Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[1439]

Oswald Myconius an
Bullinger
Basel,
20. Dezember 1540

Autograph a : Zürich StA, E II 336, 193 (neu: 211)(Siegelspur) Ungedruckt

Teilt von Grynäus zugesandte Nachrichten mit: Eine englische Gesandtschaft hat Kaiser [Karl V.]aufgesucht; dieser verfolgt die Lutheraner in den Niederlanden; der Friedensschluß zwischen Venedig und [Sultan Suleiman I.]entspricht den Wünschen des letzteren; in [Calenberg-Göttingen] wird die evangelische Predigt zugelassen; die Protestanten werden wegen der Unterstützung von Goslar eine Tagung abhalten. Aus einem Brief an den Bürgermeister: Gefangene Mordbrenner beschuldigen Herzog Heinrich von Braunschweig; es heißt, der Kaiser wolle auf Mailand verzichten, um leichter Krieg gegen die Protestanten führen zu können; die Gegner sind verunsichert, weil Grynäus [in Worms] gemeinsam mit den Lutheranern auftritt. Im neuen Ketzermandat wütet der Kaiser gegen die Protestanten, obwohl er einen Reichstag angesetzt hat; Vadian ist darin wegen seiner "Epitome" unter den Häretikern aufgeführt. Myconius kommt kaum zum Schreiben und bittet um Nachsicht wegen der Handschrift von Christoph [Rotacher]; weiß nichts von Konrad [...]; nun ist Gelegenheit, das Frauenhaus zu schließen. Gruß. Gerüchte aus Tübingen über einen Umsturz in England, einen Feldzug Polens zur Unterstützung von [Johannes Sigismund Zápolya] und eine Verschiebung des Reichstags.

S. Nova haec adiecit Gryn[aeus]1 : Rex Angliae legationem habet apud caesarem 2 ; opinio est, quod inter se sint inituri foedus. Caesar per Inferiorem Germaniam haeresim Lutheranam sic condemnat sicut in Hispania 3 . Praeterire imaginem et non detegere caput haeresis est et capitale 4 . Vestes eorum, quos combussit, in tempus suspendit ad terrorem. Pacificatio Venetorum cum Turca 5 sic se habet, qualiter ab initio Turca postulavit. Tutores liberorum Erichi ducis, qui obiit Haganoae 6 , sinunt praedicari evangelium in horum ducatu 7 , quamvis Heinrichus, dux Brunswigensis, contra mandarit; nam et

a Mit Unterstreichungen von späterer Hand.
1 Das vorliegende Schreiben war wohl Begleitbrief zu Mitteilungen von Grynäus über den Verlauf des Wormser Religionsgesprächs (vgl. auch unten Z. 23f mit Anm. 17).
2 Als Gesandter König Heinrichs VIII. reiste Stephen Gardiner an den Hof Kaiser Karis V.; s. PC III 139f.
3 Vgl. unten Z. 18-22 mit Anm. 14.
4 Bucer schreibt am 22. November 1540 an Philipp von Hessen: "wa einer nur fur ein bild goht und das haupt nit blößet, so wirdt acht uff in gehabt und er furgenomen, alß der sich argwönig gemacht"; s.
Max Lenz (Hg.), Briefwechsel Landgraf Philipp's des Großmüthigen von Hessen mit Bucer, Band 1, Leipzig 1880 (Nachdruck: Osnabrück 1965). —Publikationen aus den k. Preußischen Staatsarchiven 5, S. 237 (vgl. auch WA Briefwechsel IX 283, Anm. 5).
5 Zum Friedensvertrag zwischen Venedig und Sultan Suleiman I. s. oben Nr. 1435, Anm. 22.
6 Erich I. d. Ä., Herzog von Braunschweig-Calenberg, war am 30. Juli in Hagenau gestorben; vgl. NDB IV 584.
7 Herzogin Elisabeth, die bereits 1538 zum Luthertum übergetreten war, wirkte während ihrer vormundschaftlichen Regierung


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iste ex tutoribus (quorum quatuor sunt 8 ) unus est. Protestantes diem habent dictam propter Goslariam, quae est a caesare excommunicata 9 .

Aliquanto post in literis consulis 10 : Incendiarii 14 Magdenburgae detenti fassi sunt ex tormentis Heinrichum Brunswigensem authorem sibi esse incendiorum et dedisse pecuniam 11 . Idem fassus est, qui Einbeck incendit, qui et periit 12 . Rumor est caesarem Gallo 13 daturum Mediolanum, ut contra nos facilius bellet. Incredibile est adversariis Helvetiorum pagis convenire cum Lutheranis; mirantur ergo his iunctum Grynaeum. Primus conatus adversariorum est seminare inter nos discordiam.

Paucis ante diebus: Mandatum caesaris 14 missum est a bonis quibusdam ad capita nostra. Hic se aperit ille. Breviter: Nullus Herodes, nullus Pilatus ita furuit unquam contra Christum ut iste. Tituli sunt adversum nos sectarii,

(anstelle des noch unmündigen Herzogs Erich II.) auf die Reformation des Kirchenwesens hin; s. Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts, hg. v. Emil Sehling, fortgeführt vom Institut für evangelisches Kirchenrecht der Evangelischen Kirche in Deutschland zu Göttingen, Bd. VI/2, Tübingen 1957, S. 702.
8 Vormünder waren neben Herzogin Elisabeth und Herzog Heinrich auch Kurfürst Joachim von Brandenburg und Landgraf Philipp von Hessen; s. Adolf Brenneke, Die politischen Einflüsse auf das Reformationswerk der Herzogin Elisabeth im Fürstentum Calenberg-Göttingen (1538— 55), in: Niedersächsisches Jahrbuch 1, 1924, S. 120.
9 Die Frage der Unterstützung von Goslar, über das am 25. Oktober die Reichsacht verhängt worden war, wurde Ende Dezember /Anfang Januar am Bundestag zu Naumburg ohne konkretes Ergebnis diskutiert; s. PC III 156; Gabriele Schlütter-Schindler, Der Schmalkaldische Bund und das Problem der causa religionis, Frankfurt 1986. — Europäische Hochschulschriften, Reihe III, Bd. 283, S. 201f.
10 Gemeint ist wohl ein Brief von Grynäus an Bürgermeister Jakob Meyer.
11 Zahlreiche derartige Geständnisse (allerdings nicht aus Magdeburg) finden sich in der 1541 gedruckten "Supplication an kaiserliche Maiestat der Mortbrenner halben"
(abgedruckt in: Friedrich Hortleder, Der Römischen Keyser- und Königlichen Maiesteten ... Handlungen und Außschreiben ... von den Ursachen des teutschen Kriegs ..., Bd. 2, Frankfurt a. M. 1617, S. 694-705, hier S. 695-701). Vgl. auch WA Briefwechsel IX 448, wo u. a. das Geständnis des in Magdeburg inhaftierten Kaspar Berger erwähnt ist.
12 Zum Brand von Einbeck s. oben Nr. 1413, Anm. 38; vgl. die Verhörprotokolle in: Otto Adolf Ellissen, Einbeck im 16. Jahrhundert, in: Zeitschrift des Harz-Vereins für Geschichte und Altertumskunde 27, 1894, S. 550-559.
13 König Franz I.
14 Gemeint ist das am 22. September für Flandern erlassene Ketzermandat (s. Recueil des Ordonnances des Pays-Bas, 2. Serie: 1506-1700, Bd. 4, hg. v. J. Lameere und H. Simont, Brüssel 1907, S. 224-229). Eine deutsche Übersetzung erschien gedruckt (VD 16, N 1583-1585) und findet sich auch als Abschrift (mit Überschrift von Bullingers Hand) in Zürich StA, E II 335, 2044r.—2049r. Gwalther übersetzte das Mandat aus dem Französischen ins Lateinische (s. ebd., 2050r.—205 1v.). Vgl. Georg Kuhaupt, Veröffentlichte Kirchenpolitik. Kirche im publizistischen Streit zur Zeit der Rehgionsgespräche (1538-1541), Göttingen 1998. — Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte 69, S. 234-241. 335f.


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schwermeri b , haeretici. Minim, quur sic definiat comitia indicens 15 . Vadianus haereticus est propter Epitomen topograph[icam]16 etc.

Vix tantillum fuit temporis, ut haec scriberem. Scripturam Christophori 17 bene consule. De Conrado 18 nihil scimus. Habetis occasionem nunc lupanar abolendi 19 ; facite, quod vos decet.

Vale cum tuis, Theodoro 20 , Pellicano feliciter.

Basileae, 20. decembris anno 1540.

Os. Myconius

tuus.

Ex Tubinga: Anglum aiunt captum et infantem filium 21 regem constitutum. Item Polonum 22 50 millibus proficisci in Ungariam propter nepotem infantem 23 etc. Comitia sunt dilata in 3 septimanas propter conventum Wormatiensem.

[Adresse auf der Rückseite:] Domino Heinricho Bullingero, in domino suo. Z[üric]h c .

b Darüber von späterer Hand: schwermeri.
C Teilweise auf das nicht mehr vorhandene Verschlußband geschrieben.
15 Zur Ausschreibung eines Reichstags nach Regensburg vgl. oben Nr. 1430, Anm. 19.
16 Gemeint ist Vadians "Epitome trium terrae partium" von 1534 (für Einzelheiten vgl. HBBW IV, Nr. 419); im Mandat erscheint dieses Werk als "Epithome thopographica Vadiany" unter den verbotenen Schriften.
17 Myconius bezieht sich auf Abschriften von der Hand Christoph Rotachers, wie sie bereits dem Brief vom 6. Dezember beilagen (s. oben Nr. 1437, Anm. 2). Weitere von Rotacher kopierte Dokumente über das Wormser Religionsgespräch finden sich in Zürich StA, E II 350, 335-341 und 381-390b.
18 Gemeint ist vielleicht Rotachers früherer Studienkollege Konrad Suter. Zu denken ist aber auch an jenen wohl nicht mit Suter
identischen "Cunhart", der mit Räubern in Verbindung stand und den Myconius in seinem Brief vom 19. Januar 1541 erwähnt (s. Zürich StA. E II 350, 359).
19 Am 8. November war in Zürich der Steinmetz Stefan Engelhart enthauptet worden, weil er im Frauenhaus eine "gemeine Frau" erstochen hatte (s. Zürich StA, A 27.9, 54; B VI 255, 116); vielleicht spielt Myconius auf diesen Vorfall an.
20 Theodor Bibliander.
21 Eduard (geb. 1537).
22 König Sigismund I.
23 Johannes Sigismund Zápolya, der Sohn von Johannes Zápolya und Isabella von Polen, war erst zwei Wochen alt, als sein Vater am 22. Juli 1540 starb; vgl. Paula Sutter Fichtner, Ferdinand I of Austria. The Politics of Dynasticism in the Age of the Reformation, New York 1982. — East European Monographs 100, S. 122-124.