Projektseite Bullinger - Briefwechsel © Heinrich Bullinger-Stiftung
Textbreite
Schriftgröße
Kapitel 

[192]

Christoph Schappeler an
Bullinger
St. Gallen,
17. Februar 1533

Autograph: Zürich StA, E II 351, 203. Siegelspur. -Ungedruckt

Hat lange nichts von Bullinger gehört. Verteidigt sich gegen die in Carions Chronik aufgestellte Behauptung, er habe die Zwölf Artikel [der Bauern von 1525]verfaßt. Der St. Galler Abt geht gegen die reformierten Prediger in seinem Herrschaftsgebiet vor. Bitte um Nachrichten aus Zürich. Grüße.

e in der Vorlage Italia.
f in der Vorlage Carolori.
14 Margarete, 1522-1586, illegitime Tochter Karis V., Gemahlin von Alessandro de Medici, später von Ottavio Farnese, Herzog von Parma. 1559-1567 war sie Statthalterin der Niederlande. - Lit.: Felix Rachfahl, Margaretha von Parma, Statthalterin der Niederlande, München-Leipzig 1898. -Historische Bibliothek V.
15 Alessandro de Medici, 1511-1537, Herzog von Florenz, galt als illegitimer Sohn von Papst Clemens VII., was aber wohl nicht zutrifft (s. Pastor IV/2 172f, Anm. 5). Bereits im Jahre 1529 wurde die Heirat von Alessandro und Margarete zwischen Papst und Kaiser verabredet. Im Frühjahr 1533 zog Margarete mit zahlreichem Gefolge von Mecheln nach Florenz, wo sie am 17. April eintraf. Die Hochzeit erfolgte jedoch erst später, im Jahre 1536, s. Rachfahl, aaO, S. 7f.
1 Christoph Schappeler (Sertorius), 1472-1551, von St. Gallen, studierte seit 1498 in Leipzig, wo er 1501 den Magistertitel erwarb und bis 1503 unterrichtete. Auf zwei Jahre Schulmeistertätigkeit in St. Gallen folgte 1505-1510 ein Theologiestudium wieder in Leipzig, wo Schappeler auch als Professor wirkte. Im Jahre 1513 wurde er Pfarrer von St. Martin in Memmingen. Er lernte die Schriften Luthers kennen und wurde zum Vorkämpfer der Reformation in Memmingen. Schappeler war u. a. mit Zwingli und Vadian befreundet, welche 1522/23 seine Bewerbung um die Prädikantenstelle in Winterthur
unterstützten, die er aber nicht erhielt. Im Oktober 1523 präsidierte er neben Vadian und Sebastian Hofmeister die Zweite Zürcher Disputation (s. EA IV/1a 342). An einem Glaubensgespräch Anfang 1525 setzte Schappeler seine von zwinglianischen Gedanken geprägten Ziele, die er in sieben Artikeln formuliert hatte, in Memmingen durch, mußte aber im Gefolge des Bauernkrieges fliehen (s. Kessler, Sabbata 189), vor allem, weil man ihn als Verfasser der Zwölf Artikel der Bauernschaft in Schwaben von 1525 bezeichnete (vgl. unten Anm. 9). Seit 1527 versah er verschiedene Pfarrstellen in seiner Heimatstadt St. Gallen, am Frauenkloster St. Katharina, 1530-1534 am Münster, 1542 an St. Magdalena im Linsenbühl und 1543-1551 an St. Mangen. Zwischen 1534 und 1542 hielt er sich mehrmals in Zürich auf (s. Vadian BW V 260f. 276f. VI 77f). Schappeler hatte Bullinger möglicherweise 1528 an der Berner Disputation kennengelernt. Wie intensiv der gegenseitige Kontakt im folgenden war, läßt sich allerdings aus dem einzigen erhaltenen Brief Schappelers nicht ermitteln. - Lit.: Vadian BW II-VII, Reg.; QGTS II passim; HBRG I 130. 245. 430. II 115; Kessler, Sabbata passim; Staerkle 239f; Bätscher, Kirchen- und Schulgeschichte 86. 91. 142. 240; Wolfgang Schlenck, Die Reichsstadt Memmingen und die Reformation, in: Memminger Geschichtsblätter, Jahresheft 1968, Memmingen 1969, passim; Stückelberger 27; Wilhelm Vogt, in: ADB XXX 576-581; derselbe, in: RE XVII 523-527; HBLS VI 148f; Günther Franz, in: RGG V 1389.

In domino pacem ac salutem.

Spectaram abs te, clarissime ac charissime vir, literas tuas, quibus et tuam aliorumque confratrum incolumitatem et quae tecum aguntur cepissem, verum nullas hactenus videram, ob adsiduos forsan, quibus detineris, rerum tumultus. Facile igitur ignoveram.

Caeterum, charissime frater, consilio atque auxilio mihi adesse salubri tu una cum tuis confratribus velis impense rogo. Est homo Mgr. Ioannes Carion 2 vocatus, qui insignis calumniae nota me nuper sua plausibili cronica 3 in lucem iam prodita turpiter ac mendaciter credulo popello traduxit. Cuius haec subscripta illic inserta sunt verba: «Ainer genannt Schappeler hat zwölff artickel 4 gemacht, genannt von christlicher freyheit 5 , daß man der oberkait nit zynß geben soft etc. Durch dyß artickel, meinet man, sey der pöfel des merern tails erregt.» 6 Haec per fratres contionatores Meminganos 7 , amicos meos candidos, schedula quadam ad me transmissa 8 . Nec enimvero articulos ullos unquam me confecisse certissime scio 9 , de christiana item libertate 10 , testor deum, aeque ignoro. Postremo magistratui seu praepositis decimas non solvendas autve tribuendas perinde verum est atque id, quod nugacissimi pharisaei de censu caesari non dando innocenti domino Christo imposuere 11 . Testatur hac in re innocentiam meam copiae cuiuspiam inscriptio apud senatum Memingensem adhuc retenta, quam olim ad petitionem eiusdem senatus una cum meis commilitonibus eidem ultro

2 Johannes Carion, 1499-1537 oder 1538, seit 1522 Hofastronom und Mathematicus Kurfürst Joachims I. von Brandenburg, daneben Berater des Kurfürsten und seit 1527 auch des Herzogs Albrecht von Preußen, von denen er mit diplomatischen Missionen betraut wurde. Mit Luther und vor allem Melanchthon stand er in persönlichem Kontakt. - Lit.: Alfred Stern, in: ADB III 781; Johannes Schuitze, in: NDB III 138f.
3 «Chronica durch Magistrum Johan Carion fleissig zusamen gezogen, menigklich nützlich zu lesen», gedruckt bei Heinrich Steiner, Augsburg 1532.
4 Gemeint sind «Dye Grundtlichen Vnd rechten haupt Artickel aller Baurschafft vnnd Hyndersessen der Gaistlichen und Weltlichen oberkayten, von wölchen sy sich beschwert vermainen», die 1525 in Augsburg erschienen waren, s. die kritische Ausgabe von Alfred Götze, in: Historische Vierteljahrschrift, Jg. 5, Leipzig 1902, S. 1-33; weiterer Abdruck in: Quellen zur Geschichte des Bauernkrieges, gesammelt und hg. v. Günther Franz, Darmstadt 1963, S. 174-179.
5 Carion scheint hier wohl zwei verschiedene Schriften zu vermengen, da ein solcher Untertitel bei den Zwölf Artikeln nicht vorkommt. Möglicherweise handelt es sich um das Schappeler zugeschriebene Gutachten zu den Memminger Artikeln vom März 1525 mit dem Incipit «Ain christliche Freyhait», s. Friedrich Braun, Drei Aktenstücke zur Geschichte des Bauernkriegs, in: Blätter für bayerische Kirchengeschichte 3, 1889, S. 11-16; Martin Brecht, Der theologische
Hintergrund der Zwölf Artikel der Bauernschaft in Schwaben von 1525. Christoph Schappelers und Sebastian Lotzers Beitrag zum Bauernkrieg, in: ZKG 85, 1974, S. 195-197; vgl. noch Günther Franz, Die Entstehung der «Zwölf Artikel» der deutschen Bauernschaft, in: ARG 36, 1939, S. 194, Anm. 4.
6 Carion, Chronica, f. 107r.-v.
7 Hauptpfarrer an St. Martin war Simprecht Schenck.
8 Ein diesbezüglicher Brief ist nicht erhalten.
9 Schappeler hatte sich wiederholt gegen die Behauptung gewehrt, er sei der Autor der Zwölf Artikel (s. HBRG I 245). Deren Text scheint er tatsächich nicht verfaßt zu haben; er wurde vom Memminger Kürschner und Laienprediger Sebastian Lotzer redigiert. Trotzdem kann Schappeler eine Beteiligung bei der Entstehung der Schrift nicht abgesprochen werden, gilt er doch heute als Verfasser der Einleitung zu den Artikeln, s. Franz, aaO, S. 206-209; Brecht, aaO, S. 174-208; Günter Vogler, Der revolutionäre Gehalt und die räumliche Verbreitung der oberschwäbischen Zwölf Artikel, in: HZ, Beiheft 4 (Neue Folge), 1975, S. 206-231; Peter Blickle, Nochmals zur Entstehung der Zwölf Artikel im Bauernkrieg, in: Bauer, Reich und Reformation. Festschrift für Günther Franz zum 80. Geburtstag am 23. Mai 1982, hg. v. Peter Blickle, Stuttgart 1982, S. 286-308.
10 Siehe oben Anm. 5.
11 Vgl. Lk 23, 2.

tradideram 12 . Testantur hoc idem boni quique mei illic auditores. Verum lividulus ille autore nescio quo false edoctus atque furia in me concitatus, ut non tam me quam evangelicam veritatem mortalibus exosam redderet, pictorum atque poetarum modo 13 nugatoribus omnibus ludum perperam ac infaeliciter obtrusit. Quid igitur illic mihi fatiundum quave via atrox illa iuste vindicanda iniuria sit, vestram omnium industriam ob dei nomen imploro atque expecto. Apologo, ut deceret atque aexpediret, visum est fratribus quibusdam opus esse, cuius tamen formulam, si placet, mihi praescribere haud dedigneris peto.

Novarum rerum quicquid apud nos erat, te neutiquam latere, imo d. D. Vadianum, qui plurimorum scius est, plurima tuae humanitati probe scripsisse 14 arbitror. Satanico spiritu atque phanatico agitatur in suam misellam plebem abbas ille 15 cum suis delicatissimis fautoribus. Iam omnes ferme contionatores e locis Thrasonico 16 furore expulit idem 17 . Civitatem nostram innumeris viis ac technis traducens exosam reddit inquietissimis nostris adversariis. Mentitur iniquitas sibi passim, ut dignas aliquando paenas sentiat. Reliquum, quae ipse coram in re mea tecum atque aliis confratribus meis observandis exposueram, simulac fideliter commiseram, haud oblita duco. Interim domi otiosus adhuc delitesco. Tu, optime Henriche, tuum Christophorum nacto ociolo de rebus vestris certiorem reddas obnixe praecor.

His vale ac in domino Iesu vive cum tuis faelix, quos omnes una cum confratribus, d. Leone 18 , Pellicano, Erasmo 19 , Bindero, Theodoro 20 , viris doctissimis, amicis meis iucundissimis, nomine meo salvos dicas.

E Sanctogallo, 17. februarii 33.

Dominum pro me misello orato.

Tuus ex animo Chris. Sertorius.

[Adresse auf der Rückseite:] Clarissimo simulac piissimo viro Heinricho Bullingero, contionatori Tigurino, suo amico in domino observando. Zürich.

12 Vermutlich spielt Schappeler auf seine entweder im Juli 1524 oder eher Anfang 1525 verfaßte Schrift «Kurzer Begriff vom Zehnten» an, worin er den Zehnten als religiöses Gebot ablehnt, als obrigkeitliche Steuer jedoch gehorsam akzeptiert, s. Braun, aaO, S. 24-32; Brecht, aaO, S. 38.
13 Der Redensart nach können Maler und Dichter ungestraft ihrer Phantasie freien Lauf lassen, vgl. Adagia, 3, 1, 48 (LB II 727).
14 Der letzte erhaltene Brief Vadians an Bullinger stammt von Ende November 1532 (s. HBBW II Nr. 154).
15 Diethelm Blarer von Wartensee, 1503-1564, vom damals vertriebenen Konvent in Mehrerau 1530 zum Abt gewählt, war nach Abschluß des Zweiten Landfriedens 1531 zunächst
nach Wil, dann nach St. Gallen zurückgekehrt. Für die Reorganisation und die gesetzliche Neuordnung der Stiftslande setzte er sich so tatkräftig ein, daß er als dritter Stifter des Klosters bezeichnet wurde. - Lit.: Bätscher, Kirchen- und Schulgeschichte 211-219; Otto Feger, in: NDB II 288f.
16 abgeleitet von Thraso, dem Namen des prahlerischen Soldaten in Terenz' Komödie «Die Eunuchen» (Georges II 3115).
17 Zum Schicksal der reformierten Prädikanten im Herrschaftsbereich des St. Galler Abtes s. u. a. HBRG III 302-306.
18 Leo Jud.
19 Erasmus Schmid.
20 Theodor Bibliander.