Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[82]

Berchtold Haller an
Bullinger
[Bern],
31. März 1532

Autograph: Zürich StA, E II 360,41. Siegelspur. —Ungedruckt

Hat Bullingers Brief einigen Vertrauenspersonen gezeigt. Jakob von Wattenwyl wird Berns Abgeordneter am Tag in Aarau sein; Haller hofft, daß Zürich Diethelm Röist senden werde. Er gibt Ratschläge für Bullingers Beziehungen zu führenden Persönlichkeiten in Bern und berichtet über die von Bern wegen Salats «Tanngrotz» unternommenen Schritte; Bullinger sollte Salat antworten, ohne den Drucker bekanntzugeben. Haller macht sich Sorgen wegen der reformationsfeindlichen Kräfte in Bern. Grüße.

S. Lieber bruder Heinrich.

Din flissig ernstlich schriben 1 hab ich verstanden 2 und ze läsen gäben denen, so mich bedunckt ze vertrüwen. Und finden, daß mitt der zit wir och werdint verkudret 3 han. Man muß dem bären krätzlen 4 , biß das er zam und gütig wirt, sin grimmen ablat. Man schickt uff den tag gen Arouw 5 juncker Jacoben von Wattenwil 6 , des christelich hertz dir wol bekant, mitt zimlichen befelch, als ich verstand. Welte gott, daß herr Röst 7 ein bott wäry; by den unsern weiß ich uff dise zit kein angnemeren. Doch ob 8 schon da nütt usgericht, wirt doch das ein ungezwiflet mittel sin zu einer bestendigen concordi, namlich daß die von Schaffhusen und Basel zu unß kartind 9 , umm semliche concordi ersuchtind, und so inen die verlangete 10 , als dann sy allen blast 11 beeder stetten 12 hinwäg und abstaltind 13 . Si hend ouch umm unsertwillen übel gelitten 14 ; so sind sy lindmütiger 15 und beeden stetten angenäm 16 und geachtet.

Das schrib dir uff ein fürsorg 17 ; acht 18 , der Imm Hag berichte dich wyter, dann er je für ander all ifrig in dem handel und ernstiger ist 19 , ouch imm für ander ze

1 Nicht erhalten.
2 zur Kenntnis genommen (SI XI 658).
3 aufhören zu grollen (SI III 152f; vgl. I 906).
4 kraulen, schmeicheln (SI III 932).
5 Der Tag der drei reformierten Orte Zürich, Bern und Basel in Aarau, 3. April 1532 (EA IV/1b 1307f. 1321f).
6 Hans Jakob von Wattenwyl, 1506-1560, Bruder des Niklaus (s. HBBW I 225, Anm. 3), seit 1525 Mitglied des Großen, 1526 des Kleinen Rates, 1533 zum Schultheiß gewählt. Im Ersten Kappelerkrieg befehligte er die Berner Truppen zur Bewachung der Grenze gegen Unterwalden, im Zweiten war er Generalleutnant. Als Förderer der Reformation gelang es ihm 1535, Haller zum weiteren Verbleib in Bern zu überreden. Bullinger kannte ihn sicherlich seit der Berner Disputation persönlich, sie werden sich auch während des Zweiten Kappelerkrieges in Bremgarten getroffen haben. Hans Jakob und dessen Brüdern Niklaus
und Reinhart von Wattenwyl widmete Bullinger 1536 seinen Kommentar zu den Thessalonicherbriefen (HBBibI I 81). Zwei Briefe von Wattenwyls an Bullinger sind erhalten. — Lit.: A. von Wattenwyl, in: SBB IV 228-233; Z IX 398, Anm. 3; HBLS VII 433f.
7 Zu Diethelm Röists hohem Ansehen bei den Bernern s. oben S. 32, Anm. 31.
8 wenn.
9 sich an uns wenden würden (SI III 435).
10 wenn sie diese erlangten (SI III 1331).
11 Mißhelligkeit (SI V 167f).
12 Bern und Zürich.
13 auf die Seite legen und abstellen sollten.
14 Nämlich im Zweiten Kappelerkrieg.
15 weicher, versöhnlicher gestimmt (SI IV 588).
16 als Vermittler genehm.
17 vorsorglicherweise (vgl. SI VII 1303).
18 ich nehme an (SI I 80).
19 da er stets mehr als andere ganz eifrig und ernsthafter bei der Sache ist.


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vertrüwen. Erario 20 nitt so vil; aber Wagner, Trempen, buwherr a Ougspurger 21 , Vischer b , Petro Cirono 22 dem stattschriber alle ding wol ze vertrüwen. Schrib ich darum, so du etwa wil 23 ze schrieben habist, wissist wäm. Interim Erarius non est negligendus, nam sentio hominem suae prudentiae sic innixum, ut quicquid non geratur vel suo consilio vel ipso conscio, omnibus renitatur viribus.

Demnach dess büchlins halb habend unser herren gen Lucern gschriben 24 . Ir antwurt 25 : si wissend nütt darvon; wir söllind dem trucker nachfragen. Ist ouch allen 5 orten und jetlichen insunders geschriben von deren von Bremgarten wägen 26 . Ein schlächte antwurt wider gäben, als ob sy dessi macht und gwalt habind 27 ; doch wellind si nach der heilgen zitt 28 entlich antwurt gäben. Acht wol, man werde in disen comitiis 29 rätig werden.

Der antwurt halb uff den «Tanngrozen» 30 frag nitt vil, wiewol ettlich by unß

a Lesung unsicher. Vielleicht bouwherr oder bouwherre.
b Vischer am Rande nachgetragen.
20 Der Berner Seckelmeister Bernhard Tillmann
21 Michael Ougspurger (Augsburger), gest. 1557, seit 1517 Mitglied des Großen, seit 1530 des Kleinen Rates, wurde 1531 Bauherr. Sein politisches Interesse galt dem Westen. 1536 war er einer der Kriegsräte in der Waadt und der erste Welsch-Seckelmeister 1536-1547. Ougspurger galt als ein Förderer der Reformation, nahm als Ratsverordneter an der Berner Synode 1532 teil und vermittelte 1541 zusammen mit Hans Jakob von Wattenwyl zwischen Farel und seiner Gemeinde in Neuenburg. Bullinger kannte ihn wahrscheinlich seit der Berner Disputation 1528 persönlich. —Lit.: ASchweizerRef, Reg.; ABernerRef 3037.3277; Sulser 211, Anm. 270; Tardent 332; HBLS V 367.
22 Peter Cyro (Giron), gest. 1564, aus Freiburg i. Ue., war seit 1525 Stadtschreiber von Bern. 1526 erhielt er das Bürgerrecht und wurde Mitglied des Großen Rates. Cyro machte
sich besonders verdient in der diplomatischen Vorbereitung und administrativen Durchführung der Eingliederung der Waadt. Er war ein überzeugter Anhänger der Reformation, deren Einführung in der Waadt er in die Wege leitete. — Lit.: Sulser; HBLS II 658.
23 Weile, Zeit.
24 Siehe oben S. 80, Anm. 17 und Anm. 18.
25 Vgl. EA IV/1b 1323.
26 Bern an die V Orte, 23. März 1532, ASchweizerRef IV 1496. — Zur Rekatholisierung Bremgartens s. oben S. 65, Anm. 9.
27 Die V Orte haben darauf eine unbefriedigende Antwort gegeben, als ob sie Macht und Befugnis dazu hätten. — Die Antwort selbst ist nicht erhalten, vgl. aber die Antwort von Zug an Zürich vom 30. März 1532, ASchweizerRef IV 1508.
28 Ostern.
29 Auf der Tagung der reformierten Orte in Aarau, s. oben Anm. 5.
30 Tannenzweig, das Parteiabzeichen der V Orte, war der Titel des Spottgedichts von Johannes Salat, s. oben S. 80, Anm. 17.


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meinind, es sölle «Kressich» 31 genempt werden, die wil der sich Salat 32 nempt 33 . Es sind by unß bären von gschlächt. Wellist herinn handlen, daß der trucker nitt kent werde, dann dir ist wol ingedenck, was Adamo Petro 34 begegnet a Lucernatibus 35 . Wir mögend wol antwurt liden 36 , ist ouch von nöten. Aber nitt vil eeren wirst von unß schriben, also evangelisch und dess eergits ledig sind wir worden.

Ich bitt dich, wellist dem Sepiano 37 , id est Imm Hag, bald antwurten, dann er sich dines schribenß wol frewt und vermag 38 . Diner herren früntlich schriben 39 hatt vil bewegt 40 ; ursachen unsers unwillens wirst by bilegtem brieff 41 verston.

Der gotshußlüten 42 halb mögend wir nütt fürkummen 43 , dann man muß dess anbringens erwarten. Si stond den 4 orten ze verwaltigen 44 . Wo aber ein erlütrung

31 Gartenkresse (SI III 852).
32 Johannes Salat, 1498-1561, aus Sursee (Kt. Luzern), erlernte das Seilerhandwerk, übersiedelte 1520 nach Luzern, dessen Bürgerrecht er 1529 erhielt. Er nahm als Feldschreiber an den Mailänderkriegen teil und machte auch beide Kappelerkriege mit. 1531-1540 war er Gerichtsschreiber und verfaßte in dieser Zeit mehrere historisch-politische Werke und gegen die Reformierten gerichtete Streitschriften. Am bedeutendsten ist seine die Jahre 1517-1534 umfassende Reformationschronik. 1538 leitete er das Luzerner Osterspiel. Wegen Schulden, Urkundenfälschung und wohl auch als Anhänger der französisch gesinnten Partei wurde er 1540 aus Luzern ausgewiesen, hielt sich dann in Sursee, Sempach (Kt. Luzern) und Saanen (Kt. Bern) auf und wirkte 1544-1547 als Schulmeister, später auch als Wundarzt und Alchimist in Freiburg i. Ue. Trotz mehreren Versuchen, wieder in seiner Heimat Fuß zu fassen, wurde Salat dort nicht mehr aufgenommen. — Lit.: Chronik der Schweizerischen Reformation, hg. v. Friedrich Fiala und Peter Bannwart, in: Archiv für die schweizerische Reformations-Geschichte, Bd. I, Solothurn 1868, S. 1-427; eine Neu-edition der Reformationschronik wird vorbereitet von Ruth Jörg; Memorial der Regierung von Unterwalden über den bewaffneten Zug der Obwaldner in das Haslital wider die Berner und über die daherigen Verhandlungen und Folgen von Anno 1527 bis Anno 1531, mitgeteilt durch Theodor Scherer-Boccard, in: Archiv für die schweizerische Reformations-Geschichte, Bd. II, Solothurn 1872, S. 99-151; Salat; Paul Cuoni, Hans Salat - Leben und Werke, in: Gfr XCIII, 1938, 99-225; Wolf Thomëi, Beobachtungen zu Hans Salats Leben und Werk, in: Gfr CXIX, 1966, 118-164; Kuno Müller, Das abenteuerliche Leben des Luzerner Dichters Hans Salat 1498-1561, Luzern 1967. — Luzern im Wandel der Zeiten 41; Ruth Jörg, Vom Einfluß des philologischrhetorischen Humanismus auf die Kanzleisprache, dargestellt am Beispiel des Luzerner
Chronisten Hans Salat, in: Schweizerisches Idiotikon, Bericht über das Jahr 1977, S. 11-21.
33 Bullingers Antwort «Salz zum Salat» (Zürich ZB, Ms A 125) blieb ungedruckt; moderne Ausgabe in: Salat 225-258 (HBBibI I 761; zur Entstehung s. Pestalozzi 84-88).
34 Adam Petri, ca. 1454-1527, aus dem fränkischen Langendorf, seit 1480 in Basel ansässig, wurde 1507 Basler Bürger und kaufte die Offizin seines Onkels, Johannes Petri. Bekannt wurde er durch den Nachdruck zahlreicher Schriften Luthers und anderer Reformatoren. 1525 wurde er durch die Basler Zensur am Druck von Bullingers «De propheta» gehindert (s. HBBW I 77, Anm. 3). — Lit.: Heinrich Pallmann, in: ADB XXV 520f; Benzing, Buchdrucker 31; Grimm, Buchführer 1393f; HBLS V 410.
35 Petri hatte 1522 Hartmut von Kronbergs Flugschrift «Ein kurz treue christliche vermanung an die Eidgenossen» (ASchweizerRef V *6, Nr. 44) gedruckt, was den Protest Luzerns in Basel hervorrief, so daß sich Petri entschuldigen mußte und die gegen Luzern gerichteten Verleumdungen zurücknahm, s. EA IV/1a 292f.
36 sehen eine Antwort gerne.
37 Peter Im Haag; Latinisierung aus saepes, der Zaun, der Hag.
38 mag, gerne hat.
39 Zürich an Bern, 25. März 1532, ASchweizerRef IV 1501; vgl. oben S. 65, Anm. 15.
40 in Bewegung gebracht, bewirkt.
41 Nicht erhalten.
42 Gotteshausleute, Untertanen des Abtes von St. Gallen (HBLS III 611), die nach dem Zweiten Kappelerkrieg einem zunehmenden Druck seitens des Abtes ausgesetzt waren: die völlige Rekatholisierung der Alten Landschaft erfolgte 1572 (s. HBLS VI 44). Zur Lage von 1532 vgl. EA IV/1b 1378f und HBRG III 359-365.
43 können wir nichts verhüten, abwenden (SI III 278).
44 Sie stehen unter der Gewalt der 4 Orte. Die vier Schirmorte der Abtei St. Gallen waren Zürich, Luzern, Schwyz und Glarus.


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dess frideß begärt, ist nitt möglich; muß hinder sich gebracht werden 45 . Ich sorg, die Immotani werdint keine zulassen, als ouch wir in vordrigem friden in dem artikel gottes wort beträffend 46 . Hec ex Erario et Saepiano. In summa: legati veteres, senetiones, cerdones, papistae mittuntur ad comitia 47 . Darum bricht unß allwäg näbenbrets 48 , quod etiam in comitiis agitur; nam ita celantur, ut nihil accipiamus, nisi cum alia iam petenda sunt comitia. Ach, daß gott erbarm dess kriegs: wie hett er so vil hertzen ummkert 49 . Jetz weiß ich aber nitt wyter. Dominus vias tuas dirigat 50 , in sui nominis gloriam, evangelii profectum et patriae salutem.

Vale.

Ultima martii.

Tui ex senatu longam epistolam scripserunt 51 ad Megandrum propter missam. Ich förcht die französischen mess 52 wirß 53 dann die bäpstlichen. Bricht mich allwäg der löffen und dess gschreys 54 . Hodie pedes rursum suo functi sunt officio. Reliqua ex Rellicano. Salutat te Kolbius et alii. Rursum vale.

Anno 32.

Saluta Pellicanum, Leonem 55 , Carolstadium et alios.

Tuum minimum numisma.

[Adresse auf der Rückseite:] Heinrico Bullingero, ecclesiastae Tigurino, fratri suo charissimo.