Projektseite Bullinger - Briefwechsel © Heinrich Bullinger-Stiftung
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[2407]

Bullinger an
Oswald Myconius
Zürich,
2. April 1546

Autograph: Zürich StA, E II 342, 126 (Siegelabdruck) Ungedruckt

Bullinger dankt für Myconius' Brief an [Rudolf] Gwalther, den dieser ihm vorlas. Er glaubt aber, dass es der nach Blut dürstende Kaiser [Karl V.] ist, der das [Gerücht von seiner Abreise nach Spanien] verbreitet. Aus dem Herzogtum Mailand kann er sich nämlich [im Bedarfsfall] rasch nach Barcelona zurückziehen, aber auch wieder nach Deutschland zurückkehren, wenn alles gut geht. Bullinger, der dem Kaiser keineswegs traut, zählt allein auf Gott. Sollte der aus Augsburg zurückkehrende Bote [Markus ...] interessante Nachrichten für [Basel]mitbringen, wird Bullinger diese mitteilen. In Hinblick auf die [bevorstehende] Frühjahrsbuchmesse hat Bullinger Briefe an Philipp [Melanchthon][Nr. 2404], Johannes a Lasco [nicht erhalten], Albert Hardenberg [nicht erhalten], Gerhard Westerburg [nicht erhalten], [Dionysius] Melander [nicht erhalten], [Johannes] Pistorius [Nr. 2401] und an viele andere geschrieben. Er versuchte dabei, sich für die reine Lehre und für die in Gefahr stehende Kirche einzusetzen. Hier nun ein Exzerpt eines Vadian-Briefes [Nr. 2400], der am [1. April] in Zürich eintraf: [Johannes Schuhmacher, genannt] Otmar Gluß, Dekan der Abtei St. Gallen, ist seit Februar infolge Schlafmangels dem Wahnsinn anheimgefallen; die Gefangennahme des [Herzogs Heinrich von] Braunschweig [und dessen Sohnes Karl Viktor] nahm ihn nämlich sehr mit. Er ließ sich nach Wil führen, wo er lange Statthalter gewesen war. Am 27. März, frühmorgens, sprang er aus einem Fenster im zweiten Stockwerk. Man fand ihn reglos und stumm. Um 3 Uhr [nachmittags] starb er. Am 29. März wurde er in St. Gallen beigesetzt. Er hasste die [Protestanten]. Am [28. März]untersagte der St. Galler Rat seinen Bürgern erneut eine Gemeinschaft mit den Papisten und den Täufern. Soweit Vadian. Myconius wird von der geplanten Tagsatzung in Baden bereits erfahren haben. Sie wurde wegen [eines Schreibens] der [deutschen] Protestanten einberufen. Diese warnen die Eidgenossen vor den bevorstehenden Gefahren. Über den Teufel von Rottweil gibt es nichts Genaues zu berichten. Bullinger

107 Zum weiteren Verlauf der Angelegenheit s. Roth, aaO, S. 422—438 (darunter ein Brief von Georg Hörmann an Anton Fugger, 14. April 1546); Pollet, Relations II 31f; RTA-JR XVII 493—497, Nr. 98; Boehmer, aaO, S. 195—198.
108 Siehe dazu Nr. 2399, Anm. 15.
109 machtvoller.
110 Wohl Ambrosius Blarer.
111 ermordet wurde.

weiss auch nichts über das Unwetter in Radolfzell. Mehr kann er wegen Erschöpfung nicht schreiben. Grüße von Gwalther, [Heinrich] Buchter, [Konrad] Pellikan und [Theodor] Bibliander.

Gratiam et vitae innocentiam a domino. Quae scripsisti Gvalthero 1 nostro, domine et frater colendissime, legenda mihi, diligenter ille praelegit; ac ago gratias tuae humanitati. Arbitror autem caesarem 2 illa 3 suis artibus sanguinariis praetexere. Mediolani 4 in meditullio regni sui haerebit. Ibi colliget exercitum. Ibi habebit vicinum sibi patrem sanctissimum; 5 habebit apertam et pone ianuam, per quam, utut res cedat, evadat Barsilonam 6 et abdat sese in Hispaniis, quo nunquam pervenient Germani. Si vero fortuna faverit, compendio 7 redire poterit ex Italia in Germaniam. Falli possum mea coniectura; atque utinam fallar! Caesari nihil fido! A caesare omne malum expecto! Rursus autem fido misericordiae divinae 8 et expecto liberationem et omne bonum a domino, 9 qui, ut iustus est et clemens, ita et veracissimus 10 . Oremus hunc, ut nunquam nos in dubiis hisce rebus a deserat! 11 Hortemur omnes fidei nostrae creditos ad veram fidem et poenitentiam! 12

Expecto in horas nuncium ab Augusta. 13 Si quid te dignum accepero, communicabo. Scripsi hisc[e]b nundinis 14 d. Philippo, 15 d. Ioanni a Lasco, 16

a In der Vorlage folgt nos. —
b Hier und unten Textverlust durch Papierverlust am rechten Rand. Die Fehlstellen wurden aus dem Kontext ergänzt.
1 Der Brief an Rudolf Gwalther ist nicht erhalten. — Wir danken Herrn Kurt Jakob Rüetschi für die Auskunft.
2 Karl V.
3 Nämlich die Nachricht, dass er sich nach Spanien zurückziehen wolle; s. Gwalther an Myconius, 12. Mai 1546 (St. Gallen Kantonsbibliothek, Vadiana, Ms 35, 140). — Wir danken Herrn Rainer Henrich für den Hinweis.
4 Im Herzogtum Mailand, das seit der Schlacht bei Pavia (Februar 1525) dem Kaiser gehörte.
5 Papst Paul III.
6 Barcelona.
7 rasch.
8 Ps 52 (Vulg. 51), 10.
9 Vgl. Jes 12, 2; 2Kor 9, 8.
10 1Joh 5, 20.
11 Jer 14, 9.
12 Vgl. HBBW XV 674,52—56. 680,26—30.
13 Der aus Augsburg zurückkehrende Markus (Marx) [...] vgl. Nr. 2399,1—3; Nr. 2405,116f.
14 Die Frankfurter Frühjahrsmesse begann etwa 24 Tage vor Ostern (1546 fiel Ostern auf den 25. April) und dauerte etwa 20 Tage; s. Vanautgaerden 10.
15 Melanchthon. — Damit ist der am Vortag geschriebene Brief Nr. 2404 gemeint.
16 Nicht erhalten. Der Brief ist aber durch a Lascos Brief vom 23. März 1546 bezeugt; s. Nr. 2390,1f. Aus der Autobibliographie Bullingers geht hervor, dass dem nicht erhaltenen Brief eine Abschrift von Bullingers Werk "De sacramentis" (s. dazu Nr. 2332, Anm. 29) beigelegt wurde: "Anno salutis 1546 scripsi librum 'De Sacramentis', quem primo quidem misi ad D. Calvinum, qui non improbavit, sed laudavit. Deinde eundem misi singulari meo amico et fratri D. Ioan. a Lasco, Baroni Polono, huicque pro nostra communicavi amicitia. Ille vero Londini in Anglia curavit eum imprimi anno domini 1551" (Zürich ZB, Ms F 98, f. [321v.). Allerdings hat Bullinger 1549 diese Schrift erneut an a Lasco geschickt, wie dies nämlich aus a Lascos Brief an Bullinger vom 10. April 1551 (Zürich StA, E II 347, 363) hervorgeht: "Libellus tuus de sacramentis ante triennium ad me missus iam tandem sub prelo est".

d. Alberto c Hardenbergio, 17 d. Gerhardo Westerbu[r]gio, 18 d. Melandro, 19 Pistorio 20 et aliis multis viri[s] doctis et piis nec alia, quam quae pertinere et plurimum facere spero ad incolumitatem doctri[nae] sanae et ecclesiae periclitantis et afflictissimae. Oremus dominum, ut omnia bene vertat!

Heri scribit ad me hisce verbis Vadianus: 21 "Herr Othma[r]Gluyß 22 , dechant des klosters Sangallen, ist in verschinen hornung 23 von mangel des schlaffs (dolui[t] ob captos tyrannos Brunsvicenses 24 ) in ettwas unsinikeit 25 kummen. Hat sich lassen gen Wyl, da er lange jar statthalter gewest, fürren. Da is[t] er ellend in siner melancholy gelägen biß uff den 27. martii. Deß selben tags, amm mor[gen] zwüschen 5 und 6 ur, ist gemelter herr Otthmar uß sinem stübli in siner unsinickeit geloufen. Hatt sich zu einer beyen 26 uß, zwey gmachen 27 ||126v. hoch, herab gestürtzt. Ist für d todt und onredend uffgehept. Sol also läbend da gelägen sin, doch on vernunfft und reden untz 28 zu den 3 29 ; ist er ellendicklich verscheiden und gestern, des 29. tags, zu uns in das kloster gefürt und mitt vil gesangs und gelüts 30 bestattet. Gloub nitt, das kein 31 listiger, hässiger und uffsetziger 32 find 33 und widerfächter unser religion in der gantzen eydgnoschafft gewäsen sy. Visum fortasse providentiae, ut hypocrita violentissimus mire violenta et deplorata morte extingueretur. Senatus noster pridie 34 omnibus suis de novo tum papismi tum anabaptismi communionem magnis poenis interdixit. 35 "Hactenus Vadianus.

Non nescis, opinor, comitia Badenam conscripta non aliam ob causam, quam ut audiantur protestantes. 36 Habent, quod Helvetiis proponant de insidiis et periculis Germaniae 37 imminentibus.

c In der Vorlage Aberto. —
d In der Vorlage fü.
17 Nicht erhalten.
18 Nicht erhalten. Vielleicht Bullingers Antwort auf Westerburgs Brief vom 12. Oktober 1545 (HBBW XV, Nr. 2266).
19 Der Brief an Dionysius Melander ist nicht erhalten. Dass dieser "in proximis Francfordiensibus nundinis" von Bullinger abgefasst wurde, bezeugt auch Johannes Lening in seinem Schreiben an Bullinger vom 4. Juni 1546 (Zürich StA, E II 346, 175).
20 Brief Nr. 2401 vom 31. März an Johannes Pistorius.
21 Nachfolgend eine von Bullinger wohl leicht bearbeitete Fassung (vgl. nämlich Bullingers Zitierweise in Nr. 2375) eines Ausschnittes von einem Brief Vadians (Nr. 2400).
22 Johannes Schuhmacher alias Otmar Wild, auch Gluß genannt; s. Nr. 2400, Anm. 4.
23 in verschinen hornung: im vergangenen Februar.
24 Herzog Heinrich d.J. von Braunschweig-Wolfenbüttel
und dessen Sohn Karl Viktor; s. Nr. 2400, Anm. 6.
25 Wahnsinn.
26 Fenster.
27 Stockwerke.
28 bis.
29 3 Uhr nachmittags.
30 Glockengeläut.
31 irgendein.
32 feindseliger.
33 Feind.
34 Sonntag, 28. März.
35 Anspielung auf das Predigtmandat, das der St. Galler Rat am 26. März beschloss und am 28. verlesen ließ. Den Bürgern wurde damit verboten, sich einer anderen Religion oder einem anderem Gottesdienst anzuschließen; s. St. Gallen StadtA, Bd. 546, S. 27—35, und Tr.Q, 1c, Nr. 49. — Wir danken Herrn Rainer Henrich für den Hinweis.
36 Gemeint ist ein Schreiben aus Frankfurt a. M. vom 24. Januar 1546, das der

e De daemonio Rotvilensi varius est rumor. 38 Ego, cum non curo, nil certi dixero. De nube ad Cellam 39 ignem vomente nihil audivi. e

Vale, colende mi Myconi. Scribendo enim ita defatigatus sum hisce diebus, ut vix haec potuerim. Tiguri, 2. aprilis. Salutant te fratres Gvaltherus, Buchterus, 40 Pellicanus, Bibliander. 1546.

Bullingerus tuus.

[Adresse darunter:] Clarissimo viro d. Osvaldo Myconio, Basiliensis ecclesiae antistiti vigilantissimo, suo domino et fratri colendissimo. Basel.