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[2648]

Hartmann von Hallwyl an
Bullinger
Im Feldlager bei Giengen,
29. Oktober 1546

Autograph: Zürich StA, E II 360, 407-409 (Siegelspur) Ungedruckt

[1]Hallwyl konnte aus Bullingers Brief [nicht erhalten]die folgenschweren Auswirkungen des aktuellen Kriegs auf die Eidgenossenschaft gut erkennen und einschätzen. [2] In letzter Zeit

3 Eine Lehre, die Thamer 1548 infrage stellen sollte, ehe er Ende 1549 zum Katholizismus übertrat; s. HBBW XIV 399.
4 Damit sind die katholischen Orte der Eidgenossenschaft gemeint.
5 Anspielung auf Dan 11, 38f (Vulg.). — Gemeint ist die Messe; vgl. Luther, Disputatio contra missam privatam (1536), in WA XXXIX/1 140; Melanchthon, Comm.
in Danielem (1543): "Nomen Maosim ailudit ad Missam, et affine est nomen Mazon, cibus seu panis" (CR XIII 970).
6 Der allerdings schon am 17. August 1545 gestorben war. — Gemeint ist vielleicht Theodor Bibliander.
7 Vgl. nämlich HBBW XV 513f. 680-682; XVII 122.

kam es zu keinem bedeutenden Angriff gegen den naheliegenden Feind. Die Kriegssache wurde aber mit anderen Mitteln befördert. Um nämlich solch einem listigen Feind [wie Kaiser Karl V.] schaden zu können, muss man auf vielfältige Weise vorgehen. [3] Über Jahre hinweg hat der Kaiser es durch Intrigen dazu gebracht, die Deutschen mit König [Franz 1.] von Frankreich zu verfeinden, um über Deutschland wie ein Monarch regieren zu können. Dies wird auch im letzten Frieden mit Frankreich [von Crépy-en-Laonnois] deutlich. Wäre dies nicht sein Ziel gewesen, hätte er sich Frankreich gegenüber anders verhalten. Und nur weil er es vermochte, die Deutschen und Franzosen gegeneinander aufzubringen, konnte er auch den gegenwärtigen Krieg wagen. [4]Angesichts dieser Tatsache ist es verständlich, dass die [Protestanten] auf Abhilfe sinnen und Verhandlungen mit Frankreich gegen den Kaiser aufnehmen. Sie schrieben also nach Frankreich. Bislang ist noch keine Antwort eingetroffen. Auch wenn König [Franz I. ] seinen guten Willen bereits bekundet hat, wartet er offenbar noch ab. Vermutlich will er sich zuvor vergewissern, ob die [Vier protestantischen] Orte der Eidgenossenschaft in den Krieg ziehen werden und ob sie Gefallen an seiner Unterstützung hätten. Wenn ja, würde er sich bestimmt umso behilfiicher zeigen. [5] Es ist natürlich klar, dass der König nicht dem Evangelium zuliebe, sondern in seinem eigenen Interesse etwas für die Deutschen unternehmen würde. [Für die Protestanten] aber wäre es gut, wenn der König und der Kaiser miteinander in Streit gerieten, damit der Kaiser seine Kräfte aufspalten muss. Sonst wird er weiterhin ungehemmt versuchen, die [Protestanten] durch einen in die Länge gezogenen Krieg aufzureiben, zumal seine Taktik nicht auf Kampf sondern auf List und Verrat beruht. Hallwyl braucht hier nicht ausführlicher zu sein. Jeder kundige Mann weiß, was er meint. [6]Aufgrund seiner in diesem Krieg gesammelten Erfahrung kann Hallwyl ganz sicher behaupten, dass die [Vier Orte] nur dann der kaiserlichen Tyrannei entgehen können, wenn sie kluge Maßnahmen treffen. Darüber haben die Zürcher und die anderen Obrigkeiten [der Vier Städte] zu bestimmen. Mit vorliegendem Schreiben hat Hallwyl seine Aufgabe getan. Bullinger soll es all denen mitteilen, die der Sache behilflich sein können. Weitere Informationen kann Hallwyl bei seiner Ankunft [in Zürich] erteilen. [7] Der Herr bewahre uns! [8] [P.S.:]Abgesehen von stetigen Scharmützeln gibt es nichts Berichtenswertes.

Min gutwillig dinst zefor, lieber her, sonders vertrawtter, lieber frewndt. Aus ewerm schreiben 1 hab ich gnugsam 2 vernomen, wie die sachen bei uns des kriegß halb beschaffen, und so beileuffige und umstendige ursachen, grunthlich ermessen. 3

Hat diser zeit nit wol ettwas thattlichs 4 gegen den anstoßern 5 (das aber in andere weg disern krieg wol befurderet)6 mugen furgenomen werden. Dem

1 Ein nicht erhaltener Brief Bullingers, schon bezeugt in Nr. 2637,16f.
2 zur Genüge: vgl. SI IV 700. — In diesem Brief auch "gnogsam" (unten Z. 14) und "gnusam" (unten Z. 53) geschrieben.
3 und so beileuffige und umstendige ursachen, grunthlich ermessen: und gut verstanden, welche weitreichenden und schlimmen (s. SI XI 974) [Folgen] sie [d.h. die "sachen des kriegß"] verursachen.
4 nit wol ettwas thattlichs: keine große kriegerische Handlung. — Dass es damals nur zu häufigen kleineren Gefechten gekommen
war, geht auch aus unten Z. 62f und aus Nr. 2641,29f, hervor.
5 Der in nächster Nähe (s. SI XI 1632) liegende Feind; vgl. Nr. 2635,10f; Nr. 2646,10f.
6 Nämlich, indem man damals versuchte, dem Kaiser den Proviant abzuschneiden (s. Nr. 2640, Anm. 11 und Anm. 16) und indem man mit Frankreich auf diplomatischer Ebene intrigierte. Letzteres Bullinger gegenüber zu rechtfertigen, ist wohl das Hauptanliegen des vorliegenden Schreibens.

sige 7 aber allem, wie eß wolle, so wil unsere höchste notturft 8 gegen unserm grausamen und arcklistigen findt 9 erforderen, das wir im manigfaltig abruch thuent 10 und sine rattschleg und furnemen, in denen er wunderbarlich 11 und arcklistig, zerstörent und zwnichten machent.

Furnemlich so hat er fil jar practiciert 12 und gehandlet, wie er die Teuschen dahin bewegte, das sie des königs 13 uß Franckrich abgesagte 14 feindt wurdent. Damitt hat er das einig mittel 15 , das in an a seinem furnemen der monarchei alweg 16 verhindert, hinweg genomen, welches gnogsam der lest 17 friden, so er mitt Franckrich angenomen, bezüget. Dan so 18 das nit allein in dem krieg sin furhaben gesin 19 were, das er der Teuschen und Franzossen vertrawen hiemitt hinnemen 20 wellen, were zw derselben zeit gegen Franckrich der sachen wol ander ratt 21 geschaffen. Allein hat er dis gesucht (ist im gelungen), b sunst hette er dis sein jetzig fürnemen gar nie dorffen understan

||408 Dwil wir dan sechent, das er damitt gesterckt, ist pillich, wir nachgedenckens habent, wie dem ratt gescheche. 23 Deßhalb wil ich euch gantz gutter meinong nit verhaltten, das disere unse[re]c religionsstende mitt Franckrich in stetter underhandlong 24 standent, was gestalt 25 sei ettwes verstantz und frewntschaft zwider 27 dem keysser mitt einandern ufrichten mechtent. Und sindt darum ettwes underredt in geschrift Franckreich verfassen zwgestelt. Ist diser zeit noch newtzit 28 geantwurt. Wirt bei uns dahin geachtet 29 , Franckrich thue in diser handlong wie alle andern potentaten: welle der sachen ettwas bas zwsechen 30 , wiewol ettwes gantz guttem willen sol angepotten sin. Und achtet man, es bescheche furnemlich darum, das der könig zwfor welle erfaren, wie sich die ort der Eignoschaft 31 , so des evangelions

a Über der Zeile nachgetragen.
b Klammern ergänzt.
c Hier und unten Text im engen Einband verdeckt.
7 sei.
8 Not, Bedrängnis.
9 Kaiser Karl V.
10 abruch thuent: schaden.
11 unerhört; s. Grimm XXX 1846.
12 intrigiert.
13 Franz I.
14 erklärte; s. SI VII 401.
15 einig mittel: einzige Hindernis.
16 immer. — Die Protestanten waren überzeugt, dass der Kaiser vorhatte, über Deutschland wie ein Monarch zu regieren; vgl. HBBW XVII 124,6-12, mit Anm. 8.
17 letzte. — Der Frieden von Crépy-en-Laonnois von 1544; s. HBBW XIV 419f, Anm. 8.
18 Dan so: Denn wenn.
19 gewesen.
20 hinwegnehmen.
21 Abhilfe; s. SI VI 1560.
22 in Angriff nehmen.
23 Zu verstehen: ist es angemessen, dass wir über geeignete Mittel nachdenken, um dem Abhilfe zu schaffen.
24 Anspielung auf die Mission Johannes Sturms nach Frankreich im Oktober 1546; s. dazu HBBW XVII 4781 und Anm. 2; PC IV/1 419-421, Anm. 394.
25 was gestalt: wie; s. SI XI 350.
26 Verständigung.
27 gegen.
28 nichts.
29 interpretiert.
30 bas zwsechen: mehr abwarten.
31 Die vier protestantischen Stadtkantone.

halb sich pillicher gestal[t] dan 32 er, der koenig, annemen soltent. Und so er bericht 33 , das die evangelischen stett sich der sachen mitt ernst beladen welttendt oder das, so sich der koenig mitt disern stenden in verstandt inlassen wurde, sonders gefallens und willen daran haben wurden, wurde der konig aller sachen um so fil geneigter und williger.

Nun ist nit minder 34 , wir wussent, was der könig harin fürnemen; das das nit uß furderong des evangelions, sonders seines nutzes wegen gehandlet werde. Sol sich d niemantz irren lassen. Mechtent wir mitt disern mittlen den konig dem keysser in das har pringen 35 , were wol gethan. Man muss böß mitt boßem vertriben. 36 Beschickt 37 das oder derglichen nit e , das man dem keysser an andern omen ouch ze schaffen wirt geben und er sin macht und stercke an eim ortt wirt megen ||409 bei einandern behalten, ist zw dem hechsten zw besorgen, so der her nit wunderbarlich die seinen erhalten, er werde 38 uns mitt der harr des kriegs abtriben 39 . Sin kriegen statt 40 gar nit uf redlichen thaten, sonders allein uff falsch list und untrew. Ich wil nit alle ursachen anzeigen, warum ich disers besorg und das, so mitt Franckrich zwegen gepracht, nutz, gutz und furderong wurde pringen. Mag jeder verstendiger wol ermessen.

Um so fil aber glaubent mir, das ich disern krieg um so fil gesechen und erfaren hab, so 41 disern sachen nit gutt ratt beschicht, werdent wir all der tyranney des keyssers nit enttrünnen. Nun, wie das geschechen mög und mitt was mittlen, habent sich ewer und ander unser herren gnusam dessen selbs zw berichten 42 . Ich wil hiemitt das min than mitt diser anzeigong. Megent ir, wen 43 ir gutt achtentt, disern sachen befurderlich ze sin, dis anzeigen. So ir dan weittern mein bericht erforderint, wil ich uff min ankunft 44 diser sachen weitleuffigern bericht geben.

Der herre gott beware uns zw allem guttem. Datum Giengen im feldtlager, den 29. octobris im 46. jar.

E[wer] alzeit williger

Hartman von Halwil.

Man handlet diser zeit nützig 45 namhaftigs des schribens wert dan allemol ein scharmutz.

d Über der Zeile nachgetragen.
e Über der Zeile nachgetragen.
32 pillicher gestal[t] dan: zu Recht mehr als.
33 so er bericht: wenn ihm mitgeteilt (würde).
34 Nun ist nit minder: Es lässt sich nicht bestreiten; s. SI IV 321.
35 in das har pringen: in das Haar (d.h. in Streit) bringen; s. SI 1504.
36 Vgl. TPMA XI 303, Nr. 266.
37 Geschieht.
38 mitt der harr: auf die Dauer; s. SI II 1514.
39 erschöpfen; s. SI XIV 103f.
40 beruht.
41 dass wenn.
42 beratern s. FNHDW II 1494.
43 demjenigen, den.
44 Gemeint ist Hallwyls Rückkehr nach Bern. — Ihm wurde mit zwei Schreiben der Berner vom 1. und 12. November 1546 die Heimreise gestattet. Er trat sie (einem Zeugnis von Heinrich Thomann zufolge) am 16. November an; s. Zürich StA, A 177, Nr. 141; EA IV/1d 743f.
45 nichts.

[Adresse auf der Rückseite:] Dem wolgelerten und getrawen hern Heinrich Bullinger, predigern zw Zwrich, minem sonders geliepten hern und frewndt. Zwrich.