Projektseite Bullinger - Briefwechsel © Heinrich Bullinger-Stiftung
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[2721]

Bullinger
an Oswald Myconius
[Zürich],
20. Dezember 1546

Autograph: Zürich StA, E II 342, 159 (Siegelspur) Ungedruckt

[1] Kaiser (Karl V.] ist auferstanden und hat den [protestantischen] Städten der Eidgenossenschaft geschrieben. Die Zürcher Obrigkeit schickt eine Abschrift dieses Schreibens durch den gegenwärtigen Boten [...] an den Basler Rat. Myconius wird beim Basler Stadtschreiber (Heinrich Ryhiner] darin Einblick nehmen können. Bullinger hat das Gerücht vom Tod des Kaisers nie geglaubt, obwohl ihm dies von bedeutenden Personen berichtet wurde. Der Brief des Kaisers kommt aus Rothenburg ob der Tauber und datiert vom 5. Dezember. Dabei kann es sich kaum um ein Täuschungsmanöver handeln. [2]Auf der Badener Tagsatzung haben sich die Fünf Orte über die Bestrafung der in [den schmalkaldischen]Krieg gezogenen eidgenössischen Söldner erkundigt. Damals, als ihre eigenen Söldner nach Frankreich zogen, war das kein Thema, jetzt aber schon! Sie bieten die Einhaltung der Bünde und des Landfriedens an. Basel und Bern wollen aber, dass die Fünf oder die Neun Orte ihnen auch den Schutz zusagen, falls sie wegen ihrer Religion angegriffen würden. Die Neun Orte nahmen das Anliegen in den Abschied. Bullinger hat schon [in Nr. 2708] darüber geschrieben. [3] Man hat einen Luzerner und einen Freiburger Gesandten [Wendel Sonnenberg bzw. Petermann Cléry] wegen diverser Anliegen zum französischen König [Franz I.]geschickt, damit dieser ein Blutbad in Deutschland verhindere und schlichte. [4]Gruße an [Johannes] Gast, der die Wolle zum Sticken oder eine Mitteilung darüber schicken soll, möglichst mit diesem Boten. [5]Myconius wunderte sich, dass Bullinger hinsichtlich der geplanten Überwinterung von Kaiserlichen im Hegau schrieb, "man werde schon noch sehen, was kommt!"Bullinger meinte damit Teuerung, Knappheit an Lebensmitteln und auch Unruhen in der Eidgenossenschaft. [6] Myconius soll den Händlern nicht alles glauben. Zwar ist [Hieronymus] Sailer ein redlicher Mann, doch glaubt er gar zu leicht die ihm von seinen Kaufleuten übermittelten nichtigen Gerüchte. Myconius soll das aber niemandem sagen und vielmehr Bullinger als [Nachrichten]experten Glauben schenken! [7][Späterer Eintrag von Myconius aus einem Brief von Matthias Claudius an Francisco de Enzinas, St. Gallen, 17. Dezember 1546:][Hieronymus

25 Elsbeth Göldli. Bullinger hatte das Ehepaar am 30. Juli 1545 getraut. Die Hochzeitsfeier fand am 12. August statt; s. die
oben in Anm. 4 erwähnten Kalendereinträge Wolfgang Hallers, aaO, f. lv.

Sailer], der Dienstherr von Claudius, trug diesem auf zu einem bereits verschlossenen Brief folgende Neuigkeiten hinzuzufügen: Beide Heere liegen in Franken. Den angeblichen Tod des Kaisers streiten die Kaiserlichen vehement ab, doch wird er von den [Schmalkaldenern] als verbürgt gemeldet. Falls das stimmt, wird man bald wundersame Neuigkeiten vernehmen! Sollte der Kaiser aber doch noch leben, dann werden hoffentlich die Eidgenossen und der König von Frankreich zwischen den [Schmalkaldenern]und dem Kaiser einen Frieden vermitteln.

S. D. Revixit imperator 1 et scripsit Urbibus evangelicis 2 nescio quid. Nostrates vestratibus exemplum scripti 3 4 per hunc mittunt. Apud scribam vestratern 5 cernere licebit omnia. Ego nunquam credidi illum excessisse 6 , tametsi viri magni et graves hoc literis ad me datis constantissime testati sint. Litterae illius datae sunt zu Rotenburg an der Tuber, 5. decembris, nisi et hoc dolo malo factum sit; id quod non credo.

Uff dem tag zu Baden 7 ist 8 anzogen von 5 orten , wie man die kriegßlüt 9 straaffen wöll. Jetzund ist 10 11 es zyt; da sy in Franckrych lüffend , was 12 es nitt der zyt. 13 Sy embütend sich, pündt und landtfriden 14 zu halten. Die üwern und Bern wöllend mee, namlich das sy, die 5 oder 9 ort, ouch by irem glouben schirmind. Nämend die 9 ort in die abscheid. 15 De ea re scripsi in prioribus 16 quoque.

Zwen botten von Lucern und Friburg 17 sind zum könig in Franckrych 18 abgefertigt, allerley ansprachen 19 halb, und das sy den könig manind, vor blutvergiessen ze sin 20 in Germania; das er namlich scheiden 21 wölle, etc. 22

1 Karl V. —"Revixit", weil man ihn fälschlich für tot hielt; s. dazu die Verweise in Nr. 2700, Anm. 20.
2 Gemeint ist das vom Kaiser in Rothenburg ob der Tauber am 5. Dezember verfasste Schreiben an die Vier Orte (Zürich StA, A 176/2, Nr. 164, Original mit Siegel). Laut einem Kanzleivermerk soll der Brief am 19. Dezember in Zürich eingetroffen sein. Siehe dazu ferner EA IV/1d 701 zu a.6. —Mit dem Schreiben antwortete der Kaiser auf den Brief der Vier Orte vom 26. Oktober; s. dazu Nr. 2606, Anm. 60.
3 Es handelt sich um das in Basel StA, Politisches M 8.3, 433-438, aufbewahrte Schreiben. —Wir danken Rainer Henrich für diesen Hinweis.
4 Unbekannter Bote.
5 Heinrich Ryhiner.
6 Hier im Sinne von "sterben". —Vgl. dazu schon Nr. 2713,17-23.
7 Die am 7. Dezember begonnene Badener Tagsatzung; s. Nr. 2693, Anm. 45.
8 ist anzogen von 5 orten: haben die Fünf Orte wissen wollen.
9 Gemeint sind die Eidgenossen, die aufseiten der Schmalkaldener in den Krieg gezogen sind.
10 als.
11 Wie z.B. 1544 zur Zeit des Krieges zwischen Frankreich und dem Kaiser; s. HBBW XIV 21.
12 war.
13 Die Zürcher wurden damals gebeten (angesichts dieser Stelle auch von den katholischen Ortschaften), nicht allzu hart gegen ihre Landsleute vorzugehen, die sich in Frankreich an dem Krieg beteiligt hatten; s. HBBW XVI 65,11-14.
14 Der Zweite Landfrieden von Kappel, November 1531. — Vgl. dazu schon HBBW XVII 503,3f. 15 Siehe dazu EA IV/1d 724 h.
16 In Nr. 2708,39-43.
17 Wendel Sonnenberg von Luzern und Petermann Cléry von Freiburg i.Ue.; s. EA IV/1d 777 x. — Wir danken Rainer Henrich für den Hinweis.
18 Franz I.
19 Ansuchen; s. SI X 722-724.

Gastium grüssend mir und sagend imm, wölle er die wollen oder bescheid von der wollen zu würcken 23 schicken, sölle oder möge ers by disem botten thun. Gott mitt üch.

Miraris, quid intellexerim, cum dixi, si in Hegoia hyberna fixerint, videbis, quid futurum sit. 24 Quid? Anonae caritatem et contractionem omnium rerum futurum putavi, turbas item in Helvetiis!

Ne credas protinus nunciis a mercatoribus venientibus. 25 Bonus et verax vir est d. Saylerus 26 , sed imponunt illi non raro rumoribus vanis sui mercatores, quae is deinde spargit et communicat fidis. Sed fere vana reperiuntur, quae optimo afferuntur viro. Nolo haec cuiquam 27 ostendas. Experto crede magistro. 28

Decembris 20. 1546.

Bullinger.

[Adresse auf der Rückseite:] D. Osvaldo Myconio, charissimo suo fratri. Basel.

[Darunter folgt von Myconius' Hand die Abschrift eines weder erhaltenen noch zuvor bekannten Briefs von Matthias Claudius an Enzinas:]29

Scriptis superioribus et clausis literis iussit me herus 30 haec nova subiungere: Uterque exercitus est [in]a Franconia. Caesar dicitur vere mortuus, quod cum a caesareanis strenue negetur, id tamen nostros ce[rtis] argumentis deprehendisse pro re certa et verissima huc scribunt. Quodsi sic est, multa et admirand[a no]va 31 intra paucos dies auditum iri, sin minus vera eius mors, Helvetios et regem Franciae inter[posi]turos se et pacem inter nostros et caesarem conciliaturos speramus. 32

S. Galli, 17. decembris anno 154[6].

a Hier und unten im engen Einband verdeckt.
20 vor blutvergiessen ze sin: ein Blutvergießen zu verhindern.
21 schlichten; vgl. SI VIII 230.
22 So auch in EA IV/1d 725 m mit dem genauen Inhalt der Instruktion an die beiden Gesandten. Zu diesem Vorhaben s. schon Nr. 2672, Anm. 23.
23 sticken, weben; s. SI XVI 1479. — Diese Wolle war für Bullingers Frau Anna, geb. Adlischwyler, und ihre Tochter Anna (geb. 1530) bestimmt, die das Sticken beherrschten; s. Bernhard Stettler, Bullingers Familiengeschichte. Edition und Kommentar, in: Zwa XLII, 2015, 22. 49f.
24 Bullinger bezieht sich hier auf seine Äußerung in Nr. 2708,18-20, und auf Myconius' Reaktion darauf in Nr. 2715,29— 35.
25 Vgl. schon Bullingers Ermahnungen in Nr. 2708,31-33.
26 Hieronymus Sailer.
27 Besonders nicht dem mit Sailer befreundeten Francisco de Enzinas.
28 Offensichtlich bezeichnet sich Bullinger selbst als "expertus magister"; vielleicht in Anlehnung an eine frühere Äußerung von Myconius in Nr. 2630,1-6.
29 Vgl. schon Nr. 2702,23-30, und Nr. 2715,44-47, wo ebenfalls nicht mehr erhaltene Briefe Claudius' an Enzinas zitiert bzw. zusammengefasst sind.
30 Sailer.
31 Gemeint ist wohl die seltsame Weise, auf die der Kaiser gestorben sein soll; vgl. Nr. 2700,18-23, und Nr. 2713,17-23.
32 Vgl. oben Z. 13-15.