Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

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Johannes Winzürn an
Bullinger und
Leo Jud
Tegerfelden ,
[kurz nach dem 23. April]3 1533

Autograph: Zürich StA, E II 340, 58. Siegelspur. -Ungedruckt

Berichtet über eine Auseinandersetzung mit dem Badener Vogt [Heinrich Schönbrunner], der Winzürn vorwirft, mit seiner Predigt und Amtsführung den Landfrieden zu verletzen. Winzürn ist bereit, sich dem Gericht zu stellen und bittet Bullinger um Rat.

1 Johannes Winzürn, gest. 1576, war 1528 bis Ende 1531 oder Anfang 1532 Pfarrer in Balgach (Kt. St. Gallen). Dort offenbar abgesetzt, wurde er am 13. März 1532 zusammen mit anderen vertriebenen Prädikanten in Zürich examiniert (s. AZürcherRef 1823) und daraufhin nach dem zur Grafschaft Baden gehörenden Tegerfelden geschickt. Im Frühsommer 1533 mußte er dort dem Druck der Katholiken weichen (s. Peter Rümeli an Bullinger, 1. Juni [1533]; unten Nr. 230), worauf
man ihn nach Niederweningen (Kt. Zürich) versetzte (s. AZürcherRef 1956). 1540 wurde Winzürn Pfarrer im schaffhausischen Neunkirch. Wegen begangenen Ehebruchs mußte er 1553 jene Stelle aufgeben (s. Simprecht Vogt an Bullinger, 30. August und 16. Oktober 1553; Zürich StA, E II 343, 453 bzw. E II 337, 564). Am 13. Januar 1554 setzten sich die St. Galler Pfarrer in einem Brief an Bullinger für Winzürn ein, den sie aus dessen Balgacher Zeit kannten (s. Kessler,


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Gratiam et pacem a domino etc.

Lieber Meister Heinrich und Meister Leo. Ich thun üch zu wyssen, das der landvogt von Badenn 4 uff zinstag vor sant Jörgen tag nechst verschinen 5 zu miner herber[!] zu Tegerfeldenn ist geritten und mit mir gantz unbeschedenlich 6 gerett, welches ich üch nit kan verhallten, und zeig üch nit sömlichs an von wegen miner person, sunder von wegen göttlicher er, die damit gröblich gelesteret wirt, ouch unser gloub also gschmechtt. Ist min byt an üch, das yr sömlichen handel vätterlichen betrachten und, so fer es üch gut bedücht, sömlichs eim burgermeister 7 und den ratten anzezeigen. Nit das ich begere, das mine gnädigen herren von Zürich etwaß unradß 8 oder unru anfahendt von minet wegen, sunder das do betrachtet werde, wie die er gottes ouch gefyrderet und weder uns noch unserem glouben getröwet, und ungevecht 9 und ungehasset 10 , diewil doch das der landfriden vermag etc.

Und ist das der handel: Anfengklich hatt der landvogt mich angerett, öb ich noch wysse, was er mit mir habe gerett, do der tag zu Baden 11 gewessen? Antwurt: Ja, ich wysse es wol. Landvogt: Warumb ich das aber nit gehalten habe? Antwurt: Ich habe es gehallten (domit yr, mine lieben fetter, aber vernemend, was der landvogt mit mir gerett habe, und er nit selbß muntlich, sunder meister Hab 12 von Zürch und fenderich Störler 13 von Bernn in sinem namen hand also gerett: Die acht ort haben mich wider erkent gen Tegerfelden, und sölle lugen, das ich predige unnachteilig dem landsfriden; antwurt: Ich welle mich des flissen, so fer ich ienen 14 möge; dis ist die

Sabbata 652f). Zu jenem Zeitpunkt hatte Winzürn bereits in Sitterdorf (Kt. Thurgau) gepredigt. Diese Pfarrstelle versah er bis 1567, danach wirkte er bis zu seinem Tod in Altnau (Kt. Thurgau). Seit 1561 war er Dekan des Oberthurgauer Kapitels. Bullinger und Winzürn hatten sich spätestens bei der Examination im März 1532 kennengelernt. Zwei weitere Briefe Winzürns an Bullinger sind erhalten. Ob Winzürn mit dem 1528 in Hirzel (Kt. Zürich) nachgewiesenen Johannes Winznower (s. AZürcherRef 1391, S. 602) identisch ist, wie das Pfarrerbuch 42 und 619 annimmt, bleibt fraglich. - Lit.: ASchweizerRef II 1973; Kessler, Sabbata, Reg.; C[arl]A[ugust] Bächtold, Geschichte der Pfarrpfründen im Kanton Schaffhausen, Schaffhausen 1882, S. 113f; Knittel, Kirche 225; Sulzberger 166. 223; Pfarrerbuch 619; Stückelberger 133 (mit fehlerhaftem Todesjahr).
2 Tegerfelden bei Zurzach (Kt. Aargau) hatte seit 1529 einen von Zürich geschickten reformierten Pfarrer, s. Josef Ivo Höchle, Geschichte der Reformation und Gegenreformation in der Stadt und Grafschaft Baden bis 1535, Zürich 1907, S. 97f.
3 Terminus post quem ist der im Brief erwähnte St. Georgstag, s. Z. 3 und Anm. 5 und 30.
4 Landvogt in Baden bis im Juni 1533 war Heinrich Schönbrunner von Zug, 1483-1537, früher Reisläufer in französischen Diensten, 1522 Ratsherr. Er kämpfte in den Schlachten bei Pavia 1525 und Kappel 1531. Schönbrunner
war ein vehementer Gegner der Reformation. - Lit.: EA IV/1b 1601. IV/1c, Reg.; HBRG I 185. II 350. III 105; Vadian BW IV 218; Bonifaz Staub, Hauptmann Heinrich Schönbrunner von Zug und sein Tagebuch (1500-1537), in: Gfr XVIII 205-225; HBLS VI 231.
5 St. Georgstag war der 23. April, der vorangehende Dienstag der 22. April.
6 unziemlich, maßlos (SI VIII 250f).
7 Diethelm Roist.
8 Unheil, Mißhelligkeit (SI VI 1577-1579).
9 nicht verfolgt, nicht angefeindet (SI I 644f).
10 Vgl. den Wortlaut des Zweiten Landfriedens, EA IV/1b 1568.
11 Es scheint sich um eine der Badener Tagsatzungen zu Beginn von Winzürns Amtszeit in Tegerfelden zu handeln, an der Johannes Haab und Peter Stürler als Abgeordnete teilnahmen (s. Z. 17f). In Frage kommen demnach die Tagungen am 8. April 1532 (EA IV/1b 1320), 10. bis 16. Mai 1532 (ebenda 1338) oder 10. Juni 1532 (ebenda 1353).
12 Johannes Haab.
13 Peter Stürler d. Ä., seit 1512 Mitglied des Berner Kleinen Rates, 1527, 1535 und 1538 Venner. Sehr häufig als Gesandter an den Tagsatzungen und bei Schiedsgerichten. Er setzte sich stark für die Reformation in Bern ein. - Lit.: EA IV/1a-c, Reg.; Anshelm II-VI, Reg.; ABernerRef, Reg.; HBRG III 217; HBLS VI 587.
14 irgendwie (SI I 296).


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sum) und habe den landsfriden nit gebrochen, sunder minen glouben prediget minen schefflinen, und yres gloubens in kein wyß weder gescholten ouch nie gedacht 15 , und hab mich sömlichß bezüget uff ein gantze gmeind, die hab mich gehört. Landvogt zu mir: «Du rümst das din hoch und lügst damit» etc. Uff sömlichs hab ich gefragt, womit ich den landsfriden brochen habe. Landvogt: «Mit dem hast du den friden gebrochen, das du uff den ostertag ein fresseten hast do uffgericht und die selbigen hoch gerümpt. Und mit dem, das du din fresseten so hoch gerümpt hast, domit hast unseren glouben geschmecht.» Darnach rett er: «Wir hand den waren ungezwiffletten allten christenlichen glouben. Darumb hat man uns brieff und sigel geben.» 16 Domit fragt er mich, öb es nit also were. Domit marck 17 ich den griff 18 , antwurt: Wie der landsfriden were, also ließ ich yren glouben sin. Ich hette ouch kein fresseten angericht, sunder das nachtmal der dancksagung begangen mit minen brüderen. Diewil der landsfriden lutete, das yeweder parthy die anderen ungeföcht lassen sölle, begere ich sömlichs. Des hab ich mich ouch bysher geflissen. Ich hab ouch im anzeigt, das der decan von Zurtzach 19 mir uss miner befolnen kilchen mit sin selbs gwalt uff den ostermöntag 20 den tisch 21 (der in nit hab geirt 22 ) heruss getragen (domit er etwa selbß 12 wytte möchte haben 23 ); hab ouch ettlich der rätten zu im gesant, lassen fragen, diewil ich den tisch me uff den selbigen tag welle bruchen (ouch gebrucht), warumb oder us was ursach er den herusß getragen habe. Antwurt: Er welle in do nit wyssen, dan sin gloub wysse nit, das er nebett ein sömlichen mess habe etc. Uff sömlichs hatt mir der landvogt kein antwurt geben, aber nach fyl hoher 24 reden mir also getröwet: (landvogt:) Syge sach 25 , das im me fyrkome 26 , das ich den landsfriden mit sömlichem oder mit anderem breche (iudicent fratres), er welle mich selbs bim kopff nemen. Damit welle er mich warnen, welle mich selbs reichen 27 und an ein landsgricht stellen und do lassen das recht über mich gon. Hatt mich hiemit gefragt, öb ich das verstanden. Antwurt: «Ja, ich begere ouch nüt anders den das recht.» Und hab noch me wellen reden, da tobet er wie ein schwin, und alle min red verschlug er mir im mund. Doby sind die zwen gesin, Caspar Schriber 28 von Baden und Steffen Keiser 29 von Zurtzach (und wo es nott ist, lieben heren, so wil ich selbs persönlich der klag bestendig sin, wo man desse begert). Hiemit bitten ich, das ir die sach betrachten, mir darin ratten. Schribent, wie der sach zü thun syge, umb gottes er willen. Die gnad gottes sy mit üch. Amen.
15 erwähnt (SI XIII 653).
16 Anspielung auf den Passus vom «waren cristenlichen glouben» der V Orte im Zweiten Landfrieden (EA IV/1b 1568).
17 merkte.
18 Kniff, List (SI II 710).
19 Peter Paul von Tobel, Sohn des früheren Dekans Rudolf von Tobel, der ein vehementer Gegner Zwinglis war, s. Johann Huber, Geschichte des Stifts Zurzach, Klingnau 1868, S. 94; Helvetia Sacra, begründet von P. Rudolf Henggeler OSB, hg. v. Albert Bruckner, Abt. II, Teil 2: Die weltlichen Kollegiatstifte
der deutsch- und französischsprachigen Schweiz, Bern 1977, S. 626.
20 am 14. April.
21 den Abendmahlstisch.
22 gestört.
23 damit er ungefähr selbzwölft (er und ungefähr elf andere) Platz habe.
24 stolzer, strenger (SI II 973).
25 falls (SI VII 112).
26 zu Ohren komme (SI III 279).
27 holen.
28 Unbekannt.
29 Unbekannt.


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Datum ut supra 30 , anno 33.

Johans Winzürn,

ein diener des wortß zu Tegerfelden,

üwer willig[er].

[Adresse auf der Rückseite:]Minen lieben herrenn und vätterenn, Meister Heinrich Bulliger und Meister Leo Jud, dinem des wortß zu Zürch.