Projektseite Bullinger - Briefwechsel © Heinrich Bullinger-Stiftung
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[2250]

Johannes Schmid aus Bergheim an
Bullinger
Marburg,
22. September 1545

Autograph: Zürich StA, E II 363, 30r.-v. (Siegelfragment) Teildrucke: Köhler, Hessen und die Schweiz 479, Nr. 51; Urkundliche Quellen zur hessischen Reformationsgeschichte, Bd. 2, bearb. v. Günther Franz, Marburg 1954 —Veröffentlichungen der Historischen Kommission von Hessen und Waldeck 11, S. 443, Nr. 539

Gemäß der Aufforderung der [Zürcher Lehrer], Nachricht zu geben, muss Schmid Bullinger mit diesem Brief den er auch im Namen seiner Kommilitonen abgefasst hat, stören. Bullinger möge den mangelhaften Stil entschuldigen. Um die in ihn gesetzten Hoffnungen seiner Lehrer nicht zu enttäuschen, wird Schmid fleißig studieren, zumal laut Quintilian das Studium die Fähigkeit fördert, sich besser auszudrücken. Die Reise nach Marburg verlief gut, und [die Zürcher Studenten]versprechen sich vom dortigen Studium viel. Kaspar Rudolphi unterrichtet die Dialektik nach [Jodocus] Willichs [Lehrbuch], Reinhard [Lorich aus] Hadamar die Rhetorik anhand von Quintilian, Wigand Happel Hebräisch. [Andreas] Hyperius legt den Hebräerbrief und [Theobald] Thamer das Johannes[evangelium] aus. [Johannes] Lonicerus liest über den griechischen [Autor] Heliodor. Ethik- und Mathematikunterricht werden ebenfalls angeboten, sowie auch ein Turnus von Vorlesungen über das [Zivil]recht. Auf Happels Rat hin besuchen die Zürcher die Lehrveranstaltungen von [Rudolphi], [Lorich], [Happel], Hyperius und Lonicerus. Sie essen bei dem sogenannten alten Propst [...] und wohnen bei [Happel], der sie sofort zurechtweisen würde, sollten sie sich schlecht betragen oder den Unterricht vernachlässigen. Über die Marburger Kirchenbräuche, die Schmid nicht billigt, kann Gwalther Näheres berichten. Jeden Sonntag wird das Abendmahl gefeiert, und dabei werden die Einsetzungsworte [Mt 26, 26] [auf Lateinisch] gesungen, während zwei weiß gekleidete Jugendliche dem Pfarrer mit Lichtern zur Seite stehen. Vor der Predigt werden eine Stunde lang abwechselnd lateinische Lieder gesungen und Orgelstücke gespielt. Die [Zürcher Studenten in Marburg] werden fleug studieren. Sie bitten die [Zürcher], ihr Studium auch weiterhin zu ermöglichen, damit dieses nicht vorzeitig abgebrochen werden muss. Grüße.

Gratiam et pacem a domino nostro Iesu Christo precor ex animo.

Quod literis hisce meis tuis impedimento sum studiis honestissimis, ac animum tuum, multis alus onustum negotiis, mearum literarum lectione perturbo, non inconsiderate a me factum esse scias. Cum perpenderem enim, quod vos, nostri moecaenates 1, discedentibus nobis 2 de statu ut vos certos redderemus, sedulo iniunxeratis, nostrum erat nos non immorigeros praebere, sed lubenti animo vestris obedire iussibus. Cum ergo id ex iussu Om-

1 Mäzene.
2 Johannes Schmid (Fabricius Montanus) war aus Zürich über seine Heimat Bergheim im Elsass (s. oben Nr. 2228, Anm. 19) zum Studium nach Marburg gereist. Zusammen mit den aus Zürich stammenden Karl Schweninger, Heinrich Hindermeister (Hindermann; Opisander), Hans
Rudolf Funk (Funck) und Wilhelm Meyer (die vermutlich abgesehen von der Rheinstrecke zwischen Basel und Straßburg mit Schmid zusammen gereist waren) hatte Schmid sich am Vortag, am 21. September 1545, in Marburg immatrikuliert; s. Marburg, Matrikel II 25; Zürich ZB, Ms G 329, f. 6r. (Angaben zu Schmid von Jo-

nium fiat, non egre te laturum has meas spero literas, quae si non elegantiis exornatae, non istam puritatem, sed animum, qui elegantissime scribendi promptus (nisi mihi dicere cupienti verba deessent, ac maximus apud me fructus studiorum, qui est secundum Quintilianum facultas dicendi, 4 desideraretur) consideres; quem defectum tamen deo suam concedente gratiam frequenti doctorum virorum lectionem audiendo resarciri cupio, ne vos, bonam de me spem tenentes, ista frustremini, et ego simul ingratus pro tot beneficiis in me collatis vobis videar. Spero me ita gessurum, quod in meam, precipue tamen ecclesiæ utilitatem sit facturum. Du cepta secundent! 5

Statum ergo nostrum proximo a vobis discessu summatim ac paucis perstringam. Foeliciter nobis hoc iter Marpurgum usque successisse vos scire" volo. Ibi quoque mire nostris studiis consultum in speramus, praesertim cum tanta doctorum copia, qui omnia maxime insudando nullamque operam intermittendo literis fidelissime tradunt. Sique nos audiendo istos haud fuerimus negligentiores", multum brevi proficere possen nobis prorsus persuasum habemus.

Lectiones has accipe praecipuas: D. m. Casparus Rhodolphi 6 dialecticam profitetur Villichii 7 Reinhardus Hadamarius rhetorices artificium tradit

a scire über der Zeile nachgetragen.
b In der Vorlage neglentiores.
c posse über der Zeile nachgetragen. bannes
Jud gen. Leu); Johannis Fabricii Montani vita ab ipso authore ... perscripta anno 1565, in: Miscellanea Tigurina, Bd. 3, Zürich 1724, S. 379. — Die beiden letzten Quellen erwähnen nicht den Namen Meyers.
3 Aller Zürcher Studenten in Marburg; s. oben Anm. 2.
4 Vgl. Quintilian, Institutio oratoria, 10, 7, 1. — Johannes Jud (s. Anm. 2) berichtet über Schmid: "da [= in Marburg] ... schämet [er] sich (als er mir oft gseit [= gesagt]) siner ungschicklikeit (wiewol er nit ungleert war)"; s. aao, f. 6v.
5 Vgl. Vergil, Aeneis, 7, 259: di nostra incepta secundent.
6 Kaspar Rudolphi.
7 Jodocus Willich (Wilcke), geb. 1501 in Rößel (Reszel, Woiwodschaft Ermland-Masuren, Polen), gest. 12. November 1552 in Halle a. d. Saale. Studium der Medizin und Philologie in Frankfurt a. d. Oder; dort 1522 Magister und alsbald Professor. Willich verfasste zahlreiche
Schriften, darunter die "Erotematum dialectices libri tres" (erste Auflage: Straßburg, Crato Mylius, 1540; VD 16 W 3241). — Lit.: ADB XLIII 278-282; Michael Höhle, Universität und Reformation. Die Universität Frankfurt (Oder) von 1506 bis 1550, Köln/Weimar/Wien 2002—Bonner Beiträge zur Kirchengeschichte 25, passim.
8 Reinhard Lorich aus Hadamar. Studium in Köln und Wittenberg. Seit 30. Mai 1527 Professor an der Universität Marburg. Er war viermal Dekan und 1539 Rektor. Sein Ausscheiden aus der Universität erfolgte wohl nach der Abfassung des vorliegenden Briefes und vor Lorichs Berufung an die Schule von Wetzlar 1546. Er starb nach 1564 als evangelischer Pfarrer der Pfarrei Bernbach (bei Gelnhausen, Hessen). — Lit.: Gundlach, Catalogus 310f, Nr. 537; Michael Kunzler, Die Eucharistietheologie des Hadamarer Pfarrers und Humanisten Gerhard Lorich. Eine Untersuchung der Frage nach einer erasmischen Meßund Eucharistietheologie im Deutschland des 16. Jahrhunderts, Münster 1981 —Reformationsgeschichtliche Studien und Texte 119, S. 66 (die dort angegebenen

legendo Quintilianum. D. m. Wigandus Hapelius Hehrem lingua professor. 9 Hibberius 10 theologice epistolam ad Hebraeos 11 exponit. D. Lonicerus d12 13 Heliodorum legit Grecum. Legit etiam quidam 14 in ethicis, ||30v.. cuius nomen haud teneo. Theobaldus 15 theologus exponit Joannem e . Traditur etiam mathematica; 16 item alii quidam jurisconsulti 17 alus ac alus legunt horis. Ex iis tamen omnibus has nobis ex m. Hapelii consilio elegimus lectiones: d. Caspari, 18 Hadamarii, 19 Vigandi, 20 Hibberii, Leoniceri. Mensam apud honestissimum urbis Marpurgi virum conduximus, vetus qui vocatur propositus, 21 unusquisque per annum 24 f florenis. 22 Habitationem apud magistrum

d Lonicerus korrigiert aus Leonicerus (nicht so unten Z. 32).
e Ioannem am Rande nachgetragen.
Daten zum Weggang aus Marburg können aufgrund des vorliegenden Briefs korrigiert werden).
9 Wigand Happel war erst seit kurzem Hebräischprofessor; s. oben Nr. 2072; Gundlach, Catalogus 79f, Nr. 124.
10 Andreas Hyperius (Gheeraerdts), geb. 16. Mai 1511 in Ypern (Westflandern), daher der Name "Hyperius", gest. 1. Februar 1564 in Marburg. Ausbildung im Elternhaus in Wästen an der Lys (Leie), in Lilie und Tournai. 1524 wieder in Ypern. Ab 1528 und erneut ab 1532 Studium in Paris; dort Magister artium und Studium des kanonischen Rechts und der Medizin. Ab 1535 in Löwen. Ab Juni 1541 Professor in Marburg. 1544 Heirat mit Katharina Orth. 17. August 1553 Promotion zum Dr. theol. in Marburg. Hyperius hielt bis zu seinem Tode Vorlesungen in historischer, systematischer und praktischer Theologie. Er war dreimal Rektor. Von ihm sind 25 Briefe an Bullinger aus den Jahren 1554 bis 1563 überliefert. — Lit.: ADB XIII 490— 492; Gundlach, Catalogus 7, Nr. 7; TRE XV 778-781; Gerhard Krause, Andreas Gerhard Hyperius. Leben-Bilder-Schriften, Tübingen 1977.
11 1584 wurde Hyperius' Kommentar zum Hebräerbrief (in einer Bearbeitung von Johannes Mylius aus Wetter) bei Froschauer in Zürich gedruckt; s. VD 16 G 1399; BZD C 1021; C 1022.
12 Johannes Lonicerus (Lonitzer).
13 Heliodor aus Emesa, 3.14. Jh. n. Chr., Autor des griechischen Romans "Aithiopika" (editio princeps: Basel 1534; s. GG 252); s. DNP V 2901.
14 Vermutlich Matthäus Pfeil von Kappel, gen. Philo Capella.
15 Theobald Thamer. —Vgl. oben Nr. 2236, 29-42.
16 Durch Volkwin Weigel (Volcuinus Vigelius); s. Gundlach, Catalogus 365, Nr. 636.
17 Zu deren Namen s. Gundlach, Catalogus 78. 84. 89. —Darunter befand sich der von Happel sehr gepriesene Johann Oldendorp; s. HBBW XIV 396. 398.
18 Kaspar Rudolphi.
19 Reinhard Lorich aus Hadamar.
20 Wigand Happel.
21 Dem Namen nach unbekannt. — Bei der hier erwähnten Mensa handelt es sich weder um die Mensa des "Collegium Lani" (bei den Dominikanern) noch um die des "Collegium Pomerii"(bei den Barfüßern), sondern um einen Tisch bei einem Bürger. Da dieser hier "alter Propst" (vetus propositus) genannt wird und die Verwalter der oben erwähnten Mensa ebenfalls als praepositi oder Pröpste bezeichnet wurden, und da ferner die Mensa des "Collegium Lani"in den 1540er Jahren anscheinend nicht mehr betrieben wurde, zumal seit 1542 nur noch vom Propst Arnold Klein von der Mensa bei den Barfüßern (die später im Kugelhaus untergebracht wurde) die Rede ist, wird der hier erwähnte Bürger wohl mit dem ehemaligen Propst der Mensa des "Collegium Lani"identisch sein; s. Heinrich Meyer zu Ermgassen, Tisch und Losament. Verköstigung

Vigandum habemus, qui, si quaedam in integritate morum et lectiones perlegendo diligentia desiderarentur, sua in nos cura exhortationeque crebra (cuius tamen haud indigemus, ita si perrexerimus) haud ullum tempus intermitteret. Potest etiam is privatim Hebraicis in lectionibus multum nos iuvare. Hactenus de lectionibus.

Quis Marpurgensis ritus sit ecclesiæ, a d. Gvaltero 23 melius intelliges; sed ut ne mihi, ita ne alus approbari piis credo. Nam distribuendo in eucharistia panem, quod singulis fit diebus dominicis, minister cantando haec verba pronunciat: "Hoc est corpus meum", etc. [Mt 26, 26]; cui alii astantes duo iuniores, lucernas manibus tenentes, albis stolis induti. Moris est etiam, quod alternis per totam horam canant Latinis verbis et organo, antequam g minister ordiatur sermonem. Doctorum tamen iudicio haec derelinquo.

Lectiones praecipuas copiose habes perstrinctas. Vos tandem iam summis oramus precibus, ut sicut nos istos audiendo haud erimus negligentiores, ita vos ad has lectiones oportunitatem praebendo, ut hactenus facere estis soliti, haud cessetis, ne nobis praemature in cursu studiorum, antequam ad optatum finem perveniamus, maxime necessaria praecipiantur.

lam tu in Christo valeas ac me tibi semper commendatum habeas. Uxorem cum liberis charissimis 25 meo fac plurimum nomine salutes. Salutant te consodales mei omnes 26 .

Date Marpurgi, anno 1545, 22. septembris.

bannes Fabritius, tui observandissimus.

[Adresse auf f. 31b,v.:] Clarissimo viro domino Heinricho Bullingero, fidelissimo in Tigurina ecclesia antistiti, moecenati suo plurimum observando. Zürich.

f Vor 24 gestrichenes 20.
g Von antequam bis sermonem am Rande nachgetragen. und
Unterbringung der Stipendiaten in Marburg, in: Studium und Stipendium. Untersuchungen zur Geschichte des hessischen Stipendiatenwesens, hg. v. Walter Heinemeyer, Marburg 1977 — Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen 37, S. 103. 122. 125. 167. 183. 210. 237.
22 Vgl. dazu Meyer zu Ermgassen, aao, S. 182f.
23 Rudolf Gwalther, der 1540/1541 in Marburg studiert hatte; s. HBBW X 73, Anm. 12.
24 Anna Bullinger, geb. Adlischwyler.
25 Zu Bullingers Kindern s. oben Nr. 2061, Anm. 17.
26 Die mit Schmid immatrikulierten Zürcher; s. oben Anm. 2.