Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[530]

Ambrosius Blarer an
Bullinger
Tübingen,
15. Februar [1535]

Autograph: Zürich StA, E II 357, 16r.-v. (Siegelspur) Zusammenfassende Übersetzung und Teildruck: Blarer BW I 653-655

Will für Thomas [Hofmann] und Konrad Lüthard sorgen, bittet aber, in Zukunft nur noch von ihm selbst Berufene zu senden. Die Erneuerung der Universität [Tübingen]ist angeordnet worden; Peter (Brun], Gall (Müller], (Johann]Armbruster und Rudolf [Unger] wurden entlassen, Konrad [Blicklin] ist gestorben, [Georg]Simler erkrankt; das Studium des Kirchenrechts wird umgestaltet, außerdem werden bedeutende Professoren berufen, die Bursen zusammengelegt und die Gehälter erhöht. Vielerorts hat das Lesen der Messe aufgehört; die Abendmahlsliturgie, die Schnepf in Stuttgart eingeführt hat, ist kaum zu bemängeln. Lobt Herzog [Ulrich von Württemberg]. Erläutert seine Abendmahlslehre. Ersucht um Fürbitte. Grüße.

Gratia Christi tecum.

Thomam illum 2 , quem huc rursum abmandasti, clarissime Bullingere, non paenitebit, spero, suscepti itineris, tametsi vix iam fuerit, unde prospicerem. Arrident hominis mores et ingenium, inprimis pietas et mediocris eruditio. De Conrado Luthardo 3 nihil nunc polliceor, sed referam tamen in catalogum aliorum, quibus consultum cupio, nec excidere mihi patiar, suo tempore hunc quoque vocaturus. Profecto a tua praecipue caussa illum b retinui; nam sunt non parum multi boni et eruditi fratres, quos iamdudum bene sperare iussi. Proinde nullum huic non a me prius vocatum addes. Vellem omnino, si possem, omnibus adesse, qui isthinc mihi commendati sunt, et adfuturum etiam non dubito, sed suo tempore.

a nach profecto gestrichenes illum.
b illum übergeschrieben.
1 Die Nachrichten über die Neuordnung der Universität Tübingen (Z. 12-26) erlauben
eine sichere Datierung auf 1535.
2 Thomas Hofmann, vgl. HBBW IV, S. 386, Anm. 40.
3 Zur Situation Konrad Lüthards vgl. HBBW IV, S. 149f, Anm. 4f.


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Caeterum hic currit et glorificatur sermo dei. Praescripta est gymnasii reformatio 4 . Missi facti sunt doctores aliquot 5 : tres c theologi - Petrus Monachus 6 , Gallus, parochus huius ecclesiae et scholae professor 7 , et adulescentior Armbrosterus, nunc rector gymnasii 8 —, medicus Rodolphus 9 . Demortuus

c tres am Rande nachgetragen für gestrichenes duo.
4 Gemeint ist die "Reformation und newe Ordnung der Universitet zu Tüwingen", welche Herzog Ulrich auf Grund der Vorarbeiten von Grynäus und Blarer am 30. Januar 1535 erlassen hatte; vgl. oben Nr. 505, 11-13.
5 Vgl. Johannes Haller, Die Anfänge der Universität Tübingen, 1477-1537, Stuttgart 1927, S. 335f; Zweiter Teil: Nachweise und Erläuterungen, Stuttgart 1929, S. 130*f.
6 Peter Brun (Braun, gen. Monachus), 1463-1553, von Kirchheim unter Teck, studierte ab 1486 in Basel (Basel, Matrikel I 195) und ab 1489 in Tübingen, wo er 1492 zum Magister, 1504 zum Doktor der Theologie promovierte. Seit 1498 lehrte er Theologie, ab 1519 als erster Ordinarius. Neunmal versah er das Rektorat. Zugleich war er seit 1495 als Nachfolger seines Lehrers Gabriel Biel Stiftspropst von Einsiedel im Schönbuch. Brun, der nicht mit eigenen theologischen Leistungen hervortrat, war persönlich hoch geachtet und behielt nach der Entlassung seinen Sitz im Universitätsrat. — Lit.: Heinrich Hermelink, Die theologische Fakultät in Tübingen vor der Reformation, 1477-1534, Tübingen 1906, S. 200f und Reg.; Haller, aaO, S. 196. 258. 335f. 71*. 130*f und Reg.
7 Gallus Müller, von Fürstenberg (an der Donau), geb. vor 1490, gest. 1546, studierte 1507 in Freiburg i. Br., wo er 1535 eine Burse stiftete, in Köln (via antiqua) und ab 1509 in Tübingen (via moderna), wo er 1510 Magister, 1519 Doktor der Theologie, bald Ordinarius und 1522 zugleich Stifts- und Stadtpfarrer wurde. Sechsmal versah er das Rektorat. Er gab je ein Werk Gabriel Biels und seines Lehrers Wendelin Steinbach heraus. 1526
nahm er an der Badener Disputation, 1540 am Hagenauer Religionsgespräch teil. Er trat Blarer entgegen, der ihm die Kanzel verbot. Ende Januar 1535 wurde Müller entlassen. Als Hofprediger und Visitator in Innsbruck versuchte er Täufer zu bekehren und bekämpfte das Konkubinat der Geistlichen. Ab 1543 war er Stadtpfarrer in Meran. —Lit.: Hermelink, aaO, S. 172. 203f und Reg.; Haller, aaO, S. 304. 333. 335f. 118* und Reg.; Anton Nägele, Dr. Gallus Müller von Fürstenberg a. D. und sein Wirken in und für Tübingen, Freiburg und Tirol, in: Freiburger Diözesan-Archiv 66 (NF 39), 1938, S. 97-164; Joseph Loserth, in: Mennonitisches Lexikon III, Karlsruhe 1958, S. 176-178.
8 Johann Armbruster, dessen Lebensdaten nicht bekannt sind, studierte ab 1520 in Tübingen, wurde 1523 Magister, wirkte in seiner Heimatgemeinde Walddorf (bei Tübingen) als Pfarrer und an der Universität als Sententiarius. 1532 erhielt er die vierte theologische Professur. Mit seiner Wahl zum Rektor am 18. Oktober 1534 stellte sich die Universität demonstrativ gegen die Neuerungen. Der Erlaß vom 30. Januar 1535 (vgl. Anm. 4) beließ ihn für den Rest des Semesters im Amt und gestand ihm noch für ein Jahr die Besoldung zu. Der entschiedene Reformationsgegner übernahm danach ein Kanonikat in Würzburg. — Lit.: Hermelink, aaO, S. 208 und Reg.; Haller, aaO, 305. 333-336.
9 Rudolf Unger, dessen Lebensdaten nicht bekannt sind, stammte aus Blaubeuren, studierte 1480 in Tübingen und wurde 1486 Magister. 1515 wurde er als Professor der Medizin berufen. 1534 überließ man ihm eines der Kollegienhäuser als Wohnung, um dem alten, gebrechlichen Mann die Vorlesungen zu erleichtern. Am 5. Mai 1535 wurde er pensioniert. — Lit.: Haller, aaO, S. 258. 306. 336. 99* und Reg.


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est canonum professor ordinarius, Ebingerus 10 . Simlerus 11 , plane doctus legum interpres, apoplexia laborat, qui vereor ut possit restitui. Mittentur et alii duo canonum praelectores 12 , et unus solus canonum lector in schola retinebitur, qui non papisticas nugas, sed secundum librum Decretalium 13 de iudiciis et paucissima alia propter practicam, ut vocant, legat 14 . Advocamus praestantes medicos, excellentes iurisconsultos, egregios theologos, linguarum professores peritissimos 15 . lungentur duo ista factiosa realium et nominalium, sic enim appellant, contubernia, ut unum sit contubernium 16 , ubi omnibus in commune praelegatur Aristoteles, praelegantur bonae literae 17 . Amphora erunt
10 Konrad Blicklin, gen. Ebinger, war am 3. September 1534 gestorben. — Blicklin, geb. um 1460, stammte aus Ebingen. Er hatte sein Studium 1475 in Basel begonnen (Basel, Matrikel I 134) und an der Universität Tübingen 1477 fortgesetzt. 1483 wird er als Lizentiat, 1491/92 als Doktor beider Rechte und ab 1495 als Ordinarius für die sogenannten neuen Rechte genannt. Spätestens von 1510 an wirkte er als Ordinarius für Kirchenrecht. Als Gelehrter und Lehrer war sein Ansehen groß, doch außer zwei Gutachten aus dem Jahre 1495 ist von seinen Arbeiten nichts erhalten. — Lit.: Karl Konrad Finke, Die Tübinger Juristenfakultät 1477-1534. Rechtslehrer und Rechtsunterricht von der Gründung der Universität bis zur Einführung der Reformation, Tübingen 1972. — Contubernium 2, S. 113-118.
11 Georg Simler (Symler), geb. vor 1480, gest. 1536, von Wimpfen, studierte vielleicht in Schlettstadt sowie 1490-1492 in Leipzig. Um 1500 wurde er Rektor der Lateinschule in Pforzheim, wo Melanchthon 1507-1509 sein Schüler war. 1510 wurde er in Tübingen immatrikuliert und zum Magister promoviert. Hier lehrte er zunächst bei den Artisten und gab 1512 als erster in Deutschland eine griechische Grammatik heraus. Daneben studierte er die Rechte. Ab 1515 lehrte er weltliches Recht als außerordentlicher, ab 1518 als ordentlicher Professor. Sowohl als Humanist wie auch als Jurist genoß Simler hohes Ansehen. Anfang 1535 lähmte ihn ein Schlaganfall. — Lit.: Finke. aaO, S. 185-189; Karl Hartfelder. in: ADB
XXXIV 350-352; Ilse Guenther, in: Contemporaries III 253.
12 Der verstorbene Konrad Blicklin (vgl. oben Anm. 10), Peter Neser und Jakob Kalt waren die Inhaber der drei Lehrstühle für Kirchenrecht (vgl. Finke, aaO, S. 216). Neser erhielt im März 1535 die Kündigung und Kalt verließ die Universität nach dem Wintersemester 1535/36 (vgl. ebd. 211f. 213).
13 Das Corpus Iuris Canonici enthält mehrere Sammlungen von "epistolae decretales", päpstlichen Schreiben über hauptsächlich disziplinarische Fragen, welche Gesetzeskraft erlangt hatten; s. Alfons M. Stickler, in: LThK III 205.
14 Der neue Inhaber des Lehrstuhls für Kirchenrecht, Bartholomäus Amantius, traf am 10. Mai 1535 in Tübingen ein (vgl. Haller, aaO, S. 337).
15 Es gelang, bedeutende Persönlichkeiten nach Tübingen zu berufen, die zwischen Mai und Dezember 1535 ihr Amt antraten, so z. B. Bartholomäus Amantius und Johann Sichard für kirchliches und weltliches Recht, Joachim Camerarius für Griechisch, Paul Constantin Phrygio für Theologie, den Mediziner Leonhard Fuchs sowie den Gräzisten und Juristen Melchior Volmar. Vgl. Haller, aaO, S. 337f. 130*-133*.
16 Zur Vereinigung der beiden Bursen vgl. Urkunden zur Geschichte der Universität Tübingen aus den Jahren 1476 bis 1550, [hg. v. Rudolf Roth], Tübingen 1877, S. 177.
17 Zum Wechsel vom mittelalterlichen zum humanistischen Lehrplan in Tübingen vgl. Urkunden, aaO, S. 189f.


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omnium quam hactenus salaria 18 , quamquam nunc non possum totum hoc institutum ad te perscribere, quod alias accipies 19 .

Stutgardie, Herrenbergae, Canstatt etc. missa papistica prorsum extincta est; non quod hanc suo decreto princeps abrogarit, sed aliae fuerunt sacrificis caussae, ut cessarent. Que cum apud nos non sint, hic certe extrema positura videtur vestigia 20 . Coena Stutgardiae a Schnepfio talis est instituta, ut non possis in illa multum desiderare 21 . Non elevantur panis et calix nec sacris induitur vestibus, qui minister est. Cantantur psalmi nonnulli, leguntur lectiones, canitur hymnus angelicus 22 et In terra 23 ; quaedam latine, quaedam germanice dicuntur.

Princeps 24 magis ac magis fidere domino videtur, quem quo penitius perspicio, hoc magis mecum veneror et adoro. Reservatum d ipsum a domino puto maximis rebus conficiendis.

De mea in cena Christi sententia nolim te sollicitum et anxium esse 25 . Facile vides veram me corporis et sanguinis Christi praesentiam in caena statuere, sed quae sit extra quantitatem, qualitatem et locum, qua in re non videor a quoquam vere erudito, sive Lutheranus is sit sive Zvinglianus, dissidere. Dominus nobis alias atque alias concordie fenestras propicio numine subinde aperiat 26 !

||16v. Tu me tui longe amantissimum servatori Christo pientissimis praecibus cons[tanter]e commenda, ut par esse queam illi, cui me destinavit, muneri.

Salutem dic sanctissimae uxori tuae 27 cum liberis, deinde optimis viris Leoni 28 , Theodoro 29 ac reliqu[is]f . Bene vale, mi venerande et charissimis charior Bullingere.

Tubingae, 15. fe[bruarii]g .

Tuus Ambrosius Blaurerus.

[Adresse darunter:] Clarissimo viro domino Heinricho Bullingero, Tiguricen[sium] episcopo, venerando suo fratri.

d Reservatum korr. aus Reservatur.
e-g Randtext im engen Einband nicht zugänlich.
18 Die Gehaltserhöhung war beträchtlich (vgl. Haller, aaO, S. 338).
19 In seinen folgenden Briefen an Bullinger erwähnt Blarer nichts mehr davon.
20 Während an vielen Orten Württembergs das Lesen der Messe von selbst aufhörte, brauchte es für Tübingen den herzoglichen Befehl vom 7. März 1535; vgl. Heyd III 94. 98.
21 Wahrscheinlich wurde das Abendmahl in Stuttgart zum ersten Mal am Sonntag Invocavit (14. Februar 1535) nach evangelischer Ordnung gefeiert; vgl. Heyd III 94-98 mit Anm. 185f; Julius Hartmann, Erhard Schnepff, der Reformator in
Schwaben, Nassau, Hessen und Thüringen, Tübingen 1870, S. 41.
22 Das "Gloria in excelsis deo", vgl. Bruno Stäblein, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart, Bd. 5, Kassel-Basel 1956, Sp. 302-320.
23 Zweiter Vers des "Gloria", womit der Chor einsetzt.
24 Herzog Ulrich von Württemberg.
25 Blarer hatte Bullinger am 7. Januar um eine Stellungnahme zu seiner soeben erschienenen Verteidigungsschrift gebeten; vgl. oben Nr. 505, 2-4. Möglicherweise hatte dieser inzwischen Vorbehalte angemeldet.
26 Zur Redensart vgl. Adagia, 1, 4, 3 (LB II 152).
27 Anna Bullinger, geb. Adlischwyler.
28 Leo Jud.
29 Theodor Bibliander.