Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2082]

Erasmus Ritter an
Bullinger und
Kaspar Megander
[Bern],
14. Februar 1545

Original a mit autographer Unterschrift, Nachschrift und Adresse: Zürich StA, E II 362, 59 (Siegelspur) Ungedruckt

Der Berner Rat hat eine Neubearbeitung des von Bucer [revidierten] Katechismus angeordnet: Eine einzigartige Gelegenheit, den Lutheranismus loszuwerden; gleichzeitig auch eine gefährliche Angelegenheit, da dadurch ein [neuer] Streit entstehen könnte. Johannes [Wäber] schreckt nämlich vor jeder Aussage zurück, die dem Abendmahl die Vermittlung von irgendwelchen Verdiensten zuschreibt. Ritter glaubt jedoch gemäß dem bisherigen [Bekenntnis], dass den Menschen die Verdienste und Auswirkungen von Christi Passion im Abendmahl zuteilwerden, so dass Ritter in diesem Fall zusammen mit der gegnerischen Partei Wäber nicht zustimmen kann. Was aus dieser Lage hervorgehen mag, können die [Zürcher] selbst beurteilen! Verneint man, dass die Verdienste Christi im Abendmahl vermittelt werden, könnte dies die Gegner veranlassen, Bucer oder irgendeinen Lutheraner herbeizurufen. Sollte Ritter irren, mögen die [Zürcher] ihn auf seinen Irrtum hinweisen, und ansonsten Wäber ermahnen. Die Revision des Katechismus wurde auf den 20. [Februar] verschoben. Kaspar [Megander]sollte diesbezüglich [den Venner Peter im Haag], ganz besonders aber auch [den Stadtschreiber Peter]Cyro mahnen. Ritter legt seinem Brief den [Berner] Katechismus [von 1541?] und die Satzungen [das "Agend büchly" von 1541 oder das vom Kleinen Rat am 5. Dezember 1544 erlassene Dekret, welches die Revision des Katechismus verordnete] bei. Die Zürcher, denen er sich unterstellt, sollen eine Verfügung treffen. [PS..] Wegen Ritters [schlechten] Gesundheitszustands wurde für die Abfassung des Briefes jemand zu Hilfe genommen.

Gratia et pax a deo.

Amplissimum ostium nobis apertum est semel expellendi Lutheranismum, sed quanto amplius, tanto periculosius. lussit senatus noster, ut catechismum, quem Bucerus ad turbandam ecclesiam nostram reliquerat nobis, corrigeremus, si esset, quod indigeret correctione. 1 Hic inter nos timendum,

a Von unbekannter Hand.
1 Im [Juni] 1536 erschien in Zürich und in Basel der für die Berner Kirche bestimmte Kinderkatechismus von Megander. Ende 1537 wurde er von Bucer revidiert und im Januar 1538 in Bern (mit einigen Abschwächungen, die Ritter noch durchsetzen konnte - s. HBBW VII, Nr. 1081) gedruckt (ein Exemplar ist nicht bekannt). Im Februar/März 1541 wurde auf Peter Kunz' (gest. 11. Februar 1544) Betreiben ein Neudruck von dieser Revision in Bern besorgt (s. Rainer Henrich, Ein Berner 'Kunzechismus' von 1541. Bucers verloren geglaubte Bearbeitung des Meganderschen
Katechismus, in: Zwa 24, 1997, 81-94, bes. S. 82-84 und Anm. 7 mit den Angaben zu den verschiedenen, oben erwähnten Ausgaben und deren Standorten; Ergänzung in HBBW XI 104, Anm. 3. auch wenn die "zwinglische" Partei, u.a. Ritter, den Druck vergebens zu stoppen und eine Neubearbeitung der von Bucer revidierten Fassung des Berner Katechismus zu bewirken versuchte (s. HBBW XI 75f. 104). Dieser Neudruck fand auch nicht die Zustimmung des Berner Rats (Adolf Fluri, Beschreibung der deutschen Schule zu Bern, in: Archiv des historischen Vereins des Kantons Bern 16/3, 1902, 604; Henrich, aao, S. 81 und Anm.


Briefe_Vol_15_125arpa

ne dissensio oriatur, nam Joannes abhorret a verbis, quae significent, ut aliquid ad nos redeat fructus et utilitatis (putans ante actionem ista omnia recepta esse; proinde non opus esse, ut in coena primum recipiamus) ex sumptione coenae dominicae. Ego vero puto magis nos debere circumspectos
1). Als der Berner Rat am 5. Dezember 1544 beschloss, man solle sich künftig an die Berner Disputation von 1528 und an das "Agend Büchly"halten (s. unten Anm. 13), versuchte die zwinglische Partei erneut, einige der Änderungen Bucers wieder zu entfernen (HBBW XIV 604, 27-39). Am 31. Januar 1545 beschloss der Kleine Rat, "Morn [Sonntag, den 1. Februar] an m[einen]h[erren] die burger [an den Großen Rat]bringen [vorzubringen] — diewyl h. Bau [Gering und]Sultzer nit den kinderbericht geendert lut des abscheids [vom 5. Dezember 1544] und Disputatz [von 1528] —, das man den alten, so h. Berchtold [Haller] und Frantz [Kolb] gemacht, bruche; so sye er schon verbessert" (Fluri, aao, S. 599; geht vielleicht Meganders Katechismus - dessen Titelseite die Angabe "Durch Caspar Großmann in fraagswyß gestellt" trägt - auf eine Vorlage von Haller und Kolb zurück, oder handelt es sich dabei um einen Lapsus? Wenn nicht, wäre Hallers und Kolbs Katechismus nicht nur verschollen, sondern merkwürdigerweise auch nie im regen Briefwechsel zwischen Berchtold Haller und Bullinger erwähnt). Aus dem vorliegenden Brief, wie auch aus Michael Stettler, Berner Chronik (StA Bern, DQ 11), Bd. D: 1541-1550, f. 117v.—118r., geht hervor, dass "denn Kilchenndienneren gemeinlich [insgesamt] vor Räthen und Burgeren [vor dem Großen Rat, wohl am 1. Februar] ingebunden [ans Herz gelegt wurde], denn Kinnderbericht, vermög deß im 42. jar gemachten entschlußes [s. HBBW XIV 590f, 15-19 und Anm. 8] nach innhallt des Canntzelbüechlins unnd der Disputation zu verbeßeren unnd dennselbigenn glichförmig zue machen. Wo sy aber nit eines [einig] werden möchten, dasselbige an einn Oberkeit zue bringen." Offensichtlich kam es zu einem Revisionsvorschlag (vonseiten der Zwinglianer?), doch nicht zu einer Einigung unter den Pfarrern, da am 23. Februar 1545 "vonn Räthen und Burgeren" [d.h. vom Großen Rat]beschlossen wurde, "denn Catechismum, diewyl die predicanten der verbesserung nit einhällig, hinzestellen" (Stettler, aao, f. 1 8r.; s. dazu den Auszug aus dem Ratsmanual bei Fluri, aao, S. 605: "...den catechismum berüwen [ze] lassen"). Dies bezeugt ebenfalls der noch vom selben Tag stammende Vermerk des Stadtschreibers Peter Cyro im Ratsmanual, Bern StA, A Il 161,274: "Hoc senatus consulto: Buceri catechismus exautoratus so nun zum andern mal geblätzet [gebessert] worden"(auch in Fluri, ebd., mit falschem Datum vom 25. Februar). Diese Anfang 1545 erstellte Revision, die nicht die Zustimmung aller Pfarrer erlangte, und nicht-wie stets behauptet der von Bucer revidierte Berner Katechismus, wurde Ende Februar 1545 vom Rat zur Seite gelegt.
2 Johannes Wäber.
3 Wäber beschränkt die Abendmahlsfeier auf eine Gedächtnisfeier, genauso wie dies Megander in seinem Kinderkatechismus von [Juni] 1536 tat, wo er das Sakrament lediglich als "Zeychen eyns heiligen Dings"bezeichnete (s. Kaspar Megander, Eyn kurtze aber Christenliche ußlegung für die jugend der Gebotten Gottes, des waaren Christenlichen Gloubens unnd Vatter unsers, mit eyner kurtzen erlüterung der Sacramenten, wie die zu Bämn in Statt unnd Land gehalten, [Basel, Lux Schau-her 1536], f. Cvij,r.), während für Ritter (s. Z. 9-15), obwohl gleichfalls ein Zwinglianer, das Abendmahl ein Zeichen ist, mit dem - so auch Bucer und Calvin - der Herr seine Gnade mitteilt (s. Karl Schweizer, Die Berner Katechismen im 16. Jh., in: Theologische Zeitschrift aus der Schweiz 8, 1891, 96). —Die "Confessio Helvetica prior"(1536) und der "Kunzechismus" von 1541 (s. oben Anm. 1) bezeichneten ihrerseits das Abendmahl als


Briefe_Vol_15_126arpa

esse, quid recipiamus; nam toties hactenus confessi sumus 4 in coena Christum dare nobis communicationem sui corporis et sanguinisch 5 et coenam non tantum constare pane et vino, sed maxime fructu et virtute passionis domini nostri. 6 Igitur confessi sumus Christi corpus nobis adesse in coena, sed per fructum et efficatiam partam salutem per traditum corpus fidei nostrae offerri"b7 per sacramenta. Haec omnia constanter negat bannes. Ego cum negare non possim, dissentire cum lohanne cogor et parti adversae inc tantum accedere. Quid hoc apud nostros parere possit, ipsi iudicate! Etsi ego tantum concedere vellem Ioanni, timeo periculum totius ecclesiae; nam inde occasionem arripere possint adversarii vocandi Butzerum vel alium quendam Lutheranum, ut simul in periculum veniret tota religio.

Proinde vos queso, fratres charissimi, si erro, indicate errorem"; si non, monete Ioannem, ut prudentius agat et vos tantum audiat. Res enim dilata est in 20. huius mensis diem e. 8 Optarem quoque a Caspere 9 moneri Gyronum 10 10 et Sepinum 11, qui ferme eadem sententia laborant, maxime Gyronus, alias fidelis et constans frater. Ego ad vos mitto catechismum 12 et preceptum senatus nostri 13 Legite et ipsi ordinate; nam libenter ego in hoc vobis meam tradam potestatem.

b Vor offerri gestrichenes frustra.
c in nach gestrichenem ac.
d In der Vorlage erororem.
e Inder Vorlage die.
"zeichen göttlicher gnaden" (BSRK V/I 106, 38) bzw. als "zeichen der gnaden und güthäten Gottes, mit denen der Herr Christus uns [in der Vorlage die Abk. für unnd] sine gemeinschafft mitteilt unnd uns siner erlosung versichert"(Ein kurtzer und Christenlicher bericht für die jugend [Bern, Mathias Apiarius], 1541, f. Dviij, r.-v.). —Wir verdanken Rainer Henrich die Benutzung einer Kopie des revidierten Berner Katechismus von 1541.
4 Anspielung auf die "Confessio Helvetica prior".
5 1Kor 10, 16. —Inder von Bucer revidierten Fassung des Katechismus (s. oben Anm. 1 und 3) steht: "da man [im Abendmahl]die gemeynschafft deß lybs unnd blitz Christi empfacht"(f. Eiv,v.).
6 Vgl. die Aussage der "Confessio Helvetica prior": "Inn disen wesenlichen geystlichen dingen stat [steht] die gantze krafft, würkung und frucht der Sacramenten"(BSRK V/I 106, 351).
7 In der "Confessio Helvetica prior"werden
auch die Verben "anbütet" (offerre), "fürgetragen und dargebotten" (exhibere) gebraucht (BSRK V/I 106,40. 107,13f. 107, 21); und doch kritisierte Bullinger den Gebrauch der Wörter "exhibere" und "exhibitio" bei Bucer heftig (s. HBBW XIV 461, 47-49. 581, 30-32 und Anm. 10).
8 Es kam erst am 23. Februar dazu; s. oben Anm. 1.
9 Kaspar Megander.
10 Peter Cyro.
11 Peter Im Haag.
12 Der im Februar und März 1541 entstandene Neudruck des durch Bucer revidierten Katechismus; s. oben Anm. 1.
13 Möglicherweise das "Agend-"oder "Cancell büchly" von März 1529 (BZD C 158; HBBW IX 252, Anm. 6) in seiner 1541 revidierten und neugedruckten Form (HBBW XI 104, Anm. 4; Alfred Ehrensperger, "Der Gottesdienst in Bern Stadt und Land im 16. und 17. Jh., http://www. Liturgiekomission.ch/Orientierung/III F 03 Bern 16-17-Jh.pdf, S. 63-65), dessen Drucklegung als Gegenstück zu der von Peter Kunz veranlassten Neuausgabe des von Bucer revidierten Katechismus angeordnet wurde (Henrich, aao, S. 81. 93); vielleicht aber auch das am 5. Dezember


Briefe_Vol_15_127arpa

Valete.

Datum 14. februarii die anno 1545.

Erasmus Ritter.

Meam valetudinem facile iudicare poteritis, quum iam tercia manus adhibenda esset, quatinus heae litere pararentur. 14

[Adresse auf der Rückseite:] Doctissimis et piissimis fratribus magistro Henricho Bullingero et Gaspero Megandro, ecclesie Tigurine pastoribus vigilantissimis.