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Kapitel 

[774]

Johannes Stumpf an
Bullinger
Bubikon,
26. März 1536

Autograph: Zürich StA, E II 340, 74 (Siegelspur) Ungedruckt

Für den verstorbenen Pfarrer von Rüti, Nikolaus Steiner, hilft Diakon [Dietrich Thöny] von Wald aus; doch da die dringenden seelsorgerlichen Aufgaben in der großen Gemeinde einen Pfarrer erfordern, bittet Stumpf darum, beim Rat die Neubesetzung zu erwirken. Dankt für die Beherbergung. Hat das Werk des Beatus Rhenanus [Rerum Germanicarum libri tres] in Zürich nichtfinden können; wird daher mit der Abfassung des ersten Buches [der Druckfassung seiner Chronik]bis zur Frankfurter Messe zuwarten. Grüße.

Gratiam et pacem a deo patre et domino nostro Iesu Christo.

Lieber her und bruder, es ist her Niclaus Steyner, predicant zu Rütti, vor acht tagen vor datum dis brieffs vom herren uß disem zyt berüefft 1 , deßwegen die predicatur daselbst jetzzumal ledig und durch den diaconum von Wald 2 versehen wirt. Nun acht 3 ich wol, die von Rütti liesßend sich der versehung des diaconi wol benüegen, darmit sy kein eignen hirten haben müesten. Diewyl wir uns aber a eynes geschwinden 4 infallenden sterbens versehend (welcher schon anfacht zuryßen 5 , dan sich mit obgemeltem her Niclausen allein im closter Rütti by 12 oder 14 personen gelegt 6 habend, deren schon zwo verscheiden sind) und ouch der pfarer von Dürten 7 an eynem schweren, gifftigen und schwindligem feber kranck ligt, so werdend wir des obgedachten diaconi sonst nodtürfftig, und so dan Rütti am anstoss 8 gelegen, da vil zulouffs, vil gesinds, ouch im pabstumb daselbst vil götzendienst gewesen 9 , und diser zyt ettlich biderb landlüt dahin zur kilchen bescheiden 10 sind, ouch von alter har da ein begrebt und sontegliche predig und b andre pfärliche rechtung 11 gehalten sind, so ist an uch, lieber her und bruder, umb gottes eer und c von bevolchnen myns ampts d wegen 12 myn früntlich bitt und vermanung, uwers vermögens by unsern g[nedigen] hem zuverschaffen, das Rütti mit eynem tougelichen, ansehigen 13 gsellen wider versehen e werde. Dan wo das nit geschicht, wirt es ein

a vor aber gestrichenes, unlesbares Wort.
b vor und gestrichenes gehalten.
c vor und gestrichenes, unlesbares Wort.
d vor ampts gestrichener, unlesbarer Buchstabe.
e vor versehen gestrichenes versegt.
1 Vgl. HBBW IV, S. 359, Anm.1.
2 Dietrich Thöny (s. Pfarrerbuch 98. 565).
3 glaube (SI I 80).
4 heftigen (SI IX 1956).
5 zuzunehmen (vgl. SI VI 1343).
6 ins Krankenbett gelegt (SI III 1174).
7 Unbekannt. Das Pfarrerbuch 24 und 268
nennt Michael Farner, was nicht richtig ist (vgl. HBBW IV, S. 396, Anm. 1).
8 an der Grenze (zum katholischen Gebiet).
9 Anspielung auf das Kloster Rüti, dessen drei letzte Mönche den reformierten Pfarrern noch immer Schwierigkeiten machten (vgl. HBBW IV, Nr. 346 und 371, sowie V, Nr. 536).
10 zugeteilt (SI VIII 246f).
11 rechtliche, vertragliche Verpflichtungen (SI VI 315f).
12 Stumpf war Dekan des Kapitels Wetzikon.
13 geachteten, würdigen (SI VII 561).

grub werden aller laster, dan sonst wenigs guts da geuffnet wirt. Darumb lassend üch die sach angelegen syn etc.

Gott danck und vergelt üch üwer früntlichen und gutwilligen herberg f14 .

Item Beati Rhenani 15 halb: Dasselbig buch 16 hab g ich nit mer Zürch funden; deßhalb ich mit dem ersten buch 17 still will halten biß nach der meß zu Franckfurt 18 , aber inn andern will ich fürfaren. Hiemit sind dem herren gott bevolhen.

Datum Bubicken, sontags letare, in yl zwüschend beiden predigen, anno domini 1536.

Tuus Stumpffius subscripsit.

Es grüesßt üch und all uwer hußfölckli myn früntlicher, lieber gmachel 19 .

[Adresse auf der Rückseite:] Domino H. Bullingero, Tigurinae urbis episcopo, fratri suo in domino.

f vor herberg gestrichenes beher.
g vor hab gestrichenes halb.
14 Stumpf hatte wohl - wie angekündigt (oben Nr. 710, 11-13) — Bullinger besucht, um Schriften für seine Chronik zu kopieren.
15 Beatus Rhenanus (Rheinauer, eigentlich: Bud), aus Schlettstadt (Elsaß), 1485- 1547, war Humanist und Historiker. Nach seinem Studium in Paris 1503-1507 lebte er zwanzig Jahre lang vor allem in Basel, wo er zum Freund und nächsten Mitarbeiter des Erasmus wurde, danach bis zu seinem Tod in Schlettstadt. Er besorgte Ausgaben von Werken antiker Schriftsteller und Kirchenväter und wuchs in den dreißiger und vierziger Jahren zu einem der führenden deutschen Historiker heran. Aus der Korrespondenz mit Zwingli zwischen 1518 und 1522 sind zahlreiche Schreiben erhalten, von einem Briefwechsel mit Bullinger ist nichts bekannt. — Lit.: Z VII, vgl. Reg.; Beatus Rhenanus, Un grand humaniste alsacien et son époque, citoyen de Sélestat,
ami d'Erasme (1485-1547). Anthologie de sa correspondance, hg. v. Robert Walter, Straßburg 1986. — Société savante d'Alsace et des régions de l'Est XXVII (mit Werkverzeichnis S. 40-44); Richard Newald, in: NDB I 682f; Beat von Scarpatetti, Beatus Rhenanus, in: Contemporaries I 104-109.
16 Beatus Rhenanus, Rerum Germanicarum libri tres, Basel (Froben) 1531.
17 Stumpf arbeitete an der zusammenfassenden Druckausgabe seiner Schweizerchronik (vgl. oben Nr. 710, 24f mit Anm. 22). Im ersten Buch, das die Geschichte von den Anfangen bis zum Jahr 1313 umfaßt, bezieht sich Stumpf immer wieder auf das Werk des Beatus Rhenanus (vgl. ebd., f. 7r.-88r. passim).
18 Die Frankfurter Frühjahrsmesse fand in der Regel von Oculi bis Freitag vor Palmarum, im Jahr 1536 somit vom 19. März bis zum 7. April, statt; vgl. Alexander Dietz, Frankfurter Handelsgeschichte, Bd. I, Frankfurt a. M. 1910, S. 37-40.
19 Stumpfs Ehefrau Regula, geb. Brennwald.