Projektseite Bullinger - Briefwechsel © Heinrich Bullinger-Stiftung
Textbreite
Schriftgröße
Kapitel 

[1374]

Die Schulverordneten von Zürich an
Paul Constantin Phrygio und
Melchior Volmar
Zürich,
18. März 1540

Autograph Bullingers: Zürich StA, E II 346, 118r.—119r. (Siegelspur) Ungedruckt

Die Zürcher Obrigkeit hat zwei Kollegien eingerichtet, in denen arme und begabte Schüler ausgebildet werden, die später einmal, zum Wohle des Staatswesens, in Kirchen- und Schulämtern Dienst tun werden. Johannes Wolf Johann [Jakob] Wick und Johannes Haller, die Überbringer dieses Schreibens, zu denen sich später noch Rudolf Gwalther gesellen wird, werden zum Weiterstudium nach Tübingen geschickt, um in der Fremde Erfahrungen zu sammeln; es wurde ihnen aufgetragen, täglich je eine Stunde über die Heilige Schrift, über einen geeigneten griechischen Autor, Dialektik und Rhetorik zu hören, sich auch etwas in Mathematik zu üben und sich wohl zu verhalten. Bitte, sie zu unterstützen und in bezug auf Lebenswandel und Studien zu beaufsichtigen sowie ihre Stipendiengelder zu verwalten; Zürich erwartet, daß den Studenten keine Nachteile ihres Glaubens oder ihrer Herkunft wegen erwachsen, und wird an württembergischen Studenten Gegenrecht üben.

e te am Rande nachgetragen.
f vor 15. durchgestrichener, unleserlicher Wortanfang.
7 Adagia, 1, 6, 2 (LB 221f).
8 Anna, geb. Adlischwyler.
9 Siehe oben, Nr. 1344, Anm. 14.
1 Die Kommission, die sog. Verordneten
zu Schule und Lehre, setzte sich aus Vertretern von Obrigkeit und Kirche zusammen (vgl. auch unten Z. 69-71). Zur Zusammensetzung im einzelnen vgl. Johann Jakob Wirz, Historische Darstellung der Urkundlichen Verordnungen, welche die Geschichte des Kirchen- und Schulwesens in Zürich ... betreffen, Teil 1, Zürich 1793, S. 346f. 349.

Hochgelert, fromm und insonders vertruwt, lieb herren und gult fründ. Unser früntlicher grus mit erbietung aller eeren und diensten sye üch bevor.

Unser gnedig herren burgermeister und rädt der statt Zürych habend uß besonderbarem hertzen, das sy zu göttlicher evangelischer leer und zu rächten, guten künsten 2 tragend, in irer statt zwey collegia uffgericht, das ein zu dem Grossen Münster, das ander zu dem Frowenmünster, an statt der propsty und appty, so vormals Zürych gewäsen 3 , und habend daryn arme knaben, die gute ingenia habennd und biderber 4 lüten kind sind, genommen, des willens, sy da in zimligkeit 5 , zucht und eeren zur leer und zu guten künsten uffziehen, damitt sy mitt der zyt zu den predicaturen, lecturen, schulen und kylchenämpternn in iro statt und landtschafft berüfft und geordnet, die eer gottes fürderint, die christlich leer trüwlich fürrind 6 und erhaltind und der kylchen gottes rächt und trüwlich mitt gsunder leer und gutem exempel vorstandint, damitt unser statt und land in wolstand 7 , gottsforcht und in der huld gottes beston möge etc.

So sind nun zöügere 8 dises brieffs, Joannes Wolff, Joannes Wick und Joannes Haller 9 , zu welchen ouch (alls wir achtend 10 ) uß Safoy 11 Rodolff

2 Wissenschaft.
3 Über die beiden Lateinschulen am Großmünster und am Fraumünster vgl. Ulrich Ernst, Geschichte des Zürcherischen Schulwesens bis gegen das Ende des sechzehnten Jahrhunderts, Winterthur 1879, S. 60-72 und 99-102.
4 rechtschaffener.
5 Schicklichkeit.
6 verkünden würden.
7 Wohlergehen.
8 Überbringer.
9 Johannes Haller d. J. wurde 1523 in Amsoldingen (Kt. Bern) geboren. Sein Vater, der aus Wil (Kt. St. Gallen) stammende Pfarrer Johannes Haller d. A., kam 1525 als Anhänger der Reformation nach Zürich; er fiel 1531 mit Zwingli bei Kappel. Der Sohn erhielt seine erste Ausbildung in Zürich und studierte anschließend in Tübingen, Marburg und Leipzig, reiste aber auch in die Niederlande und nach Wittenberg. 1542 wurde er Pfarrer in Hirzel, 1543 in Illnau (beide Kt. Zürich); 1545-1547 predigte er in Augsburg. Für kurze Zeit stand er Bullinger als Erster Archidiakon am Großmünster zur Seite, doch 1548 wurde er nach Bern berufen. Hier erhielt er 1550 das Bürgerrecht und stieg schon 1552 zum obersten
Dekan auf. Dem umsichtigen, klar zwinglianisch ausgerichteten Leiter der Berner Kirche gelang es, die Verhältnisse nach den jahrelangen Kämpfen zwischen zwinglischer und bucerischer Richtung zu beruhigen. In den Konflikten Berns mit dem Calvinismus bemühte er sich um Mäßigung, ohne sich von der Haltung des Rates abzusetzen; gegen Täufer und Antitrinitarier ging er mit Härte vor. 1555/56 führte er in der Landschaft Saanen die Reformation durch. Er verfaßte u. a. ein lateinisches Tagebuch und eine deutsche Chronik, übersetzte Bullingers Dekaden ins Deutsche (1558) und ist quantitativ dessen bedeutendster Korrespondent (ca. 660 seiner Briefe an Bullinger und über 60 von Bullinger an Haller sind erhalten). — Lit.: Eduard Bähler, Dekan Johann Haller und die Berner Kirche von 1548-1575, in: Neues Berner Taschenbuch 28, 1923, S. 1-52; 29, 1924, S. 1-65; 30, 1925, S. 1-58; 31, 1926, S. 1-61; HBLS IV 58f; Pfarrerbuch 318; Feller-Bonjour I 177f; Kurt Guggisberg, in: NDB VII 549; BBKL II 493f; Marc van Wijnkoop Lüthi, in: RGG 4 III 1396.
10 wie wir annehmen.
11 aus dem ehemals savoyischen Lausanne.

Gwalthart kummen sol uß der mal der jünglingen, so an obgenampten beiden gestifften erhallten werdent 13 . Dise habend wir zü üch gen Dübingen abgefertiget, by üch zü studieren und gute sitten, zucht und eer zu lernen, ouch die frömbde zu erckonnen'4 und also das wandlen anzuheben 15 . Sy habend güte anfang in latina und graeca lingua. Noch denocht hat unser herren für gilt angesähen 16 , sy an die frömbde zu schicken, uff das sy ouch geüpt, gebrucht 17 und erfaaren werdint. So hat man inen befelch gaben, des tags' ein stund sacras litteras zu hören, ein stund ettwan ein komlichen 18 grçcum authorem, den man läse, und ein stund in dialecticis, rhetoricis et ratione dicendi. Näbendzil söllend sy ouch IIhI8v versuchen die mathemata und sich in all wag 19 gottsförchticklich, frommcklich, züchtig und unergerlich, ouch underdienstig 20 hallten.

Dise aber habend wir üwer eerwürde insonders zugeschickt uß besonderem güten vertruwenn, das unser herren und wir zu üch habend, und unß güter hoffnung zu üch vertröstend 21 , ir werdint umb gottes, umb der kylchen und umb unser herren willen sy in üwere vätterliche sorg und trüwen schirm uffnemmen, sy alls die üwern und üch in gütern vertrüwten leeren, züchtigen, straaffen, inen beholffen und beradten sin, und ob sy wöltend fräch (das wir doch inen nitt truwend 22 ) und ungehorsamm sin oder thün, das sich nitt gezimpte, uns zu schriben und by zyt und mitt trüwen 23 anzeigen; dann die knaben (wie ouch vorgemeldet ist 24 ) armm sind und von inen selbs wenig oder gar nüt habend, sind aber sunst frommer eerenlüten kind und burger. Und gäbend yedem unser herren des jars nitt mee dann 34 g[ulden]; dero bringend sy jetzund den halben teyl mitt inen, 17 g.; die söllend sy hinder üch zu behallten legen 25 , und wenn inen gällt nodt ist, by üch reichen 26 . Wir bittend ouch trungenlich 27 , ir wöllinds von inen empfahen und üch der müyg beladen und inen von dem b gällt gäben, das sy hinder üch geleit habend, wenn sy anzeigend warumb. Demnach sähend ir wol, das sy hieruß nitt mögend ein rychen und kostlichen tisch kouffen, sunder ein zimlichen zu

a des tags am Rande nachgetragen.
b von dem am Rande nachgetragen.
12 Auf Fürsprache von Myconius wurde Gwalther, der vorerst nach Basel zurückgekehrt war, im Mai statt nach Tübingen nach Marburg geschickt (vgl. unten Nr. 1377, 11-17, und Nr. 1391), wohin Mitte September auch Wolf, Wick und Haller übersiedelten; vgl. Senn, Wick 11-15.
13 Wolf und Wick waren Stipendiaten am Fraumünster (vgl. Zürich StA, E I14. 1, Nr. 1, S. 12), Haller und Gwalther am Großmünster (Studentenamt)(vgl. Zürich ZB, Ms Car C 44, 919f.
14 kennenzulernen.
15 und damit die Studienreise anzutreten.
16 befunden.
17 ertüchtigt.
18 geeigneten.
19 stets.
20 dienstbar.
21 auf euch verlassen.
22 zutrauen.
23 zuverlässig.
24 Vgl. oben Z. 7f.
25 bei euch hinterlegen.
26 von euch verlangen.
27 nachdrücklich.

der notturfft 28 ; dann über die 34 g. wirt man inen ze jar nitt mee gäben, diewyl unser herren sunst noch mitt vil anderen jünglingen grossen kosten habend und disen gäben müssend, das sy die andern ouch erhallten mögind. Da so ist nun unser trungenlich, früntlich pitt, ir wöllind verhälffen, das sy ettwan 29 by ||119r. frommen, eeren, biderben lüten underkummen mögind, die sy unverscheidenlich 30 und c mitteinandren zu herberg und in zymliche spys annämind und inen das best thügind, diewyl sy by üch zu Dübingen sin werdint. Wyter bittend wir, ir wöllind uff sy getrüwlich sähen, wie sy studierind und sich haltind, nitt minder, dann ob sy üwer werend; dann wo wir das vertruwenn zu üch nitt gehept, hättend wir sy nitt gen Dübingen geschickt. Wiewol uns gar nitt zwyffiet, inen werde ghein schmach oder widerdrieß 31 des gloubens oder lands halben under unsers gnedigen fürsten und herren 32 von Wirtembergs herrligkeit 33 widerfaren; dann so yemandts ouch von üch zu uns käme, müste imm, ob gott wil, alle eer und gus ouch erzeigt und bewisen werden. Ir söllend üch ouch zu unsern herren und uns versähen 34 . Wo wir üch ouch gedienen und willfaren könnend, wöllend wir nitt sparen und embietend 35 uns, üwere dienst zu verdienen. Gott bewar üch trüwlich.

Datum Zürych, 18. martii anno etc. 1540.

Beschlossen mitt des ersammen etc. meister Jörg Müttern, obristen zunfftmeisters d36 und verordneten e über das collegium zum Frowenmünster, insigel in unser aller namen.

Die verordneten von rädten, predicanten,

gelerten und pflägernn über die

collegia der statt Zürych.

[Adresse auf der Rückseite:] Den hochgelerten, erwürdigen und wysen doctorn Paulo Phrygion und d. Melchiorn Volmarenn, läsern zu Dübingen, iren fürgeliepten, günstigen herrenn.

c unverscheidenlich und am Rande nachgetragen.
d in der Vorlage zunffmeisters.
e in der Vorlage verodneten.
28 einen nur bescheidenen Bedürfnissen angemessenen.
29 irgendwo.
30 gemeinsam.
31 Nachteil.
32 Ulrich, Herzog von Württemberg.
33 Herrschaft, Hoheitsgebiet.
34 Ihr dürft dies auch von unserer Obrigkeit und von uns erwarten.
35 anerbieten.
36 Georg (Jörg) Müller war sicher seit 1538 (wahrscheinlich schon seit 1534) Obristmeister; vgl. René Hauswirth, Die Zürcher Obristmeister (Oberstzunftmeister) 1518-1547, in: Zwa XII/8, 1967, S. 596-602, hier: 598f und 602.