Projektseite Bullinger - Briefwechsel © Heinrich Bullinger-Stiftung
Textbreite
Schriftgröße
Kapitel 

[2509]

Oswald Myconius
an Bullinger
Basel,
23. Juli 1546

Autograph: Zürich StA, E II 336a, 237 (neu: 255) (Siegelspur) Ungedruckt

Myconius erhielt am 17. Juli zwei Briefe von Bullinger [nicht erhalten]; der zuletzt geschriebene wurde morgens von [Ulrich]Hugwald überbracht, der zuerst geschriebene abends von [John] Burcher. Die [handschriftlichen] Aufzeichnungen [des Vortrags, den die Gesandtschaft] von Papst [Paul III. auf der Badener Tagsatzung]hielt, haben Myconius sehr geärgert.

16 Blasius Schölli, der am Johannistag (24. Juni) 1545 zum ersten Mal als Oberstzunftmeister gewählt wurde und seit dem 24. Juni 1546 für ein Jahr als Alt-Oberstzunftmeister fungierte, während Oberstzunftmeister Marx Heidelin das Amt innehatte; s. Gast, Tagebuch 222, Anm. 11; 276, Anm. 32. — Die vorliegende Stelle wird in aaO, S. 222, Anm. 9, zitiert. Doch wird dort der gleich unten erwähnte
Kundschafter irrtümlich mit Schölli selbst identifiziert.
17 inter colloquendum: im Gespräch.
18 Unbekannt.
19 König Franz I. von Frankreich.
20 endlich.
21 Hegau.
22 Die katholischen Sieben Orte der Eidgenossenschaft (Uri, Schwyz, Unterwalden, Luzern, Zug, Freiburg und Solothurn).

Auch der an die eidgenössischen Bischöfe und Äbte gerichtete Brief des Papstes bezeugt dessen Skrupellosigkeit! Es heißt, dass der Rückruf der [eidgenössischen] Söldner [aus deutschen Diensten] beschlossen wurde. Wenn diese nur nicht gehorchen würden, zumal sie einen guten Grund haben! Sollten die Städte (des Schmalkaldischen Bundes] mit den Eidgenossen gerechnet haben, werden sie enttäuscht sein. Vielleicht aber halten sie sowieso nichts von den Eidgenossen, genauso wie die Kaiserlichen. Diese spotten nämlich über die in die Picardie gezogenen und dort verstorbenen Schweizer: Letztere hätten viele Kühe zu Witwen gemacht! Beim Trinken scherzen die [Deutschen], auf wieviele Schweizer sie es brächten. In der Region Freiburg [i. Br.] ist es besonders schlimm. Dabei ahmen sie ihren Fürsten [Kaiser Karl V.] nach. Sollte dieser (über die Schmalkaldener]siegen, kann man sich vorstellen, was für Folgen der Hass gegen die Eidgenossen für Letztere hätte. Selbst der Kaiser könnte nichts dagegen unternehmen, aber das will er natürlich auch nicht. Myconius bat Heinrich Lüthi brieflich mit seinen Amtskollegen und der Gemeinde [Winterthur], für die Eintracht unter den Eidgenossen zu beten. Ohne sie ist es um die [Eidgenossenschaft] geschehen! Am Vortag erzählte [Emanuel], der Sohn von [Matthias Bomhart], dem Gastwirt "Zur Krone", eine zweifelhafte Geschichte. Er habe in Konstanz den Boten [...]gesehen, der folgende briefliche Mitteilung mitbrachte: Die riesige Geldsumme, die der Papst für den Krieg zur Verfügung gestellt hat, soll nach Landsberg [am Lech] gelangt sein. [Sebastian] Schertlin umzingelte daraufhin die Stadt und drohte mit einer gewaltsamen Einnahme. Die [Landsberger] aber behaupteten, dass das Gold nicht bei ihnen sei und betonten außerdem, dass ihr Landesherr [Wilhelm von Bayern] Frieden halte. Daraufhin wurde die Bevölkerung eine Nacht lang mit Geschützen dermaßen in Schrecken versetzt, dass sie Schertlin alles versprach. Dieser zog mit 30 Tonnen Gold und mehreren tausend Dukaten ab. Grüße an [Rudolf]Gwalther. Bullinger soll verbürgte Nachrichten mitteilen. Aus Niederdeutschland hört man gar nichts. [P.S.:] Herzog [Ulrich] von Württemberg soll seinen Bruder [Graf]Georg von [Württemberg] zu sich gerufen haben, und sein [Hof]glaubt, dass er ihn zum Heerführer machen will. Der Herr schütze seine Kirche!

S. Accepi tuas omnes 1 17. iulii, posterius scriptas mane ab Hugwaldo 2 , vesperi scriptas prius a Burchero 3 . Summarium pape 4 crudeliter me divexavit. Audent homines desperatissimi nomen domini, dei nostri, quem obpugnant, in os sumere. Valeant ac pereant! Epistola ad episcopos et abbates, 5

1 Zwei nicht erhaltene Briefe Bullingers.
2 Ulrich Hugwald, der in Basel amtierende Professor für aristotelische Ethik.
3 Der Kaufmann John Burcher.
4 Damit sind Aufzeichnungen des von der päpstlichen Gesandtschaft am 12. Juli in Baden gehaltenen Vortrags gemeint; s. Nr. 2505 und Anm. 9. — Das päpstliche Breve vom 3. Juli (,,Dilectis filiis tredecim cantonibus") an die XIII Orte (s. dazu Nr. 2516, Anm. 7) wurde erst am 22. Juli von Girolamo Franco, dem päpstlichen Nuntius in der Schweiz, in Luzern empfangen und am 25. Juli an die Eidgenossen weitergeleitet (s. Zürich StA, A 209/3, Nr. 40; EA IV/1d 665f). Es kommt also hier nicht in Frage. Dementsprechend ist die irreführende Zusammenfassung
in EA IV/ld 633 i.3 und der entsprechende Kommentar dazu in aaO, S. 641f zu i.3, zu korrigieren.
5 Der Brief des Papstes an die Bischöfe zu Sitten und Chur und an die Abte von St. Gallen und Einsiedeln vom 11. April 1546. Handschriftliche lateinische und deutsche Fassungen des Briefes, jeweils versehen mit einem Vidimus von Albert Rosin, in Zürich StA, A 209/3, Nr. 34a (Latein) und 34b (Deutsch). Druck der lateinischen Fassung: CT V LIf, Nr. 19; Johann Georg Mayer, Das Konzil von Trient und die Gegenreformation in der Schweiz, Bd. 1, Stans 1901, S. 18f, Anm. 1. Druck der deutschen Fassung: Misc-Tig. 1/3 27-29; deutsche Paraphrase: EA IV/Id 642.

quos 6 ecclesiam nominat Helveticam, ut est secura et imperiosa (tanquam non sit scrupulus in corde bestie, qui ipsum vel tantillum maceret, et credo ego facilime conscientiam lepra mortuam esse!) a , non ergo mirum eum sic scribere, sic agere.

De revocandis militibus audio decretum esse. 7 Utinam dominus immittat animos, ut nemo obtemperet! Causam habent bonam, honestam, divinam, contra quam mandantibus non est, meo videre, obsecundandum. Si quid spei concepissent de nobis civitates 8 , revocatio casura esset non feliciter, nisi forte sint, qui sic animos gerunt contra Helvetiam, ut omnes gerunt caesariani. Illudunt nos, contemnunt, execrantur, verbis et cantionibus turpissimis contaminant. Aiunt: "Die Schweitzer sind in Picardei zogen. Si hand vil großer kü usgsogen Demnach sind sy da imen 10 gstorben. Ist menge kü zur wittwen worden."Inter pocula more suo et hodie faciunt: "Ich bring dirs uff einen, zwen, dry Schweitzer. Wie wilt dem ersten thun? Wie dem andren? Wie dem dritten?"etc. Summa: Contumeliarum eiusmodi non est finis. Circa Friburgum 11 haec sunt frequentissima, et illorum principi 12 nostri gerunt morem! Si victoria ad istum inclinant (quod dominus avertat), quid putamus ex tam immani contra nos sequuturum odio? Nec ipse, si vellet, prohibebit - sed non volet animus insolens, impius ac ambitiosus. Scripsi ad M. Heinrichum Lüti 13 obiter, ut fratres et ecclesiam hortetur ad preces pro concordia Helvetiorum in hac causa. Illam enim si obtinuerimus a domino, non est, ut timeam. Si non, vereor actum esse de nobis.

Narrabo historiam, quam heri accepi, certo quidem expositam et verisimiliter. Dubitare cogor tamen de veritate. Author est filius 14 civis nostris 15 , hospitis signi Corolle 16 , qui Constantie dicit se vidisse tabellarium 17 , qui

a Klammern ergänzt.
6 Schon Erasmus hatte sich in der 1518 erschienenen Ausgabe seines Enchiridion gegen den Brauch geäußert, das Wort "Kirche" nur auf die Kleriker zu beziehen.
7 Der auf dem Tag zu Baden von den Neun Orten getroffene Entscheid, alle eidgenössischen Söldner aus Deutschland abzuberufen; s. die Verweise in Nr. 2505, Anm. 48; sowie EA IV/1d 6331 i.7; Viglius van Zwichem 28 (unter 28. Juli). Aus Zürich StA, A 177, Nr. 15, geht ferner hervor, dass Zürich als Vorort der Eidgenossenschaft nach Konstanz schreiben musste, um zu verlangen, dass man keine eidgenössischen Söldner mehr aufnehme.
8 Die Städte des Schmalkaldischen Bundes.
9 ausgesogen. — Hier sexuell konnotiert.
10 in einem; s. SI I 222 s.v. imme.
11 Freiburg i. Br.
12 Gemeint ist Karl V.
13 Pfarrer in Winterthur. — Der Brief ist nicht erhalten.
14 Emanuel Bomhart (geb. ca. 1533, gest. 1559), der möglicherweise damals in Konstanz eine Lateinschule besuchte und während der Sommerferien nach Basel zurückgekommen war. Während des Schuljahrs 1548/49 immatrikulierte er sich in Basel, wo er im Mai 1552 als baccalaureus artium promovierte. 1558 löste er seinen Vater Matthias als Wirt "Zur Krone" ab; s. M-Basel II 56, Nr. 10; Felix Platter, Tagebuch 253 und Anm. 790. — Wir danken Beat Jenny für die Identifizierung sowohl der hier erwähnten Personen als auch des Gasthauses (unten).
15 Matthias Bomhart; s. Felix Platter, Tagebuch aaO.
15 Gemeint ist das Gasthaus "Krone", eine der ältesten Wirtschaften Basels, die an

literas ea de re adtulerit. Papa misisse dicitur ingentem vim auri ad hoc bellum. Venisse autem eam summam Landsbergum 18 usque (credo Landsbergum vocari). Id quod, postquam Schertlius rescivit, eo loci cum omnibus copiis festinavit et oppidum cinxit adiectis, quod habeant hospites et aurum. Illos si dederint, tutos fore; sin aliter, vim se tentaturum et illaturum. Negarunt oppidani primo se quicquam habere; principem suum 19 pacatum esse; petere igitur, ut abeant. Responso audito mox adduxit bombardas et ita per totam noctem sine intermissione oppidanos perturbavit, ut sublatis manibus peterent pacem, se daturos omnia, quae habeant. Oblatum is accepit et discessit in pace. Aurum dicitur vectum duobus curribus: 30 donen golts und ettlich tusent ducaten. 20 Haec, ut accipio, scribo, etc.

Vale cum tuis et Gvalthero. Si quid habes certius, significato. Ex Inferiore Germania 21 ne gry quidem . Basiliee, 23. iulii anno 1546.

Tuus Os. Myconius.

Certum est Wirtenbergensem ducem 22 vocasse ad se fratrem suum Georgium 23 . Et putant sui, quod praepositurus sit ipsum exercitui, quem collectum fovet. Dominus tueatur ecclesiam suam et verbum suum exire faciat in omnem terram 24 ad ipsius gloriam! Amen.

[Adresse auf der Rückseite:] D. Heinricho Bullingero in domino suo.

der Schifflände stand und Treffpunkt von Studenten und Professoren war; s. Felix Platter, Pest 423, Nr. 2128, und die damit veröffentlichte Beilage: Valentin Lötscher, Planheft der Stadt Basel, Basel/Stuttgart 1987, Nr. 13; Felix Platter, Tagebuch 295 und Anm. 17. 301. 307. 310. 339. Beat Jenny konnte im StA Basel kein Gasthaus mit dem Namen "Krönlein" oder Kränzlein" für das 16. Jh. nachweisen. Doch wird von einer zeitgenössischen Quelle belegt, dass es im Jahre 1547 ein Gasthaus in Basel gab, dass als solches bezeichnet wurde; s. Fritz Ernst, Die Spielleute im Dienste der Stadt Basel im ausgehenden Mittelalter (bis 1550), in: BZGA 44, 1945, 172. Demzufolge ist zu vermuten, dass die Basler das Gasthaus "Zur Krone" als "Kränzlein" bezeichneten. Der Diminutiv dient nämlich auch dazu, eine gute Bekanntschaft mit einem Ort bzw. einer Person oder einem Gegenstand zu bekunden. —Myconius' Pflegesohn Jakob (geb. ca. 1530, gest. Februar 1559) wurde später Schwiegersohn von Matthias Bomhart; s. aaO, S. 348.
17 Unbekannt.
18 Landsberg am Lech (Bayern).
19 Herzog Wilhelm IV. von Bayern.
20 Ein Gerücht. — Schertlin hatte zu dieser Zeit die wichtigen Ortschaften an der Donau bis zur Lechmündung besetzt, darunter am 20. Juli auch Donauwörth; s. Zürich StA, A 177, Nr. 17 und 19; Lenz, Kriegführung 445.
21 Vgl. Adagia, 1, 8, 3 (ASD 11/2 234, Nr. 703).
22 Ulrich von Württemberg.
23 Graf Georg von Württemberg-Mömpelgard.
24 Vgl. Jes 55, 11; Röm 10, 18.