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[627]

Hans Vogler an
Bullinger
St. Gallen,
5. August 1535

Autograph: Zürich StA, E II 351, 161 (Siegelspur) Ungedruckt

Vadian erwartet seine Schriftstücke zurück. Vogler teilt einige vertraulich an Vadian gelangte Nachrichten mit: Der Bischof von Konstanz soll die Abtei Reichenau gekauft haben. König [Franz I.] will gegen Mailand ziehen und hat daher deutschen Hauptleuten - unter diesen [Albrecht Völker] von Knöringen - geschrieben. Auch drei kaiserliche Regimenter, unter [Franz von Hembstedt], [Konrad von]Boyneburg und Kaspar von Frundsberg, werden irgendwohin aufbrechen. Fürsten und Städte tagen in Kassel. Man spricht von Umtrieben der V Orte. In Regensburg sind Städtevertreter versammelt. Man sagt, in Luzern, wo sich eine kaiserliche Gesandtschaft aufgehalten habe, werde gerüstet, und die V Orte tagten in Brunnen. Um Ammann [Ulrich]Eisenhut ist in Appenzell Unfrieden entstanden, weil dieser angeblich ein früher erobertes Banner an St. Gallen zurückverkauft sowie das Landessiegel außerhalb des Landes gebraucht habe; an der vorgesehenen Landsgemeinde sollten weitere eidgenössische Orte teilnehmen, um Blutvergießen zu verhindern. Vogler kommt wohl erst im Herbst nach Zürich. [Jakob]Rordorf soll allfällige Mitteilungen dem Boten mitgeben.

Gott wache für unns. Amen etc.

Min herr, gelieptter bruder, wissend unnssernn wolstand 1 , und das unns warlich zu üch verlangtt etc. Nächstmals hab ich üch geschriben 2 , daby ettlich brieff, so mir min herr und vatter doctor von Wadt geben 3 , uch zuzeschickenn, mitt beger, by dissem zöger 4 wider zu handen schickenn (wie wol ers fillicht selpst holn möchtt) etc.

Demnach hatt mir min herr doctor abermals in trüwen ettlich uffgezaichnett artickel, imme von vertruwten in stille überhar zugeschribenn, üch die abzuschriben, darus zuvernemenn:

Ittem das der bischoff von Costentz Rychenow sol koft habenn, und aber die von Costenntz nitt liden wellend. Wil kain thail sines fürnemens abston. Zu besorgen, es werd unruw geben 5 .

1 Wohlergehen.
2 Vermutlich ein nach dem 22. Juni 1535 (oben Nr. 596) geschriebener, nicht mehr erhaltener Brief Voglers.
3 Vadians Beilagen sind nicht zu identifizieren.
4 Der Überbringer ist unbekannt.
5 Der Konstanzer Bischof Johannes von Lupfen hatte erwirkt, daß der Papst am 14. März 1535 die Einverleibung der Abtei Reichenau in sein Bistum auf das Ableben von Abt Markus von Knöringen
hin verfügte. Am 9. April erklärte sich der Abt gegen ein bestimmtes Jahresgehalt zur Übergabe bereit. Doch nach heftigem Widerstand der Stadt Konstanz und der Eidgenossen konnte die Inkorporation erst 1540 vollzogen werden. Vgl. Hermann Baier, Von der Reform des Abtes Friedrich von Wartenberg bis zur Säkularisation (1427-1803), in: Die Kultur der Abtei Reichenau. Erinnerungsschrift, hg. v. Konrad Beyerle, 1. Halbbd., München 1925, S. 238-243.


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Ittem das küng[liche] m[aieste]t von Franckrych 6 werde vorm winter in Mayland fallen. Daruff ettlichen hopttlütten 7 in Tütschiand zugeschriben. Melcher von Knörigen 8 uff 18. tag ougsten zu Lyon ze sin.

Ittem das in kurtzenn tagen söllend im rych drü kriegsregimentt uffbrechen, kayserisch etc. Ains sölle der herr von Thamis 9 füren, das ander der von Bomelberg 10 , und das dritt herr Kaspar von Fronsperg 11 . Söllend an seltzame ortt brucht werden unnd wunderbarlich praticken 12 vor handen sin.

Ittem das fürstenn und stett nitt vergebenns by ain andren zu Kassel sygennd 13 ; sy schmeckend dye pratten 14 , die vorhanden sygend.

Ittem das vyl von praticken der V ortten red um gang, darumm die evangelischen stett in der Aydtgnoschaft ouch wol für sich zu sechen habend.

6 König Franz I.
7 Unbekannt.
8 Vogler meint wohl Felcher. Ritter Albrecht Völker von Knöringen (vgl. unten Nr. 628, Anm. 10) hatte in den zwanziger Jahren in französischen Diensten gestanden; doch auch nach 1531, als er zum Schwäbischen Bund wechselte, blieb er im Verdacht, mit Frankreich in Verbindung zu stehen (s. dazu P[eter] Albert, Geschichte der Stadt Radolfzell am Bodensee, Radolfzell 1896, S. 3351).
9 Franz von Hembstedt, gen. von Thamis, diente als Hauptmann unter Georg von Frundsberg. 1527 war er bei der Eroberung Roms eingesetzt und wurde, als sich der Papst in der Engelsburg verschanzte, zur Berichterstattung zu Kaiser Karl nach Spanien geschickt (vgl. Cyriacus Spangenberg, Adels Spiegel..., 2. Teil, Schmalkalden 1594, S. 241r.-v.). Im Jahre 1532 wurde er - als Nachfolger von Christoph Blarer - zum kaiserlichen Hauptmann in Regensburg ernannt (vgl. Gerwig Blarer BA 1189, Anm. 4). In dieser Eigenschaft war er bis 1540 häufig auf Kriegszügen in Italien und in den Niederlanden (vgl. PA, Reg. und PC II, Reg.).
10 Konrad von Boyneburg (Bemelberg, auch "der kleine Heß" genannt), 1494-1567, stammte aus althessischem Ministerialengeschlecht. Er wuchs am württembergischen Hofe auf und trat früh in den kaiserlichen Kriegsdienst. 1525 nahm er als Landsknechtsführer an der Schlacht von Pavia, 1534 am Württemberger Krieg gegen Herzog Ulrich, 1542 am Zug gegen die Türken teil und machte
mehrere Feldzüge (1544, 1552, 1557) nach Frankreich mit. — Lit.: Waldemar Küther und Gerhard Seib, Konrad von Boyneburg (Bemelberg), ein Landsknechtsführer aus Hessen im 16. Jahrhundert, in: Hessisches Jb. für Landesgeschichte 19, 1969, S. 234-295; Fritz Redlich, The German Military Enterpriser and his Work Force. A Study in European Economic and Social History, Bd. I, Wiesbaden 1964 —Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Beiheft 47, S. 90-92; Günther Franz, in: NDB II 425f.
11 Kaspar von Frundsberg, 1500-1536, war —gleich seinem berühmten Vater Georg — Söldnerführer im Dienste des Kaisers. Bereits 1525, bei der Verteidigung von Pavia gegen die Franzosen, tat er sich hervor. Nach dem Tod seines Vater widmete er sich der Verwaltung der überschuldeten Familiengüter (in Mindelheim und im Tirol), beriet 1532 den Kaiser im Hinblick auf einen Türkenfeldzug und führte 1536 wiederum Landsknechte nach Italien, wo er tödlich erkrankte. — Lit.: Landmann, in: ADB VIII 159; Redlich, aaO, Reg.
12 seltsame Umtriebe (Grimm XIV/II 1855. SI V 568f).
13 Vogler stützt sich wohl auf eine Mitteilung Sebastian Grübels an Vadian vom 27. Juli (vgl. Vadian BW V 239); zu den Gesprächen der Städtegesandten in Hessen und Sachsen im Juli 1535 s. Fabian, Städtetage III 247-254 sowie PC II 277-283. 285. 288f.
14 sie merken, was gespielt wird (Grimm II 309f). 19


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Von Nürmbergk sayt 15 : Ittem das die stett treffenlich by ain andren zu Regenspurg versamlett sygend, schiessens wyß 16 .

Ainer gsagtt: Ittem das man zu Lutzernn waffen und harnasch gebotten hab und die V ortt zu Bronnen tagett 17 . Ittem es sol ain kayserliche bottschaft och zu Lutzern gsin sin 18 .

Disses sond und mögen ir minem lieben hernn burgermaister Rösten mines aydes und von üch anzaigen, mir von minem hern doctor überantwurtett, och ime dis harnach volgend: Unruw vorhanden im land Apenzell. Namlich ain mergklich unruw und sorg von etlichen unzämen 19 über aman Ysenhut 20 und ander von wegen der statt zaichen zu S. Gallen, als ob sy das vor zitten gwonnen, und aber kurtzlich durch Isenhut und etlich der statt Sant Gallen hinder in 21 überantwurt 22 . Dessglich dess sygels halb, daß aman Ysenhut us dem land, dem apt 23 nach, zu syglen gen Sant Gallen in hoff nachtragen; daß er aber im land sölt gsiglet haben und nit nache tragen. Vil vil byreden 24 . Doch gester mitwoch ist lang grosser rat ine 25 gsin. Ist aman Ysenhut da gstanden, des rechten erwarten 26 dargegen das unrüwig partfolck. Hat nit verfangen, dann schlechtz 27 ain lantzgmainen von jetz sontag über acht tag darum zu haben, wie wol es filen layd. Und sorg daby, daß sy fillich über from, sonders personen uffloff. under in schlachen oder ergers entspringe 28 , wie wol dise stat hie losett 29 und zu letst villicht sich um vil zureden verantwurtten, nach

15 Aus Nürnberg kommt die Kunde.
16 anläßlich eines Schützenfestes.
17 Die V Orte tagten am 30. Juli 1535 in Brunnen (Kt. Schwyz); vgl. EA IV/1c 532 c.
18 Gemeint ist wohl Jakob Sturzel, der in dieser Zeit mit dem Erbeinungsgeld unterwegs war und an der Tagung in Brunnen nach Baden gewiesen wurde (vgl. ebd., S. 532 b).
19 Wilden, Zänkischen (Grimm XI/III 2270f).
20 Ulrich Eisenhut, 1467-1537, aus Gais (Kt. Appenzell-Außerrhoden), ein bedeutender Appenzeller Politiker, war 1516-1521, 1527-1529 und 1532-1534 Ammann, betätigte sich oft als Vermittler, so 1531 im Rheintal und im Kappelerkrieg, 1532 zwischen Stadt und Abt von St. Gallen, 1534 zwischen Bern und Solothurn usw., und vertrat seinen Stand von 1508 bis 1535 an über 60 eidgenössischen Zusammenkünften. Er sympathisierte früh mit der Reformation und nahm an der Badener wie auch an der Berner Disputation teil. Eine von Jakob Büchler im Jahre 1535 angezettelte Verleumdungskampagne. (vgl. unten Anm. 22) verbitterte den Lebensabend des altgedienten
Politikers. — Lit.: EA III/2-IV/1c, Reg.; Appenzeller Urk. II, Reg.; Koller/Signer 57; HBLS III 15.
21 hinter ihrem Rücken.
22 Ein Gegner Eisenhuts, Jakob Büchler, hatte die Unzufriedenheit der Einwohner von Gais über dessen Schlichtungsurteil vom 1. Mai 1535 genutzt und mit der Beschuldigung, der Ammann habe ein von den Appenzellern bei Vögelinsegg erobertes Banner der Stadt St. Gallen zurückverkauft, das Landessiegel schlecht verwaltet, Jahrgelder unterschlagen usw., eine Verleumdungskampagne in Gang gesetzt. Dieser sogenannte Bannerhandel kam erst im Jahre 1539 mit der Bestrafung Büchlers zum Abschluß, nachdem bereits 1537 der kurz zuvor verstorbene Eisenhut rehabilitiert worden war. Vgl. Büchler 37-55; Bodemer passim; Kessler, Sabbata 489-496.
23 Diethelm Blarer von Wartensee, Abt des Klosters St. Gallen.
24 Vorwände (Grimm I 1389).
25 drinnen, im Lande Appenzell.
26 hat sich dem Rechtsverfahren gestellt.
27 ohne Umschweife (Grimm IX 544f).
28 machen (vgl. SI IX 294).
29 beobachtend zuwartet.


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gepür handlen. Ob gutt wär, wais ich nit, alls vilicht etwar 30 maint, ja das ettliche ortt uff die gmaind 31 , zu fürkomen blut under inen oder anders, als 32 m[ine]g[nedigen]h[erren] von Zürich oder ander. Mag min her Röst 33 nach sinem gfallen darinn handlen. Zayg ich pflicht halb an. Bitt üch, mir in zu grüssen.

Wil der herpst so schnell infallen. Acht 34 , ich kom erst uff den herpst, miner hab halb etc.

Grüssend uns üwer hus, maistren Kaspar 35 , maister Haben.

Was ir nüws, schribend by zöger. Ich hab minem gliepten Rordorffer gschriben 36 vor, ob er mir etwas zuschriben well. Pitt ich uch, min knecht zu sin, im anzuzaigen, dem botten zu geben.

Actum S. G[allen], donstag, den 5. tag augusty anno 35. jar.

U[wer]schuldiger, williger

Hans Vogler zu S. G[allen],

burger Zurych.

[Adresse auf der Rückseite:] An min sonnders gelieptten hernn unnd fründt Maister Hainrichen Bulliger, prediger zu Zürych, zu aygnen handen.