Projektseite Bullinger - Briefwechsel © Heinrich Bullinger-Stiftung
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[2649]

Oswald Myconius
an Bullinger
Basel,
29. Oktober 1546

Autograph: Zürich StA, E II 336a, 255 (neu: 272)(Siegel) Ungedruckt

[1] Wenn Bullinger die Schrift über die spanische Inquisition ["Newe zeytung auß dem Niderland"] besitzt, ist es diejenige, die Myconius meint. [2]Der Italiener [...]beschrieb den von ihm Angetroffenen [aus den Fünf Orten] (dessen Namen er nicht angab) als schlank, langbärtig und von dünner Stimme. Deshalb vermutete Myconius, dass es sich um Nikolaus [richtig wohl: Jost von Meggen] handeln könnte. Aber ganz egal, das Verhalten der [Fünf Orte] ist unanständig! Der Herr wird sie strafen. [3][Johannes] Gast zufolge soll Wilhelm von Fürstenberg einen 200 Mann starken Ausrüstungstross von Kaiser [Karl V.]verfolgt, alle bis auf den letzten Mann erschlagen und die Ausrüstung in das Lager [der Schmalkaldener] gebracht haben. Angeblich hat er auch sehr viele Kaiserliche von einer Anhöhe vertrieben. Doch scheint alles fragwürdig zu sein, da Bullinger nichts darüber berichtet. [4] Myconius glaubte auch zunächst das Gerücht, wonach die zu Bregenz liegenden Truppen [König] Ferdinands [I.] den Rhein überquert, Dörfer angezündet und Rorschach geplündert hätten. Doch nach einiger Überlegung glaubte er es nicht mehr. Denn wäre es zu einem feindlichen Angriff gekommen; hätte man sofort die-Sturmglocken geläutet und es hätte sich -eine solche Menge versammelt, dass etwas geschehen wäre, über das man Genaueres berichten könnte. [5]Man erzählte, dass die Böhmen in Waffen stehen und [Kur]sachsen bedrohen. Als jemand [...]fragte, wo denn König Ferdinand wäre, antwortete der anwesende [Francisco de] Enzinas: "Bei seiner Frau". Da mussten alle lachen, trotz der traurigen Stimmung. [6] Bullinger, der ja sehr gut informiert ist, soll mitteilen, ob [Sebastian] Schertlin noch in Augsburg ist. Glaubensstark haben sich die Ulmer verhalten! Sonderbar, dass niemand sich den Ränken des unmenschlichen, ja gar teuflischen Kaisers erfolgreich widersetzen kann! Myconius sagte kürzlich, wenn man dem Kaiser nicht frontalen Widerstand leistet, wird dieser Deutschland völlig verwüsten, auch wenn die [Schmalkaldener] noch so geschickt Krieg führen. [7]Bullinger schreibt gar nichts über die Beschlüsse des langen Treffens [der Vier protestantischen Orte in Zürich]! Falls es zu guten Entscheidungen kam, über die Stillschweigen bewahrt werden muss, fügt sich Myconius diesem Entschluss. Wenn aber andere etwas darüber erfahren haben, möchte er es auch wissen. Neuigkeiten teilen ihm leider nur Bernhard [Meyer zum Pfeil]und der Stadtschreiber [Heinrich Ryhiner] mit. Manche Ratsherren vertreten sogar offen die Meinung, dass man den [protestantischen] "Pfaffen" nichts erzählen dürfe, weil diese es sonst auf der Kanzel ausposaunen und damit das Volk nur erschrecken oder aus Freude verrückt machen würden, was natürlich nicht stimmt. Neulich schickten zwar die Ratsherren durch den Stadtschreiber ein Dokument an die [Prediger], das von der Kanzel aus verlesen werden sollte, um das Volk zum Gebet anzuspornen. Seither aber hat man nichts mehr vernommen ... —(8) Der Herr mache der gegenwärtigen Misere ein Ende! Grüße, auch an [Rudolf] Gwalther.

S. Sanctam inquisitionem Hispanicam si habes, 1 habes quo de significavi. Nicolaum 2 Italus 3 sic descripsit: Vir est procerus, barba longa et ampla

et exili voce. Nomen non addidit. Ego ex descriptione conieci illum esse. Age vero, quisquis sit, agunt isti 4 praeter decorum. Dominus vindicabit. 5

Gastius dixit caesarem 6 praemisisse, nescio quo, suppelectilem suam una cum 200 Hispanis; eam rem accepisse Gulielmum Furstenbergensem 7 et sequutum repertos invasisse et occidisse ad unum, suppellectilemque abduxisse in castra. Eundem Gulielmum deiecisse fortiter ingentem muititudinem ex monticulo a caesarianis occupato et laudem meruisse. Quia vero tu de his taces, suspecta sunt.

Venerat praeterea rumor adeo constans, ut primo a persuaderer, Ferdinandinos 8 collectos Bregantiae 9 transiisse Rhenum, incendisse pagos et diripuisse Roschachium 10 . Dein vero credere non potui, quod novi morem illorum hominum; mox enim igni hostili cognito classicum campanis cecinissent, et numerus convenisset tantus, ut non rumore, sed veritate res innotuisset.

Rumor alius 11 nunc volat: Bohemos esse in armis et minari Saxonie. Hoc dum narraretur, aderat Dryander 12 . Dumque rogaret aliquis 13 , ubinam esset Ferdinandus, mox ille respondebat: "Apud uxorem 14 ."Risum excitabat omnibus, quamvis tristes colloqueremur.

Schertlius an sit adhuc apud Augustanos, 15 miramur. Arbitror te nosse omnia, quare et hoc rogo. Sed egregie fecerunt Ulmenses, 16 ut videamus et

a Am Rande nachgetragen.
1 Die Schrift "Newe zeytung auß dem Niderland ...", die Bullinger wahrscheinlich von Johannes Gast erhalten hatte; s. Nr. 2630 und Anm. 10 und Nr. 2653,3-5.
2 Nikolaus von Meggen; s. Nr. 2630,7-12. Es wird sich jedoch eher um Jost von Meggen gehandelt haben; s. Nr. 2630, Anm. 5.
3 Der schon in Nr. 2630,7, erwähnte unbekannte Italiener.
4 Die Fünf katholischen Orte, in Bezug auf Myconius' Mitteilung in Nr. 2630,9-11.
5 Vgl. z.B. Dtn 32, 35; Hebr 10, 30. 6 Karl V.
7 Graf Wilhelm von Fürstenberg. — Vermutlich ein Gerücht; s. nämlich Nr. 2612, Anm. 64.
8 Die Soldaten König Ferdinands I.
9 Bregenz (Vorarlberg). — Das falsche Gerücht wurde geschürt durch die dortige Truppenpräsenz; s. dazu schon Nr. 2626, Anm. 80.
10 Rorschach (Kt. St. Gallen).
11 Der Vorstoß der böhmischen Truppen auf die sächsische Grenze hatte etwa Mitte Oktober 1546 begonnen; s. den Bericht Heinrich Thomanns an Zürich vom 18. Oktober (Zürich StA, A 177, Nr. 94),
wonach Ferdinand I. "mit vil thusent stark uff sye. Soll uff das Lannds Meyssen zühen". Siehe ferner Zürich StA, A 177, Nr.96 (Thomann an Zürich, 19. Oktober); PC IV/1 440, Nr. 417. Kurz vor Ende Oktober lagen die Böhmen noch an der Grenze; s. Thomann an Zürich, 30. Oktober (Zürich StA, A 177, Nr. 111). Der Einfall in Sachsen erfolgte am 30. Oktober 1546 unter dem böhmischen Hauptmann Sebastian von Weitmühl; s. Bucholtz VI 361; Erich Brandenburg, Moritz von Sachsen, Bd. 1: Bis zur Wittenberger Kapitulation (1547), Leipzig 1898, S. 494. Zu Moritz' Kriegserklärung s. Nr. 2664, Anm. 15 und Anm. 16.
12 Francisco de Enzinas, der damals in Basel wohnte.
13 Unbekannt.
14 Anna Jagiello, Königin von Böhmen und Ungarn.
15 Sebastian Schertlin blieb nach seiner Rückkehr am 13. Oktober nach Augsburg (s. dazu Nr. 2631,71) in der Stadt postiert, von wo aus er wiederholte Ausfälle in die Umgebung unternahm; s. Nr. 2640, Anm. 11. Dass er in Augsburg blieb, geht auch aus Schertlin, Leben 56, hervor.

illic esse viros in domino fortes. Minim vero, quod artibus istius viri 17 nemo satis potest ire obviam. Diabolum esse credo, non hominem, vel saltem diabolo vendicatum. Igitur, ut nuper quoque dixi, nisi a fronte habiturus est militem, vastabit Germaniam miserrime, quantumvis nostri 18 pugnant feliciter. Age, dominus faciet, ut doli tandem desinant! Hunc itaque orabimus, ut manum suam ac robur a nobis non abstineat.

De conventu isto 19 tu nihil. Minim! Nam arbitror aliquid actum, quod tam diu simul perdurarunt. Utinam dominus adfuerit consultantibus! Si feliciter consultarunt et volunt id taceri, placet; nec ego velim nosse, quicquid sit. Sin aliter, cuperem scire, quod sciunt et alii. A nostris 20 nihil comperio, ni solus ad dominum Bernhardum 21 venirem, seu ad scribam 22 . Sunt ex illis 23 , qui palam dicere audent: "Nihil horum debet dici pfaffis nostris 24 ; mox de suggestu proclamant omnia et populum terrent vel leticia dementant." Et, quamvis hec falso dicant, rem tamen huc adduxerunt, ut a senatu nobis nihil exponatur. Nuper, nescio quo spiritu moti, per scribam miserant quedam 25 , que legeremus, ut populum melius possemus excitare ad precandum. Postea iterum tacuerunt et tacent, usque dum dominus jusserit aliud.

Dominus lesus Christus malis praesentibus finem aliquando statuat, queso! Vale in Christo cum tuis et Gvalthero. Basileae, 29. octobris anno 1546.

Tuus Os. Myconius.

[Adresse auf der Rückseite:] D. Heinricho Bullingero, viro magno, domino suo in Christo colendo. Zu[ric]h b . 26

b Textverlust bei Entfernung des Verschlussbandes.
16 Anspielung auf die vom 14. Oktober datierende Forderung des Kaisers an Ulm, sich zu ergeben (s. Karl V. BW II 514—517, Nr. 562) und auf die vorläufige Weigerung der Stadt, dem Folge zu leisten. Erst am 29. Oktober 1546 entschied sich der Ulmer Rat zu Verhandlungen mit Karl V.; s. Rommel, Ulm 581; Die Einführung der Reformation in Ulm. Geschichte eines Bürgerentscheids, hg. v. Hans Eugen Specker und Gebhard Weig, Ulm 1981 —Forschungen zur Geschichte der Stadt Ulm, Reihe Dokumentation 2, S. 217f, Nr. 209, unter Bezug auf den entsprechenden Eintrag im Ulmer Ratsprotokoll. — Aufseiten der Protestanten befürchtete man, dass Ulm sich ergeben könnte, da die Bevölkerung von Angst erfasst war; s. Thomann an Zürich, 14. Oktober (Zürich SIA. A 177, Nr. 85).
17 Gemeint ist der Kaiser.
18 die Schmalkaldener.
19 Das Treffen der Vier Orte vom 19. bis 26. Oktober in Zürich; s. Nr. 2606, Anm. 60.
20 die Basler Ratsherren.
21 Bernhard Meyer zum Pfeil, Gesandter Basels an das Treffen der Vier Orte in Zürich; s. EA IV/1d 698, Nr. 319 (Vorspann).
22 Heinrich Ryhiner, Basler Stadtschreiber.
23 d.h. von den Ratsherren.
24 Gemeint sind die protestantischen Prediger, wie dies auch aus Nr. 2653,50-54, hervorgeht.
25 Unbekanntes Dokument.
26 Vorliegender Brief und Myconius' Brief Nr. 2650 wurden durch Christoph Froschauer an Bullinger übermittelt; s. Nr. 2653,1f.