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[1735]

Martin Mötteli an
Bullinger
Weinfelden,
30. März 1543

Autograph: Zürich StA, E II 338, 1390r.-v. (Siegelspur) Ungedruckt

Wendet sich erneut an Bullinger, nachdem er ihn bereits einmal mit der Bitte um Rat aufgesucht hat. Joachim Mötteli erklärte sich in Baden gegenüber einer Delegation [der Reformierten in Weinfelden]außerstande, sie bereits auf Ostern mit einem neuen Prädikanten zu versehen; nachdem sie sich mit ihrer Klage an den [Thurgauer]Landvogt [Melchior Heinrich] gewandt hatten, verlangte dieser von Martin Mötteli, vorübergehend nochmals dort zu amten, allerdings in gänzlich ungesicherter Stellung. In einem Gespräch mit Ludwig[?] von Ulm erweckte Joachim Mötteli den Eindruck, weiter nach einem Vorwand zu suchen, um Martin Mötteli anklagen zu können. Dieser bittet deshalb um Vermittlung einer neuen Anstellung; er ist entschlossen, Weinfelden zu verlassen, und hat zur Genüge bewiesen, dass er dies nicht leichtfertig tut. Schreibt auch an Bürgermeister [Johannes] Haab. Grüße.

Gratiam et pacem per Iesum Christum. Amen.

Allerliebster herr unnd bruder, als ich dann kurtz hie vor by uch xin 1 und mins anligens (wie ouch vor zum dickeren mal 2 ) by uch radt gesucht, so bitten ich uch abermals trungenlich 3 , wellind nit zürnen, das ich uch unrüwig mach; dann ich mich alles guts, als ich dann das vorher vil mal thättlich 4 erfaren hab, gentzlich zu uch versich 5 .

Uff herr burgermeister Habs 6 , m[ines] g[nädigen] h[erren], veranlassen und radt sind unser botten 7 zu Baden, mit gunst landtvogts 8 , gewesen, aber

g Vielleicht als Henricho zu lesen.
11 Theodor Bibliander.
1 gewesen bin.
2 mehrmals davor (vgl. HBBW VI, Nr. 709 und 736; HBBW VII, Nr. 1013).
3 dringend.
4 durch Taten.
5 von euch erwarte.
6 Johannes Haab.
7 Nicht namentlich bekannt.
8 Landvogt im Thurgau war zu diesem Zeitpunkt Melchior Heinrich von Zug; s. EA IV/1d 1101.

by junckher Jochim Möttilin 9 gar nichts erlangen mögen, dann so vil landtvogts gegangne urtel vermög; 10 well sy 11 , so bald er mög 12 , mit einem andren predicanten versehen, sy aber sich der zyt und osterfästs 13 gehept 14 (dann ich nit mer uff Jochims klag und gegangne urtel uß etlicher brüder radt hab predigen wellen 15 ), das sy sölich zit onversehen syen. Daruff hat Jochim gsagt, er könne nit einen ab dem zun brechen 16 , er well aber von stunden an lugen 17 , welches dann die botten ouch gegen m[inen] h[errn]landtvogt clagt hand, er well und hab in 18 den predicanten vertriben und gäb inen die heilige zit keinen andren. Uff sölich der landtvogt mit Jochim geredt, das mir daruff landtvogt bieten lassen an zechen guldy, 19 das ich die von Winfelden versech biß uff witeren bescheid. Acht ich villicht, 20 biß j[unckher] Jochim einen andren find. Was min herr burgermeister Hab sampt etlichen andren minr herren uff verhör dar thons 21 abscheiden, urtelen und briefen unseren botten geradten hab, kan uch her burgermeister wol bescheiden 22 . Jedoch nach dem ich die botten verstanden, so haben sy keinen trost 23 funden, mich zubehalten, sonder j. Jochimen sin lehen, wemm er well, verlihen lassen müssen.

Uff sölichs hab ich unseren gerichts herren junckher Ludwig von Ulm 24 , der ouch unsers gloubens ist, der sach radts gefragt. Der sagt mir, als er in der karrwochen by Jochim Möttilin xin, hab er vil von der gmeind und minthalben mit im bittlich gehandlet, aber nüt erlangen mögen, dann das er in gfragt miner predig halb, ob ich uffrürisch wider zins und zechenden oder oberkeit predigte; da hab er mich gentzlich verantwurt 25 . Uff das Jochim gsagt: "Nun, wenn wir witer zemen komen, wend 26 wir witer dar von reden."

9 Joachim Mötteli vom Rappenstein, Vogtherr zu Pfyn und Kollator der Pfarrei Weinfelden, hielt sich anlässlich einer Tagsatzung mit weiteren Thurgauer Gerichtsherren in Baden auf (s. EA IV/1d 230); im Abschied vom 12. März (ebd., S. 225-234, Nr. 119) ist vom Konflikt um die Prädikatur in Weinfelden allerdings nicht die Rede.
10 als was das ergangene Urteil des Landvogts beinhalte. —Gemeint ist vermutlich der Urteilsbrief des Landvogts vom 9. Januar 1543 (Zürich StA, C III 27, Nr. 580).
11 er wolle die Evangelischen in Weinfelden.
12 könne.
13 Ostern fiel in diesem Jahr auf den 25. März.
14 sie aber waren unzufrieden wegen der (bevorstehenden) Osterzeit.
15 Vermutlich infolge des in HBBW XII, S. 40, 2-11 erwähnten Konflikts.
16 im Sinne von: aus dem Hut zaubern.
17 sich sofort darum kümmern.
18 ihnen.
19 unter Androhung einer Buße von zehn Gulden befohlen hat.
20 Ich vermute.
21 nach Anhörung des Vorgebrachten.
22 genau berichten.
23 Hilfe, Ausweg.
24 Ein Ludwig von Ulm ließ sich nicht nachweisen. Gemeint ist vermutlich Heinrich von Ulm, der evangelische Gerichtsherr zu Grießenberg, ein Bruder von Joachim Möttelis Ehefrau Petronella, der an der Badener Tagsatzung gemeinsam mit diesem aufgetreten war (vgl. oben Anm. 9); s. Carl Keller-Escher, Promptuarium genealogicum, Bd. VII (Zürich ZB, Ms Z II 6a), S. 157.
25 gerechtfertigt.
26 wollen.

Acht ich, ob er etwan glimpff finden, 27 das er mich verclagen möcht und sich der handlung beschönen 28

Deßhalb, fruntlicher herr und bruder, thund das best, wie ir mich allweg ||1390v. getröst hand, 29 unnd helffend mir etwan under 30 unnd lassend mich das selb uffs lengst in viertzechen tagen by eignern botten uff minen kosten wissen, dann es wil nit beit haben; 31 ich müst villicht, durch gebott gedrungen 32 , ilends rumen 33 . Dem welt ich gern vor sin, so ich wißte wo hin. Dann ich gentzlich gesinnet bin, mich uß disem notstall 34 ein mal zu entledigen. Unnd ob ich by uch nit blatz gehaben 35 , das ich doch nit hoff, wird ich mich uffs beldest anderschwo umbsehen, gott geb. war 36 ich komm. Dann die wil dem man 37 so vil zu glassen wirt, wil ich mit im onverworren sin 38 (ir verstond mich wol). Er ließ villicht nit nach, biß er mich in schand und schaden brecht. Min dienst (hoff ich) sy nit nun 39 an die von Winfelden gebunden. Ich hoff, gut brüder mögind wol erkennen, das ich redlicher wiß da scheiden mög; dann ich irenthalb grosse gfar gnug bestanden hab in minem ampt. Deßhalb ich einmal wird scheiden. Ir allein hand mich jetzt zwey jar da behalten, das mir wol umb ein grosse summ schadet; nit das ich es uch uffleg 40 , sonder das ir sehind, wie mit grossem schaden und gfar ich ouch guten brüderen folgen mög. Dann der herr ist rych gnug, mir min dargleits 41 zu erhalten zu besserem nutz, der mich ouch noch bißher erhalten. Doch wil ich gott nit versuchen, so mir billicheit mit recht 42 vor der welt abgestrickt 43 ist, wie wol ich mich allenthalb vor gott gentzlich onschuldig weiß, als ich ouch gedenck by üch und vilen brüderen gentzlich entschuldiget sin. 44

Ich hab burgermeister Hab ouch zsach zum kurtzsten geschriben; 45 lassen 46 im den brieff zu kommen. Lond 47 uch mich befolhen sin wie vor allweg. Ich meins gut mit dem evangelio. Gott machs nach siner fursehung.

Sind gott allzit trulich befolhen. Grüssend mir uwer lieb huß frowen 48 und all gut herren und brüder, in sonders Theodorum 49 .

27 im Sinne von: um eine Handhabe zu finden.
28 die Handlung in ein besseres Licht stellen, rechtfertigen.
29 wie ihr mir immer versprochen habt.
30 irgendwo unterzukommen.
31 es duldet keinen Aufschub.
32 gezwungen.
33 das Feld räumen.
34 bedrängte Lage.
35 Platz finde.
36 wohin.
37 Joachim Mötteli.
38 keinen Streit mit ihm haben.
39 nur.
40 vorwerfen würde.
41 was ich daran gesetzt habe.
42 Gerechtigkeit durch Rechtsspruch.
43 verwehrt.
44 Bullinger scheint Martin Mötteli zum Ausharren bewegt zu haben; er versah Weinfelden bis 1571 (s. Hermann Lei, Evangelisch Weinfelden. Ein Blick zurück, Weinfelden 1979, S. 38 und 185).
45 Der Brief scheint nicht erhalten zu sein.
46 lasst.
47 Lasst.
48 Anna, geb. Adlischwyler.
49 Theodor Bibliander.

Datum Winfelden, uff 30. tag mertzens im 43. jar.

Martinus Möttilin zu

Winfelden des worts diener.

[Adresse auf f. 1390a v.:] Demm frommen, eerwirdigen, wolglerten Meister Heinrychen Bullinger zu Zurich, sinem sonders gunstigen herren, zu handen.