Projektseite Bullinger - Briefwechsel © Heinrich Bullinger-Stiftung
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[1928]

Ambrosius Blarer an
Bullinger
[Konstanz],
16. Juni 1544

Autograph: Zürich StA, E lI 357, 93 (Siegelspur) Teildruck und zusammenfassende Übersetzung: Blarer BW II 270f, Nr. 1099

Aus Mailand wird gemeldet, dass sich die französischen Nachschubtruppen dem Marquis [Alfonso d'Avalos, Marchese del Vasto (Guasto)] bei [Serravalle Scrivia] ergeben mussten unter wenigen Verlusten und vielen Gefangennahmen, darunter auch etliche aus den Familien [Orsini, Trivulzio, Gonzaga und Bentivoglio]; das Schicksal Piero Strozzis ist ungewiss. Man denkt, dass (Franz I.] nun die Hilfe der Schweizer anfordern wird. Fragt sich, ob Bullinger seinen Brief erhalten hat und wundert sich über Bullingers und Zürichs Schweigen. Schickt die Braunschweigische Sache [,,Der churfürsten, fürsten, graven ... warhaffter und bestendiger bericht ... "]mit der Bitte um Rücksendung sowie einen Brief des Augsburger Gesandten Jakob Herbrot vom Reichstag [zu Speyer]. Bitte um göttlichen Beistand und Grüße. [Martin]Frecht hat Bullingers Schrift [,,Ad Ioannis Cochlei De canonicae scripturae et catholicae ecclesiae authoritate libellum ... responsio"]weitergeleitet und übersandte auch einen Schwenckfeldischen Brief den Bullinger an Vadian weiterleiten soll.

Auff gestert ist 1 unsern kooffleuten gewysß zeytung 2 zukommen usß Mayland, wie das die Ytalianer ellendklich durch Mayland mitt steblin 3 ziechind, wie vor die landsknecht auß Bemondt 4 kommen seyen, und habe der markeß 5 den hauffen, so dem Frantzosen 6 zu ziechen wellen auff Bemondt, gar

16 Nozeroy (Franche-Comté), Frankreich.
1 Unbekannt.
2 Nachricht.
3 steblin: [weiße] Stäbe. Weiße Stäbe sind seit dem 15. Jahrhundert Zeichen der Kapitulanten, Zahlungsunfähigen und Verwiesenen. Sie werden getragen bei der
strafweisen Abbitte und als Zeichen freiwilligen Gnadenbittens; s. L. Carlen, in: HRG IV 1841f, s.v. Stab, und SI X, 1010.
4 Piemont.
5 Alfonso d'Avalos, Marchese del Vasto (Guasto), Statthalter von Mailand.
6 König Franz I.

gewaltiklich hinderdrungen, das er sich aller habe ergeben müssen; seyen nitt uber 2000 umkomen, gar wenig entrunnen, aber alles gefangen, die liebsten und treffelichesten leut, so der Frantzoß gehapt und die dem kaiser 7 am widerwertigesten gewesen. Es haist Frässkera, das es beschechen. 8 Zwen Ursiner 9 , item Tribultius, item ainer de Gonzais, ouch Bentivoler 10 etlich und ander treffelich leut, all aintweders gefangen oder umkomen; von dem Strotze zweyfellt man noch, ob er umkomen oder entrunnen. 11 Mann schreibt, das markeß ob 50 fennlin erobert hab.

Hab ich euch nitt unangezögt a wellen lassen; dann man achtet, der Frantzoß werde auff disen schwären unnfal der aidgnossen wol bedörffen. Ita anceps est alea belli. 12 Dominus Christus saevissimam istam tempestatem potenti suo verbo 13 increpet!

Scripsi ad te per nostros 30. maii 14 et scire vehementer cupio, an eas literas acceperis. Nos de vestris adeo nihil audimus, ut silentium istud valde miremur, tuum vero in primis. Mitto Brunsvicensem caussam, quam lectam per commodum nuncium remittes, quamquam legisse te iam antea existimo. 15 Praeterea Herbroti 16 , Augustanorum legati, epistolam hic accipis 17 , qui de comitiis 18 plane id, quod est, breviter et dilucide scribit.

a an in unangezögt über der Zeile nachgetragen.
7 Karl V.
8 Blarer berichtet wohl von der französischen Niederlage gegen den Kaiser bei Serravalle Scrivia (Prov. Alessandria); vgl. oben Nr. 1922, Anm. 8.
9 Du Bellay berichtet, dass außer Valerio Orsini keine berühmte Persönlichkeit ums Leben kam; s. Du Bellay, Mémoires IV 235.
10 Aus den Familien Trivulzio, Gonzaga und Bentivoglio lassen sich keine Gefallenen nachweisen.
11 Piero Strozzi entkam; s. Cardauns 329.
12 Zu diesem Ausdruck vgl. u.a. Valerand de la Varanne (Varanius), De gestis Ioanne virginis France egregie bellatricis, Paris 1516, in: Johannes Ravisius Textor (Jean Tixier de Ravisy), De memorabilibus et claris mulieribus: aliquot diversorum scriptorum opera, Paris, Simon de Colines, 1521, S. 200.
13 Vgl. Ps. 65, 7 (Vulg. 64, 8); Mk4, 35-41; und HBBW XII 155, 36.
14 Siehe oben Nr. 1919.
15 Gemeint ist die oben Nr. 1906 mit Anm. 23 erwähnte Schrift.
16 Jakob Herbrot (Hörprot) (geb. 1490/95), ein gelernter Kürschner und Sohn eines nach Augsburg eingewanderten Schlesiers, arbeitete sich ehrgeizig nach oben, heiratete in eine wohlhabende Familie ein und wurde bald vermögend durch den Handel mit Luxusgütern und Bankgeschäften, die ihn in Kontakt mit den Fuggern und Fürsten wie Philipp von Hessen und Ferdinand I. brachten. Schon in den 1530er Jahren bekannte er sich zur reformatorischen Bewegung zwinglianischer Ausrichtung. Als Führer der Kaufleutestube und mit der Wahl zum Zunftmeister der Kürschner und dem damit verbundenen Eintritt in den Kleinen Rat engagierte er sich zunehmend politisch; 1545 wurde er Bürgermeister. Während diesen Jahren vertrat er auch die Stadt Augsburg bei verschiedenen Reichstagen und Religionsgesprächen. Nach der Niederlage der Protestanten im Schmalkaldischen Krieg knickten seine politsche Karriere wie auch sein geschäftlicher Erfolg ein. 1551 aber ernannte Ferdinand I. ihn zum königlichen Rat, 1552 wurde er wieder Bürgermeister und stellte sich im Fürstenaufstand auf die Seite Moritz' von Sachsen. Nach dessen Niederlage verlor Herbrot endgültig die

Dominus nostri quam primum misereatur, cui nos diligentissime commenda fratresque symmystas amanter et officiose saluta. Optimo viro Röstio 19 vestro omnia ex me bona.

16. iunii 1544.

Tuus Ambr. Bl.

Iam a Frechto 20 literas 21 accipio, qui se tibi diligentissime commendari cupit rogans, ut tibi significem se apologeticum tuum contra Cocleum 22 misisse L. Adamo Bartolomeo 23 , ducali in Neuburg ecclesiastae, qui haud dubie Cocleo miserit. Misit praeterea epistolam hanc, quam hic vides Schwenckfeldianam; 24 eam mitto etiam non a me lectam, ut tu Vadiano nostro reddendum 25 cures.

[Adresse auf der Rückseite:] Eximia pietate doctrinaque viro d. Heinricho Bullingero, Tiguricensis ecclesiae optimo antistiti, observando suo et charissimo fratri. Zürich.

Unterstützung der Bürgerschaft. Schon länger aufgrund seines rasanten gesellschaftlichen Aufstieges und seiner Finanz- und Politikgeschäfte in zahlreichen Verleumdungsschriften und Spottliedern angeklagt, siedelte er schließlich 1553 nach Lauingen an der Donau über und übertrug seine Geschäfte den Söhnen, die das Unternehmen in den Bankrott führten. Herbrot starb 1564 in der Schuldhaft in Neuburg an der Donau. 1546 sandte er einen Brief an Bullinger. -Lit.: Mark Häberlein, Jakob Herbrot 1490/95-1564. Großkaufmann und Stadtpolitiker, in: Lebensbilder aus dem bayerischen Schwaben, hg. v. Wolfgang Haben, Bd. 15, 1997, S. 69-111; Augsburger Eliten 265-269; Friedrich Blendinger, in: NDB VIII 588; G. Mezger, in: ADB XII 45-48.
17 Nicht erhalten.
18 Der Reichstag von Speyer.
19 Diethelm Röist.
20 Martin Frecht.
21 Siehe Blarer BW II 265-267, Nr. 1094.
22 Bullinger hatte im März ein Exemplar seiner Schrift gegen Johannes Cochläus (s. oben Nr. 1839, Anm. 3) über Blarer an Frecht gesandt; s. oben Nr. 1869, 1-5.
23 Zu Adam Bartholomäus s. oben Nr. 1912, Anm. 17.
24 Gemeint ist eventuell Schwenckfelds Brief an den Täufer Michael Sporer vom 21. Februar 1544 (CSch VIII 863-868, Nr. 434), von dem eine Abschrift in Zürich liegt (Zürich StA, E II 337a, 356r.-359v.; das auf f. 360r.-v. anschließende Exzerpt entspricht CSch VIII 185, 37-186, 24). Zu denken wäre auch an Schwenckfelds Brief an Katharina Schütz-Zell vom 23. April 1544 (CSch IX 34-76), in dem der Schreiber seine zu diesem Zeitpunkt noch unveröffentlichte Reaktion (CSch IX 76-84) auf Luthers Verurteilung vom 6. Dezember 1543 (s. oben Nr. 1905) überarbeitet hatte.
25 Nicht in Vadian BW nachweisbar.