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[2647]

Theobald Thamer
an Bullinger
Im Feldlager bei Giengen,
28. Oktober 1546

Autograph: Zürich StA, E II 335, 2081f (Siegel)

Druck: Otto Opper, Theobald Thamer (1502-1569). Sein Leben und seine religiöse Gedankenwelt, Dresden 1941, S. 129f;

Teildruck: CO XII 409, Nr. 846

[1]Engelbert [Milander]1 , der ehemalige Schüler Thamers, der nun Bullingers Anhänger ist, erzählte im Feldlager höchst Erfreuliches über die Zürcher Kirche. Diese soll zweimal in der Woche für [die Schmalkaldener] beten, damit der antichristliche Papst [Paul III.] und dessen

b Lesung unsicher. Sollte diese stimmen, ist horum in Bezug auf multa zu verstehen.
C In der Vorlage Salutam. —
d Darunter von einer späteren Hand Gervas. Schuler.
18 chartis; vgl. Stotz III 223-227.
19 Anna, geb. Adlischwyler.
1 Engelbert Milander, alias Apfelmann, Eppelmann oder Hadovius (selten Melander und irrtümlich Holtzapfel), aus Niederhadamar (Lkr. Limburg-Weilburg, Hessen), Grafschaft Diez. Laut Nr. 2606,90-92, wurde er Anfang Oktober ins Feldlager entsandt, stammte aus kleinen Verhältnissen und hatte zum damaligen Zeitpunkt schon längere Zeit in Zürich studiert. Zuvor aber hatte er sich im Spätsommer 1541 zusammen mit vier Zürchern (darunter Johannes Pontisella und Christian Hochholzer) an der Universität Marburg immatrikuliert. Sein Studium in Zürich wird also auf diese Bekanntschaft zurückzuführen sein, zumal
Hochholzer sich sehr erfreut zeigte, als er im September 1547 Milander als Briefboten Bullingers in Aarau traf (Zürich StA, E II 343a, 353). Der Beginn von Milanders Studium in Zürich wird im Sommer oder Herbst 1542 (also nach der Rückkehr der oben genannten Studenten) anzusetzen sein (vgl. HBBW XIII 181, Anm. 61). Aus der Beobachtung, dass er in späteren Jahren Martin Crusius mit griechischen Drucken bzw. Handschriften versah (s. z.B. Martin Crusius, Turcograeciae libri octo, Basel 1584 — VD16 C6153 —, 5. 372), ist zu vermuten, dass er sich in Zürich gute Kenntnisse im Griechischen erwarb. Laut einem 1772 zitierten "Memorialis", das Milander zu einem unbekannten Datum verfasst hatte, hat er sich "von Jugend an [bis 1570] mit

geliebter Sohn [Kaiser] Karl (V.) von Gent 2 nicht jene besiegen und das Volk nicht sagen könne: "Wo steckt denn ihr Gott [Ps. 42 (Vulg. 41), 4; 79 (VuIg. 78), 10; 115 (Vulg. 114), 2; Jo 2, 17; Mi 7, 10], und was ist denn von ihrem Evangelium und ihrem allein rechtfertigenden

instituirung der Jugend abgegeben; auch [wurde er] mit jungen Herrn und andern von Adel auf Universitäten und andern Reisen in fremde Nationen und Landschaften verschicket" (s. Johann Philipp Wilhelm Luck, Versuch einer Reformations- und Kirchen-Geschichte der Graffschaft Erbach und Herrschaft Breuberg aus Archivalien und andern bewährten Urkunden, Frankfurt a. Main 1772, S. 157). Dies erklärt wohl die nach 1557 entstandenen Matrikeleinträge. 1548 verließ er Zürich, suchte vergebens in Deutschland eine mit seinem Gewissen vereinbare Stelle; studierte weiter (u.a. 1551/52 in Basel), um einen akademischen Titel zu erwerben; arbeitete als Korrektor, bis er etwa 1553 als Präzeptor in wohlhabenden augsburgischen Familien angestellt wurde (Milander an Bullinger, 25. November 1557, Zürich StA, E II 345, 441). Ende Juni 1558 Studienbetreuer in Tübingen von vier Jungen aus Augsburg (Zürich StA, E II 356a, 981a). Im Februar und Mai 1561 erneut (vielleicht aber auch noch immer) in Tübingen nachweisbar (aaO, E II 345, 499. 500). Daraufhin Studienbetreuer in Bourges, wo er durch einen auf den 16. Mai 1562 datierten Eintrag in einem Liber amicorum belegt ist (Winfried Dotzauer, Deutsche Studenten an der Universität Bourges, Meisenheim am Glan 1971, S. 108. 121). Im August 1562, als er sich von Bourges nach Augsburg begab, reiste er durch Bern, Baden und Schaffhausen (s. Zürich StA, E II 345, 440). Am 17. Dezember 1563 Immatrikulation in der Deutschen Nation in Padua, wo er bis Juli 1564 nachweisbar ist (s. Graubünden, Korr. II 522, Nr. 624; Bèze, Corr. V 108. 110). Am 8. August 1567 Immatrikulation in Heidelberg. Vor oder spätestens 1570 Schullehrer in Neustadt an der Weinstraße, jedoch noch vor Juli 1570 seines Amtes enthoben (s. Hans Rott, Neue Quellen für eine Aktenrevision des Prozesses gegen Sylvan und seine Genossen, in: Neues Archiv für die Geschichte der Stadt Heidelberg 9, 1911, 36). Im gleichen Jahr wurde er Pfarrer in Jugenheim (Lkr. Darmstadt-Dieburg, Hessen). 1579 bat man ihn, die lutherische Konkordienformel von 1577 zu widerlegen. Infolge einer Lähmung konnte er während der fünf letzten Lebensjahre sein Amt nicht mehr versehen (Luck aaO). Als er 1592 starb, soll er (laut freundlicher Mitteilung Peter Bohrers vom 17. Februar 2005) drei Söhne hinterlassen haben: Christmann ist bis 1614 und Michel bis 1605 in den Jugenheimer Urkunden nachweisbar; Martin fungierte zwischen 1605 und 1611 als Pfarrer im benachbarten Biblis (Bergstraße, Hessen). Aus zwei Briefen an Bullinger vom 31. Dezember 1557 und 19. Februar 1558 (Zürich StA, E II 345, 442, bzw. E II 356a, 1031) geht Milanders Bewunderung für Schwenckfeld hervor. Ob diese anhielt, muss offen bleiben. Fraglich ist auch die von den Gegnern des Antitrinitariers Johann Sylvan geäußerte Behauptung, dass Milander ähnliche Ansichten wie Sylvan gehabt hätte, zumal in der gleichen Quelle (Rott, aaO; Christopher J. Burchill, The Heidelberger Antitrinitarians, Baden-Baden 1989 — Bibliotheca dissidentium 11, S. 38f) ein weiterer Zwinglianer, nämlich Johannes Willing, ebenfalls der Sympathie für Sylvan bezichtigt wurde. Von Milander sind zwischen November 1557 und Juli 1564 neun Briefe an Bullinger erhalten. — Lit.: M-Marburg II 12; M-Basel II 73, Nr. 36; M-Tübingen I 396, Nr. 28-31.34: Matricula Nationis Germanicae Artistarum in Gymnasio Patavino (1553-1721), hg. y. Lucia Rossetti, Padova 1986 — Fonti per la Studia dell' Universita di Padova 10, S. 18, Nr. 155; M-Heidelberg II 43, Nr. 70.
2 Eine unzutreffende Analyse, die der ambivalenten Haltung des Papstes gegenüber Karl V. nicht gerecht wird; s. Nr. 2626, Anm. 49.

Glauben zu halten?"3 Thamer würde lieber sterben, als so etwas hören zu müssen! [Milander] erzählte auch, wie die Gegner Zürichs (und deren Verbündete]4 ihren Gott Baal und Maozim 5 verehren und versuchen, das Evangelium durch das Antichristentum zu ersetzen. Doch werden sie das erleben, was David einst [dem Feind]prophezeit hatte: "Sein Gebet werde Sünde! und "Der Fluch, den er liebte, soll er selbst spüren; der Segen, den er ablehnte, soll sich ihm entziehen!"(Ps. 109, W. 17—Vulg. Ps. 108, 7. 18]). Zuvor muss der Glaube wie durchs Feuer gereinigt werden [vgl. Sach 13, 9], damit die [Protestanten] lernen, die Theorie in die Praxis umzusetzen. Durch den Krieg wird nämlich ersichtlich, dass Gott sich sowohl ihrer (wegen ihrer Undankbarkeit) als auch der Papisten (wegen deren Götzendienstes) schämt. Dank Paulus [vgl. Hebr 12, 6-10] wissen jedoch [die Protestanten], dass Gott sie zu ihrem Heil züchtigt. [2] Das [schmalkaldische] Heer ist dreiköpfig: Das erste Haupt ist Kurfürst [Johann Friedrich von Sachsen]; das zweite Landgraf [Philipp von Hessen]; das dritte sind die [verbündeten] Städte. Es ist also ein Monster, und Bullinger kennt ja Homers Äußerung "Nichts Gutes ist Vielherrschaft. Nur einer soll herrschen" [Ilias 2, 204] ... Hätte der Landgraf die Herrschaft ausüben können, hätte man sich schon längst des Kaisers und dessen Bischöfe und Kardinäle bemächtigt, genauso wie schon des Herzogs Heinrich von Braunschweig! Vermutlich aber ist das Maß der Missetaten des Kaisers noch nicht voll [vgl. Gen 15, 16]. Die Zürcher sollen also ohne Unterlass weiter beten [vgl. 1 Thess 5, 17]. Hoffentlich sind ihre Gebete effizienter als der militärische Einsatz. [3]Gruße an [Konrad] Pellikan, [Kaspar] Megander 6 , [Rudolf]Gwalther und Otto [Werdmüller]. [4] Thamer schrieb den vorliegenden Brief hauptsächlich deshalb, um Bullinger zu zeigen, dass er diesem nicht (wie einst mitgeteilt) 7 feindlich gegenübersteht. Thamer kann zwar nicht leugnen, dass er in den letzten drei Jahren ein leidenschaftlicher Verteidiger Luthers war und dabei Bullinger und anderen etwas Unrecht tat. Nun aber ist er eines Besseren belehrt worden. Denn würde Luthers Auffassung von einer "natürlichen und substanzhaften" Einnahme des Leibes und Blutes Christi während des Abendmahls zutreffen, wäre das Neue Testament nicht wirksamer als das Alte und damit die durch Christus erworbene Erlösung in Frage gestellt. Doch genug davon. Sollte Gott seiner Kirche wieder äußeren Frieden verleihen, möchte Thamer Zürich besuchen und sich mit Bullinger über dessen Johanneskommentar unterhalten.