Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[615]

Hans Rudolf Lavater an
Bullinger und
Heinrich Utinger
Kyburg,
13. [Juli]1 1535

Autograph: Zürich StA, E II 335, 2011 (Siegelspur) Gedruckt: [Hans Heinrich Füssli], in: Njbl. der Chorherren auf das Jahr 1781, 3. Stück, [Zürich 1780], S. 9f; [Pestalozzi], Lavater 28f; Stucki 290f

Die Nachricht vom Tod seines Sohnes (Heinrich], die er am Vorabend um 9 Uhr erhielt, hat ihn erschüttert. Bittet Bullinger und Utinger um Rat und Hilfe; denn sobald er den Seinen bei Tagesanbruch die Sache eröffnet, wird er nicht mehr [von der Kyburg]weggehen können.

Wolglerten, ersamen etc. minen sonders vertruwten herren und liepsten fründt und günern.

Üwer früntlich schriben 2 samptt des tröstens, ermanung der gedult, ouch aller früntschaft etc. hab ich necht 3 , der nünden stund zu angender nachtt mit grosem schreken und herzleid enpfangen. Und wie wol ich erckenen, daß rechter vertruwter gloub gedult 4 und gar kein ungedult tragen soll, doch 5 tringt das fleisch mit sinen anfechtungen für und für an den tag. Und ist nüt ann 6 : Wo er 7 sunst gestorben, hett ich den handell vil ringer mogen verckesten 8

a Vor humanitate radiertes, nicht mehr lesbares Wort.
13 Leo Jud.
14 Theodor Bibliander.
1 Lavater datierte den Brief irrtümlich mit Juni (unten Z. 30). Vgl. auch seinen zweiten Brief in dieser Sache vom 14. Juli 1535 (unten Nr. 616, bes. Z. 4).
2 Bullinger und Utinger hatten Hans Rudolf Lavater den Tod Heinrichs anscheinend
gemeinsam angezeigt. Der Brief ist nicht erhalten. Zum Tode Heinrichs, der am 4. Juli 1535 in Straßburg ertrunken war, vgl. oben Nr. 611 mit Anm. 2.
3 gestern abend (SI IV 663).
4 Gefaßtheit (SI XII 1763).
5 dennoch (SI XII 212).
6 Es ist nicht zu leugnen (SI I 261).
7 Heinrich Lavater.
8 Wenn er auf andere Weise ums Leben gekommen wäre, könnte ich es viel leichter ertragen.


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aber den weg ist mir dennochtt vast 9 schwer, daß die gwaltig handt gocz so gar über mich tringt'°; dann hab ich vil zitt har und all min leptag das ellend joch getragen. Aber wie dem allem, so hoff ich dennochtt zu minem gütigen herren und gott, er werd mich dennocht nüt 11 gar im bad ußschüten 12 ; dann gwüß könd mir gröser leid nüt begegnott sin, dann das mir das liepst kind gwesen. Und hab in in vilicht zu vil vertruwt 13 , das gott durch sin fürsichtikeit im aller besten durch diß mitel abgwent. Hier umb hit ich üch und ander, min liebi herren und fründt, ir bitind gott für mich, daß mir nit a ergers 14 wider far, und daß ich min jamer und ellend gedultenklichen trag. Wer weißt das urtel gocz? Es gschicht vilicht alles mir zu gut und themütung, damit ich nit zu hoch spring 15 etc.

Witer bit ich üch umb ratt, die will sich leider die sach also erstreckt, ob ich söll ein boten hinab 16 grad angencz 17 schicken, oder ob ir welend den handel versehen 18 , und was hier in zu thund oder lasen. Wil ich diser tagen ein knecht hinin 19 umb die antwurtt schiken. Ich hab uff nechtt b wellen selb zu Zürich sin. Bin ich so gar kranck 20 gsin, daß ich nit hab mogen riten, und jetz kann ich nütt von heimen komen; dan da groß jamer und nott sin wirtt, wie c wol ich den handel bim glimpflichsten 21 , so es tag wirtt, an zogen. Und mich hie mit üch all weg 22 befolhen haben. Sag üch och üwers früntlichen mitlidens und erbermd zum höchsten danck. Ir wellend ouch min schriben bester meinung und also von einem beckümerten mentschen verston.

Datum 2. stund in der nacht 23 des 13. tag iunii 24 anno domini 35.

H. R. Lafater.

[Adresse auf der Rückseite:] Dem wolglerten, ersamen, minen insonders lieben herren und fründen M. Heinrich Bulinger und her Heinrichen Utinger.

a nit übergeschrieben.
b vor nechtt gestrichenes neht.
c vor wie gestrichenes wo.
9 sehr (SI I 1112).
10 Vgl. 1Sam 5. 11; 1Petr 5, 6 u. ö.
11 nicht.
12 verwerfen (SI IV 1013).
13 auf ihn... gebaut (SI XIV 1608).
14 Schlimmeres (SI I 445).
15 Etwa: Damit ich nicht zu stolz werde (vgl. Röhrich II 986f).
16 nach Straßburg.
17 sofort (SI II 19f).
18 besorgen (SI VII 568-572).
19 in die Stadt Zürich.
20 schwach, mitgenommen (SI III 833).
21 so schonend wie möglich (vgl. SI II 628).
22 immer (Grimm I 241f).
23 Gemeint ist die 2. Morgenstunde des 13. Juli (Stucki 134 gibt nach Füssli, aaO, S. 10: Zehn Uhr in der Nacht zum 13. Juli).
24 Vgl. oben Anm. 1.