Projektseite Bullinger - Briefwechsel © Heinrich Bullinger-Stiftung
Textbreite
Schriftgröße
Kapitel 

[1662]

Oswald Myconius an
Bullinger
Basel,
17. September 1542

Autograph a : Zürich StA, E II 343a, 248r.-v. (Siegel) Ungedruckt

Hat sich in Gesprächen mit [Bonifacius]Amerbach, Wolfgang Wissenburg] und Berus [Oswald Bär]ohne Erfolg um Unterstützung für [italienische Glaubensflüchtlinge] bemüht. Während er dies schrieb, kam Amerbach und kurz darauf auch [Johann]Bebel mit [Peter]Martyr [Vermigli] und [Paulus Lacisius] zu ihm; im Anschluss an das Gespräch wurden die Italiener vorläufig im Augustinerkolleg untergebracht. Ein Ungenannter hat sich verwundert gezeigt, dass sich [der Basler Rat]nicht scheut, mit seiner Haltung zur Koranausgabe in Gegensatz zu Luther und Philipp [Melanchthon] zu treten; Myconius ist mit [Juan Luis] Vives der Meinung, dass sich der Koran durch seine inneren Widersprüche selbst entlarvt und deshalb - so wie früher schon die päpstlichen Dekrete - ans Licht gebracht werden sollte, damit in Österreich und anderswo die Rechtsordnung und Religion der Türken nicht länger verharmlost werden kann. Die Geschichte [von der Schandtat] des Bischofs von Konstanz [Johann von Weeze] sollte veröffentlicht werden; dies meint auch [Ludwig] von Reischach, der sich angesichts der von Vadian mitgeteilten Nachricht hoffnungsvoll über die Unterstützung des Kampfs gegen die Tataren durch den Hochmeister [Albrecht von Preußen] äußerte. [Sultan Suleiman I.] soll König [Franz I.] im Falle der Heilung seines Sohns durch [französische]Arzte den Übertritt zum Christentum und die Unterwerfung des Kaisers [Karl V.] versprochen haben. Ein aus Paris kommender Walliser Student erzählte von der Ankunft türkischer Galeeren in Frankreich. Gerüchte über den Verrat in Venedig waren schon zu hören, bevor die italienischen [Flüchtlinge]Näheres darüber berichteten. Über das kaiserliche Heer, das dem französischen König in den Niederlanden entgegentritt, liegen keine weiteren Nachrichten vor. Myconius hat sich zu Theodor [Bibliander] bekannt und hält an seiner früheren Äußerung fest; Gruß.

S. Ut gaudeo, quod Christi evangelium vires suas longe lateque diffundit, ita doleo, quod manum auxiliarem non possumus piis et dignis viris, qui persecutionem patiuntur propter nomen Christi, dum ad nos refugiunt, porrigere. Misistis doctos et bonos, uti credo, viros 1 ; sed an b queamus iis adesse

a Mit Randbemerkung von späterer Hand.
b an am Rande nachgetragen.
1 Die Rede ist von Peter Martyr Vermigli und Paulus Lacisius (s. unten Z. 140, die von Theodosius Trebellius und Julius Terentianus (Giulio Santerenziano) begleitet
wurden (vgl. Corr. des réformateurs VIII 169, Anm. 7). Die italienischen Flüchtlinge wurden am 11. September von Pellikan an Amerbach empfohlen; s. Amerbach, Korr. V 383f, Nr. 2495. Ein Empfehlungsschreiben Bullingers ist nicht erhalten.

pro dignitate, nondum scio. Laboramus quidem, at siquid simus effecturi, in dubio est. Colloquutus sum cum Amorbachio, cui Pellicanus scripsit 2 ; is, ut est humanus, placide respondit intercessurum se pro virili. Loquutus sum cum d[octore] Wolfio 3 item. "Quid faciendum", inquit, "putas? Nosti, ut eleemosyna sit gravata pauperibus." Adieci de lectione Graecanica; 4 hic tacuit. Berus 5 cui similiter , scripsit Pellicanus, 6 illos ut theologos mihi commendavit. Et nisi stimulum de novo adiecissem ego, statuerat tacere, postquam apud me egisse officium sibi persuaserat.

Hactenus dum scripsi, advenit d. Amorbachius in aedes meas nonnisi propter Italos, et dum iam pararet abitum, intrat et Bebelius 7 una cum Martyre 8

2 Vgl. die vorangehende Anm.
3 Wolfgang Wissenburg.
4 Da Paulus Lacisius als guter Gräzist bekannt war (vgl. Corr. des réformateurs VIII 170, Z. 1), wurde anscheinend daran gedacht, ihn an Oporins Stelle zu setzen. Dessen Nachfolger wurde im Dezember Johannes Hospinian; vgl. oben Nr. 1637, Anm. 14.
5 Oswald Bär (Berus, Beerus), 1482-1567, aus Brixen (Bressanone, Südtirol) oder Umgebung, ist erstmals 1507 als Apotheker in Basel nachweisbar. 1509 ging er für ein Jahr als Schulmeister nach Schlettstadt, bevor er 1512 oder 1513 in Basel zum Dr. med. promovierte. 1523 wurde er Professor für Medizin, 1528 Stadtarzt. Er amtete mehrmals als Rektor - so auch unmittelbar vor und nach der durch die Reformation bedingten Schließung der Universität -, hielt ab 1552 allerdings keine Vorlesungen mehr. -Lit.: Albrecht Burckhardt, Geschichte der medizinischen Fakultät zu Basel 1460-1900, Basel 1917, S. 36f; Felix Platter, Tagebuch (Lebensbeschreibung) 1536-1567, hg. v. Valentin Lötscher, Basel-Stuttgart 1976, S. 304, Anm. 1.
6 Ein entsprechendes Schreiben liegt nicht vor.
7 Johann Bebel.
8 Peter Martyr (eigentlich Piero Mariano) Vermigli, 1499-1562, von Florenz, erhielt seinen Ordensnamen Petrus Martyr, als er 1518 in Fiesole Augustiner-Chorherr wurde. Danach studierte er in Padua, wo er unter anderem gründliche Kenntnisse der Kirchenväter erwarb. Nach der Priesterweihe 1525 wurde er wohl 1526 zum Doktor
promoviert. Er wirkte zunächst in verschiedenen Klöstern seines Ordens und lebte 1530-1533 in Bologna, wo er Hebräisch lernte. Als Abt in Spoleto entfaltete er eine rege Reformtätigkeit innerhalb des Ordens, die er ab 1537 in Neapel fortsetzte. Hier stand er dem Kreis der "Spirituali" um Juan de Valdés nahe, entwickelte aber eine selbständige reformatorische Überzeugung. Nachdem er 1541 Prior des Klosters San Frediano in Lucca geworden war, wandelte er dieses zu einem humanistisch geprägten Lehrinstitut um. Unter dem Druck der Inquisition floh er 1542 über Zürich und Basel nach Straßburg und wurde dort Professor für Altes Testament. Auf Einladung Cranmers reiste er 1547 nach England, wo er ab 1548 als "regius professor" am Corpus Christi College in Oxford eine einflussreiche Stellung einnahm. Die Thronbesteigung Marias zwang ihn 1553 zur Rückkehr nach Straßburg, doch hier hatte sich die konfessionelle Lage inzwischen verändert. So folgte er 1556 dem Ruf als Nachfolger Pellikans an die Hohe Schule in Zürich, wo er in enger Verbindung mit Bullinger seine theologisch besonders fruchtbaren letzten Lebensjahre verbrachte. Im Auftrag Zürichs nahm er 1561 am Religionsgespräch in Poissy teil, doch kehrte er krank zurück und starb im folgenden Jahr. Er hinterließ zahlreiche bedeutende Werke, die für Generationen reformierter Theologen grundlegend blieben, insbesondere mehrere Kommentare zu biblischen Büchern und die erst postum zusammengestellten und 1576 erstmals erschienenen "Loci communes". Von seiner engen Beziehung zu

et socio 9 eius. Colloquio habito ducebamus illos in coenobium Augustinianorum, ut habitationem et victum disponeremus, 10 ne in hospitio cogerentur tantas impensas ferre, in singulos videlicet dies libram Basiliensem, usque dum omnia possemus ordinäre felicius aut scire non esse, unde subveniretur. Nos interim a diligentia debita nihil adimemus.

De Alcorano scribit quidam 11 ad me: "Cum tui Luthero et Philippo 12 nonnihil deferant, miror non veritos, ne illi consilii sui de aeditione Alcorani rationem contra ipsos defendant."13 Videbimus, quid sit futurum; nam et nos miramur personas plus valuisse quam causas verissimas. Saepe repeto, quae Vives reliquit De veritate fidei christianae libro 4. contra sectam Mahumeti. 14 "Ea sunt", inquit, "illis persuasa, quae vel sola confutentur relatione; ipsa enim semetipsam contundit et confringit, neque nos adeo cum ea pugnamus ut ipsa secum" etc. Et profecto res ita habet; tot enim sunt falsa, tot absurda, tot contraria, stulta et impia, ut satis stupere nequeam, qui fieri potuerit, ut tanta pars orbis ab eis capi potuerit. Verum quiesco, postquam occurrit contemptus veritatis evangelicae, quae quondam misericorditer illis regionibus aeque ut nobis hodie fuerat data. Accedit, quod adeo clam habuerunt infelicem Bullinger zeugen u. a. über 40 erhaltene Briefe. -Lit.: John Patrick Donnelly u. a., A Bibliography of the Works of Peter Martyr, with a Register of Vermigli's Correspondence by Marvin W. Anderson, Kirksville, Mo. 1990. -Sixteenth Century Essays and Studies 13; The Peter Martyr Library, hg. v. John Patrick Donnelly u. a., Kirksville, Mo. 1994ff; Peter Martyr Vermigli. Humanism, Republicanism, Reformation, hg. v. Emidio Campi u. a., Genf 2002. -Travaux d'Humanisme et Renaissance 365; Christoph Strohm, in: TRE XXXIV 726-729; Peter Martyr Vermigli and the European Reformations: Semper Reformanda, hg. v. Frank A. James III, Leiden 2004. - Studies in the History of Christian Traditions 115.

9 Beim ungenannten Begleiter handelte es sich um den 1508 in Verona geborenen Augustiner-Chorherrn Paulus Lacisius (Paolo Lazise), der Vermiglis Vikar sowie Lateinlehrer an dessen Akademie in Lucca gewesen war. Im Oktober 1542 kam er mit Vermigli als Glaubensflüchtling nach Straßburg, wo er die Griechisch-Professur und eine Pfründe zu Alt-St. Peter erhielt, aber schon 1544 starb. 1546 erschien bei Oporin seine lateinische Übersetzung der "Chiliaden" von Johannes Tzetzes (VD 16
L 7723). - Lit.: Handschriftenproben des sechzehnten Jahrhunderts nach Strassburger Originalen, hg. v. Johannes Ficker und Otto Winckelmann, Bd. 2, Straßburg 1905, Tafel 82; Amerbach, Korr. V 388 und Reg.; VI, S. LIII; Philip McNair, Peter Martyr in Italy. An Anatomy of Apostasy, Oxford 1967, S. 221f und Reg; Alida Caramagno, in: DBI LXIV 176-178.
10 Die Bezahlung des einmonatigen Aufenthalts im Augustinerkolleg erfolgte aus dem Erasmusstipendium; vgl. die diesbezügliche Notiz Amerbachs vom 14. Oktober (Amerbach, Korr. V 384, Anm. 1).
11 Unbekannt.
12 Philipp Melanchthon.
13 Zur Unterstützung der Basler Koranausgabe durch Luther und Melanchthon vgl. oben Nr. 1565, Anm. 16f.
14 Das vierte Buch der Schrift "De veritate fidei christianae" von Juan Luis Vives ist der Auseinandersetzung mit dem Islam gewidmet; das folgende Zitat entstammt der "Praefatio" zu Buch 4 (Opera, Bd. 2, Basel 1555, S. 455). Das Werk erschien 1543 bei Oporin in Basel (VD 16 V 1945); ein Zitat daraus wurde auch dem zweiten Teil der Koranausgabe vorangestellt (f. *2r.-v.).

istam legem; hinc enim factum, quod et in papatu factum videmus. Quousque enim decreta papistica ad lucem evangelicam non sunt protracta, tam diu perdiderunt, quicquid adtigerunt. Sed postquam venerunt ad oculos hominum, qui visum a veritate domini receperunt, tam foeda, crudelia et impia adparuerunt, sicuti sunt. Annon eadem ratio est cum Alcorano? Sunt, qui Austriacos et alios quosdam inducere conantur magnum esse cultum iusticiae apud Turcas 15 nec tam inanem veritate religionem eorum, ut dici soleat. Quis igitur, per dominum quaeso, dicat cognitione tam stulta et impia non esse opus? At plura loquor, quam sit permissum. Desino igitur.

In hac sententia sunt multi boni viri historiam iucundam illam de episcopo Constantiensi 16 completatam in lucem emitti debere. Et profecto iucunda est, dum personam respicias longe lateque cognitam, suspectam, cultam, et in qua canonici etiam Constantienses tantam spem posuerunt, ut per eam plane consultum sibi putarint. D[omino] de Rischach 17 supra modum placet; solum hoc displicet, quod non ab omnibus scitur sive bonis sive malis. Placent item, quae a Vadiano 18 scripsisti; sperat 19 enim commendatorem magnum illum 20 ex Prussia suis etiam viribus aliquid contra Tartaros adiecisse ceu eorum hostem perpetuum.

Nova nulla sunt nisi ridiculum illud ex Parhisiis. Excusant illic, quod rex 21 ad se admiserit filium Turcae 22 ingenti cum comitatu. Nam, inquiunt, laboravit hic fistula, et dum id rex audisset, pollicitus est Turcae per medicos suos sanitatem. Misit itaque Turca filium his verbis: "Si filius meus restituetur, iuro tibi, quod protinus cum toto imperio meo christianus efficiar quodque caesarem 23 capillo prehensum tibi daturus sum c in manum, ut agas cum eo pro libitu."Ride, si placet. 248v. ||

Et illud ex Parhisiis est Vallesiano 24 , qui illic studuit, narrante: Sermonem hunc nemini Parhisiis non esse in ore triginta galaeas 25 , quas vocant, Turcarum ad littus adpulisse Gallicanum ad usum regis, ubiubi opus illis habeat. 26

c sum in der Vorlage korrigiert aus sit.
15 Zu dem in der Reformationszeit weit verbreiteten Gedanken von der Vorbildlichkeit der türkischen Staatsordnung vgl. bes. die bei Bobzin, Koran 19, Anm. 26 genannte Literatur.
16 Myconius bezieht sich wohl auf den Bericht Ambrosius Blarers über einen Skandal um den Konstanzer Bischof Johann von Weeze (s. oben Nr. 1648, 58-78). Bullinger hatte die Nachricht offenbar in einem nicht erhaltenen Brief an Myconius weitergeleitet.
17 Ludwig von Reischach.
18 Ein entsprechender Brief Vadians ist nicht erhalten.
19 Als Subjekt ist wohl zu denken: Ludwig von Reischach.
20 Herzog Albrecht von Preußen, der ehemalige Hochmeister des Deutschen Ordens.
21 König Franz I.
22 Auf welchen der Söhne Sultan Suleimans I. sich das Gerücht bezog, bleibt offen.
23 Karl V.
24 Zu denken ist vielleicht an den am 10. Oktober 1542 in Basel immatrikulierten "Joannes ad Rastardum" von Sitten; s. Basel, Matrikel II 29, Nr. 17.
25 Galeeren.
26 Vgl. zu diesem Gerücht auch oben Nr. 1657, 15f mit Anm. 9.

De proditione, quam Gallus instituit per legatos suos apud Venetos, 27 rumor hic fuit, sed incertus valde, priusquam Itali ad nos advenerint. Ubi vero hos habuimus, rem certo exposuerunt totam, sicut procul dubio et apud vos.

Nescimus de exercitu caesaris, qui contra Gallum profectus est in Germaniam Inferiorem, 28 ubi sit, quid agat, quid habeat consilii. Sero (certum hoc) intellexit caesar, quid Gallus ibi tentarit ac fecerit. Nunc novit; expectamus, quid contra sit facturus.

Vale in Christo cum tuis. Theodoro 29 semper idem sum; non possum enim discedere ab his verbis, quae hic effutivi (ita quidem) in universitatis concilio. 30 Salutabis eum diligenter meo nomine.

Basileae, 17. septembris anno 1542.

Os. Myconius

tuus.

[Adresse darunter:] Domino Heinricho Bullingero, viro optimo, fratri in domino suo.