben. Es sah aber niemand, was Auta vorhatte. Als es Abend



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war gingen alle Leute in die Häuser und schlossen sich ein. Auta blieb aber draußen und versteckte sich. Als aber alle Leute in den Häusern waren, zündete Auta den Holzstoß an, auf dem die runden Steine waren. Die runden Steine wurden glühend heiß.

Nach einiger Zeit kam das Gjado. Das Gjado kam auf Auta zugelaufen. Das Gjado sagte zu Auta: "Heute ist deine Zeit abgelaufen." Auta sagte: "Nein, ich werde länger leben und du wirst mir in dieser Stadt nichts anhaben können." Das Gjado lief auf Auta zu und wollte ihn töten. Auta sagte: "Wenn du mit mir kämpfen willst, zeige erst deine Kraft an diesen hundert Steinen. Hier sind hundert weiße Steine (zeigt auf die Furraklöße), dort sind hundert Steine (zeigt auf die Steine, die im Feuer glühen). Ich werde zehn Steine essen; dann sollst du zehn Steine essen. Wir wollen sehen wer mehr verzehren kann." Das Gjado sagte: "Es ist mir recht. Du glaubst, ich kann nicht so viel verschlingen wie du? Was du kannst, kann ich auch!"

Auta nahm fünf Furraklöße und aß sie. Auta sagte: "Nun öffne deinen Mund, damit ich dir auch fünf Steine in den Mund gebe!" Das Gjado öffnete den Mund. Auta warf fünf glühende Steine in den Mund Gjados. Gjado verschlang sie. Gjado stöhnte. Gjado stöhnte und sagte: "Was du kannst, kann ich auch!" Auta sagte: "Es ist gut. Hier sind noch mehr." Auta aß wieder fünf Furraklöße und sagte: "Nun öffne deinen Mund, daß ich dir auch fünf Steine in den Mund gebe!" Das Gjado öffnete den Mund. Auta warf fünf glühende Steine in den Mund Gjados. Gjado verschlang die fünf Steine. Gjado brüllte. Gjado brüllte laut: "Gib mir gleich alle Steine auf einmal; ich will dir zeigen, daß ich mehr kann wie du. Du kannst immer nur fünf Steine verschlucken!" Auta sagte: "Dann öffne den Mund ganz weit." Auta warf alle andern glühenden Steine hinein. Das Gjado verschlang sie. Das Gjado wälzte sich am Boden hin und starb.

Als das Gjado gestorben war, schnitt Auta ihm den Schwanz (Utschia) ab und steckte ihn in die Tasche. Dann ging er in das Haus, in dem er wohnte, schloß es, legte sich hin und schlief.

Am andern Morgen kamen die Menschen aus den Häusern. Die Leute sagten: "So stark, wie heute nacht, hat das Gjado noch nie gebrüllt!" Die Leute kamen zusammen. Die Leute sagten: "Was war das mit dem Gjado heute nacht?" Die Leute fanden das toten Gjado .Die Leute sahen das tote Gjado. Die Leute sagten: "Ah! das Gjado ist getötet." Die Leute liefen zum König und sagten: "Höre!



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Das Gjado ist in dieser Nacht getötet!" Der König sagte: "Was sagt ihr?" Die Leute sagten: "Das Gjado ist in dieser Nacht getötet." Der König sagte: "Ich muß das selbst sehen."

Der König machte sich auf. Der König ritt dahin, wo das getötete Gjado lag. Der König sagte: "Es ist wahr. Das Gjado ist getötet." Der König betrachtete das Gjado. Der König sagte: "Der Mann, der das Gjado getötet hat, hat ihm den Schwanz abgeschnitten. Ruft den Mann herbei, der das Gjado getötet hat. Ich will ihm die Hälfte der Stadt schenken!" Die Leute sagten: "Hört, was der König sagt! Er will dem Mann der das Gjado getötet hat, die halbe Stadt schenken!" Der König ritt wieder heim.

Als der König wieder daheim war, kam ein Mann zu ihm und sagte: "Ich habe das Gjado getötet. Gib mir die halbe Stadt!" Der König sagte: "Zeige mir den Schwanz des Gjado!" Der Mann hatte aber den Schwanz des Gjado nicht. Es kam ein anderer Mann zum König und sagte: "Ich habe das Gjado getötet. Gib mir die halbe Stadt!" Der König sagte: "Zeige mir den Schwanz des Gjado!" Der Mann hatte aber den Schwanz des Gjado auch nicht. Keiner der Leute der Stadt konnte den Schwanz des Gjado zeigen.

Die Leute in dem Hause, in dem Auta wohnte, sagten untereinander: "Das Gjado ist in dieser Nacht getötet. Der König will dem Mann, der das Gjado getötet hat, die halbe Stadt schenken!" Auta hörte das. Auta ging aus dem Hause. Auta ging in das Haus des Königs. Auta sagte: "Ich habe das Gjado getötet!" Der König sagte: "Zeige mir den Schwanz des Gjado!" Auta zog den Schwanz des Gjado aus der Tasche und zeigte ihn dem König.

Der König sagte zu Auta: "Du hast für diese Stadt und alle meine Leute mehr getan, als irgend jemand vorher!" Der König schenkte ihm so viel, daß er der reichste Mann der Stadt war und der König gab ihm die halbe Stadt. (Vgl. Bemerkung am Ende v. Nr. 74)


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