Märchen aus Frankreich den Niederlanden und der Schweiz
Märchen europäischer Völker
Der goldene Stern
Ein Mann, der eine Tochter hatte, heiratete nach dem Tode seiner Frau eine Witwe. Diese besaß ebenfalls eine Tochter, die durch ihre Bosheit, ihr mürrisches Wesen und ihr häßliches Aussehen ebenso auffiel wie die andere durch ihre Anmut, Sanftmut und Güte. Die Stiefmutter sann einzig darauf, wie sie die Tochter ihres Mannes loswerden könne. Eines Tages sagte sie zu ihr:
»Geh und reinige diese Getreidekörner im Fluß in einem Sieb und bring sie mir rein und sauber zurück!«Als das Mädchen dann aber am Ufer im seichten Wasser stand, rief die Stiefmutter ihm zu:
»Geh weiter, weiter, nur hinein in den Fluß!« Sie drängte derart, daß das arme Kind schließlich von der Strömung gepackt und mitgerissen wurde...
Die Fluten aber legten das Mädchen sanft auf dem gegenüberliegenden Ufer ab, dicht am Rande eines Waldes. Aus diesem Walde trat ein großer, alter Mann mit weißem Bart. Er war derart heruntergekommen, elend und zerlumpt und schmutzig, daß er geradezu Angst einflößte. »He, kleines Mädchen«, redete er sie an, »würdest du mir wohl einen Dienst erweisen?«
»Mit Freuden, wenn ich dazu imstande bin, Großvater!«gab sie ihm freundlich zur Antwort.
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»Ich möchte gern die Läuse loswerden, die mir im Bart herumlaufen. Aber das wird dir Abscheu und Ekel erwecken, fürchte ich.«
»Ach, kommt nur her!« sagte das Mädchen, nahm den Kamm, der ihr das Haar zusammenhielt, tauchte ihn ins Wasser und säuberte damit den Bart des Alten sehr sorgsam und gründlich.
»Ich danke dir, kleine Freundin! Nimm zum Dank diesen Stab hier! Er wird das Wasser zur Seite schieben, damit du nach Hause zurückkehren kannst. Aber wenn du den Hahn krähen hörst, dann wende dich um, um nur noch Lebewohl zu sagen! Achte wohl darauf und vergiß es nicht! Hab nochmals Dank!«
Das Mädchen erhob den Stab - und alsbald zeichnete sich eine breite Furt im Wasser ab, auf der sie den Fluß überqueren konnte. Als sie etwa in der Mitte war, hörte sie den Hahn krähen. Sie wandte sich rasch um und winkte dem alten Mann mit der Hand ein freundliches Lebewohl. Sie sah gerade noch, wie sein Schatten im Walde verschwand. Auf ihrer Stirn aber erschien im selben Augenblick ein strahlender goldener Stern, und ihr anmutiges Aussehen verwandelte sich in leuchtende Schönheit.
»Oh! Was ist denn mit dir geschehen?«rief die Stiefmutter verwundert, als sie das Mädchen wiedersah.
Und das Mädchen erzählte arglos seine Geschichte, ohne sich dabei mit einem einzigen Wort des Dienstes zu rühmen, den es dem alten Manne erwiesen hatte. Die Stiefmutter wollte vor lauter Wut und Eifersucht schier den Verstand verlieren.
Kurze Zeit darauf ritt ein schmucker junger Reiter an dem Hause vorbei. Er sah die Schöne am Fenster stehen. Geblendet stieg er von seinem Roß, nannte seinen Namen - er war der Sohn des Königs - und erlangte durch seine Bitte sogleich die Erlaubnis des Vaters, das Mädchen mit sich zu nehmen, um sie dem König vorzustellen. Bald darauf heiratete er sie, und das ganze Land jubelte vor Freude.
Da sagte die Stiefmutter zu ihrer eigenen Tochter: »Was sie so leicht fertiggebracht hat, solltest du schließlich auch können. Versuch's also, und komm auch du mit einem goldenen Stern zurück!«
Brummend machte sich das Mädchen auf, ließ sich durch die Strömung davontragen und drüben am Waldrand absetzen. Und alles geschah genau wie beim ersten Male. Aber als der alte Mann ihr seine Bitte vortrug, wich sie voller Ekel und Widerwillen zurück und schrie ihn an: »Du elender Lausekerl, du Schmutzfink! Das ist keine Arbeit für mich! Von mir aus kannst du deine Läuse im Fluß ersäufen. Das beste wird sein, dich selber gleich mit!«
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Ganz sanft und ohne sich die geringste Kränkung anmerken zu lassen, reichte der Mann ihr den Stab zum Durchqueren des Wassers und empfahl ihr, wie er es schon bei ihrer Schwester getan hatte, sich nach ihm umzuwenden, sobald sie den Hahn krähen hören würde. Sie gehorchte, sah jedoch von dem Manne keine Spur mehr. Alsbald aber fühlte sie etwas auf ihrer Stirn und lief voller Entzücken eilig nach Hause.
»Unglückliche! Was hast du angestellt?« schrie die Mutter entsetzt, als sie sie sah.
Auf der Stirn des bösen Mädchens klebte ein dicker Batzen Hühnerdreck. Kein Kratzen, kein Waschen konnten diesen Schandfleck wegbringen, das Mal saß fest und war nicht zu tilgen. Das Mädchen war ganz entsetzlich anzusehen - noch tausendmal häßlicher als zuvor.
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