Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[536]

Nikolaus Steiner an
Bullinger
[Rüti],
27. Februar [1535]

Autograph: Zürich StA, E II 441, 54 (Siegelspur) Ungedruckt

Hat in Rüti ein schwieriges Amt angetreten; denn er wird von den Bewohnern des ehemaligen Klosters und vom Pfleger [Jakob Kumber]befeindet und isoliert. [Wolfgang]Huber, der älteste der Mönche, und der Pfleger wollen ihn wegen seiner Matthiastag-Predigt, in der er über die Untaten und über das Ende des Judas sprach und dabei die Veruntreuuung von fremdem Gut, besonders von Almosengeldern, scharf rügte, bei der Obrigkeit in Zürich verunglimpfen. Bittet Bullinger, ihn zu rechtfertigen, wenn die Sache zur Sprache kommt. Grüße.

Pax multa diligentibus etc.

Min lieber her und vatter, ich bin wol ingedenck üer vätterlichen wortten, die ir mir anfenglich hand geseyt, ir werdent mich steken an ortt, da ich vil widerstand werd haben. "Si autem dominus pro nobis, quis contra nos?"[Röm 8, 31]. Ich hette wol mit sant Thoma mogen reden: "Domine, quo vis, mittas me, praeter ad Indos!"2 Doch han ich für mich genomen, mit göttlicher hylff, ich weite etwas fruchtbars uß dissem verstockten volck 3 han bracht, als üch geseyt han. Aber es ist nit da innen, so wend sy nit inhen lan 4 , so ist der pfleger und sy eines sinns und züchent ein gantz husgesind mit inen, bedarf nieman zu mir wandlen 6 , reden und handlen guttes, sy werdent verhasst und müssent es sur engelten, und pringen das volck nach irem wyllen.

So hett es sich geben jetz uff sant Mathias tag 7 , han ich sin election und end Jude 8 anzogen 9 und, womit Judas ein sömlicher schantlichen tod verschuldet hat, disse meynung, er sye ein schaffner gesin gottes und des allmusen, das habe er mißbrucht und darvon gestollen das klein, darnach das groß 10 , und in der gyt sin hertz besessen, das er siner er und ampts vergessen habe

1 Die Jahresangabe fehlt. Steiner war nach der Herbstsynode 1534 als Pfarrer nach Rüti geschickt worden, wo er am 19. März 1536 starb (vgl. HBBW IV, S. 359, Anm. 1, und 364, Anm. 72). Der Samstag vor Oculi des Jahres 1536 fiel auf den 18. März, also den Vortag von Steiners Tod. Dieser Brief ist jedoch nicht auf dem Krankenlager geschrieben worden. Als Abfassungsjahr verbleibt somit nur das Jahr 1535.
2 Die Aussage des Thomas ist überliefert bei Guillelmus Wheatley (gest. nach 1317), In Boëthii de consolatione philosophiae 4, 11.
3 Zur Widerspenstigkeit der letzten drei Mönche in Rüti, Sebastian Hegner, Wolfgang
Huber und Rudolf Gwerb, vgl. HBBW IV, Nr. 346 und 371.
4 Gutes ist nicht drinnen, sie verwehren mir den Zugang.
5 Jakob Kumber.
6 mit mir verkehren (vgl. Grimm XIII 1587. 1591f).
7 24. Februar 1535.
8 Am 24. Februar, dem Fest des Apostels Matthias, hat Steiner somit nach der alten Perikopenordnung über Apg 1, 15-26 gepredigt, wo über Judas, dessen Aufnahme ins Apostelamt, dessen Verrat und Ende, und über die Wahl des Matthias zum Nachfolger berichtet wird.
9 angeführt (Grimm I 528f).
10 Vgl. Joh 12, 4-6.


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und nach frömbdem gut betrachtet, hab im got herumm 11 reprobum sensum 12 geben, das er in grossere laster gevallen sy, in verrättery, blut verbüssen 13 etc. 14 Also alle, die sych in gyt ergeben und mit frömbden gütter ummgant und die zu iren hand züchent, sonder 15 das helig almussen, das der armen zustat, die wirdt got straffen und ein erschrochelich end begegnen, ouch allen denen, die gottlosslich lebent und ir leben nit enderen, die werden allso jämerlich enden. Und andere gschryfft hiemit angezögt, namlich Numeri 16 16 : Dathan, Abyron; 4. Regum 9 17 : Jesabel; 1. Regum ultimo 18 : Saul; 2. Regum 18 19 : Absolon; 4. Regum 19 20 : Senacherib, et Abymelech 21 etc. Und also wyl ich üch herin rechnung geben han miner ler, und vermeynt also, ich hette es wol troffen und christelich exhortiert, nieman zu nachteyl. Da ist der Huber 22 , der eltist münch, uff die barkilchen 23 gelouffen und in 24 uffgewecht 25 , ob er nit darzu thu wel, ich hab sy und all amptlüt geschent und geschmecht, und ein gemeynd vociert und an sy bezüget 26 . Doch muß megen insagen, was sy wend, da nit an ist 27 . Aber es ist nit anders, dan wie ir hie bericht sind. Sy wend nit angerürt nach gestrafft 28 und geleit sin und alle wort sinistre ußlegen, als dann ettlichen me han gethon, und geschirren ander lüt an 29 , die ein uff lassen gan 30 , und wend sy dann die hend weschen. Und das füg ich üch ze wissen als einem lieben vatter und heren, dan den uffsatz 31 han ich erlanget, das ich die huren han vertryben 32 . Dann die heren hand ein eygen löffer 33 inen zugeschickt. Und verhoffte, ich welt das antichristenrich zestoren und dem frommen Christum darsetzen, wenn die widerchristen nit werent; ich hette fromer lutten gnug.

Ich byt üch, entschuldigen mich, ob es ettwan bedacht wurde 34 , und lassent mich bevollen sin by der warheit und rechten sachen. Beschirment mich, so wyl ich mich aller redlicher datten flyssen.

11 [hierum], deshalb (Grimm IV/II 1319).
12 Röm 1, 28.
13 etwas Bußwürdiges, Strafbares begehen (SI IV 1754f), hier: Blutschuld auf sich laden.
14 Vgl. Mt 26, 14-16 par.
15 besonders (SI VII 1140).
16 In der Vorlage versehentlich 14. Vgl. auch Num 26, 10f.
17 2Kön 9, 30-37.
18 1Sam 31.
19 2Sam 18, 1-18.
20 2Kön 19, 37.
21 Vgl. Ri 9 und 2Sam 11,21.
22 Vgl. oben Anm. 3.
23 Empore (SI III 235).
24 den Pfleger.
25 angetrieben, aufgewiegelt (Grimm I 773).
26 das Volk zusammengerufen und zu Zeugen genommen (vgl. Grimm XV 852).
27 Mancher wird gezwungen, Dinge zu sagen, die nicht wahr sind.
28 getadelt, zurechtgewiesen (SI XI 2092-2095).
29 beauftragen andere Leute (vgl. SI VIII 1179f).
30 ereignen lassen (vgl. SI II 13).
31 Feindschaft, Haß (SI VII 1537f).
32 Der leichtfertige Umgang mit Mädchen und deren Beherbergung war schon früher beklagt worden (vgl. HBBW IV, S. 164f). Steiner war offenbar dagegen eingeschritten.
33 Unbekannt.
34 wenn einmal darüber beraten würde (vgl. SI I 594. XIII 676f).


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Begrützen mir üer volck 35 . Vale prospere et sane.

Datum sabbato ante oculi.

Nicolaus Steiner

vestris praeceptis se a

subiciens.

[Adresse auf der Rückseite:] Ad dignissimas manus doctissimi viri, magistri Heinrici Bulligeri, concionatoris divinorum Thuricensis, domino suo semper obediendo.