Projektseite Bullinger - Briefwechsel © Heinrich Bullinger-Stiftung
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[2134]

Ambrosius Blarer an
Bullinger
[Konstanz],
13. April 154[5]

Autographa: Zürich StA, E 11357, 124-126 (Siegelspur) Teildruck und zusammenfassende Übersetzung: Blarer BW II 356f, Nr. 1177

In Bezug auf Freigiebigkeit und Gefälligkeit kann Blarer nicht mit Bullinger wetteifern; er tut aber sein Bestes. Aus kürzlich eingegangenen Briefen entnimmt Blarer, dass alle [durch ihn selbst übermittelten]Exemplare von Bullingers ["Warhafftem Bekanntnuß"]gut angekommen sind; der Augsburger Stadtschreiber Georg Frölich sieht es als Auszeichnung an, dass er mit einer Schrift und einem Brief bedacht wurde. [Wolfgang] Musculus kehrte kürzlich nach [Augsburg] zurück; es betrübt ihn sehr, dass die Donauwörther unsinnigerweise die Nürnberger [Kirchenordnung]einführen wollen. Die Gerüchte über [Johannes Marbach] in Isny sind haltlos; er ist so gutmütig und bescheiden, wie man es von einem Wittenberger nicht erwarten würde, was Blarer aus [nicht erhaltenen]Briefen von Ratsherren und Bürgern erfahren hat. Einem Zunftmeister [...] aus Isny las Blarer aus Bullingers [nicht erhaltenem Anhang zu]Brief [Nr. 2123 oder 2124] vor, worauf hin sich dieser (der niemals Angriffe gegen Bullinger oder Blarer dulden würde) über solche Lügen ereiferte und beteuerte, dass [Marbach] niemals Zwingli, Zürich oder Sakramentierer auf der Kanzel genannt hätte. Dennoch wurde Blarer mehrmals und von verschiedenen Personen [...]berichtet, dass [Marbach] ein

büttel, der in Köln Zuflucht gefunden hatte und dort schon länger gegen die Reformbemühungen des Erzbischofs eiferte (s. Bucer an Graf Ottheinrich, 6. August 1544; Pollet, Relations II 92), hatte als Verbündeten den Grafen Anton I. von Oldenburg (s. oben Nr. 2094, 7f. 24-26), der seinerseits die Rückgewinnung der seinem Hause 1482 entzogenen Grafschaft Delmenhorst beabsichtigte. 1547 gelang es ihm, Harpstedt und Delmenhorst der Macht des Bischofs von Münster zu ent reißen; s. Wilhelm Kohl, Das Bistum Münster, Berlin/New York 1999 — Germania sacra, NF 37/1, S. 42f. —Siehe ferner oben Nr. 2131, Anm. 64.
a Textverluste auf f 124 wegen Papierverlusts am rechten Rand und auff 125 wegen teilweiser Verdeckung des Randtextes im engen Einband. Fehlstellen (u.a. im Datum) ergänzt aus der Abschrift von Johann Jakob Simler (Zürich ZB, Ms S 57, 51).

neues Papsttum erschaffen wolle und gegen die [zwinglische Kirche] sei; bei seinem Besuch [in Isny in kirchlichen Angelegenheiten] im Vorjahr hingegen erlebte er Marbach als friedlichen Menschen. Marbachs eifriger, aber unkluger Diakon [Georg Denneler] scheint ihm diesen schlechten Ruf anzudichten; wenn Blarer demnächst nach Isny reist, wird er den Diakon ermahnen, nicht solche Gerüchte zu verbreiten, und daraufhin Bullinger Bericht erstatten. [Konrad] Zwick dankt für die Angaben zu [Augustin Mellis, gen.] Fries und grust. Grüße auch von dem Engländer [John]Butler. [Jakob]Metzler lobt in einem Brief an seinen Vater [Bartholomäus Metzler] Bullingers Freundlichkeit. [Jakob Metzler] ist nicht schlecht, er braucht aber Zucht. Blarer wundert sich, dass die Basler Johannes [Gast] entlassen haben; er kennt ihn nicht persönlich, hat aber gehört, dass er ein frommer und gelehrter Mann ist, so dass ihn dessen Schicksal betrübt. Gott wird für ihn sorgen, und auch Blarer wird sich nach einer geeigneten Stelle für ihn umsehen. Bullinger wollte Blarers Urteil über die [Zürcher] Antwort [,,Warhafftes Bekanntnuß"]auf Luthers [,,Kurtz bekentnis"] hören. Er weiß doch, dass Blarer die [Zürcher] und deren Eifer für das Christentum stets unterstützt hat, so dass er sogar als Schwärmer und Sakramentierer verdächtigt wird. Er hofft auf göttlichen Beistand. Gruße, auch von [Thomas Blarer] und [Konrad]Zwick. [P.S.:]Heinrich von Ulm hat ihm am Vortag von dem Treffen mit Bullinger und von dessen Zurückhaltung berichtet; da Bullinger sich der Angelegenheit [Zwicks "Kriegskunst"]nicht weiter annehmen wollte, hätte Blarer wohl geduldet, dass von Ulm mit anderen darüber gesprochen hätte. Dieser aber hat sich nicht getraut, das ohne Rücksprache mit Blarer zu tun. Blarer hält es für wichtig, dass die [Kriegskunst] an die Eidgenossenschaft geht und nicht gegen sie verwendet wird. Am Samstag reist er nach Isny.

S. Non est vero, quur multis tecum, mi Bullingere, contendam, uter alten munificentia pariter et qualibet amiciciae officiositate praestet, quum res ipsa luce darius doceat, quam tu hic me innumeris nominibus superes, tametsi, ubi animus alterius erga alterum aestimandus venerit, meus tuo in nullo prorsum sit, mihi crede, cessurus. Unum igitur hoc praecipue in votis habeo, ut hunc, qualis sit, re ipsa testari per commodam aliquam occasionem liceat.

Literas accepi ante dies aliquot, quibus certior redditus sum omnes tuos libellos 1 iis redditos ess[e]b , quibus sunt inscripti. 2 Georgius Letus 3 Augustanus archigrammateus, summi beneficii loco ducit, quod libello 4 et literis 5 se dignatu[s] sis.

Musculus ad suos nuper rediit. 6 Valde dolet, quod Werdenses 7 supra tam solidum fundamentum Christum stipulas et foenum 8 frigidissimarum denmoniarum

b Hier und unten Textverlust durch Papierverlust am rechten Rand des Blattes; s. oben Anm. a.
1 Die zuvor erwähnten Briefe an Blarer sind nicht erhalten. —Bei den Büchern handelt es sich um Exemplare der "Orthodoxa Tigurinae ecclesiae confessio", die Bullinger im März über Blarer an Hans Welser, Claudius Pius Peutinger, Wolfgang Musculus, Georg Frölich, Martin Frecht, Herzog Ulrich von Württemberg und Kaspar Gräter gesandt hatte; s. oben Nr. 2111 und 2115.
2 Die entsprechenden Briefe finden sich nicht in Blarer BW.
3 Georg Frölich.
4 Auch Frölich hatte ein Exemplar des "Warhafften Bekanntnuß" von Bullinger erhalten; s. Anm. 1 und oben Nr. 2128, Anm. 2.
5 Nicht erhalten.
6 Wolfgang Musculus kehrte am 24. März von Donauwörth nach Augsburg zurück; s. oben Nr. 2065, Anm. 28.
7 die Donauwörther.
8 Anspielung auf 1Kor 3, 10-13.

quales Norici in usu habent, aedificatas cupiunt. 9 Dominus illorum et nostri misereatur, ut explosis nugacissimis istis nugis ipsissimam veritatem et avide amplectamur et mordicus teneamu[s].

De Isnensi doctore 10 que ad te delata sunt, tam vana esse scito, quam non est vanus Christus. Est vir ille natura placido et modestissimo ingenio, ut Wittenbergensem 11 esse credere haudquaquam possis: ita abhorret ab illa vulgo Wittenbergensium calumn[ian]di et maledicendi libidine. Vera scribo, mi venerande frater, et que ex optimorum, qui illic sunt, senatorum et civium literis 12 rescivi. Et venit huc ad me Isnensis tribunus 13 , valde bonus vir, postridie quam epistolam tuam 14 accepissem; cui quum legissem, quo[d] scripseras, molestissime ferebat ardelionum istorum intemperie[m], qui mentiendi libidine acti quodlibet expuunt in quoslibet. "Jr werdens", sagt er, "by kainem biderman in Ysne finden, das er ain ainigs mal weder Zwinglin noch Zürich oder sacramentierer, oder was dem gleych sein möcht, uff der cantzel mitt ainem ainegen 15 wort genennt habe. Da will ich euch", inquit, "mein kopff angesezt haben; dann ich versu' 16 kam predig."Praeterea talis vir est hic c senator, ut haudquaquam ferret, si ve[1] te vel me ille quantumcunque leviter calumniaretur. Et tamen apud me quoque non semel neque ab uno solum delatus est 17 hoc nomine, quod novum papismum parturiat et nostram"condem[net]. Ego vero superiore anno coram agens cum viro syncerum

c hic senator am Rande nachgetragen.
d Zu ergänzen: ecclesiam.
9 Am 10. März hatte man in Donauwörth die Nürnberger Kirchenordnung eingeführt. Gerade die Orientierung an Nürnberg und damit an der lutherischen Reformation hatte Musculus verhindern wollen und gewünscht, Donauwörth im Sinne der oberdeutschen Reformation zu prägen, wie er dies schon in Augsburg getan hatte; s. Simon Xalter, Wolfgang Musculus und die Reformation in Donauwörth. Sein Wirken als Prediger vom Dezember 1544 bis März 1545, in: Jahrbuch des Vereins für Augsburger Bistumsgeschichte e.V. 35, 2001, 58-92, hier S. 72. 75-81; Hans-Jörg Künast, "Khann nit dencken, das die vonn Werd lang bey den pfeltzischen Ceremonien bleiben" — Neue Briefe zum Aufenthalt von Wolfgang Musculus in Donauwörth im Jahr 1544/45, in: Mitteilungen des Historischen Vereins für Donauwörth und Umgebung, Jg. 2000,2001, 4-23, hier S. 9f. 12-19.
10 Der Streit zwischen dem lutherisch einge
stellten Johannes Marbach, dem zwinglischen Diakon Georg Denneler sowie dem Magistrat war schon kurz nach Marbachs Amtsantritt entflammt; s. HBBW XIV 212, Anm. 3. Zur Entwicklung im Jahr 1545 s. Immanuel Kammerer, Die Reformation in Isny, in: BWKG 53, 1953, 38f.
11 Marbach hatte in Wittenberg studiert.
12 Die schlechte Meinung Bullingers über Marbach könnte in dem an ihn gerichteten Brief Schulers vom 23. März (oben Nr. 2121, 29-49) ihren Ursprung haben. Da der vorliegende Brief auf Bullingers Briefe vom 27. März (oben Nr. 2123) und vom 29. März (oben Nr. 2124) Bezug nimmt (s. unten Anm. 21. 23. 27. 31 und 35), wird Bullinger die Nachricht über Marbach wohl in einem nicht mehr erhaltenen Anhang zu einem dieser Briefe verfasst haben.
13 Unbekannt.
14 Brief Nr. 2123 oder 2124 mit einem verlorenen Anhang; s. Anm. 12.
15 einzigen.
16 versäume.
17 Blarers Quellen sind unbekannt.

et pacis studiosissimum inveni. 18 Diaconum 19 habet, qui zelo quidem dei, sed valde imprudenti fertur; atque is, ni fallor, bonum vir[um] hunc in modum apud multos traducit. Sed quando ob aliam causam propediem sum Isnam profecturus, 20 curabo, quam possum d[iligentia], ||125 ut animo suo diaconus imperet nec bonum virum id genus odiosis rationibus gravet. Reversus autem, ut omnia habeant, diligenter ad te scripsero. Tu dominum precäre, ut, quod pie conabor, feliciter efficiam.

Pro iis que de Friessio vestro 21 scripsisti, consobrinus Zviccius 22 magnas tibi gratias agit teque plus plurimo salvere in domino iubet, id quod etiam Buttlerus, Anglus noster, 23 accurate facit.

Mezlerus 24 in suis ad patrem 25 datis literis 26 vestram erga se humanitatem et animum propensissimum supra modum depredicat, ut hac etiam caussa multum nos vobis devinxeritis. Adulescens est non malus, sed cui opus tamen sit disciplina; qua vide, obsecro, ne careat. Facile enim istiusmodi ingenia sibi permissa insolescun[t]e .

Quod Basilienses optimum virum Ioannem Gast f missum fecerunt 27 , valde mira[mur], quamquam mihi ne de facie quidem notus est. Tamen audio virum pium esse ac non vulgariter doctum, ut vicem ipsius vehemente[r] doleam. Prospiciet illi dominus (nihil dubito) de digniore se ministerio; ubi ipse 28 quoque lubenter et bona fide advigilavero, sicunde forte conditio aliqua, qua domino servire possit, affulgeat.

Scire cupis, quid de vestra responsione 29 ad M[artini]L[utheri] calumnias et convicia 30 iudicem, 31 quasi vero aliquid, quale sit meum hic iudicium, referat. Scis, mi frater, quam candide de vobis semper et senserim et fuerim loquutus quamque vehementer studium illud vestrum juvandi christianam rempublicam probarim et ita, ut propterea a multis, quod addictior vobis

e Hier und unten Randtext im engen Einband teilweise verdeckt; s. oben Anm. a.
f Inder Vorlage folgt auf Jo. eine von Blarer durch eine Korrektur unlesbar gemachte Namensabkürzung (vielleicht Gas.), die aber dank Bullingers Brief (oben Nr. 2123, 22-27), auf den der vorliegende Brief Bezug nimmt (s. unten Anm. 27), und aufgrund des inhaltlichen Zusammenhangs als Gast gedeutet werden kann.
18 Blarer hielt sich schon im April 1544 zur Klärung von kirchlichen Angelegenheiten in Isny auf, die besonders in Zusammenhang mit Paul Fagius und Marbach standen; s. HBBW XIV 212, Anm. 3.
19 Georg Denneler.
20 Blarer begab sich am 19. April (s. unten Z. 86) nach Isny und kehrte am 24. April zurück; s. unten Nr. 2146, 1. Der eigentliche
Grund für diesen Besuch bleibt unbekannt, könnte aber in Zusammenhang mit der Affäre um die Verschuldung von Fagius bei Peter Buffler vom Vorjahr stehen; s. HBBW XIV 212, Anm. 3.
21 Augustin Meus, gen. Fries; s. oben Nr. 2124, 4-9 und Anm. 3.
22 Konrad Zwick.
23 Im Brief vom 29. März (oben Nr. 2124, 10f) hatte Bullinger auch John Butler grüßen lassen.
24 Jakob Metzler.
25 Bartholomäus Metzler.
26 Nicht ermittelt.
27 Vgl. oben Nr. 2123, 22-27.
28 Gemeint ist Blarer.
29 Das "Warhaffte Bekanntnuß".
30 Luthers "Kurtz bekentnis".
31 Vgl. oben Nr. 2123, 9f.

videar, schwermerus et sacramentarius audiam. 32 Dominus dona sua in vobis et conservet et quotidie augeat, ut vestro ministerio pomeria regni sui amplissime proferantur 33 . Quem, ut pro nobis quoque sedulo et ardenter interpelletis, quam possumus, flagitamus; quibus in istis rerum turbis praesentissimis planeque sobriis consiliis opus erit.

Salveat tota tua domus. Salutem plurimam tibi dicunt germanus frater meus et conso[bri]nus Zviccius. Commenda nos fratribus administris tuis in dom[ino]. In quo bene vale, mi longe charissime et optime Bullingere.

13. aprilis 154[5].

Tuus ab animo Am. Bi.

||126r Mm l[ieber]schwager Hainrich von Ulm ist uff gestern morgens by mir gewesen mitt anzögung, was er mitt euch und ir mitt im gereddt habind. Hat mir zum hochsten gerümpt, das ir alls gar behäb 35 und verschwygen syen; dann ir nie mitt der sprach (wie man sagt) herauß haben wellen, byß ir das recht wortzaichen gesechen haben. Ich heft wol mögen lyden, er heft mitt ettlichen vertrauwlich vom handel 36 gereddt, diewyl if euch der sach nitt haben weyter beladen wellen, daran jr dann nitt unrecht gethon. Dann diewyl mm vetter 37 vormals hat lyden mögen, das jr mitt ettlichen vertrauwten von der sach reddtend, halt ich, diß sollt ouch nitt wider inn gewesen sein, so es durch meinen schwager beschechen were. Aber er ist so sorgfeltig, ouch behutsam und redlich, das er nitt weyter handlen wellen, dann ich im zügelassen; darinn er dann ouch billich ze loben. Ich gedenck, er möchte in kurtzem uss andern ursachen widerum zu euch. Alls dann wurt er sich wyter hierinn wissen ze halten. Ich halts warlich für ain grosses, das diß sach uff ain aidgnoschafft wartete und sy sicher weren, das diß kunst wider sy nitt gebraucht wurde. Der herr schicks mitt gnaden nach dem allerbesten, etc.

Proximo Saturni die 38 Isnam proficiscar. 39

[Adresse auf der Rückseite:]g Praestantissimo viro d. Heinricho Bullingero, domino et fratri suo cumprimis observando longeque charissimo. Tiguri.

g Titel Bullingers auf der Rückseite für ein ganzes Bündel Briefe: D[omini] Amb[rosii] Blaureri anno 1544. 45. 46. 47. usque 20. martii.
32 Vgl. oben Nr. 2121, 42-44.
33 "Pomerium proferre: Die herrschung und gewalt weitteren"; s. Dasypodius, Dic. 183.
34 Thomas Blarer.
35 verschlossen.
36 Wie aus dem weiteren Briefwechsel zwischen Blarer und Bullinger hervorgeht (s. besonders unten Nr. 2158, 22-26), ging es bei diesem Treffen, dessen Ort und Datum unbekannt sind, um Konrad Zwicks Kriegskunst; s. dazu oben Nr. 2062, Anm. 6, und Nr. 2065, 14-35.
37 Konrad Zwick.
38 D.h. am 18. April.
39 Es ging um die Vermittlung im Fall Johann Marbachs; s. oben Anm. 20 und Z. 36-38.