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C. M. Wieland's Werke.

Achtzehnter Band.

Drittes Buch.

I.

Anstatt den alten Kymon im Garten aufzusuchen, begab ich mich nach der Felsenhöhle, in welcher die Quelle entsprang, woraus ich diesen Morgen die kleine Nymphe Wasser schöpfen gesehen hatte. Die von der Hitze des Tages gemäßigte Kühle dieser Grotte lud mich ein, auf einer dicht bemoos'ten Bank auszuruhen, und meinen Gedanken über alles, was ich an diesem Morgen gesehen und gehört hatte, nachzuhängen. Je mehr ich darüber dachte, desto mehr fand ich mich in der Vermuthung bestätiget, daß dieser außerordentliche Greis, auf den das Homerische Beiwort götterähnlich so gut paßte, kein andrer sey, als der berühmte Apollonius von Tyana, eben derselbe, dessen Lebensgeschichte, von einem gewissen Damis aus Ninive geschrieben, mir vor kurzem aus Athen zugeschickt worden war.Dieser Damis hatte, seiner Versicherung nach, den großen Wundermann auf seinen morgenländischen Reisen begleitet, und alles, was er von ihm erzählt, entweder selbst gesehen, oder glaubwürdigen Personen nachgeschrieben. Aber

welch' eine Erzählung! Wie viel Unsinn in den Sachen! Welche Barbarei im Styl! Eine gewisse kindische Art von Einfalt und Leichtgläubigkeit, die aus dem ganzen Buch hervorleuchtet, scheint ihn zwar gegen allen Verdacht vorsetzlicher Unwahrheiten sicher zu stellen: aber diese Einfalt ist mit einer so großen Schwäche des Geistes und einem so gänzlichen Mangel an Urtheilskraft und Kenntnissen verbunden, daß seine Erzählung, durch die beständige Vermischung oder Verwechslung dessen, was er sah oder hörte, mit seinen eigenen verworrenen Begriffen und Vorurtheilen, in dem wunderbaren Theil derselben alle Glaubwürdigkeit verliert, und selbst da, wo er vielleicht die Wahrheit sagt, den Leser gegen seine Zuverlässigkeit mißtrauisch macht.Ich hatte sein Buch, der barbarischen Schreibart zu Trotz, auf meinen Wanderungen im Gebirge nach und nach durchgangen; und da mir alles noch in frischem Andenken lag, so schien mir, wie augenscheinlich auch der schiefe Blick und die ungeschickte Hand des Malers das aufgestellte Bild verzeichnet hatte, doch in mehreren Zügen die Aehnlichkeit noch immer groß genug, um mir keinen Zweifel übrig zu lassen, daß ich in dem vermeinten Agathodämon das Urbild selbst gefunden hätte.Aber wie es möglich gewesen, daß aus einem so lichtvollen Geist, einem so erklärten Feind aller Schwärmerei, einem Manne, der die höchste Veredlung der Menschheit an ihm selbst und andern zum einzigen Geschäfte seines Lebens gemacht, sogar unter den Händen des stümperhaftesten Sudlers, entweder ein fanatischer Wiederhersteller und Beförderer

des ungereimtesten Dämonismus und der gröbsten Volksvorurtheile, oder ein moralischer Gaukler, der aus selbstsüchtigen Bewegursachen sein Spiel mit der Leichtgläubigkeit der Menschen treibt, hätte werden können; dieß schien mir noch immer etwas Unerklärbares; wiewohl verschiedene, von Agathodämon selbst mir gegebene Winke mich auf eine Spur gewiesen hatten, die zur Auflösung dieses Räthsels führen konnte.

II.

In Verfolgung dieser Spur hatte ich mich so sehr in meinen Gedanken vertieft, daß ich den wackern Kymon, der mich im Vorbeigehen erblickt hatte, nicht eher gewahr wurde, bis er vor mir stand und mich anredete. Ich bat ihn, wenn er Muße hätte, sich zu mir zu setzen. Unvermerkt entspann sich ein Gespräch zwischen uns, worin er sich mir als einen Mann von gesundem Sinn und scharfem Blick zeigte, der, zwar ohne die Vortheile, aber auch ohne das Nachtheilige einer frühen Erziehung, durch das Leben selbst, und durch das Glück, so viele Jahre um Agathodämon gewesen zu seyn, zu einer in seiner Classe ungewöhnlichen Klarheit des Begriffs und Richtigkeit des Urtheils gebildet worden war. Unser Gespräch lenkte sich gar bald auf den erhabenen Greis, dessen Gast ich so unverhofft geworden war. Kymons Anhänglichkeit an diesen seinen ehemaligen Gebieter schien eben so unbegränzt, als seine hohe Meinung von ihm, und er nannte ihn noch immer seinen Herrn, wiewohl er schon lange gewohnt war, als sein Freund von ihm behandelt zu werden.

Ich bahnte mir den Weg zu den Erläuterungen, die ich über verschiedene Punkte von ihm zu erhalten hoffte, indem ich mich glücklich pries, den Zugang in dieses allen Menschen verborgene Heiligthum gefunden zu haben, und von dem darin wohnenden guten Dämon einer so freundlichen Aufnahme gewürdigt worden zu seyn.Kymon sah mir mit einem mehr freimüthigen als forschenden Blick in die Augen, und versetzte: ich sehe, daß mein alter Herr eben denselben Eindruck auf dich gemacht hat, den er immer auf alle Menschen machte, denen er sich, oder die sich ihm näherten. Wiewohl er, wie ich leider befürchte, nur ein Sterblicher ist, so begreife ich doch sehr wohl, wie man sich versucht finden kann ihn für etwas mehr zu halten. Ich wenigstens habe seinesgleichen nie gesehen. Die Natur scheint kein Geheimniß vor ihm zu haben, und seine Gewalt über sich selbst, und über alle Arten von Menschen, ist beinahe unglaublich. Ich rede als einer, der in mehr als fünfzig Jahren kaum von seiner Seite gekommen ist, und in dem Verhältniß eines vertrauten Dieners während einer so langen Zeit Gelegenheiten genug gehabt hat, ihn genauer als irgend ein anderer kennen zu lernen.Welch ein glücklicher Mann bist du, rief ich aus, du, der, sein ganzes Leben durch, einem so außerordentlichen Manne nah, und ein Augenzeuge aller der Wunder, die er verrichtet haben soll, gewesen ist!Ich weiß nicht, was du Wunder nennest, erwiederte Kymon. Etwas, wodurch die Ordnung und der Lauf der Natur unterbrochen worden wäre, hab' ich ihn niemals

verrichten sehen. Aber daß er theils durch seine Wissenschaft, theils durch seine immerwährende Geistesgegenwart und die Allgewalt seines Genius über gemeine Menschen, Dinge gethan hat, die in den Augen der letztern für Wunder gelten konnten, davon bin ich mehr als Einmal Zeuge gewesen.Du scheinst also, sagte ich, die Biographie nicht zu kennen, die ein gewisser Damis von deinem Herrn (den er bereits für gestorben hält) verfaßt hat, und von welcher verschiedene Abschriften in der Welt herumgehen?Ein gewisser Damis? rief er mit dem Ausdruck einer Verwunderung, die mit etwas Mißbelieben vermischt zu seyn schien."Ja, ein Damis von Ninive, der den göttlichen Apollonius sehr genau gekannt zu haben versichert, und im Ton der treuherzigsten Selbstüberzeugung eine Menge erstaunlicher, und, wenn ich frei herausreden darf, unglaublicher, ja sogar äußerst ungereimter Dinge von ihm erzählt."Das mag mir allerdings eine seltsame Biographie von Apollonius seyn, wenn Damis von Ninive eine geschrieben hat! Ich habe diesen Menschen sehr gut gekannt. Es ist wahr, daß er meinen Herrn auf einem großen Theil seiner Reisen begleitet hat, und einer seiner eifrigsten Anhänger gewesen ist. Seine Landsleute gelten, wie dir bekannt seyn wird, überhaupt für ein sehr unwissendes und abergläubisches Volk: aber mit einem solchen Hang Wunder zu glauben, und mit einer solchen Gabe Wunder zu sehen, ist schwerlich in allen Morgenländern jemals ein Menschenkind geboren worden wie Damis; und niemand war wohl weniger fähig als er, sich

von einem Manne wie mein Herr einen Begriff zu machen. Für das, was Apollonius wirklich ist, hatte der arme Ninivit schlechterdings keinen Sinn: aber dafür hielt er ihn für einen Dämon vom ersten Rang, der mit den andern Göttern als seinesgleichen umgehe, den Elementen und den Geistern gebiete, noch etwas mehr als alles wisse, und das Unmögliche möglich machen könne. Was brauchte wohl ein Mensch, den so sehr nach Wundern hungerte, mehr als diesen Wahn, um seine Dienste dem vermeinten Wunderthäter beinahe mit Gewalt aufzudringen, und ihn mit einer wenig verdienstlichen Anhänglichkeit viele Jahre lang allenthalben wie sein Schatten zu verfolgen? In einem solchen Schwindelkopf mußte nun freilich das, was er in dieser Zeit sah und hörte, seltsame Gespenster hervorbringen! Auch läugne ich nicht, daß mein Herr selbst — der vielleicht seine Absichten dabei haben mochte, und die Blödigkeit dieses Menschen für unheilbar ansah —auf eine Art mit ihm umging, die ihn in seinen Einbildungen eher bestärken, als davon zurückbringen konnte.Ich begreife (erwiederte ich), wie sich in dem benebelten Gehirn eines so schwachen Menschen manche Dinge, womit es sehr natürlich zugeht, in Wunderdinge verwandeln konnten. Aber es gibt eine Art von Wundern, die dem kältesten Zuschauer und dem wärmsten, dem hellsten und dem finstersten Kopfe unter einerlei Gestalt erscheinen, und wobei es der Phantasie des Augenzeugen kaum möglich ist, den Sinnen einen Streich zu spielen, vorausgesetzt, daß er eben so wenig von andern betrogen worden sey, als er uns betrügen will.Zum Beispiel?

"Zum Beispiel, die Erweckung eines Todten."Damis sagt also, daß mein Herr Todte erweckt habe?"Er führt zwar nur Ein Beispiel an; aber in solchen Fällen ist Eines so gut wie tausend."Wenn es, wie ich vermuthe, die nämliche Begebenheit ist, von welcher ich selbst Augenzeuge war, so konnte Damis sich auf eine große Anzahl von Zuschauern berufen, die eben so von der Sache sprachen wie er. Indessen kann ich dir zuschwören, daß die Todten, die mein Herr erweckt hat, nicht todter waren als ich oder du."Ich verstehe dich. — Es waren nur Scheintodte. Dein Herr erweckte sie durch seine Kunst. Die Leute machten ein Wunder daraus, und er ließ sie auf ihrem Glauben, oder half ihm auch wohl absichtlich ein wenig nach?"Du hast es nahezu errathen. Es ist (wie du von ihm selbst hören kannst) eine seiner Maximen, daß es, zumal in einer Zeit wie die gegenwärtige, einem Weisen nicht unanständig, ja demjenigen, der sich (wie er) mächtig auf sein Zeitalter zu wirken bestimmt fühle, sogar Pflicht sey, anstatt den großen Haufen voreiligerweise aufklären zu wollen, die Wahnbegriffe desselben und seine Liebe zum Wunderbaren zum Vortheil der guten Sache zu benutzen. Er folgte hierin, wie in vielem andern, dem Beispiele des großen Pythagoras, der, wofern er in unsern Tagen gelebt hätte, von den Epikureern ohne Zweifel eben sowohl für einen Betrüger aufgeschrien worden wäre, als mein Herr, welcher diese Beschuldigung weder mehr verdient, noch durch ein anderes Betragen und wegen anderer Absichten sich zugezogen hat, als jener. Daß

er in vielen Fällen, wo es nur auf ihn ankam, den Leuten den Wahn, er könne Wunderdinge wirken, zu benehmen, sie absichtlich auf ihrem Glauben ließ, ist eben so unläugbar, als daß er durch das Feierliche seiner Person und seines Benehmens, durch seine Pythagorische Lebensweise, seinen Aufenthalt in Tempeln, und eine Menge anderer Dinge, wodurch er sich von den gewöhnlichen Menschen unterschied, die Vorstellung, daß er ein besonderer Günstling der Götter sey, beim Volk veranlaßte und unterhielt. Aber daß er jemals (so oft ein Fall eintrat, von dieser Meinung des Volks Gebrauch zu machen) sich niedriger oder gauklerischer Kunstgriffe dabei bedient habe, dieß läugne ich schlechterdings. Das Beispiel einer vorgeblichen Todtenerweckung, dessen Damis Meldung thut, wie du sagst, wird dir alles klar machen. Die Sache ereignete sich während des ersten Aufenthalts meines Herrn in Rom.Die einzige Tochter eines gewissen Cajus Anicius, eines angesehenen Mannes, in dessen Haus er bekannt war, wurde in einem ungewöhnlichen Grad von Nervenzufällen befallen, die in diesen Zeiten eine fast allgemeine Krankheit der Römerinnen sind. Sie war von ihren Eltern einem Jüngling versprochen worden, der meinem Herrn eifrig zugethan, und einer von seinen Schülern der zweiten Classe war, das ist, von denen, die in der Vorbereitung zum zweiten Grade seines geheimen Ordens standen. Apollonius wußte von der Krankheit der jungen Römerin, und blieb daher ganz ruhig, als ihm der Bräutigam in größter Bestürzung den plötzlichen Tod seiner Geliebten ankündigte. Er ließ sich umständlich

erzählen wie es damit zugegangen, und überzeugte sich aus diesem Berichte, daß der alte Freigelass'ne, der den Hausarzt beim Anicius machte, und sich in diese ihm ganz neue Art von Krankheit nicht zu finden wußte, die Familie in einen voreiligen Schrecken gesetzt und eine hartnäckige Ohnmacht mit dem wirklichen Tode verwechselt habe. Beruhige dich, sagte mein Herr, nachdem er alle Umstände aufs genaueste erfragt hatte, sie ist nicht todt: ihr Zustand ist nur eine ungewöhnliche Art von Ekstasie, aus welcher ich sie zu erwecken gewiß bin, wenn sie auch schon drei Tage lang für todt gelegen hätte. Der junge Mann wollte es darauf nicht ankommen lassen, und lag meinem Herrn dringend an, die Erweckung keinen Augenblick zu verschieben. Wenn sie wirklich todt ist, sagte Apollonius, so kann ich ihr das Leben so wenig wiedergeben als ein andrer: aber ich bin gewiß, daß sie es nicht ist. Ich kenne diese Art von hysterischen Zufällen; deine Braut liegt bloß in einem dem Tod ähnlichen Schlaf, und das Mittel, wodurch ich sie erwecken will, kommt in vierundzwanzig Stunden noch früh genug. Laß indessen diejenigen, die sie für todt halten, auf ihrer Meinung; stelle dich, als ob du selbst nicht daran zweifeltest; beschleunige die Anstalten zu ihrem Leichenbegängniß, und beruhige dich damit, daß ich zu rechter Zeit erscheinen werde, eure Trauer in Freude zu verwandeln. Du weißt, setzte er mit einem Ernst hinzu, der jede Einwendung auf den Lippen des Jünglings erstickte, unter welchen Bedingungen ich dich in den engern Kreis meiner Freunde aufgenommen habe. Du bist mir unbegränztes Vertrauen, und der Sache, für welche wir

leben, jedes Opfer schuldig. Ein Fall wie dieser kommt zu selten, als daß es uns erlaubt wäre, ihn unbenutzt zu lassen.Der junge Römer entfernte sich, nachdem er Gehorsam und Stillschweigen angelobt hatte, und Apollonius setzte seine gewöhnlichen Geschäfte fort, ohne dieser Sache weiter zu erwähnen. Am folgenden Tage sandte er mich an den Jüngling ab, mit dem Auftrag, auf eine schickliche Art zu veranstalten, daß von den Verwandten, Nachbarn und Freunden des Hauses gegen Abend so viele zusammen kamen, als das Vorhaus, wo die vermeinte Leiche bereits auf einem Prachtbette lag, nur immer fassen könnte. Der junge Mann glaubte dieß nicht sicherer bewerkstelligen zu können, als indem er unter der Hand das Gerücht verbreiten ließ, Apollonius hätte sich von ihm erbitten lassen, um diese Zeit zu kommen, und durch die Gewalt seiner theurgischen Kunst die entflohene Seele der schönen Anicia zurückzurufen, und mit ihrem Leibe wieder zu vereinigen. Mein Herr fand also, da er bald nach Sonnenuntergang anlangte, ein großes Gedränge von Personen alles Alters, Standes und Geschlechts, welche theils die Leichtgläubigkeit, theils der Unglaube herbeigeführt hatte, zu sehen was die Sache für einen Ausgang nehmen würde. Der Saal, worin das erblaßte Mädchen, einer Schlafenden ähnlich, aber kalt und athemlos, auf einem lieblich duftenden Blumenbette lag, war von einer großen Anzahl silberner Lampen erleuchtet, und die Eltern nebst den nächsten Anverwandten saßen, in stummer Traurigkeit und wenig hoffender Erwartung, um die geliebte Leiche her. Alle standen auf, als Apollonius mit dem hohen ehrfurchtgebietenden

Anstand, der ihn auch im höchsten Alter noch nicht verlassen hat, mehr einem Gott als einem Sterblichen ähnlich, hereintrat. Vor ihm her gingen sieben schöne Knaben, aus den jüngsten seiner Anhänger ausgesucht, alle weiß gekleidet, und die fliegenden Haare mit Myrtenzweigen und Rosen bekränzt. Indem sie sich mit gesenktem Blick, vier zu den Häupten und drei zu den Füßen der Erblaßten, stellten, näherte sich der Jüngling meinem Herrn, fiel ihm zu Füßen, und beschwor ihn in einem Tone, der um so rührender war, weil er wirklich zwischen Angst und Hoffnung schwankte, daß er sich des Kummers, worin er dieses ihm ergebene Haus versenkt sehe, erbarmen, und als ein Günstling der Götter, dem nichts unmöglich sey, seinen Freunden den Liebling ihrer Herzen wiedergeben möchte. Mein Herr hob ihn mit einem Trost einsprechenden Blick auf, näherte sich der Entschlafenen, und befahl, daß eine Lampe nach der andern bis auf eine einzige ausgelöscht würde. Jetzt stimmten auf seinen Wink die sieben Knaben, mit gedämpften aber sehr reinen Silberstimmen, einen feierlich langsamen Hymnus an die Götter des Hades an; und während die herzerschütternden Worte und Töne alle Anwesenden in Thränen auflösten, bückte sich Apollonius über die Leiche hin, so daß sein weites faltenvolles Oberkleid die obere Hälfte derselben einige Augenblicke ganz verhüllte; und in dieser Zeit goß er aus einer in seinem Busen verborgenen Phiole unbemerkt einige Tropfen einer flüchtigen Essenz in ihren Mund. Nun richtete er sich langsam wieder auf, und befahl nach einer Weile die Lampen allmählich eine nach der andern wieder

anzuzünden. Die sieben Knaben wechselten Tonart und Rhythmus; ihr Gesang rief Trost und Hoffnung in die Herzen zurück, und endigte zuletzt in fröhlich jubelnde Töne, womit sie die vom Schlaf des Todes Erwachende ins Leben willkommen hießen.Während dieses Gesangs waren die Augen aller Gegenwärtigen in tiefer Stille und unbeweglich, gleich den Augen eben so vieler Steinbilder, auf die Entschlafene geheftet, und alle sahen mit süßem Erschrecken, daß ihre Lippen und Wangen sich zu färben anfingen, ihre Augendeckel sich hoben, und aus ihrem steigenden Busen ein langer Seufzer sich empor arbeitete. Bald darauf regte sie auch eine Hand nach der andern, richtete sich endlich mit halbem Leib auf, blickte verwundernd bald um sich her, bald auf sich selbst, und schien nichts von allem was sie sah zu begreifen. Aber das Erstaunen, die Freude, die Rührung, die zitternde Ungewißheit, ob man seinen Augen glauben dürfe, die schauervolle Ehrfurcht vor dem göttlichen Manne, der dieß Wunder gethan, und die fragenden Blicke, ob es erlaubt sey in die Arme der Wiederbelebten zu fliegen, kurz die Wirkung, welche dieses Ereigniß auf die Personen, die es am nächsten anging, und auf alle übrigen machte, — man mußte ein Augenzeuge davon gewesen seyn, und auch ein solcher müßte beredter seyn als ich, um einem, der es nicht war, eine Vorstellung davon zu geben, die der Wahrheit nahe käme. Apollonius war der einzige, der seine gewöhnliche Fassung behielt, und wiewohl er an dem Jubel der Eltern und seines jungen Freundes Antheil nahm, schien er doch wegen dessen, was er selbst

dazu beigetragen, keine besondern Ansprüche zu machen. Er erfreute sich des Erfolgs; aber wie es damit zugegangen, darüber erklärte er sich nicht, und niemand wagte es, ihn zu fragen. Seinem jungen Freunde sagte er, als sie sich wieder allein befanden, bloß: wirst du nun künftig Vertrauen auf mich setzen? Du siehst, daß ich dich nicht täuschen wollte: denn da würde ich dir nicht gesagt haben, deine Braut lebe, ungeachtet jedermann, und du selbst, sie für todt hielt. Ich kannte den Zufall, der ihren Scheintod hervorbrachte, und besitze ein eben so natürliches als unfehlbares Mittel dagegen. Das ist alles, und für dich genug. Die übrigen mögen von der Sache glauben was sie können. Ein Irrthum in solchen Dingen kann guten Menschen nicht schaden; und auf allen Fall haben wir ihnen ein Schauspiel gegeben, wie sie noch keines gesehen haben, und dessen Erinnerung ihren Fechterspielen und Pantomimen, eine Zeit lang wenigstens, das Gegengewicht halten wird.

III.

Diese Begebenheit machte wohl viel Aufsehens in Rom? sagte ich.Nicht so viel als du zu vermuthen scheinst. In einer so ungeheuern Stadt, wo jedermann mit sich selbst genug zu thun hat und des Neuen so viel ist, wird selbst von dem außerordentlichsten Ereigniß nur so lange gesprochen, als es die Neuigkeit des Tages ist; und gemeiniglich langt es in den entferntern Regionen erst alsdann, wenn es in der, wo es sich

zutrug, schon wieder vergessen ist, als ein bloßes Gerücht, oder gar in Gestalt eines Mährchens an."Apollonius verfehlte also am Ende dennoch seinen Zweck?"Ich glaube nicht, daß er sich mehr von der Sache versprach, als er wirklich erhielt. Es wurde freilich über diese Geschichte und über ihn selbst sehr ungleich geurtheilt. Unter dem Volke hielten ihn viele für einen göttlichen Mann, einige sogar für einen Halbgott, die meisten für einen Zauberer. Die Leute aus den höhern Classen hingegen, und wer für einen starken, über alle Vorurtheile hinweggefegten Geist angesehen seyn wollte, sprachen von ihm als einem Charlatan, und affectirten, alles, was andere zu seinem Lobe sagten, mit Naserümpfen anzuhören. Doch muß ich hinzusetzen, daß dieß lauter Leute waren, die ihn nie gesehen hatten: denn mir wenigstens ist noch kein Mensch vorgekommen, dem in seiner Gegenwart nicht so zu Muthe gewesen wäre, als ob er vor einem höhern Wesen stände. Jener große Haufe zweifelte nicht daran, daß er das junge Mädchen wirklich durch seine magische Kunst ins Leben zurückgerufen habe; und wiewohl es ihnen schwer geworden seyn möchte, zu sagen was sie bei diesem Worte dachten, so schien es ihnen doch etwas eben so Natürliches, daß ein großer Zauberer Wunder wirke, als daß ein Bildhauer eine Menschen- oder Göttergestalt aus Marmor hervorbringe. Die andern hingegen erklärten die Sache, sobald sie sich genöthiget sahen, sie als etwas Geschehenes gelten zu lassen, für einen zwischen Apollonius, dem Mädchen und ihrem Liebhaber abgeredeten

Handel, und glaubten den Schlüssel des Geheimnisses in dem Umstand entdeckt zu haben, daß mein Herr ein sehr ansehnliches Geschenk, welches ihm der Vater des Mädchens im ersten Ueberwallen seiner Freude und Dankbarkeit aufdringen wollte, ausgeschlagen, und sich bloß ausgebeten hatte, daß es ihrer Mitgift zugelegt werden sollte. Da es wohl wenig Römer gibt, die sich von der Möglichkeit einer uneigennützigen Handlung einen Begriff machen können: so meinten diese Leute, gerade dieser Umstand verrathe das heimliche Einverständniß zwischen den Hauptpersonen des Spiels, und Apollonius habe sich die vornehme Miene einer großmüthigen Uneigennützigkeit um so leichter geben können, da er sich die Entschädigung ohne Zweifel zum voraus von dem Liebhaber ausbedungen haben werde. Aber wer in diesem Tone von meinem Herrn sprach, legte dadurch, außer seiner eignen niedrigen Gemüthsart, nichts zu Tage, als daß ihm der Charakter, die Lebensart und die äußern Umstande des Mannes, von welchem er so ungebührlich urtheilte, gänzlich unbekannt waren. Ueberhaupt wurde diese Auferweckungsgeschichte nicht nur von denen, welche sie bloß andern nachsagten, sondern selbst von vielen Augenzeugen, so verschieden und mit so vielen Zusätzen und einander widersprechenden Umständen herumgetragen, daß es mich wundern sollte, wenn sie nicht in der Erzählung des schwachköpfigen Damis, der damals eben von Rom abwesend war, eine ganz andere Gestalt bekommen hätte. Uebrigens befestigte sich doch durch diese Begebenheit, ungeachtet sie so verschieden aufgenommen und gar bald durch andere Gegenstände verschlungen wurde, die

öffentliche Meinung, daß Apollonius mehr wisse und könne als andre Menschen, und daß es besser sey, ihn zum Freund als zum Gegner zu haben: und dieß, glaube ich, war alles, was er sich von ihr versprochen hatte.Ich. Aus diesem einzigen Beispiel läßt sich schon hinlänglich abnehmen, was von einer Menge anderer, zum Theil äußerst ungereimter Wunderdinge zu halten sey, welche Damis, in einem Tone, der kaum an einer alten Wollspinnerin erträglich wäre, seiner Meinung nach zum Ruhm, aber in der That zum größten Nachtheil seines Helden, zusammengestoppelt hat. Ohne Zweifel wird an dem läppischen Mährchen von Menippus und der Empuse zu Korinth noch weniger Wahres seyn, als an der Römischen Auferweckungsgeschichte?Kymon. Ich erinnere mich eines Menippus, der ein sehr warmer Anhänger meines Herrn war, und sich zu Korinth mit einer gewissen Lamia in einen Liebesknoten verstrickte, dessen Auflösung von meinem Herrn auf eine seiner würdige Art bewirkt wurde.Ich. Damis erzählt sein Mährchen so umständlich und treuherzig, daß niemand, der an Wassernixen, Empusen, Eselsfüßlerinnen, und an die drei Gräen mit ihrem einzigen gemeinschaftlichen Aug' und Zahn, glaubt, das geringste Bedenken tragen kann, es für wahr zu halten. Höre nur!Als Menippus einst einen Spaziergang von Korinth nach dem Hafen von Kenchreä machte, begegnete ihm ein Gespenst in Gestalt einer schönen Frau. Sie nahm ihn bei der Hand, sagte ihm: sie liebe ihn schon seit langer Zeit; sie sey eine

Phönizierin, und wohne in einer von den Vorstädten von Korinth. Wenn er sie begleiten und den Abend bei ihr zubringen wollte, sollte er sie singen hören, und einen Wein zu trinken bekommen, wie er in seinem Leben noch keinen gekostet habe; auch sollte er keinen Nebenbuhler zu fürchten haben, und, wofern er sich ihr ganz ergeben wolle, die Treue einer Turteltaube bei ihr finden. Menippus ließ sich verführen, folgte der vermeinten Schönen, und lebte von nun an auf einem vertraulichen Fuß mit ihr. Zu Korinth hieß es, Menippus sey so glücklich gewesen, sich die Gunst einer schönen und reichen Ausländerin zu erwerben; und viele seinesgleichen fanden ihn um so beneidenswürdiger, da er, außer einer blühenden Jugend und einer athletenmäßigen Art von Schönheit, nichts aufzuweisen hatte, was die Wahl der fremden Dame rechtfertigen konnte. Aber Apollonius wollte die Korinther und seinen jungen Freund nicht länger im Irrthum lassen. Er nahm den letztern vor, betrachtete ihn eine Weile von Kopf zu Fuß, als ob er (sagt Damis) ein Bildhauer wäre, der ihn abbilden müßte, und redete ihn endlich mit diesen Worten an: schöner junger Mensch und Günstling schöner Damen, du wärmst eine Schlange in deinem Busen! du hast dich einer Person ergeben, die nie die deinige werden kann. Glaubst du etwa sie liebe dich wirklich? — O gewiß, versetzte Menippus, und so zärtlich als ich nur wünschen kann. — "Und du gedenkst sie zu heirathen?" Warum nicht? — "Wird die Hochzeit bald vor sich gehen?" — Vielleicht schon morgen. — Gut, sagte Apollonius, und ließ es dabei bewenden. Die Geliebte des jungen Menschen

hatte inzwischen das Hochzeitfest wirklich veranstaltet. Die dazu eingeladenen Gäste waren versammelt, die Tafeln aufgeschmückt, der Schenktisch mit goldnen und silbernen Gefäßen belastet. Man erwartete nur noch die Braut, als Apollonius unerwartet herein trat. Wo ist denn die Schöne, fragte er, um derentwillen alle diese Zurüstungen gemacht sind? Sie wird sogleich erscheinen, sagte Menippus erröthend, und stand auf, vermuthlich um sie abzuholen. Wem gehört, fragte Appollonius, alles dieß Gold und Silber und das übrige prächtige Geräthe, womit dieser Saal geschmückt ist, dir oder der Dame? Der Dame, erwiederte Menippus: denn dieser Mantel ist meine ganze Habe. Du wirst durch alles, was du hier glänzen siehst, nicht reicher werden, versetzte Apollonius. Habt ihr, fuhr er zu den Gästen fort, jemals den Garten des Tantalus gesehen? — Sie antworteten: ja, im Homer; denn in den Tartarus sind wir nie hinab gestiegen. — So wißt ihr, versetzte Apollonius, daß dieser Garten ist und nicht ist. Gerade so verhält es sich auch mit den Reichthümern, die ihr hier sehet. Alles ist bloßes Blendwerk; und damit ihr sogleich die Wahrheit meiner Worte erkennet, so sage ich euch, daß die Königin dieses Fests (sie war eben herein getreten) eine von den Empusen ist, die man im gemeinen Leben Lamien zu nennen pflegt. Sie sind sehr lüstern, aber nicht nach den Freuden der Liebe, sondern nach Menschenfleisch; und wenn sie junge Männer durch die Lockspeise der Wollust anködern, so geschieht es bloß um sie aufzufressen. — Die vermeinte Braut stellte sich über diese seltsame Rede eben so erstaunt als beleidigt, und

erlaubte sich in der ersten Bewegung einige heftige Ausdrücke gegen den Philosophen: aber wie sie auf ein einziges Wort des Apollonius alles Gold- und Silbergeschirr, und die elfenbeinernen Tische und alles übrige Hausgeräthe, sammt dem Gastmahl, den Köchen und den Aufwärtern, verschwinden sah, wurde sie auf einmal geschmeidig, und flehte den Philosophen, sie nicht zu quälen und zum Geständniß dessen, was sie wäre zu nöthigen. Aber er setzte ihr nur desto härter zu, und ließ nicht eher von ihr ab, bis sie bekannte, sie sey wirklich eine Empuse, und habe den Menippus bloß darum so gut gehalten, um ihn recht fett zu machen und dann aufzufressen; denn das Fleisch schöner Knaben und Jünglinge sey ihre gewöhnliche Nahrung, weil sie gar süßes Blut hätten.

IV.

Das muß ich gestehen, Hegesias, sagte Kymon lachend, dein Damis übertrifft wirklich alles was ich ihm zugetraut hätte! Er ist ein wahrer Meister in der Kunst, eine ziemlich alltägliche Begebenheit in — ein Ammenmährchen zu verwandeln. Aber warum nannte sich auch die arme Phönizierin Lamia? denn in dem Doppelsinn dieses Namens liegt, wie du selbst schon gemerkt haben wirst, der Schlüssel zu dieser ganzen Wundergeschichte. Die Empuse abgerechnet, ist das übrige meistens wahr, außer daß Damis die Gabe hat, durch die Manier seiner Darstellung die Wahrheit selbst zur Lüge zu machen. Die Heldin dieser sonderbaren Liebesgeschichte

war nun freilich kein Gespenst in Gestalt einer schönen Frau; aber sie gehörte doch zu der Art von Hexen, die wir alle unter dem Namen der Hetären kennen. Sie hatte diese Profession, von ihrer frühesten Jugend an, zu Antiochia, Ephesus, Smyrna und andrer Orten mit dem besten Erfolg getrieben; und weil Personen ihres Standes gern einen von irgend einer Vorgängerin berühmt gemachten Namen anzunehmen pflegen, so hatte sie den Namen Lamia einer Hetäre aus dem Jahrhundert Alexanders abgeborgt, die durch die Leidenschaft des Demetrius Poliorketes für sie, und durch einen Tempel, den ihr die Thebaner unter der Benennung Venus Lamia widmeten, berühmt ist. Ich erinnere mich noch sehr wohl, sie unter diesem Namen zu Smyrna gesehen zu haben, und vermuthlich wurde sie damals auch meinem Herrn bekannt. Nachdem sie ihre schönsten Jahre damit zugebracht hatte, ihre Reizungen in den reichsten Städten von Syrien und Kleinasien wuchern zu lassen, und im vierzigsten reich genug zu seyn glaubte, um die andere Hälfte ihres Lebens in einer angenehmen Unabhängigkeit zuzubringen, vertauschte sie den Namen Lamia mit einem andern, und zog nach Korinth, wo sie sich für die Wittwe eines Sidonischen Seefahrers ausgab, und ein schönes Landhaus zwischen der Stadt und dem Hafen von Kenchreä miethete. Dieß geschah kurz zuvor, ehe mein Herr nach Korinth kam, wo sich unter andern jungen Leuten auch Menippus an ihn drängte, der ihm von seinem Freunde, dem berühmten Cyniker, Demetrius, als ein Jüngling von den reinsten Sitten, und von einem zu allem was schön und gut ist empor strebenden

Geist, empfohlen worden war. Das erste ließ seine blühende Gesundheit und Herculische Stärke, das andre seine zugleich feine und offne Gesichtsbildung schon beim ersten Anblick vermuthen. Mein Herr, der unter so vielen andern Gaben auch die, aus dem Aeußerlichen der Menschen das Innere zu diviniren, in einem sehr hohen Grade besitzt, gewann diesen Menippus lieb, und war daher nicht gleichgültig, als er aus verschiedenen Anzeichen, die von einem weniger scharfen Auge schwerlich bemerkt worden wären, wahrnahm, daß sein junger Freund seit kurzem in ein Liebesabenteuer verstrickt sey, welches dieser auf alle Weise vor ihm zu verbergen suchte. Er ließ nun alle Wege des jungen Mannes genau beobachten, und entdeckte nicht nur, daß die vorgebliche Phönizierin der Gegenstand seiner Leidenschaft, sondern auch daß es eben dieselbe Hetäre sey, die unter dem Namen Lamia sich in den Ruf gesetzt hatte, daß sie, gleich den fabelhaften Lamien der Milesischen Mährchen, ihre Liebhaber zwar nicht eigentlich, aber doch metaphorisch aufgezehrt, oder wenigstens an Leib und Gut so stark benagt habe, daß der ehrliche, nichts Böses ahnende Menipp (zumal da sonst nichts an ihm abzunagen war als seine Person) nicht leicht in schlimmere Hände hätte gerathen können. Apollonius beschloß also, den jungen Mann dieser Lamia ohne Aufschub aus den Zähnen zu reißen. Es kostete ihm wenig Mühe Menippen zum Geständniß seines Liebeshandels zu bringen; aber als er hörte, daß die Hetäre es gar auf eine Heirath angelegt habe, und die Sache also noch schlimmer sey als er sich vorgestellt hatte, brach er sogleich wieder ab, und begnügte

sich den Tag der Hochzeit zu erfahren, ohne das Geringste von seiner sogleich genommenen Entschließung merken zu lassen. Menippus wünschte sich Glück, so leicht davon gekommen zu seyn, und wir sahen ihn nicht wieder, bis die Stunde kam, da mein Herr, von mir und einigen seiner Anhänger (worunter auch Damis war) begleitet, als ein sehr unerwarteter Zeuge in die reichlich mit Blumenkränzen behangene Wohnung der Braut hineintrat. Damis, der, wie wir andern, im Vorsaale zurückblieb, hat von den Reden, die zwischen meinem Herrn und dem Bräutigam vorfielen, zwar einige Worte aufgeschnappt: aber — die Schuld liege nun an seinem Gedächtniß, von dessen geringer Zuverlässigkeit mir manche Probe bekannt ist, oder daran, daß er die Lücken von dem, was er entweder gar nicht, oder unrecht gehört hatte, so gut er konnte, ausfüllen wollte — genug, du wirst dir selbst vorstellen, daß Apollonius nicht so gesprochen haben könne, wie ihn Damis sprechen läßt. Ich erinnere mich seiner eigentlichen Worte nicht mehr; auch blieb ihr Sinn den Anwesenden und dem Menippus unverständlich, bis die arme Empuse selbst zum Vorschein kam. Sie hatte die noch wohl erhaltnen Reste ihrer Schönheit durch einen schimmernden Anzug in das vortheilhafteste Licht gesetzt, und versah sich bei ihrem Eintritt in den hochzeitlichen Saal vermuthlich eher alles andern, als der Anrede, womit sie von meinem Herrn bewillkommt wurde. Ich bin gekommen, sagte er, auf sie zugehend, um meinen jungen Freund von dir zurück zu fordern, an den eine Person wie du keine Ansprüche zu machen haben kann. — Die Dame betrachtete den Mann, der so

mit ihr sprach, aus großen Augen, trat zurück, und schien in einer Verlegenheit, welche sie vergebens zu verbergen suchte. Indessen raffte sie doch allen ihren Muth zusammen, und antwortete mit so vielem Stolz, als sie ihren Gesichtszügen und Gebärden nur immer geben konnte: wer bist du, der sich vermessen darf, mich in einem so ungebührenden Ton anzureden, und mit einer solchen Absicht in mein Haus einzufallen? — Kennst du mich nicht, versetzte mein Herr ganz gelassen, so kennst du wenigstens dich selbst zu gut, um mit dem neuen Namen, den du dir beigelegt hast, vergessen zu haben, daß du eben diese Lamia bist, die ihre Reize zwanzig Jahre lang in den Hauptstädten Asiens öffentlich feil trug, und daß die Reichthümer, die du hier zur Schau ausstellst, die Beute von einigen hundert Unglücklichen sind, die du mit einer deines Namens würdigen Raubgier aufgezehrt hast. —Jetzt merkte Lamia, daß äußerste Unverschämtheit das einzige sey, wodurch sie sich in diesem gefährlichen Augenblick retten könne. Sie wandte sich mit erzwungenem Lachen zu den Eingeladenen: der Herr scheint ein Philosoph — oder wahnsinnig zu seyn, wenn er nicht beides zugleich ist; in jedem Fall ist er ein eben so lästiger als ungebetener Gast. Wie wenn wir ihn ersuchten, sich unverzüglich wieder zu entfernen, und unsre Freude nicht länger durch seine böse Laune zu vergiften? — Die Gäste standen, schweigend und die Augen auf meinen Herrn geheftet, gleich eben so vielen Bildsäulen da, und erwarteten in tiefer Stille, was aus dem Handel werden würde. Nein, Unverschämte, sagte mein Herr, indem er näher auf sie zuging, so kommst du nicht davon!

Ich bin Apollonius von Tyana, und du bist die Hetäre Lamia, die unter einem falschen Namen und durch betrügerische Kunstgriffe die Einfalt dieses Jünglings, der unter meiner Führung steht, bestrickt hat, und ihn, ohne meine Dazwischenkunft, zu einer schimpflichen Verbindung, die in jeder Rücksicht sein Verderben wäre, verleitet haben würde. Ich habe hier mächtige Freunde; aber wenn ich auch ganz allein stände, so ist die Wahrheit mächtig genug, mir den Sieg über dich zu verschaffen. Bekenne auf der Stelle, daß du die Hetäre Lamia bist, fuhr er fort, indem er einen dieser Blicke auf sie warf, womit ich ihn, wie mit einem Wetterstrahle, wohl eher Männer zurückschleudern sah, und entsage meinem Freunde Menippus auf immer: oder ein Verhaftsbefehl, dessen Gebrauch in meiner Willkür steht, soll in diesem Augenblick vollzogen werden. — Diese Worte, mit einer Donnerstimme ausgesprochen, und die Gewißheit, daß sie entdeckt sey, und daß es vergeblich wäre, einem so sehr überlegenen Gegner länger die Stirne bieten zu wollen, brachten die arme Lamia so gänzlich aus aller Fassung, daß sie sich meinem Herrn zu Füßen warf, und ihn mit Thränen beschwor, ihrer zu schonen, und sich an ihrem Worte zu begnügen, daß sie ihre Ansprüche an Menippen auf immer aufgebe. Aber Apollonius blieb (wie Damis sagt) unerbittlich: sie mußte in Gegenwart des bestürzten und beschämten Menippus bekennen, daß sie wirklich diese berüchtigte Lamia sey, welche mein Herr beim ersten Anblick in ihr erkannt hatte; und da ihm dieses Geständniß hinlänglich schien, seinen jungen Freund von seiner unwürdigen Leidenschaft zu heilen, so begnügte er sich, den letztern auf

der Stelle mit sich zu nehmen, und die entlarvte Hetäre ihrem Schicksal zu überlassen, ohne von dem Verhaftsbefehl Gebrauch zu machen, den er, auf alle Fälle, von dem Römischen Statthalter in Korinth ausgewirkt hatte.Ich. Aber wie war es denn mit dem plötzlichen Verschwinden des Goldes und Silbers und der Hausbedienten?Kymon. Es ging damit eben so natürlich zu, als mit allem übrigen. Sobald Lamia das Wort Verhaftsbefehl hörte, gab sie ihrem Hausverwalter einen Wink, dem vermuthlich eben dieses Schreckenswort zum Ausleger diente. Denn in wenig Augenblicken machten sich die Bedienten mit allen Kostbarkeiten in möglichster Stille davon. Auf die nämliche Art verschwand auch die schöne Lamia selbst: denn sie schiffte sich mit allen ihren Habseligkeiten noch in derselben Nacht auf einem nach Athen befrachteten Kornschiff ein, und wurde zu Korinth nicht wieder gesehen.

V.

Deine Glaubwürdigkeit, Kymon, ist für mich etwas Ausgemachtes, sagte ich: auch braucht man das alberne Buch des Damis nur zu durchblättern, um zu sehen, daß er sogar dann, wenn er nichts erzählt, als was er selbst gesehen und gehört zu haben glaubt, keine Aufmerksamkeit verdient. Indessen ist mir dennoch unbegreiflich, wie er bei der Begebenheit, wovon die Rede ist, zugegen seyn, und sie gleichwohl in ein so läppisches Rockenstubenmährchen umgestalten konnte; da er doch gehört haben mußte, daß seine vorgebliche Empuse

zwar Lamia hieß, aber darum keine Lamia war; hingegen das Geständniß, das er sie zuletzt thun läßt, nicht gehört haben konnte, weil sie nichts dergleichen gestand; und da er überdieß weder sagt noch sagen konnte, er habe sich durch seine eigenen Augen überzeugt, daß sie aus einer schönen Frau wieder zur Empuse geworden sey.Kymon. In der That kann ich dir's nicht verdenken, wenn du gegen die Ehrlichkeit des schwachköpfigen Niniviten eben so starke Zweifel bekommen hast, als gegen seinen Verstand. Und doch muß ich, zur Steuer der Wahrheit, meiner vorigen Erzählung noch eine kleine Anekdote anhängen, die mir inzwischen beigefallen ist, und die dich vielleicht auf bessere Gedanken von ihm bringen wird. Als Apollonius von diesem kleinen Abenteuer nach Hause zurückgekommen war, unterhielten wir andern, die ihn begleitet hatten, uns in seiner Gegenwart noch eine Weile damit, ohne daß er Antheil an dem Gespräche zu nehmen schien. Damis hörte uns stillschweigend zu; denn er war ein sehr bescheidener Mensch, und hatte, außer dem tiefsten Gefühl, daß er unter Hellenen nur ein Barbar sey, überhaupt eine sehr mäßige Meinung von seiner Fähigkeit zum Philosophiren. Als aber endlich eine kleine Pause entstand, platzte er auf einmal mit einem wie aus der Luft gegriffenen Einfall heraus, worüber wir einander mit Erstaunen ansahen; denn wir sahen daraus, daß er die Geliebte des Menippus, weil er sie Lamia nennen gehört hatte, für eine wirkliche Empuse hielt. Apollonius, welcher, ungeachtet er mit etwas anderm beschäftigt war, alles was gesprochen worden, gehört hatte, winkte uns zu

schweigen, und sagte lächelnd: das muß man gestehen, unser Freund Damis hat eine glückliche Einbildungskraft! — "Mit deiner Erlaubniß, Apollonius, erwiederte die treuherzige Seele, glücklich und unglücklich, wie man's nehmen will; denn, bei der großen Atergatis! ich werde diese arme Empuse, wie sie in ihrem schimmernden Brautschmuck zu deinen Füßen lag, und ihre schönen Arme zu dir aufhob, und dich mit großen Thränen in ihren schwarzen Augen bat, sie nicht länger zu peinigen — nein, in meinem ganzen Leben werd' ich sie nicht wieder aus dem Kopfe kriegen! Sie war freilich nur ein Ungethüm: aber wer sonst als Apollonius hätte ihr das ansehen sollen? Wir Assyrer haben ein weiches Herz. Lacht immer wie ihr wollt, ihr andern! ich wünschte daß ich nicht dabei gewesen wäre! denn das weiß ich gewiß, daß ich in meinen Träumen oft genug für meinen Vorwitz büßen werde." — Ich denke, du begreifst nun, Hegesias, wie der unbezweifelte Glaube, daß es Empusen gebe, die den schönen Jünglingen nachstellen, um sie aufzuessen, und die Voraussetzung, daß die Braut des Menippus ein solches Gespenst gewesen sey, in einem Gehirne, welchem dergleichen Vorstellungen geläufig waren, allen Umständen der Geschichte eine diesem Wahn gemäße Gestalt und Farbe geben mußte. Und wenn Damis auch in der Folge das eine und andere, um seine Erzählung runder und mit sich selbst übereinstimmender zu machen, aus seiner Einbildung, anstatt aus dem Gedächtniß, hinzu that: so vermuthe ich, er that daran nicht mehr, als alle Liebhaber des Wunderbaren zu thun pflegen, wenn sie vorgebliche Wunderdinge, wovon sie Augenzeugen waren,

erzählen. Ich wenigstens habe allemal bemerkt, daß solche Leute, mit der ehrlichsten Miene von der Welt, immer mehr gesehen haben wollen, als sie wirklich gesehen haben können: nicht, weil sie uns vorsetzlich belügen wollen, sondern weil sie im Erzählen von ihrer Liebe zum Wunderbaren in eine so lebhafte Begeisterung gesetzt werden, daß sie das, was sie mit ihren Augen sahen, von dem, was ihre erhitzte Phantasie hinzu thut, selbst nicht mehr zu unterscheiden vermögen.Ich. Aber wenn ein Biograph, um nur recht wunderbare Dinge von seinem Helden sagen zu können, ihm sogar Abscheulichkeiten nachsagt, die kein gewöhnlich ehrlicher Mann auf sich sitzen lassen könnte: womit wollen wir ihn dann entschuldigen?Kymon. Hat Damis das gethan?Ich. In seiner Erzählung von der Pest zu Ephesus, welche Apollonius durch ein Wunder von der abgeschmacktesten Art vertrieben haben soll.Kymon. Du machst mich neugierig, zu hören, wie der närrische Mensch diese Begebenheit erzählt.Ich. Die Pest (sagt er) zeigte sich zu Ephesus während Apollonius sich daselbst aufhielt. Apollonius, der das Uebel überhandnehmen sah, ohne daß die Epheser irgend eine Anstalt dagegen machten, warnte sie mehrmalen öffentlich, und sagte ihnen was sie zu thun hätten: da er sie aber, aller seiner Ermahnungen ungeachtet, in ihrem unklugen Leichtsinn beharren sah, fand er nicht für gut, den Erfolg seiner Vorhersagung abzuwarten, sondern machte sich auf den Weg, auch Smyrna und die übrigen Städte Joniens zu besuchen.

Kymon. Bis hierher scheint mir Damis der Wahrheit ziemlich treu geblieben zu seyn.Ich. Höre nur weiter! Die Pest griff inzwischen zu Ephesus so schnell um sich, und richtete solche Verwüstungen an, daß die Einwohner, die sich selbst in dieser Noth nicht zu helfen wußten, endlich ihre Zuflucht zum Apollonius nahmen, und ihn inständig bitten ließen, wieder zu kommen und sich ihrer anzunehmen. Dieser wollte sie nicht lange auf seine Hülfe warten lassen, und versetzte sich, nach dem Beispiel des Pythagoras, der zu gleicher Zeit zu Metapont und zu Thurium gesehen wurde, von Smyrna nach Ephesus. Hier versammelte er die sämmtlichen Einwohner, ermahnte sie Muth zu fassen, und versprach ihnen, daß er der Pest noch an demselben Tage steuern wollte. Er führte sie hierauf in das Theater, wo sie einen häßlichen alten zerlumpten Bettler antrafen, der auf eine seltsame Art mit den Augen blinzte, und einen mit Stückchen Brod angefüllten Quersack auf den Schultern hatte. Apollonius befahl den Ephesern, diesen Feind der Götter zu umringen und zu steinigen. Ein so grausamer Befehl setzte die guten Leute in Erstaunen und Verlegenheit; denn sie fanden es unmenschlich, einen armen Unglücklichen zu steinigen, der nichts verbrochen hatte, und in den beweglichsten Ausdrücken um sein Leben bat. Aber Apollonius ermahnte sie, keinen Augenblick zu zaudern, und diesen Menschen ja nicht entrinnen zu lassen. Einige der Anwesenden fingen nun an mit Steinen nach dem Bettler zu werfen, und siehe da! eben derselbe, der vorher immer blinzelte, öffnete plötzlich ein paar feurige Augen, aus denen er die fürchterlichsten Blicke auf

sie schoß. Nun sahen die Epheser, daß es ein Dämon sey, und steinigten ihn mit solchem Eifer, daß er in kurzem von einem großen Steinhaufen überdeckt war. Bald darauf befahl Apollonius, sie sollten die Steine wieder wegschaffen, um zu sehen, was für ein Thier sie getödtet hätten. Die Epheser gehorchten; aber anstatt des Bettlers, den sie zerschmettert zu finden glaubten, fanden sie einen Hund von ungeheurer Größe, der, als man ihn zu Tode steinigte, einen Schaum von sich gab, als ob er wüthend wäre.Kymon. Und Damis hat die Unverschämtheit, sich für einen Augenzeugen dieser Geschichte auszugeben?Ich. Das thut er nicht, Kymon; auch konnte er nicht wohl selbst dabei gewesen seyn, da er vermuthlich dem Pythagoras nicht ähnlich genug war, um sich in einem Augenblick von Smyrna nach Ephesus zu versetzen, wie Apollonius, seinem Vorgeben nach, gethan haben soll.Kymon. In der That war ich von allen, welche meinen Herrn damals umgaben, der einzige, den er auf dieser Reise mit sich nahm; und wiewohl wir sie mit möglichster Eilfertigkeit machten, so wirst du vermuthlich keinen weitern Beweis gegen das lächerliche Vorgeben des Niniviten von mir verlangen, als die bloße Versicherung, daß wir weder auf Mercurs Flügelsohlen, noch auf einem Pfeile, wie der Skythe Abaris, sondern auf zwei schnellen Rennpferden zu Ephesus anlangten. Apollonius wußte, oder konnte wenigstens (wie er mir nachher selbst sagte) mit größter Wahrscheinlichkeit vermuthen, daß die Epidemie zu Ephesus, die bei seiner Abreise ihrem höchsten Punkt nahe war, jetzt wieder im Abnehmen sey: und so

konnte er den Ephesern um so zuversichtlicher versprechen, daß er sie von der Pest befreien wolle, da er jetzt mehr Gelehrigkeit von ihnen erwarten durfte. Es war immer eine seiner Hauptmaximen, daß man, in Fällen dieser und ähnlicher Art, vor allen Dingen die Einbildungskraft der Menschen entweder überwältigen, oder auf seine Seite ziehen müsse. Hierin hat es ihm schwerlich jemals ein Sterblicher zuvorgethan, und ich bin überzeugt, daß der größte Theil der wunderähnlichen Dinge, deren er so viele gethan hat, dieser Gewalt, die er über die Einbildung gewöhnlicher Menschen ausübte, zuzuschreiben ist. Wahr ist es, daß ein gewisses dunkles, den Meisten unerklärbares Gefühl der Ueberlegenheit seines Genius, — ein Gefühl, das durch die majestätische Schönheit seiner Person und die Würde seines Anstandes nicht wenig erhöht wurde, —sehr viel zu dieser Wirkung beigetragen haben mag; sogar seine Stimme, deren reinen Metallklang er jeder Erforderniß anzupassen und von der lieblichsten Sanftheit bis zum furchtbarsten Donner zu erheben wußte, war in dieser Rücksicht kein unbedeutendes Hülfsmittel. Aber das alles würde ohne die tief eindringende Kenntniß, die er, wie durch unmittelbare Anschauung, von den Menschen hatte, auf welche er wirken wollte, — ohne die richtigste Beurtheilung der Zeit, des Orts und der übrigen seinen Absichten günstigen oder nachtheiligen Umständen, — und ohne genaue Berechnung des Grades von Kraft, der in jedem besondern Falle hinlänglich war, die Erfolge nicht hervorgebracht haben, wovon ich während eines halben Jahrhunderts Zeuge gewesen bin. Was die Epheser, von welchen die Rede ist, betrifft, so muß ich gestehen, daß

sie ihm dießmal die Erreichung seiner Absichten sehr erleichterten. Nichts ist der schwärmerischen Freude und dem gläubigen Vertrauen gleich, womit alle Einwohner dieser großen Stadt, gesunde, genesende und kranke selbst, wenn sie nur noch so viel Kräfte zusammenraffen konnten ihm entgegen zu kriechen, sich um ihn her versammelten, sobald seine Ankunft ruchtbar wurde, welche man bloß darum, weil man sie nicht so bald erwartet hatte, für etwas Wunderbares anzusehen geneigt war. Apollonius hielt, seiner Gewohnheit nach, nur eine kurze Anrede an das Volk, worin er ihnen, im Namen Aesculaps, die Bedingungen ankündigte, unter welchen er sie von der Pest befreien wollte. Es däuchte ihm unumgänglich, diese Bedingungen einem äußerst abergläubischen Volke in allerlei religiöse Ceremonien einzuhüllen: aber der Hauptsache nach bestanden sie in lauter solchen Vorschriften, deren Befolgung ihrer Seuche auf die einzig mögliche Art ein Ende machen konnte. Unter andern befahl er, die Stadt unverzüglich von allen fremden Bettlern und anderm heillosen Gesindel zu reinigen, durch welches (wie man zu vermuthen Ursache hatte) diese ansteckende Krankheit in die Stadt gebracht worden war, und bei dieser Gelegenheit könnte sich wohl etwas zugetragen haben, was in der Folge zu dem läppischen Mährchen des Damis Anlaß geben konnte. Es ist so leicht, das, was daran wahr seyn kann, von dem abgeschmackten Wunderbaren abzusondern, was nach und nach, indem das Geschichtchen durch etliche hundert Spinnstuben lief, zur Verschönerung desselben hinzugefabelt wurde, daß es lächerlich wäre, mich länger dabei aufzuhalten. Mit dem Hunde hatte

es ohne Zweifel die nämliche Bewandtniß. Was für ein Zufall auch mit dabei im Spiele gewesen seyn mag, so war der unter den Steinen irgend eines alten Gemäuers angetroffene Hund wahrscheinlich ein wirklich toller Hund; so wie der gesteinigte Bettler, der auf einmal zum Kakodämon wurde, ein wirklicher, vielleicht wahnsinniger Bettler war, der sich, da die Stadt von allen seinesgleichen gereiniget wurde, hinter jene Ruinen flüchtete, und von einem zusammengelaufenen Haufen Volks endlich mit Steinen verjagt wurde. Alles was ich dir von dieser Anekdote, die nur ein Damis so zu erzählen fähig war, mit Gewißheit sagen kann, ist, daß ich, so lange wir zu Ephesus verweilten, kein Wort von dem Betteldämon und seinem Hunde gehört habe, und daß mein Herr wahrscheinlich eben so wenig davon weiß als ich.Ich. In der That schäme ich mich, lieber Kymon, dich mit einer so unwürdigen Posse aufgehalten zu haben. Indessen ist es doch ärgerlich, daß einem Manne wie Apollonius solche Dinge von seinem Biographen nachgesagt werden sollen; und, was das schlimmste ist, von einem Biographen, der den Vortheil hat, sich für einen Schüler und Vertrauten desselben ausgeben zu können. Erlaube mir zu sagen, daß es mir unbegreiflich ist, wie Apollonius einen so blödsinnigen Barbaren so lange und so nahe um sich dulden mochte.Kymon. Das kann ich dir leicht begreiflich machen. Als mein Herr seine Reise zu den Gymnosophisten in Indien antreten wollte, betrachtete er es als einen sehr glücklichen Zufall, daß er an diesen Niniviten gerieth, den er zum Dolmetscher unter den verschiedenen Völkern, deren Länder wir

durchwandern mußten, gebrauchen zu können hoffte. Was diesem dabei zur Empfehlung diente, war, daß er eine ziemliche Fertigkeit in unsrer Sprache besaß, und eine unsägliche Begierde zeigte, im Umgang mit Hellenen aus einem Barbaren zu einem Menschen (wie er sich selbst ausdrückte) umgebildet zu werden. Ueberdieß war er an seinem Orte angesehen, hatte Vermögen, und fiel also von dieser Seite meinem Herrn nie zur Last. Seine Blödigkeit schien durch alle diese Eigenschaften und Umstände hinlänglich vergütet; aber auch ohne diese Rücksicht mußte seine Assyrische Vorstellungsart, sein Hang zum Wunderbaren, seine Leichtgläubigkeit, die ungeheure Menge von Zauber- und Geistermährchen, womit sein Kopf dicht angefüllt war, und die abergläubischen Wahnbegriffe aller Arten, die ihm für lauter ausgemachte Wahrheiten galten, ihn bei manchen Gelegenheiten, und in Augenblicken, da ein wenig fremde oder eigene Thorheit dem Weisen selbst Bedürfniß ist, zu einem sehr kurzweiligen Gesellschafter machen. Damis war freilich ein Narr; aber ein drolliger und gutmüthiger Narr, dem man nichts übel nehmen konnte, und der, trotz seiner Unverbesserlichkeit, immer bereit war, andern über seine eigenen Albernheiten lachen zu helfen. Mein Herr pflegte zu sagen: ein weiser Mann habe sich vor nichts so sehr zu hüten, als über den unheilbaren Unsinn der Menschen zu zürnen; denn er schien den Niniviten vornehmlich darum gern um sich zu haben, weil ein so großer Theil der Thorheit des ganzen Menschengeschlechts in ihm personificirt war, und man sich also immer an ihm in der schweren Kunst, die Narren zu ertragen, üben konnte. Zu allem

diesem kam noch der besondere Beweggrund, daß Damis ein ungemein bequemes Werkzeug war, auf die untern Volksclassen zu wirken, ohne daß Apollonius etwas andres dabei zu thun hatte, als ihn seiner kindischen Vorstellungsart zu überlassen. Die Wunderdinge, die er von seinem Meister erzählte, konnten diesem bei vernünftigen Menschen nicht schaden, und setzten ihn hingegen bei den übrigen in eine Art von religiöser Achtung, die ihm zu seinen großen Absichten unentbehrlich war.Was sagst du, Timagenes, zu diesem Freigelassenen des Apollonius? Findest du nicht daß er die Meinung vollkommen rechtfertiget, die ich dir zum voraus von der Richtigkeit seines Verstandes gegeben habe?

VI.

Kymon bemerkte jetzt, daß es Zeit sey, ins Bad zu gehen, und führte mich in ein Gemach, wo wir alles, was zu diesem Gebrauch nöthig ist, bereit fanden. Als wir wieder angekleidet waren, begaben wir uns in die Wohnung Agathodämons zurück. Wir trafen ihn in einem kleinen Speisesaal an, wo er, in Erwartung unsrer Zurückkunft, sich von dem zu seinen Füßen sitzenden jungen Mädchen einen Orphischen Hymnus hatte vorlesen lassen. Als wir hereintraten, fuhr er, ohne uns zu bemerken, fort, dem mit seelenvollen Augen an seinem Blicke hangenden Kinde den Inhalt des Gelesenen zu erklären. Bald darauf befahl er ihr das Essen aufzutragen, grüßte mich, und wiederholte seine

Einladung zu einer Mahlzeit, die ch den strengsten Vorschriften der Hippokratischen Familie gemäß finden würde. Du wirst dich, denke ich, nicht daran stoßen, fuhr er fort, daß ich mich in der kleinen Gesellschaft, worin ich hier, von der Welt abgesondert, wie auf einer unbewohnten Insel des Atlantischen Oceans lebe, von allem Zwang der Hellenischen und Morgenländischen Sitten dispensire. Ich betrachte die kleine Familie, die mir hierher gefolgt ist, als die meinige, und wir leben mit einander, als ob wir die einzigen in der Welt wären.Indem er dieß sagte, trat Kymon mit seinem Weibe und der kleinen Apollonia herein; denn diesen Namen hatte er, seinem ehemaligen Herrn zu Ehren, seiner Tochter beigelegt. Der Tisch wurde mit Brod, Gartengemüsen, Eiern und verschiedenen Früchten der Jahrszeit besetzt. Die beiden Frauenspersonen setzten sich auf kleinen dreifüßigen Stühlen dem Alten gegenüber, ich und Kymon nahmen zu beiden Seiten auf Polstern Platz. Agathodämon aß wenig, trank Wasser, und beschloß seine Mahlzeit mit einem kleinen Becher unvermischten Weins von Thasos, worein er eine Art von äußerst leichtem Weizenbrod tunkte, welches von Kymons Gattin für ihn besonders zubereitet wurde. Er war sehr munter; und wiewohl er (nach Art alter Personen) beinahe allein sprach, so hätte ich ihm doch, däuchte mich, Tag und Nacht zuhören mögen; so geistvoll und unterhaltend war sein Gespräch, auch wenn der Gegenstand von geringer Wichtigkeit war. Schwerlich lebte jemals ein Sterblicher, der mehr gesehen, größere Reisen gemacht, und sich mehr

Gelegenheiten, die Menschen kennen zu lernen, zu verschaffen gewußt hätte. Sein Gedächtniß in einem so hohen Alter würde ein Wunder geschienen haben, wenn nicht alles andre an ihm eben so außerordentlich gewesen wäre. Von allem, was er in seinem ganzen Leben gesehen, gehört, und gethan hatte, schien er nichts verloren zu haben; alles stand, wie in einer unermeßlichen, wohl geordneten Bildergalerie, im richtigsten Zusammenhange des Orts, der Umstände und der Zeit, in seinem Kopfe, und es hing bloß von ihm ab, welches Bild oder welche Reihe von Bildern er hervor winken, und gleichsam lebendig machen wollte. Kein Zug war verwischt, keine Farbe erloschen, keine Erinnerung durch die Länge der Zeit mit andern zusammengeflossen, oder unkenntlich gemacht. Sein Verstand zeigte sich immer eben so hell, und unbewölkt, als sein Gemüth rein von Leidenschaft. Auf der Höhe, worauf er selbst stand, mußten ihm zwar die menschlichen Dinge, wenigstens alles, was den Gegenstand unsrer heftigsten Begierden, Sorgen und Mißhelligkeiten ausmacht, sehr klein und unbedeutend vorkommen; aber anstatt von diesen Dingen bloß nach ihrem Verhältniß zu ihm selbst zu urtheilen, dachte er sich immer, wo es nöthig war, an die Stelle, und gleichsam in die Seele der andern, sah die Jdole ihrer Liebe oder ihres Hasses, ihrer Furcht oder ihrer Hoffnung mit ihren Augen an, und vermied dadurch nicht nur schiefe und unbillige Urtheile über sie, sondern gewann auch desto mehr Gelegenheiten, durch Herablassung zu ihrer Vorstellungsart ihnen sowohl als der guten Sache, die sein Hauptzweck war, nützlich zu. werden. Wiewohl er sich selbst von

allen Arten von Vorurtheilen losgewunden hatte, so erkannte er doch, — was so manche voreilige Weltverbesserer, zum größten Schaden derer, denen sie helfen wollten, nicht gesehen haben, —daß es wohlthätige Vorurtheile und schonenswürdige Irrthümer gibt, welche eben darum, weil sie dem morschen Bau der bürgerlichen Verfassungen, und, bei den meisten Menschen, der Humanität selbst zu Stützen dienen, weder eingerissen, noch unbehutsam untergraben werden dürfen, bis das neue Gebäude auf einem festern Grund aufgeführt ist. Diese Ueberzeugung allein (oder ich müßte mich sehr an ihm irren) war die Ursache jener mystischen Hülle, womit er sich, so lang' er unter den Menschen lebte, umgeben hatte, und welche bei einigen den Grund, bei andern den Vorwand der schiefen Urtheile abgab, die man so häufig über ihn aussprechen hörte. Auch hatte er sie, seitdem er aus dem dumpfen Kreise der Wolken und Stürme in diese beinahe ätherische Höhe gezogen war, von sich geworfen, und erschien mir, eben so wie seinem alten Vertrauten, in seinem eignen Lichte. Indessen war doch, durch die lange Gewohnheit, noch immer eine Art von zartem durchsichtigen Nebel zurückgeblieben, worin dieses Licht sich brach, und dadurch einen gewissen Schein um ihn verbreitete, der ihm dieses besser zu fühlende als zu beschreibende Etwas gab, womit er mich, so oft ich ihm nahte, zugleich anzuziehen und zurückzudrücken schien, und was mich beinahe wider meinen Willen nöthigte, mich in der Gegenwart eines höhern Wesens zu glauben. — Dieses unnennbare Etwas in seinem ganzen Aeußern und

Innern war es hauptsächlich, was ich im Sinne hatte, lieber Timagenes, da ich dir gleich anfangs von meiner Darstellung so wenig versprach, daß es mir vielleicht gelingen könnte, wie weit ich auch unter meinem Urbilde bleibe, doch noch mehr zu leisten, als ich dich erwarten ließ.

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