Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

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Peter Rümeli an
Bullinger
Zurzach,
1. Juni [1533]

Autograph: Zürich StA, E II 441, 49. Siegelspur. -Ungedruckt

Der Pfarrer von Tegerfelden, [Johannes Winzürn], mußte seine Stelle verlassen. Rümeli befürchtet, ihm selbst werde es auch so gehen, da die Katholiken bereits gegen ihn wirksam geworden sind. Die Reformierten werden zur Messe gedrängt und leiden unter den hohen Abgaben an die Chorherren. Bitte um Rat und Hilfe.

21 Es kann sich nur um Bullingers «Commentarius in Acta apostolorum» (HBBibl I 43) handeln, der im August 1533 erschien und die selbe Materie wie Vadians Epitome zum Inhalt hat; zur Widmung des Werkes an die Frankfurters. unten Nr. 255.
1 Peter Rümeli aus Konstanz besuchte die Schule in Zürich und wurde 1528 Pfarrer in Schwanden (Kt. Glarus). Von Anfang an geriet er dort in die heftigen Auseinandersetzungen zwischen Katholiken und Evangelischen und wurde schließlich aufgrund der Bestimmungen des Glarner Landfriedens vom 21. November 1532 vertrieben. Die Zürcher verordneten Rümeli daraufhin nach Zurzach, wo er aber offenbar schon nach kurzer Zeit im Sommer 1533 dem katholischen Druck weichen mußte (s. Rümelis Brief an Johannes Winzürn in Zürich, 20. Juni [1533], Zürich StA, E II 441, 48). Länger als ein Jahr hielt er sich, vom Rat unterstützt, in Zürich auf. Leo Jud empfahl ihn 1533 und 1534 wiederholt Ambrosius Blarer und Simon Grynäus. Er wurde nicht, wie Held angibt, am 25. Oktober 1534 nach Württemberg geschickt, sondern erhielt zunächst Ende 1534 oder Anfang 1535 eine Pfarrstelle in Frauenfeld. Auch dort kam es bald zu Konflikten zwischen den Glaubensparteien. Einen Ruf nach Kempten, den er im Februar 1535 erhielt, nahm er offenbar
nicht an, doch scheint er im Laufe des nächsten Jahres die Schweiz verlassen zu haben. Wo und wann Rümeli, der bereits mit Zwingli in schriftlichem Kontakt stand, Bullinger kennenlernte, ist nicht bekannt. Vor allem aus Frauenfeld wandte er sich öfters mit der Bitte um Rat und Hilfe brieflich an den Antistes. Der vorliegende Korrespondent Bullingers ist nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Pfarrer von Albisrieden und Witikon. -Lit.: Z IX 600f. X 127; Blarer BW I 419. 590f; Gottfried Heer, Kirchengeschichte des Kantons Glarus, Kap. III: Die Reformation, Glarus 1900, S. 77. 87-89. 91. 140. 146; derselbe, Die evangelische Geistlichkeit des Landes Glarus 1530-1900, Kap. VIII der glarnerischen Kirchengeschichte, Schwanden 1908, S. 40; Emanuel Schmid, Beiträge zur Geschichte der Gemeinde Schwanden mit Berücksichtigung der Nachbargemeinden. -Glarner Beiträge zur Geschichte, Rechtswissenschaft, Sozialpolitik und Wirtschaftskunde 25, Glarus [1936], S. 34-36. 249; Friedrich Held, Die Tätigkeit des Ambrosius Blarer im Herzogtum Württemberg in den Jahren 1534-1538, in: Blätter für württembergische Kirchengeschichte 65, 1965, S. 172.
2 Das Jahr ergibt sich aus dem Absendeort Zurzach, wo sich Rümeli nur 1533 aufhielt, sowie aus der Erwähnung von Winzürns Schicksal, s. unten Anm. 4.


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Sciencie dei accessionem precor tibi.

Lieber Meister Heinrich. Ir hand wol verstanden, wie es minem mitbruder 3 von Tägerfeld gangen ist, der hat doch zeletzsten ouch mit grossem leid mussen von sinen schaffen wichen 4 , wie wol, als ich von den gutwilligen vernim, sy ein groß truren ab sinem abscheid hand empfangen, dan sy in ungern von inen lassen, diewil sy mögen erkennen, söllichs mer us ufsatz 5 dan uß beschulden geschehen sin. Also oder vil ärgers möcht es mir ubernacht ouch begegnen, dan ich schon zum teil durch etlich guthertzig die practick uber mich gemacht 6 han verstanden, das mir 3 artickel schon sind ufzeichnet, under denen einer ist, ich hab geredt, got sy nit mer by uns liplich uf erden, so doch ich die wort act. 1 [11], von engel geredt, von der menscheit Christi nach vermögen des gloubens usgelegt hab, mit gegensatz anderer geschriften im Joh. 14. 16. 17 7 . etc. Nun wist ir wol, das unser verantwurten 8 nüt gilt, sonder der geistlichen schriben 9 etc. Es drengt 10 mich ouch, lieber Meister Heinrich, das ich muß sehen und on alle widerred dulden, das vil der unseren schwachen durch irrige, ungegrundte leer und tröwung der zitlichen straff von unserem widersecher ouch von der oberkeit am meisten abgewisen werden zu der meß, das inen doch in irem hertzen, als si sagen, ein grewel ist. Und zum dritten ist es minen underthonen 11 ein grosse beschwärd, das sy so vil guts, als sy es schetzen den dritteil irer güteren, müssen den korherren 12 gen, und aber ein predicanten selbs ouch müssen spisen 13 , dan ich hab mich die zit müssen liden 14 mit essen und trincken, das ich nach anzeignung der gschriften a 15 min friheit 16 nit gebrucht hab 17 . Bin zehuß gsin 18 , das aber minen handel gar übel fügt 19 , wie ir selbs wol mögen ermessen. Uf sollichs alles ist min pit an üch, ir welt min not und antigen selbs baß ermessen und von herr B Hansen 20 , minem mitbruder, erkunden 21 , mir hilflich und rädtlich sin, damit ich von minen gnädigen

a in der Vorlage irrtümlich gschift.
b aus bruder korrigiert.
3 Johannes Winzürn.
4 Über die Schwierigkeiten, die Winzürn als Pfarrer in Tegerfelden vor allem von Seiten des Badener Vogts Schönbrunner bereitet wurden, gibt Winzürns Brief an Bullinger [kurz nach dem 23. April] 1533 (oben Nr. 213) Auskunft. Schönbrunner ließ Winzürn am Auffahrtstag (22. Mai) 1533 vor der Predigt verhaften, wogegen Bürgermeister und Rat von Zürich protestierten (Zürich StA, Ratsmissiven, B IV 5, 130). Die Entlassung Winzürns konnte aber nicht verhindert werden; s. auch Josef Ivo Höchle, Geschichte der Reformation und Gegenreformation in der Stadt und Grafschaft Baden bis 1535, Zürich 1907, S. 183f.
5 Feindschaft, Haß (SI VII 1537f).
6 den auf mich gemachten Anschlag.
7 V. a. Joh 14, 3f. 16, 5. 17, 11.
8 Gemeint sind wohl die Rechtfertigungen der reformierten Pfarrer.
9 Es handelt sich wohl um Anklageschriften von katholischen Geistlichen, in denen aufgeführt wurde, gegen welche Punkte des Landfriedens die reformierten Pfarrer verstoßen
hatten. Meistens wurde dabei der Vorwurf des Schmähens gemacht.
10 bedrückt.
11 den Gliedern der reformierten Gemeinde.
12 den Chorherren des Zurzacher St. Verena-Stifts.
13 Offenbar galt in der Gemeinen Herrschaft Baden für den Unterhalt des reformierten Pfarrers eine ähnliche Regelung, wie sie im November 1532 für das Gebiet des Abts von St. Gallen getroffen worden war, wonach es den Untertanen erlaubt war, einen Pfarrer anzustellen, jedoch auf ihre eigenen Kosten (EA IV/1b 1425 s.).
14 sich begnügen, sich bescheiden (SI III 1090).
15 gemäß dem Wortlaut der Heiligen Schrift.
16 Recht, Privileg (SI I 1265); nämlich das Privileg des Pfarrers, von der Gemeinde unterstützt zu werden, vgl. Lk 10, 7f.
17 Vgl. 1 Kor 9, 1-18, wo Paulus schreibt, daß er freiwillig auf das ihm als Apostel zukommende Recht, Unterhalt zu fordern, verzichte.
18 ich habe zur Miete (und nicht in einem Pfarrhaus) gewohnt (SI II 1700).
19 sehr ungelegen ist (SI I 702).
20 Johannes Winzürn.
21 Winzürn kannte offenbar die schwierige Lage


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herren 22 bedacht werde, ob ich müste oder möchte da beliben, das mir doch auch min zimliche notturft von den korherren, ouch besserung 23 geben wurde. Aber ich trag grosse sorg, ich mög noch künde nit da bliben, so überschwencklich groß ist der uffsatz der widersächeren und finden Christi. Lieber Meister Heinrich, ich pit üch, ir welt mir wider schriben, wie ich mich in söllichen grössen gefarlicheiten halten söl.

Läb in üch Christus 24 .

Datum Zurzach, 1. iunii.

Petrus Rimelin.

[Adresse auf der Rückseite:]Dem erwürdigen, frummen M. Heinrich Bullinger, minem lieben herren und vatter.