Projektseite Bullinger - Briefwechsel © Heinrich Bullinger-Stiftung
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[3053]

Bullinger
an Ambrosius Blarer
Zürich,
25. Oktober 1547

Autograph: St. Gallen Kantonsbibliothek Vadiana, Ms 35, 275 (Siegelspur) Teildruck und zusammenfassende Ubersetzung: Blarer BW II 666f, Nr. 1486

[1] Als Bullinger um 10 Uhr seine Predigt beendet hatte, kam der Bürgermeister [Johannes Haab] auf ihn zu und erzählte, dass im Zürcher Rat ein Brief der Konstanzer Obrigkeit verlesen wurde, der große Bestürzung und Misstrauen auslöste. Man denke an Laokoons Worte: "Ihr glaubt, die Feinde seien weggefahren? Da kennt ihr rien Odysseus aber schlecht!" Zudem sollte man wissen, class niemand verschlagener ist als Nicolas de Perrenot, Herr von Granvelle. Er hat Söhne, die Bischöfe sind. Ihre Herrschaft will er erhalten und erweitern. Der Bischof von Konstanz, Johann von Weeze, bedrängt die Konstanzer, um das zu erreichen, was er schon seit Langem von Kaiser Karl V zu erlangen versucht. Wie bereits in seinem Brief vom Vorabend [nicht erhalten] warnt Bullinger die Konstanzer erneut, sich nicht wie die anderen Städte betrügen zu lassen. -[2]Folgendes nur für Blarer: Achtung! Vielleicht gibt es unter den Konstanzern Menschen, die den Kaiser mehr lieben als ihre Heimat! -[3] Der Zürcher Rat schreibt an aile zwölf Orte, dass er aus sicherer Quelle erfahren habe, dass Konstanz in Aussöhnungsverhandlungen mit dem Kaiser steht. Dabei wird aber verschwiegen, dass er dies vom Konstanzer Rat selbst weiß. Heute Abend und morgen werden die Boten mit entsprechenden Briefen aufbrechen. -[4] Vielleicht wäre den Konstanzern geholfen, wenn die Eidgenossen sich brieflich für sie beim Kaiser verwendeten.. Wenn ja, soll Blarer mit einem

c is über der Zeile nachgetragen. -
d In der Vorlage fratre.
bestimmte Exemplar (und demzufolge vermutlich auch jene weiter unten erwähnten und für Italien bestimmten Briefe) nicht übermittelt wurden.
12 Heinrich Bullinger d.J., geb. 1534.
13 Vgl. Nr. 3000,29-39.
14 Zu deren Namen s. Nr. 2885. Anm. 23.

wohlbegründeten Schreiben darlegen, wieso es gut wäre, dass die Eidgenossen an den Kaiser schrieben. Dabei soll er betonen, dass es wünschenswert wäre, wenn die Eidgenossen in ihrem Brief den Kaiser daran erinnern würden, wie friedlich sich ihre Nachbarn die Konstanzer stets verhalten haben, und ihn deshalb bitten, diesen gnädig zu sein und einen erträglichen Frieden zu gönnen, zumal sie, die Eidgenossen, durch die Erbeinung [von 1511] mit ihm verbündet seien. Er solle also nicht provozieren, weder Unmut noch Krieg stiften und keine fremden Truppen in Konstanz stationieren, usw. -[5] Blarer möge rasch mitteilen, ob so etwas oder auch etwas Anderes zu tun wäre, oder ob es schon zu spät dafür sei. Bullinger schreibt dies auf Anregung von gottesfürchtigen Leuten. -[6]Segenswunsch. Was auch immer geschehen mag, Blarer darf auf Bullinger wie auf einen Bruder zählen. Dessen Haus steht ihm und den Seinen offen. -[7]Gruße. Geschrieben um 11 Uhr vormittags.

Lieber herr und bruder, jetzund, so ich 10 1 uußgepredigt, kumpt min herr b[urgermeister] 2 zu mir und sagt mir, wie uwer herren brieff 3 in unserm radt mitt grossem mittlyden und bedurre verlasen worden, dann man truwt der sach nut. 4 Laocoon 5 sprach: "Creditis avectos hostes? etc. Sic notus Ulysses?" 6 Frylich söllt man den Granvellen 7 lernen haben kennen, quo non vivit in hoc orbe universo astutior et maliciosior. Habet is filios episcopos. 8 Horum

1 Gemeint ist um 10 Uhr vormittags. -Der 25. Oktober war ein Dienstag. Damals predigte Bullinger über das Buch des "kleinen Propheten" Sacharja (Nachschriften von Konrad Pellikan in Zürich ZB, Ms D 267, f. 51-76; autographe Konzepte aaO, Ms Car III 206b, f. 1-27).
2 Vermutlich ist damit der amtierende Bürgermeister Johannes Haab gemeint.
3 Gemeint ist der Brief des Konstanzer Rats an den Zürcher Rat vom 22. Oktober 1547 (Zürich StA, A 205.2, Nr. 21), dem noch Abschriften von zwei weiteren Briefen des Konstanzer Rats beigelegt wurden: zum einen ein Brief vom 23. September an Hans Jakob von Landau, den österreichischen Landvogt zu Nellenburg (aaO, Nr. 21a), zum anderen ein Schreiben vom 24. September 1547 an Nicolas de Perrenot, Herrn von Granvelle (aaO, Nr. 21b - s. dazu Nr. 3059, Anm. 36). -Bemerkenswert ist, dass die Angelegenheit im Zürcher Kleinen Rat weder im Protokoll der Ratssitzung vom 24. noch in dem der Sitzung vom 26. Oktober festgehalten wurde (vgl. Zürcher Ratsprotokolle, Zürich StA, B II 69, unter den entsprechenden Daten). Sie scheint also nur im inoffiziellen Geheimen Rat (s. dazu Nr. 2983, Anm. 4) behandelt worden zu sein. Am 25. Oktober antwortete Zürich auf den Brief der Konstanzer
(Kopien davon in Zürich StA, B IV 16, 159r.; B IV 17, 184r.) und zeigte dabei Verständnis für deren Entschluss.
4 In dem oben in Anm. 3 angeführten Brief der Konstanzer an Zürich wird Folgendes als Grund für den neuen Anlauf zu einer Versöhnung angegeben: "Nun verneinend und erfarend wir jetzo, das von der kon. mjt. [Ferdinand I.] beschwerliche mandata wider uns nit allain usgangen syen, sonder das der Bischoff von Costantz [Johann von Weeze] dieselben in der Richenow und anderswo schon verkunt, und in crafft deren, uns, unsern burgern und emptern alle guter, zins und schulden arrestiert, und den sinen verbotten habe, uns furohin nichts mer zuzefüren. Daneben werdent wir beschrayt, als ob wir dasjhenig, so wir schuldig sind, nit thun [vgl. Nr. 3055, Anm. 10], und zu unruw ursach geben wellind." - Zu den noch vor dem 10. Oktober von Kaiser Karl V. erlassenen Mandaten s. Maurer, Übergang 34 und Anm. 2; Dobras, Ratsregiment 153 und Anm. 740.
5 Priester in Troja, der die Trojaner vor dem hölzernen Pferd, einem Geschenk der Belagerer, warnte; s. Vergil, Aeneis, 2, 40-53.
6 Vergil, Aeneis, 2, 43f.
7 Nicolas de Perrenot, Herr von Granvelle.
8 Von seinen fünf Söhnen (zu deren Namen

regnum cupit incolume, imo amplificatum. Ac episcopus ille vester 9 incipit urgere vos, ut aliquando recipiat, quod diu postulavit apud caesarem'°. 10 . Ich bitt üch, wie in dem nächtigen 11 schryben 12 , sächt umb üch, dass ir nitt betrogen werdent wie andere stett!

lam tibi soli scribo et suggero: Cavete, ne forte sint inter vos, qui caesarem magis diligant quam patriam. Min herren schribend in alle 12 ort 13 , doch nitt, das sy von üch schriben habind, sunder das sy guten grund habind, das Constantz in einer ußsönung handle und handlen werde, etc. Hinächt und morn louffend die löuffer hinwäg. 14

Lassend mich wüssen, doch mitt sattem grund 15 , ob nitt darinn ze handlen, das gemeine Eydgnossen ein dappffere bottschafft zum keyser sandtend: Diewyl Constantz, bißhar ir liebe nachpurn, sich fridlich und wol gehallten, zu begären an keyser, das er sy gnedicklichen bedächte mitt einem lidlichen 16 friden, und insonders diewyl wir ein erbeinigung 17 mitt imm habend, das er könfftig ursach 18 , unwillen und kriegen ablegen wölle, und in Constantz kein frömbd volck legen, etc.

Gäbend mir bald antwort, ob doch neißwas 19 darinn ze handlen, oder wie zu handlen, oder ob es zu spaadt sye, oder wie die sach anzegriffen. Ich schrib üch das uß frommer lüten angaben. Berichtend mich gruntlich! 20

Gott mitt üch! Der gab üch gnad und krafft. Wie die sach ||275v. fallt und geradt, versähend üch zu mir alls zu üwerm brüder. So ir mec sicherheit by uns ze haben vermeintend, stadt üch und den üwern min huß und heim off: Alles, das min, ist üwer.

s. HBBW XIX 314, Anm. 31) war nur einer Bischof, nämlich Antoine Perrenot de Granvelle, Bischof von Arras; s. Daniel Antony, Nicolas Perrenot de Granvelle. Premier conseiller de Charles Quint, Clamecy 2006, S. 610-612.
9 Johann von Weeze. —Vgl. oben Anm. 4.
10 Karl V.
11 des Vor abends.
12 Nicht erhalten.
13 Abgesehen von Zürich bestand die Eidgenossenschaft aus 12 weiteren Orten: Appenzell, Basel, Bern, Freiburg, Glarus, Luzern, Schaffhausen, Schwyz, Solothurn, Unterwalden, Uri, Zug. — Zürichs Rundschreiben an all diese Orte datiert vom 25. Oktober (Zürich StA, B IV 16. 1 58r./v.).
14 Die Einträge des Zürcher Rechnungsbuches unter "Laufende Boten" (Zürich StA. F III 32, Seckelamtsrechnungen 1547/48, 5. 53) zeigen, dass damals tat
sächlich Boten an alle 12 anderen Orte entsandt wurden. — In dem oben in Anm. 3 erwähnten, an Zürich gerichteten Brief der Konstanzer baten diese, "do unsere mißgüner uns by uch oder den andern aidgnossen inbilden wurdent, das wir unruw, die ouch uch und andern zu beschwerung raichen möcht, anstifften welten, ir wellind uns by uch fruntlich entschuldiget haben und by den andern entschuldigen."
15 sattem grund: ausführlicher Argumentation.
16 erträglichen.
17 Zur Erbeinung von 1511 s. Nr. 3004, Anm. 24.
18 Provokation.
19 irgendetwas.
20 In Übereinstimmung mit Blarer lehnte Konrad Zwick dieses Angebot dankend ab; s. Nr. 3059,14-18.

Grüssend mir die üwern. Datum Zürych, 25. octobris anno 1547, umb 11 ur vormittag.

Bullinger.

[Adresse darunter:] Sinem lieben herren und bruder m. Ambrosien Blaureren, predicanten zu Co[nst]antz a .