Märchen aus Frankreich den Niederlanden und der Schweiz
Märchen europäischer Völker
Jochen Ohnefurcht
Auf der Burg Rocquenvel, eine gute Meile von Aurillac entfernt, lebte einst der edle Herr von Rocquenvel. Der Burgherr war auf seinen mächtigen Bergfried, der allen Anstürmen trotzte, nicht wenig stolz; aber auf seinen Obstgarten war er sicher noch sehr viel stolzer.
Oh, was für ein Garten! Darin sah man kräftige Birnbäume, strotzend von saftigen Birnen; und prächtige Calviläpfel. und Pflaumenbäume, deren Früchte in der Augustsonne leuchteten, als seien sie aus purem Gold; und Pfirsichbäume, die strahlende, saftige, samtartige Früchte trugen, daß einem schon beim bloßen Anschauen das Wasser im Munde zusammenlief. Ach ja, ich versichere euch, von allen berühmten Obstgärten war dieser wahrhaftig einer der fabelhaftesten . . . Der edle Herr von Rocquenvel liebte es, darin seine Freunde und seine Gäste ehrenvoll zu empfangen.
Nun geschah es eines Tages, daß er, als er gerade einen seiner guten Nachbarn hinausbegleitet hatte, mit sehr sorgenvoller Miene in den großen unteren Saal der Burg zurückkehrte und seine Söhne zu sich rief, drei schöne Burschen im Alter von zweiundzwanzig, zwanzig und achtzehn Jahren.
»Meine lieben Söhne«, sprach er zu ihnen, »ich bin sehr bekümmert. Als ich soeben unseren Nachbarn meinen Obstgarten anschauen ließ, habe ich festgestellt, daß mehrere der schönsten Früchte unserer Birnund Pfirsichbäume verschwunden sind. Gestern sind sie noch dagewesen. Jetzt nicht mehr. Jeder Zweifel ist ausgeschlossen. Ein dreister Missetäter muß heimlich bei Nacht über die Mauer steigen und in unseren Obstgarten eindringen. Er stiehlt uns unser bestes Obst. Es gilt ihn zu entdecken. Du, Peter, bist der Älteste, dir vertraue ich diese Sorge an. Du wirst dich heute nacht hinter der dicken Eiche am Eingang des Gartens aufstellen, und sobald du den Dieb bemerkst, wirst du ihn ergreifen. Nimm diesen Knüttel mit, um ihn in rechter Weise zu gebrauchen, falls der Schurke dich angreifen sollte. Aber sieh dich ja vor und achte darauf, daß du ihn nicht tötest; denn unser Oberlehnsherr, der Graf von Auvergne, hat allen seinen Vasallen untersagt, sich selbst Recht zu verschaffen. Falls du einen Mann umbringst, droht dir selbst Gericht und Tod.«
Peter nahm den Knüttel. Er schien von der Aufgabe, die sein Vater ihm da übertrug, nicht gerade entzückt zu sein. Es läßt sich nicht verheimlichen, der älteste der Söhne des edlen Herrn Rocquenvel glänzte durchaus nicht durch einen unbezähmbaren Mut.
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Um sich Mut einzuflößen, trug er außer dem Knüttel eine gute Flasche blaßroten Bourbonen-Wein und ein reichliches Stück Ochsenbraten mit sich.
Gegen elf Uhr nachts, da ihn die Langeweile plagte, fing er an zu essen und zu trinken. Nun geschah, was ihr schon erratet. Der Wein und das reichliche Essen machten ihm die Augen schwer. Er streckte sich in seiner ganzen Länge zu Füßen der Eiche aus, und wenige Augenblicke später schlief er mit geschlossenen Fäusten und schnarchte kräftig wie ein verstopfter Kamin.
Der Dieb sprang über die Mauer, ließ sich an einem Ast in den Obstgarten hinuntergleiten und entwendete in jener Nacht sämtliche »Guten Luisen«, die besten Birnen des Burgherrn von Rocquenvel. Am folgenden Morgen kam der älteste Sohn ziemlich verlegen zu seinem Vater und berichtete sein Mißgeschick. Der Vater zeigte seine Unzufriedenheit sehr deutlich, nannte ihn einen Einfaltpinsel, einen Ansthasen, drohte, ihm eine Tracht Prügel zu verabreichen, und ließ schließlich den zweiten seiner Söhne zu sich rufen.
»Dein Bruder hat eine schöne Gelegenheit, unsere Diebe zu erwischen, verpaßt. Inzwischen aber sind unsere >Guten Luisen< verschwunden. Die Spitzbuben sind auf den Geschmack gekommen. Sie werden bestimmt wiederkommen; denn die Nächte sind schön, und wir haben gerade Vollmond. Ich rechne auf dich, daß es dir besser gelingen wird als deinem älteren Bruder. Hier hast du deinen Knüttel! Nun gib dir Mühe!«
Der zweite Sohn war nicht so ängstlich wie der älteste. Aber er war ganz entsetzlich zerstreut. Träumerisch und leichtfertig dachte er nur daran, in den schönen Handschriften zu lesen, die die Bücherei seines Vaters aufbewahrte, oder aber in den höchsten Raum des Schloßturms hinaufzusteigen, um die Sterne zu betrachten. Er nahm den Auftrag, den ihm sein Vater erteilte, gern an.
>Eine Nacht unter freiem Himmel<, sagte er sich, >das ist nicht unangenehm. Ich werde in aller Ruhe den Himmel erforschen können und neue Sterne entdecken. Und falls darüber der Dieb kommt, wird es mir sicher nicht schwerfallen, ihm eine kräftige Tracht Prügel zu versetzen.<
Als die Nacht gekommen war, ließ er sich bequem am Eingang des Obstgartens nieder, begann den Himmel zu betrachten und verfiel in eine so tiefe Träumerei, daß er schon vor Mitternacht in tiefem Schlafe lag.
Früh am andern Morgen eilte der edle Herr von Rocquenvel herbei.
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Er mußte seinen Sohn schütteln und rütteln, um ihn wachzubekommen. »So also, törichter Träumer, hast du gewacht! Wohlan, sieh das Ergebnis: die Diebe sind zurückgekommen, und von unseren Calviläpfeln haben sie nichts mehr übriggelassen. Sie haben nur die Mühe gehabt, sie in einen Sack zu stecken und sie sich auf den Rücken zu laden. Das ist wahrhaftig zu stark, und ich weiß nicht, was mich noch zurückhält, dich ganz gehörig durchzuprügeln.«
»Mein Sohn«, fügte er hinzu und wandte sich zu dem dritten seiner Kinder, »ich hoffe, daß du dich etwas besser bewähren wirst als deine älteren Brüder. Hier ist der Knüttel, ich zähle darauf, daß du diesen Schurken erwischen wirst, der meinen schönen Obstgarten derart plündert!«
Der dritte der Söhne des edlen Herrn von Rocquenvel hieß Jochen und hatte ein entschlossenes Wesen. Er nahm den Knüttel und antwortete ganz schlicht:
»Mein Vater, seid ohne Sorge! Hat man mir in der Nachbarschaft nicht den Beinamen >Jochen Ohnefurcht<gegeben? Die Räuber und Diebe sollen sich rasch davon überzeugen.«
Vom frühen Abend an stand er Wache unter einem Lindenbaum. Er machte sich klein und rührte sich geradesowenig wie ein totes Blatt. Eine Stunde - zwei Stunden - drei Stunden vergingen -Jochen sah nichts kommen. Er fing an, sich zu langweilen, zu gähnen und sogar ein wenig schläfrig zu werden, als er plötzlich einen Hagel von Äpfeln hörte, die auf den Boden herunterprasselten.
»Dieses Mal«, sagte er sich, »schnappe ich ihn!« —denn gerade in diesem Augenblick stieg der Dieb vom Baum und begann die Äpfel auf zusammein.
Jochen schlich auf Zehenspitzen vorwärts, umspannte seinen Knüttel und versetzte damit dem Dieb einen heftigen Schlag direkt auf den Kopf. Der Dieb brach auf der Stelle tot zusammen, ohne auch nur einen Seufzer auszustoßen.
»Unglückseliges Kind!«rief sein Vater am folgenden Morgen aus, »du hast einen Menschen umgebracht! Mein armer Kleiner, du mußt fliehen. Du kannst nicht länger im Schloß von Rocquenvel bleiben, sonst wirst du festgenommen und abgeurteilt. Brich also eilig auf! Ich bedaure es, denn du warst der mutigste und kühnste meiner Söhne. Geh, zieh in die Welt! Ich hoffe nur, daß dir kein Unglück geschieht. Aber bevor du fortgehst, nimm hier diesen Sack! Er ist zauberkräftig, heißt es (denn ich selber habe nie die Gelegenheit gehabt, ihn zu benützen). Dein Urgroßvater hat ihn mir vermacht. Wenn dir auf deinem Wege
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ein Hindernis begegnet, ein Ding oder ein Mensch, wodurch du belästigt oder behindert wirst, kannst du es da hineinzaubern und bist davon befreit. Leb wohl, mein Sohn, die Zeit und dein Mut werden, so hoffe ich, deine Angelegenheiten schließlich in Ordnung bringen!« »Fürchtet nichts, mein Vater; Ihr wißt doch, daß man mir den Beinamen >Jochen Ohnefurcht<gegeben hat!«Der junge Jochen machte sich auf den Weg, den Sack nachlässig über die Schulter geworfen.
Er wanderte lange, sehr lange Zeit. Bei Einbruch der Nacht, am Abend seines ersten Reisetages, drang er in einen dichten Wald ein. Rechtschaffen müde, ließ er sich am Fuße einer dichtbelaubten Eiche nieder und zündete ein Reisigfeuer an, um sich zu wärmen und zugleich die Tiere fernzuhalten. Er aß mit gutem Appetit die Vorräte, die sein Vater ihm mitgegeben hatte, und streckte sich dann auf das Moos, um einzuschlafen. Er schlief noch nicht sehr lange, als er in dem Baum Lärm hörte:
>Nanu<, sagte er sich, >das ist doch nicht schon wieder ein Dieb. Wer kommt denn da und stört mich?<
Ein Dieb war es nicht; es war ein ganz in Weiß gekleideter Mann, dessen Augen wie Feuer funkelten. Jochen richtete sich auf. Furcht kannte er nicht, aber er war äußerst überrascht und neugierig gemacht.
Der Mann purzelte von Ast zu Ast herunter, setzte den Fuß an die Erde und näherte sich dem von Jochen angezündeten Feuer, wie um sich zu warmen.
»Holla, mein Herr, wer seid Ihr denn, und was macht Ihr hier?«fragte Jochen die Erscheinung.
»Ach, armer junger Mann! Das will ich Euch gerne sagen. Ich bin ein Gespenst. Heute vor genau zehn Jahren bin ich gestorben, mit schwerer Schuld beladen. Kurz vor meinem Tode hatte ich aus der Kirche des Nachbardorfes einen Kelch und eine Monstranz gestohlen. Ich hatte sie in ein tiefes Loch vergraben, hier unter der Eiche. Der Himmel hat dieses abscheuliche Verbrechen hart bestraft. Ich bin ins Fegefeuer gestürzt worden, wo ich ganz entsetzlich leide. Und ich werde so lange darin bleiben müssen, ach, bis mein Diebstahl wieder der Kirche zurückerstattet worden ist. Ich habe jedoch das Recht, mein möglichstes zu versuchen. Zwei- oder dreimal im Jahr muß ich wieder zur Erde, sobald es nachts zwölf Uhr schlägt. Ich irre dann in diesem Walde umher, und wenn ich einen verspäteten oder verirrten Reisenden entdecke, gehe ich ihm entgegen, seine Hilfe zu erbitten. Aber seht Ihr, junger Mann, man muß wohl glauben, daß die Gespenster keinen guten Ruf haben. Sobald die Menschen mich auch bloß gewahr werden, entfliehen
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sie voller Entsetzen. Ihr seid seit zehn Jahren der erste, der mir einige Anteilnahme bezeugt.«
»Ich werde noch mehr tun«, sagte Jochen. »Ich will Euch jetzt Linderung verschaffen: Ich werde zudem Pfarrer gehen, ihn benachrichtigen und die gestohlenen Gegenstände ausgraben.«
»Ich danke Euch«, antwortete das Gespenst und verschwand. Jochen erreichte rasch das benachbarte Dorf. Alles ruhte in tiefem Frieden. Am Glockenturm der Kirche schlug es gerade zwei Uhr. Jochen nahm Steine und warf sie gegen die Fensterläden des Pfarrhauses. Nach einer Weile tat sich eines der Fenster auf, und der Pfarrer steckte seinen Kopf nach draußen:
»Wer seid Ihr denn«, fragte er, »und was kommt Euch an, daß Ihr zu solcher Stunde einen Christenmenschen aufweckt?«
»Herr Pfarrer, beeilt Euch!« antwortete Jochen. »Legt Eure Soutane an und holt eine Schaufel und eine Hacke! Ich werde Euch unterwegs erklären, wozu.«
»Oh«, erklärte der Pfarrer, schon zur Hälfte beruhigt. »Eine Schaufel und eine Hacke. Es ist jetzt nicht die Stunde, sich Gärtnerarbeiten zu widmen. «
»Spaßen Sie nicht, Herr Pfarrer, es ist sehr ernst!«
»Gehen Sie nicht hin, Herr Pfarrer«, mischte sich vom anderen Fenster die Magd ein, die sich nun auch erhoben hatte. »Das ist bestimmt ein Strolch, der Sie meuchlings ermorden will!«
Sie zerrte den Pfarrer an seinem Mantel und schrie dabei wie eine Besessene.
»Hört nicht auf diese alte Närrin, Herr Pfarrer! Ich habe keinerlei Lust, Euch zu ermorden, sondern es handelt sich darum, eine Seele aus dem Fegefeuer zu erlösen, und die Zeit drängt sehr.«
Bei diesen Worten zögerte der Pfarrer nicht länger. Er stieg die Treppe hinab, öffnete das Gartentor, nahm aus der Scheune eine Schaufel und eine Hacke und folgte Jochen.
Unterwegs berichtete dieser, wie er der traurigen Erscheinung begegnet war.
»Ich erinnere mich sehr gut an den Diebstahl«, sagte der Pfarrer. »Ich war damals noch nicht hier. Aber mein Vorgänger hat mir davon erzählt.«
Am Fuß der Eiche angekommen, wo Jochen eingeschlafen war, fingen sie nun an, rings um den Baum voller Eifer zu graben.
Schon nach wenigen Spatenstichen deckte der Bursche ein schweres, in ungebleichte Leinwand gehülltes Paket auf. Der Pfarrer kniete nieder,
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öffnete es: der Kelch und die Monstranz waren da, unversehrt und strahlend im hellen Mondenschein.
Genau in diesem Augenblick schoß eine Sternschnuppe quer über das Firmament.
>Das ist die erlöste Seele des Diebs, die nun ins Paradies eingeht<, dachte Jochen, und er fühlte sich glücklich.
Der Pfarrer wollte ihn nicht so einfach fortgehen lassen. Er brachte ihn zurück ins Pfarrhaus, ließ ihm durch die Magd ein reichliches Mahl auftragen und sagte dann zu ihm:
»Ihr seid wohl der mutigste Junge, der mir je begegnet ist, Ihr rechtfertigt Euren Beinamen. Aber da Ihr so tapfer seid, könntet Ihr auch uns einen großen Dienst erweisen. Hört: eine Meile von hier erhebt sich eine prächtige Burg, die einst von einem vortrefflichen Edelherrn und seiner Tochter bewohnt wurde. Aber der Teufel hat sich dieser Burg bemächtigt. Er hat die Eigentümer daraus verjagt, und das ist seither nun ein entsetzliches Unglück für das Land. Denn Monsieur Ropotou befehligt dort, umgeben von einer ganzen Meute von gehörnten und spaltfüßigen Teufeln, einem regelrechten Höllenzug. Ich versichere Euch, daß jedermann hier in der Gegend Euch sehr großen Dank wissen wird, wenn es Euch gelänge diese unerwünschten Gäste zu vertreiben.«
»Sehr gern, Herr Pfarrer«, antwortete Jochen. »Der Teufel und seine Teufelchen haben mir noch nie Angst gemacht.«
»Ja, gewiß«, sagte der Pfarrer. »Aber ich muß Euch trotzdem sagen, daß von all jenen, die sich in diese Burg hineingewagt haben, bis heute keiner je wieder herausgekommen ist.«
»Darauf soll es mir nicht ankommen. Ich möchte Euch nur bitten, Herr Pfarrer, mir Eure Stola und den großen Holzstab des Prozessionskreuzes zu leihen.«
»Wenn's sich bloß darum handelt, ich leihe sie Euch gern.«
Und nachdem Jochen mit der einen Hand den Stab, mit der andern die Stola ergriffen hatte, schlug er die Richtung nach dem Spukschloß ein. Den wunderbaren Sack seines Urgroßvaters trug er wohlweislich bei sich. Nachdem er ungefähr eine Stunde lang gegangen war, gewahrte er das Gebäude. Es sah unheimlich aus. Alle Fenster waren dicht geschlossen, die Läden sorgfältig zugemacht. Alles war finster und still. Indessen stand das Ausfalltor weit offen, die Zugbrücke war herabgelassen. Jochen durchschritt das Tor, ohne mit der Wimper zu zucken. Er überquerte den Innenhof und trat durch eine kleine offene Tür in die Küche.
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Eine schöne Küche, wahrhaftig, aber keine Menschenseele darin. In dem hohen Kamin prasselte ein lustiges Feuer. Auf einem Spieß steckte eine wunderbare Gans beim Braten. Ringsherum waren auf Dreifüßen Kochtöpfe aufgestellt, denen ein höchst angenehmer Duft entströmte.
»All das sieht nicht eben sehr böse aus«, murmelte Jochen. »Aber wenn ich nicht rasch eingreife, wird diese Gans noch anbrennen.« Und sogleich fing er an, den Bratspieß zu drehen, den Braten sorgfältig mit Öl zu begießen und die Glut zu schüren. Dann setzte er sich auf einen Schemel und überwachte sein Werk.
Plötzlich erscholl ein gellendes Kreischen. Er hob den Kopf: durch den Kamin purzelte ein pechschwarzer Teufel herunter.
»Wer hat dir erlaubt, hier hereinzukommen, und was treibst du in meiner Küche?« fauchte der Gehörnte.
»Das siehst du ja. Ich bin eingetreten, weil alle Türen offen waren. Und was ich gerade tue, das ist leicht zu erraten: Ich passe auf das Essen auf, und du solltest mir danken; denn wenn ich nicht dagewesen wäre, wäre der Braten längst schon verbrannt.«
Und ohne sich weiter aufzuhalten, fuhr Jochen fort, den Spieß zu drehen und die Gans zu begießen.
Der Teufel schien verärgert, aber er erwiderte nichts und wandte sich dem Küchenschrank zu.
»Es ist gut«, sagte er. »Da du nun einmal da bist, kannst du gleich mit uns essen.«
Er zog Besteck und Teller heraus und fing an, den Tisch zu decken. Kaum war er damit fertig, als eine ganze Bande von Teufeln in die Küche stürmte. Durch alle Öffnungen drang das herein. Sie waren geradeso häßlich und ebenso schwarz wie der Teufelskoch. Im Vorbeigehen schnitten sie zu Jochen hin wüste Grimassen; der aber setzte vollkommen ruhig seine Arbeit fort.
Endlich erschien Beelzebub selber und sagte: »Zu Tisch, zu Tisch! Komm und setze dich neben mich!«
Sämtliche Teufel und Teufelchen ließen sich lärmend rings um den Tisch nieder. Der Koch legte die Stücke vor. Jochen beobachtete, wie der Teufel auf seinen Teller heimlich ein weißliches Pulver schüttete, das Beelzebub ihm zuvor gegeben hatte. Daher hütete er sich wohl, auch nur das kleinste Bröckchen zu essen. Während sämtliche Teufel mit mächtigen Zähnen kauten und hinunterschlangen, warf er alles, was sich auf seinem Teller befand, unter den Tisch.
Doch beim letzten Happen wurde sein Treiben entdeckt. Grimmig erhob sich der Teufelsfürst und schrie seinem ganzen Volk zu:
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»Genug gegessen! Jetzt wollen wir zu Ehren unseres Gastes eine Partie Kegel spielen. Holt die Kegel!«
Eilig gehorchte ein Teufelchen. Es öffnete den Salzbottich und - o Schreck: die Kegel darin waren aus Totengebein gemacht! In aller Ruhe stellte sie der Teufel auf den Boden auf. Dann nahm er die Kugel und reichte sie höflich Jochen hin. Die Kugel aber, das war natürlich ein Totenkopf. Jochen zitterte ein wenig, aber Angst spürte er nicht.
»Ah, ah«, rief Beelzebub aus. »Du siehst diese Kegel. Sie stammen von all den Unvorsichtigen her, die die Dreistigkeit besessen haben, hierherzukommen und uns einen Besuch abzustatten.«
»Wohlan«, rief Jochen da, »ich werde deine Sammlung nicht vergrößern. Gehörnter Teufel, im Namen des Herrn: hinein in meinen Sack!«
Der Teufel wollte widerstehen. Aber wie sehr er auch zappelte und tobte - er wurde in den Sack gezogen.
»Und nun«, begann Jochen von neuem, »hör gut zu! Ich werde dir deine Freiheit erst dann wiedergeben, wenn du mit deinem Blute ein Pergament unterschreibst, durch das du versprichst, niemals mehr deine gespaltenen Füße in diese Burg zu setzen, weder du noch einer deiner Bande und Helfershelfer.«
»Nein, nein, nie«, schrie Beelzebub fluchend und tobend. »Ah, du willst nicht? Nun gut, warte ein bißchen.. .« —Und mit dem Stab des Prozessionskreuzes begann Jochen dem Teufel eine kräftige Tracht Prügel zu verpassen.
»Oh, oh, oh«, ächzte der Teufel, »oh, wie ich leide, oh, wie tut das weh, dieses Holz verbrennt mich und martert mich, oh, ich gebe nach, ich verspreche.«
Da sie ihren Meister derart wimmern hörten, hatten inzwischen sämtliche Teufel die Flucht ergriffen.
»Willigst du ein, zu unterschreiben?«
»Ja, nein, doch, doch, ich unterschreibe. Laß mich bloß 'raus!«
Jochen öffnete den Sack ein wenig; der Teufel wich aus der Öffnung. Er hoffte zu entfliehen, aber hopp, schwang unser Held die Stola und hielt Beelzebub in ihrem Schwunge fest.
»Hune«, ächzte dieser zusammenbrechend. »Eine geweihte Stola, mir, der ich ihre Berührung nicht ertragen kann! Schnell, schnell, reich mir ein Messer!«
Und mit der Klinge stach sich der Teufel in den Finger, daß das Blut nur so perlte, und unterzeichnete das Pergament.
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»Marsch - und hinaus mit dir und deinem gesamten Anhang! Du hast dich mit deinem Blut verpflichtet. Sieh zu, daß du nie wieder den Fuß in diese Burg setzt!«
Der Teufel entfloh brüllend vor Wut. Eine feurige Spur sprühte hinter ihm her.
Vor seinem Aufbruch durchsuchte Jochen unverzagt die ganze Burg, um sich zu überzeugen, daß keinerlei Dämon daringeblieben war. Aber diese hatten alle nur ein einziges Verlangen gehabt: hinter ihrem Meister her zu verschwinden. Die Burg war völlig leer. Jochen öffnete die Fenster ganz weit und ging zurück ins Pfarrhaus.
Der Pfarrer hatte schon die Hoffnung aufgegeben, den mutigen Burschen wiederzusehen. Er war überrascht und froh, als Jochen ihm die Stola und den Stab des Prozessionskreuzes zurückgab und dabei erzählte, was sich ereignet hatte.
»Kommt sogleich mit mir«, sagte er zu ihm, nachdem Jochen sich ordentlich gestärkt hatte; »ich führe Euch sogleich zum Eigentümer der Burg.«
Dessen Freude werdet ihr euch ausmalen können. Als die Burg durch den Pfarrer geweiht und gereinigt worden war, richtete der Burgherr sich im Hause seiner Ahnen wieder ein.
Habe ich euch eigentlich schon gesagt, daß er eine entzückende Tochter besaß? Nicht? Nun, dann erfahrt ihr es jetzt, und dazu auch, daß das Edeifräulein den Mut des Junkers Jochen im stillen sehr bewunderte. Dieser hatte dem edlen Herrn berichtet, wie er genötigt gewesen war, von daheim zu fliehen.
»Hier«, sagte der Burgherr, habt Ihr nicht das geringste zu befürchten. Ihr befindet Euch nicht mehr in den Ländern des Grafen von Auvergne. Und wenn Ihr mögt, will ich Euch gern in meinem Dienst behalten. Ihr werdet mein Ritter und mein Gefährte sein, denn Ihr seid von edler Geburt und eines solchen Glückes wohl würdig.«
Jochen nahm das Angebot gern an und wahr sehr glücklich.
Schon bald verliebte er sich in die Tochter des Burgherrn, und sie schien seine Liebe zu erwidern.
>Was für ein schönes Paar, ich werde sie sicher bald trauen<, dachte der Pfarrer.
Ach, so ganz leicht gingen die Dinge nun freilich nicht. Eines Tages suchte Jochen seine allerliebste Freundin auf und hielt ihr folgende Rede:
»Ich bin tief betrübt. Ich liebe Euch und glaube, Ihr liebt mich auch. Ich möchte Euch so gern heiraten, aber seht an: bevor ich das Vaterhaus
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verließ, habe ich geschworen, nur eine Frau zu nehmen, die mir wenigstens einmal Furcht eingeflößt hat.«
»Wenn weiter nichts ist, mein Herr«, antwortete das junge Mädchen heiter lächelnd. »Wir werden zum Schluß schon noch über Euren Mut triumphieren.«
Doch so leicht war das nicht. Vergeblich hüllte sich das Fräulein in ein weißes Tuch und rasselte mit Ketten; Jochen war bereits einem Gespenst begegnet; er fürchtete also dergleichen nicht. Es war auch unnütz, den Teufel vorzutäuschen oder einen Dieb nachzumachen: Jochen fuhr fort, vor nichts und gar nichts Angst zu haben.
Am Ende eines Monats war die Tochter des Burgherrn durchaus noch nicht weitergekommen als am ersten Tag. Aber sie ließ den Mut nicht sinken.
Eines Morgens sagte sie zu Jochen: »Begleitet mich doch in die Küche! Ich will einen Kuchen backen. Kommt und helft mir dabei!«
Die Küche war so geblieben, wie sie gewesen war, als Jochen zum erstenmal dort eingetreten war. Aber sie hatte jetzt nichts Teuflisches mehr. Die Mägde waren geschäftig am Kochen und Braten.
Das junge Mädchen fing an, den Teig zu kneten. Dann wandte sie sich zu Jochen:
»Bringt mir doch rasch das Salz!«
Jochen wendet sich zur Salzkiste. Er hebt den schweren Deckel hoch. Frrut . . . sämtliche Tauben des Taubenschlags werfen sich ihm flatternd ins Gesicht. Bleich vor Angst fährt Jochen zurück, stolpert und stürzt zu Boden.
»Er hat Angst gehabt! Er hat Angst gehabt!« riefen die Mägde, die in das Geheimnis eingeweiht waren.
»Ihr habt Angst gehabt, mein armer Jochen!« sagte das Fräulein. »Nun bleibt Euch nichts andres übrig, als mich zu heiraten . .
So geschah es. Die Hochzeit war herrlich und wunderbar. Und natürlich wurden die beiden über die Maßen glücklich und bekamen viele Kinder.
Die Nacht ist gekommen, Der Hahn hat gekräht, und das Märchen ist aus: Gute Nacht, alle zusammen! |
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