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C. M. Wieland's Werke.

Achtzehnter Band.

Zweites Buch.

I.

Ich denke nicht, Hegesias, daß ein Mensch einen so besondern Muth, oder eine so heroische Bescheidenheit, vonnöthen habe, wie die meisten vorauszusetzen scheinen, um einem andern Menschen zu gestehen, daß er nichts mehr als ein — Mensch sey.Hätte ich mich verbindlich gemacht, dir von mir selbst wie von einer dritten Person zu reden, so könntest du ein billiges Mißtrauen in meine Wahrhaftigkeit setzen; denn noch nie hat ein Mensch sich selbst gesehen, wie er einen andern sieht. Aber ich versprach dir nur was ich halten kann, mich dir darzustellen wie ich mich selbst sehe: und so erwarte, daß ich von meinen Vorzügen ohne Anmaßung, von meinen Tugenden ohne Demuth, und von meinen Fehlern ohne Verlegenheit sprechen werde. Hat die Eigenliebe demungeachtet geheime Täuschungen, die ich selbst nicht gewahr werden kann, und die einem unbefangenen fremden Auge vielleicht nicht entgehen, so laß mir die Entschuldigung zu gute kommen, daß ich mich zwar für keinen gewöhnlichen Menschen, aber, meines Uebernamens ungeachtet, nur für einen Menschen gebe.

Ich rechne es nicht unter meine Fehler, daß ich mit einer Ruhmbegierde geboren bin, die keine andere Leidenschaft in mir aufkommen ließ, und vielleicht einen Alexander oder Cäsar aus mir gemacht hätte, wenn ich zu einem Throne geboren, oder in der Lage, worin man einen Thron erwerben kann, gewesen wäre.Leidenschaften sind nicht (wie die Stoiker irrig lehren) Krankheiten der Seele: sie sind ihr vielmehr, was die Winde einem Schiffe sind, das keine Seefahrt von einiger Bedeutung ohne sie vollbringen kann. Sie verstärken die demselben gegebene Bewegung; aber der Schiffer muß sie in seine Gewalt zu bringen wissen, wenn er nicht Gefahr laufen will, von ihnen verschlagen, oder an Klippen zertrümmert zu werden. Starke Leidenschaften zu regieren, werden freilich große Kräfte des Geistes erfordert; aber sie spannen auch diese Kräfte: und da die Stärke des Willens ohne Gränzen ist, so steht es immer in seiner Macht, auch die unbändigen Leidenschaften, wie Virgils Neptun die stürmenden Winde, durch sein herrisches quos ego zu bändigen, und zu seinem eignen Zwecke dienstbar zu machen.Die Umstände, in welchen ich geboren wurde, schienen dem Ehrgeiz, der sich früh in mir ankündigte, nicht die günstigsten zu seyn. Denn eine wenig ausgezeichnete Hellenische Stadt in einer Asiatischen Provinz war seit einigen Jahrhunderten der Sitz meiner Voreltern, welche zwar immer unter die Ersten ihres Orts gezählt wurden, von denen aber keiner, meines Wissens, sich einen Namen in der Welt gemacht hat. Indessen verschafften mir der Rang meines Vaters

unter seinen Mitbürgern und seine Glücksumstände zur Entwickelung der ungewöhnlichen Anlagen, die man bei mir zu entdecken glaubte, eine bessere Erziehung, als vermuthlich jemals einem meiner Vorfahren zu Theil geworden war. Man gab mir die geschicktesten Lehrer, die man auftreiben konnte, und ich machte in allen Arten von Uebungen des Körpers und des Geistes so rasche Fortschritte, daß ich die öffentliche Aufmerksamkeit schon in der ersten Jugend auf mich zog.Was ohne Zweifel das meiste zu dem unmäßigen Beifall, womit mir geschmeichelt wurde, beitrug, war eine vorzüglich glückliche Gestalt und Gesichtsbildung, die mich vor allen jungen Leuten meines Alters auszeichnete, und allem andern, wobei ich mir selbst einiges Verdienst zuschreiben konnte, einen höhern Glanz und Werth zu ertheilen schien.Das kann ich mir vorstellen! unterbrach ich ihn; nach dem zu urtheilen, was du noch mit sechsundneunzig Jahren bist, mußt du mit sechzehn von den Malern und Bildnern schrecklich verfolgt worden seyn.Wie ungereimt es immer seyn mag, fuhr Agathodämon fort, daß die Menschen (zumal unsere Hellenen) eine ungewöhnliche Schönheit durch die schwärmerische Achtung, die sie ihr beweisen, gleichsam zu einem Verdienst erheben, da sie doch, ihrem wahren Werthe nach, selbst unter den Geschenken der Natur eines der letzten ist: so muß man doch gestehen, daß keine andere Eigenschaft so schnell zu unserm Vortheil einnimmt, die Herzen der Menschen so leicht in unsere Gewalt bringt, und sie so geneigt macht, uns als eine Art höherer, von den Göttern besonders begünstigter, Wesen zu betrachten.

Ohne zu behaupten, daß diese außerordentliche Parteilichkeit, wovon ich bereits als ein kaum angehender Jüngling von allen Arten Menschen tausend Beweise erhielt, gar keinen Einfluß auf meine Sinnesart gehabt hätte, erinnere ich mich doch sehr deutlich, daß ich mich selbst nicht höher darum schätzte, und daß ich diejenigen mit einer Art von Verachtung ansah, die einen so hohen Werth auf Vorzüge setzten, gegen welche ich gleichgültiger zu seyn glaubte, als es sich vielleicht in der That verhielt. Gewiß ist, daß ich schon damals einen Ehrgeiz in mir fühlte, dem weder die Meinung andrer von mir, noch mein eigenes Bewußtseyn genug thun konnte. Zwar stand das Ideal, zu welchem ich aufstrebte, noch in unberechtigten Verhältnissen und unbestimmten Formen, als eine helldunkle Riesengestalt, vor mir, mehr einem Nachtgespenst als einem Götterbilde ähnlich, und, gleich dem Proteus der Fabel, immer seine Gestalt wechselnd: aber eben diese Unbestimmtheit gab meiner Einbildungskraft freieres Spiel, und trieb mich, mit rastlosem Eifer allen Arten von wahren und vermeinten Vollkommenheiten, deren Züge ich in ihm vereinigt sah, nachzujagen.Es bedarf kaum erwähnt zu werden, daß ich in den Jahren, wo der Knabe sich in den Jüngling zu verlieren anfängt, mich, nach alter Hellenischer Sitte, von einer beschwerlichen Menge sogenannter Liebhaber belagert sah, welche nichts unversucht ließen, um sich in meine Gunst einzuschleichen, und einander darin zuvorzukommen. Der kalte Stolz, womit ich auf sie alle herabsank, sicherte zwar die Unschuld und den guten Ruf des Jünglings: aber ich gewöhnte

mich doch dadurch, einen rauschenden Hof um mich her zu haben, überall Aufsehen zu erregen, und derjenige zu seyn, von welchem am meisten und mit übertriebener Bewunderung gesprochen wurde; und da das Gewohnte unvermerkt in Bedürfniß übergeht, so hatte dieser Umstand vielleicht mehr Antheil, als ich mir selbst bewußt war, an der Wahl der Lebensart, für welche ich mich in der Folge bestimmte.Ich hatte in diesen Jahren, die man unter den Händen der Pädagogen und Pädotriben hinbringt, eine Menge berühmter Namen kennen gelernt, und von den Männern, welche sie führten, nur eben so viel gehört, um vor Begierde zu brennen, hinter keinem von ihnen zurückzubleiben, und, wo möglich, alles, worin sie einst groß gewesen waren, in mir zu vereinigen. Warum, dachte ich, sollt' es einem Menschen nicht möglich seyn, alles zu werden was Menschen waren? Was ist dem unverdross'nen Fleiß und dem hartnäckigen Willen unmöglich?

II.

Die Zeit war nun gekommen, da ich, auf einer unsrer berühmtesten Schulen der Redekunst und Philosophie, die letzte Ausbildung erhalten sollte. Mein Vater brachte mich nach Tarsos, welches damals in dem Rufe stand, der Hauptsitz der Gelehrsamkeit in Asien zu seyn. Aber das Getümmel einer sehr volkreichen Handelsstadt und die üppige Lebensart ihrer wollüstigen Einwohner hatte vor kurzer Zeit einige der vorzüglichsten Lehrer bewogen, sich in die benachbarte Stadt Aegä zurückzuziehen, deren geringere Volksmenge und

verhältnissmäßige Stille den Geschäften der Musen günstiger schien. Ich erhielt von meinem Vater die Erlaubniß ihnen zu folgen; und weil mein Aufenthalt daselbst mehrere Jahre dauern sollte, so miethete er mir ein artiges Haus in der Vorstadt, welches mit schönen Gärten und Spaziergängen versehen, und nahe an einem, in dieser Gegend berühmten, Tempel des Asklepios gelegen war.Hier machte ich mich nach und nach mit den Lehrbegriffen der verschiedenen philosophischen Secten bekannt, und benutzte jede Gelegenheit, mich mit allen Arten von Kenntnissen zu bereichern. Vorzüglich hielt ich mich zu einem alten Epikureer, der hier in der Stille lebte, und, nebst der Naturgeschichte, die Wissenschaften, die der ausübenden Arzneikunst zum Grunde liegen, zu seinen Lieblingsstudien gemacht hatte. Der Umgang mit diesem, der Welt fast ganz unbekannten, Manne verschaffte meiner Wißbegierde eine ganz andere Befriedigung, als die schalen Spitzfindigkeiten der Akademiker und Stoiker; denen es, wie ich bald genug merkte, weder um Wahrheit noch Lebensweisheit, sondern bloß darum zu thun war, sich in einen großen Ruf zu setzen, die Wissenschaft als Gewerbe zu treiben, miteinander zu wetteifern, wer die meisten und freigebigsten Schüler an sich locken könne, und sich übrigens bei den Reichen, in deren Gunst sie sich einzuschmeicheln wußten, gute Tage zu machen. Zu meiner großen Befremdung fand ich, daß sogar der Pythagoräer Euxenos, welchem ich von meinem Vater besonders empfohlen war, außer dem Pythagorischen Costume, einigen dieser Secte eigenen Kunstwörtern, und den goldnen Sprüchen des Meisters,

die er auswendig wußte, nichts Pythagorisches an sich hatte, als das vornehme und feierliche Ansehen, wodurch die vorgeblichen Jünger des Weisen von Samos sich vor den andern Secten auszuzeichnen pflegen. Indessen verlor Pythagoras selbst durch die Unwürdigkeit seines Stellvertreters so wenig bei mir, daß ich vielmehr nur desto eifriger wurde, jeder reinern Quelle nachzuspüren, woraus ich einige Aufschlüsse über den Geist und Zweck dieses, mehr berühmten als gekannten, großen Mannes zu schöpfen hoffen konnte.Nachdem ich einige Jahre auf diese Weise zu Aegä zugebracht, rief mich der Tod meines Vaters nach Hause, um mich wegen seiner beträchtlichen Verlassenschaft mit meinem Bruder ins Reine zu setzen. Jede auf Geschäfte dieser Art verwandte Zeit war, nach meiner Schätzung, verlorne Zeit. Ich überließ also meinem etwas habsüchtigen Bruder was er wollte, um nur desto eher nach Aegä, in meine liebe Halle am Tempel des Asklepios — die durch die täglichen Besuche der Gelehrten eine Art von Akademie geworden war — und in die noch geliebtere Einsamkeit meiner stillen Gärten zurückzufliegen.

III.

Ich hatte nun das Alter erreicht, wo ich mich, wie der junge Herakles des Prodikos, entscheiden sollte, was für einen Weg durchs Leben ich einschlagen wollte. Es bedurfte keiner langen Ueberlegung, um mit mir selbst einig zu werden, daß ich zu keiner gewöhnlichen Beschäftigung berufen sey, und zu keiner Rolle tauge, wozu Geldgier, oder Hang zu

einem wollüstigen Leben, oder die gemeine Art von Ehrsucht, die durch Ehrenstellen und glänzende Dienstbarkeit zu befriedigen ist, den großen Haufen zu bestimmen pflegt. Ich wollte in einem großen Kreise wirken: aber unter solchen Weltbeherrschern, wie Cäsar Augusts erste Nachfolger waren, würde jede Hoffnung, durch unmittelbaren Einfluß auf sie selbst, oder durch Verwaltung eines Theils ihrer höchsten Gewalt, der Menschheit nützlich zu werden Thorheit gewesen seyn; wenn es auch einem freigebornen Hellenen aus einer unbekannten Stadt in Cappadocien möglich gewesen wäre, sich durch Verdienste einen Weg zu den ersten Stellen des Reichs zu öffnen. Hellenische Sklaven oder sklavische Römer, Kinäden, Histrionen, Kuppler, Elende, die das Schändlichste zu leiden und zu verüben fähig waren, hatten von der Regierung der Römischen Welt Besitz genommen; und wer anders, als ihresgleichen, hätte sie zu verdrängen, oder ihnen nachzufolgen, wünschen können?Freilich gab es auch eine Menge von Aemtern und Würden im Umfang der Hellenischen Welt, zu welchen meinesgleichen sich hinausschwingen konnten; nur mußte es auf jedem andern, als dem Wege des Verdienstes geschehen. Wer in jenen Zeiten reine Grundsätze und Sitten, als einen Titel zu solchen Stellen, hätte anführen wollen, würde für einen aus dem Monde herabgefallenen Menschen angesehen worden seyn. Fügte sich's auch einmal durch einen sonderbaren Zufall, daß ein Mann von solchem Charakter irgend eine Rolle im gemeinen Wesen zu spielen bekam; so fand er bald genug, daß ihm keine andre Wahl übrig bleibe, als

entweder seine Grundsätze aufzuopfern, oder selbst das Opfer derselben zu werden. Aber (sagte ich zu mir selbst) warum denn von äußerlichen Bestimmungen erwarten, was ich im Leben seyn soll? Die Natur selbst hat mir meine ganze Bestimmung schon gegeben, da sie mich zu einem Menschen machte: wenn ich dieß bin, alles bin, was die Idee des Menschen in sich faßt, was könnt' ich Edleres und Größeres zu seyn verlangen? Je tiefer die Verderbniß ist, zu welcher ich meine Zeitgenossen herabgesunken sehe, je geringer die Menschheit in ihrer eignen Schätzung, und je verächtlicher sie in den Augen ihrer Unterdrücker ist: desto nöthiger ist es, daß Menschen aufstehen, welche die Würde ihrer Natur zu behaupten wissen, und in ihrem Leben darstellen, was für ein erhabenes, unabhängiges und viel vermögendes Wesen ein Mensch bloß dadurch seyn kann, daß er alle seine Anlagen entwickeln und alle seine Kräfte gebrauchen gelernt hat.Von dem Augenblick an, da mir dieser Gedanke in seinem ganzen Umfang klar geworden war, füllte er auch meine ganze Seele aus. Er allein beschäftigte im Wachen und Schlafen meinen Verstand und meine Einbildungskraft. lnnigst glaubte ich zu fühlen, daß meine ganze Bestimmung von dieser einfachen Formel umschrieben werde: "sey so frei und thätig, so groß und gut, als du durch dich selbst seyn kannst!" — und innigst fühlte ich, daß nur das unaufhaltsame Streben nach dieser Vollkommenheit den stolzen Wunsch, keinen höhern über mir zu sehen, befriedigen könne. Was blieb mir nun übrig, als unverzüglich Hand ans Werk zu legen? Denn von nun an mußte ich, so zu sagen, mein eignes Werk seyn.

Ich selbst mußte die wesentliche Form meiner Natur ausbilden, den Zweck meines Lebens fortsetzen, und in allem meinem Thun und Lassen mein eigner Oberherr, Gesetzgeber und Richter seyn.Ich erlasse dir, Hegesias, um deine Geduld nicht zu sehr zu ermüden, den größten Theil der Betrachtungen, die ich in diesem entscheidenden Zeitpunkte meines Lebens anstellte, um dir nur die Resultate davon zu geben, die (wie ich glaube) einem Manne von deinem Scharfsinn hinlänglich sind, da sie dich von selbst auf die Wege hinweisen, worauf ich zu ihnen gelangte.Von Zeit zu Zeit waren in den vergangenen Jahrhunderten einzelne Menschen aufgetreten, die ich mir, bei diesem für mich so wichtigen Geschäfte, zu Mustern nehmen konnte. Ich kannte und schätzte sie alle; aber vorzüglich ragten, in meinen Augen, aus allen andern Pythagoras und Diogenes hervor. Indem ich stückweise durchdachte, was jeder von ihnen gewesen war, sah ich, daß jeder in einigen Stücken über, in einigen unter dem andern gewesen war. Aber wenn ich die Unabhängigkeit und Selbstgenügsamkeit des Diogenes mit den tiefern Kenntnissen und der Würde des Pythagoras, und mit der Macht über die Gemüther, die sich dieser zu verschaffen wußte, vereinigen könnte, dann, dacht' ich, würde ich eine Höhe erreichen, welche noch von keinem Sterblichen erstiegen worden; — und dieß däuchte mir ein Ziel, das mit allen nur ersinnlichen Aufopferungen nicht zu theuer erkauft würde.Du siehest, Hegesias, wie viel daran fehlte, daß mein

Verlangen nach Vollkommenheit rein genannt werden konnte: aber ich entschuldige nichts, wie ich nichts verschönere. Ich versprach dir nichts, als mich ehrlich darzustellen, wie ich war, wie ich wurde, und wie ich bin. Ich sage dir, was ich selbst davon weiß, und kann dich nur alsdann betrügen, wenn ich unvermerkt von mir selbst betrogen würde. Höre also, wenn du Lust dazu hast, wie ich es anfing, das hohe Ziel zu erringen, das ich mir vorgesteckt hatte.

IV.

Um zu leben wie Diogenes, hatte ich nichts vonnöthen, als den Willen, so zu leben: aber um dem Pythagoras zu gleichen, brauchte es etwas mehr, als keine Bohnen zu essen, ein stark gelocktes Haar zu unterhalten, oder einen meiner Schenkel mit vergoldetem Leder zu überziehen; dazu hatte ich noch viele Kenntnisse zu erwerben, und den Kräften meiner Seele eine viel höhere Spannung zu geben. Dieses erforderte Zeit: jenes konnte ich von Stund' an bewerkstelligen. Ich fing also mit dem Leichtern an.Meine Art zu leben war von jeher immer sehr mäßig gewesen: indessen hatte ich mir doch, ohne Bedenken, manche Bequemlichkeiten und kleine Befriedigungen der Sinne, die von begüterten Personen zum Nothwendigen gerechnet werden, nachgesehen. Jetzt schränkte ich mich, im strengsten Sinn, auf das Unentbehrlichste der Natur ein. Ich begnügte mich eine geraume Zeit mit der dürftigsten Kost eines Cynikers, der gewöhnlich nur aus Mangel einer bessern damit vorlieb

nimmt. Ich trank bloßes Wasser. Meine Kleidung war so schlecht und einfach als möglich, und ich schlief mit einem Stein unterm Kopfe auf dem harten Boden. Auch legte ich mir selbst verschiedene Arten von Selbstpeinigung auf, in der Absicht, mich gegen Hunger, Durst und jeden andern körperlichen Schmerz weniger empfindlich zu machen. Ich setzte diese Lebensweise so lange fort, als sie mir einige Mühe kostete, und bis es mir ganz gleichgültig war, so oder anders zu leben.Was ich dadurch erhalten wollte und wirklich erhielt, war eine doppelte Unabhängigkeit: eine innerliche, von den Trieben und Forderungen der Sinnlichkeit, und eine äußerliche, von den Menschen, unter welchen ich lebte. Da ich auf die Vortheile der bürgerlichen Gesellschaft Verzicht that, so glaubte ich berechtigt zu seyn, mich als einen bloßen Menschen, und das ganze menschliche Geschlecht als eine einzige große Familie anzusehen, mit welcher ich bloß durch die Bande der Sympathie und des Wohlwollens zusammen hange. Alle übrigen Bande fielen wie versengte Fäden von mir ab, sobald ich keine Bedürfnisse der Gemächlichkeit, der Wollust, der Eitelkeit, des Ehrgeizes und der Habsucht zu befriedigen hatte. Die Natur war nun meine einzige Gesetzgeberin, und, meiner Natur gemäß zu leben, mein letzter Zweck. Diese beiden Formeln, die man oft genug in den Schulen unsrer vermeinten Weisen tönen hört, lassen, so allgemein ausgesprochen, mancherlei Deutungen zu. Ich nahm sie in dem hohen Sinne der Pythagorischen Grundbegriffe.Man betrachtet den Menschen gewöhnlich als ein Wesen,

das aus der thierischen und geistigen Natur zusammengesetzt ist. Aber irrig ist es, wenn man sich diese so ungleichartigen Naturen im Menschen als in Ein Ganzes zusammengeschmelzt vorstellt, wie das Weib und das Mutterpferd in der berühmten Centaurin des Zeuxis. Der Künstler konnte durch eine geschickte Verschmelzung der Farben und durch den Ton des ganzen Stücks dem getäuschten Auge möglich scheinen machen, was der Natur selbst unmöglich ist. Denn nie wird es diese unternehmen, aus zwei so widerwärtigen Naturen ein reines gleichartiges Ganzes zusammen zu setzen. Geist und Körper, Sinnlichkeit und Vernunft, verhalten sich im Menschen zu einander, wie die Sehkraft zum Auge und die Hand zum Willen. Ich betrachtete meine geistige Natur als mein eigentliches Ich; und meiner Natur gemäß leben, hieß mir, das thierische Leben dem geistigen dergestalt unterordnen, daß dieses so wenig als möglich durch jenes gestört und eingeschränkt werde. Desto gemäßer also der Natur, je mehr der Mensch ein bloß geistiges Leben lebt, je völliger er die Sinnlichkeit zur bloßen Sklavin des Geistes gemacht hat, je weniger er die Bürde des Organs, an welches seine Wirksamkeit gebunden ist, fühlt, je zarter die Bande sind, wodurch er mit demselben zusammen hängt, und je mehr der Geist sie in seiner Gewalt hat, kurz, je mehr der Körper einer rein gestimmten Laute gleicht, die dem Tonkünstler bloß dazu dient, die melodischen Harmonien, die er in sich selbst spielt, hörbar zu machen.In diesem Sinne — und selbst dem gemeinen Sprachgebrauch gemäß, der das Höchste in jeder Art göttlich nennt

— pflegte ich die geistige Natur den Gott in uns zu nennen, und so verstand ich mich selbst, wenn ich von meinem Dämon sprach; wiewohl in der Folge Leute, die mich nicht verstanden oder nicht verstehen wollten, mir, unter manchen ähnlichen Auflagen, auch die Thorheit aufbürdeten, daß ich einen eigenen Dämon zu meinem Befehle zu haben, und Wunderdinge durch ihn zu verrichten vorgebe.

V.

Ich hatte nun einige Jahre, theils zu Aegä, theils in einer noch größern Abgeschiedenheit vom Geräusche der Menschen, in diesen Uebungen zugebracht, und mir eine so große Gewalt über mich selbst (weil man doch auch den thierischen Theil zu unserm Selbst zu rechnen gewohnt ist) erworben, daß ich mir in diesem Stücke große Proben auszuhalten schmeicheln konnte. — Im Vorbeigehen darf ich nicht vergessen zu erwähnen, daß die strengste Enthaltung von den Aphrodisischen Mysterien eines der Gesetze war, die ich mir selbst aufgelegt hatte.Hier, lieber Timagenes, konnt' ich mich nicht länger zurück halten, meinen alten Wirth zu unterbrechen. Und die Schönen Asiens, rief ich aus, erlaubten dir, mit einer Gestalt, wie die deinige in einer ungeschwächten Jugend seyn mußte, unangefochten einem so unnatürlichen Gesetze treu zu bleiben?Die Wahrheit zu gestehen, erwiederte Agathodämon, nicht ganz unangefochten, und, selbst auf meiner Seite, nicht ohne alle Schwierigkeit. Denn wiewohl ich in diesem Punkte

mit keinem sehr ungelehrigen Temperamente zu kämpfen hatte, so sah ich mich doch, im Lauf eines so langen Lebens, mehr als Einmal in Lagen verwickelt, wo ich die ganze Stärke des Willens nöthig hatte, um mich unbeschädigt los zu reißen. Die größte Schwierigkeit in solchen Fällen ist, wenn die zärtern Gefühle des Herzens mit ins Spiel gezogen werden. Indessen kam mir dabei sehr zu Statten, daß ich von Jugend an der Einbildungskraft wenig Nahrung gegeben, und ihr nie erlaubt hatte, sich durch reizende Bilder der Schönheit und Liebe zu erhitzen. Ueberhaupt aber kannst du mir über diesen Umstand um so eher glauben, weil meine Feinde, die mich gewiß nicht aus Schonung hätten entwischen lassen, meinen Ruhm wenigstens in diesem Stück unangetastet ließen. Aber wieder zur Hauptsache!Noch während meines Aufenthalts in Aegä, als ich mich zu dem, was ich für meine besondere Bestimmung hielt, schon ziemlich vorbereitet glaubte, brachte mich der große Verfall der Pythagorischen Schule auf den Gedanken, eine Art von Pythagorischem Orden zu stiften, oder vielmehr zu erneuern, dessen Glieder sich feierlich zu Beobachtung der Lebensvorschriften des Meisters verbinden, und zu möglichster Beförderung des großen Werks der Entfess'lung der Menschheit vereinigen sollten. Anfangs bestand unser Bund nur aus sechs Gliedern. Nach und nach kamen noch einige hinzu; bis sich endlich, bei Gelegenheit meiner häufigen Reisen, der Orden dergestalt vermehrte, daß kaum eine beträchtliche Stadt im ganzen Römerreiche war, wo sich nicht eine unsichtbare Colonie desselben aufgehalten hätte; denn Geheimniß und Verschwiegenheit

war eines seiner Grundgesetze. In der ersten Ordensverfassung war auch eine völlige Gleichheit der Brüder festgesetzt; doch mit dem Vorbehalt, daß es ihnen, bei künftiger Vermehrung ihrer Anzahl, überlassen seyn sollte, denjenigen zum Vorsteher zu erwählen, von dessen Eifer und Tüchtigkeit sie die meiste Ueberzeugung hätten. Dieß machte mich, wie ich voraus gesehen hatte, zum Oberhaupt dieser geheimen Gesellschaft, welche eines der mächtigsten Organe war, wodurch ich die außerordentlichen Dinge wirkte, die zu ihrer Zeit so viel Aufsehens in der Welt gemacht haben.Bei diesen Worten faßte ich meinen Alten abermals scharf ins Auge; eine Vermuthung, die mir schon eine gute Weile dunkel vorgeschwebt hatte, trat auf einmal ins Licht, und ich glaubte den Mann zu errathen, den ich vor mir hatte. Aber weil ich ihn nicht unterbrechen wollte, hielt ich mit meiner vermeinten Entdeckung noch zurück, und erwartete schweigend den Verlauf seiner Erzählung.Agathodämon begnügte sich, mir mit einem durchdringenden scharfen Blick zu sagen, daß er in meiner Seele lese, und fuhr ruhig in seiner Erzählung fort.

VI.

Ich hatte mir mit dem Orden, dessen Stifter oder Wiederhersteller ich war, keine geringen Zwecke vorgesetzt, und es gehörte zu den Mitteln, wodurch ich sie zu erreichen hoffte, alle in den Schleier des Geheimnisses eingehüllten Gesellschaften, von welchen ich bereits einige Kenntnisse hatte, genauer kennen

zu lernen: theils, um ihren wahren Zweck zu erforschen, und zu sehen, ob und wie fern ich sie entweder mit der meinigen verbinden, oder vielleicht, ohne ihr eigenes Wissen, zu meinen Werkzeugen machen könnte; theils, um gelegentlich hinter die geheimen Kenntnisse zu kommen, die (wie ich glaubte) als Ueberbleibsel aus einer unsre Zeitrechnung weit übersteigenden Epoche der Menschheit, in den ältesten dieser geheimen Orden aufbewahrt würden.Außer den Gymnosophisten in Indien und Aethiopien, und den Priestern zu Memphis und Sais, welche ich zu besuchen gedachte, zeichnete sich damals ein gewisser Orden aus, der seinen Ursprung bis zu jenem berühmten Orpheus hinauf führte, welcher von den Griechen (wiewohl ihn einige für eine fabelhafte und bloß allegorische Person erklären) insgemein für einen der ersten Stifter ihrer Religion und Polizei gehalten wird.So weit auch die Insel Samothrake, wo diese Orphiker in einem berühmten Tempel der Göttermutter ihren Hauptsitz hatten, von meinem bisherigen Wohnort entfernt war, so lag sie mir doch unter den Orten, die ich besuchen wollte, am nächsten. Ich machte also den Anfang meiner mystagogischen Reisen mit ihr, und wurde von den Orphikern sehr freundlich aufgenommen. Anstatt mir den Zugang zu ihren Geheimnissen zu erschweren, schienen sie vielmehr eine Verbindung mit mir als etwas Wünschenswürdiges anzusehen; und nachdem ich die verschiednen Grade, wodurch sie die lnitianten, absichtlich, theils abzuschrecken, theils auszuzögern suchten, in ungewöhnlich kurzer Zeit erstiegen hatte, wurde ich unter die

Wenigen aufgenommen, denen man nichts verbergen zu müssen glaubte. Diese Grade, wodurch es immer in ihrer Gewalt blieb, wie viel oder wenig sie einem Aspiranten von ihren Geheimnissen mittheilen wollten, schienen mir eine so weise Erfindung, daß ich sie auch in meinen eignen Orden übertrug.Es würde uns, wenn ich mich auch durch ein vor mehr als sechzig Jahren gethanes Versprechen nicht länger gebunden hielte, zu weit aus unserm Wege führen, wenn ich dir entdecken wollte, was ich bei dieser Gelegenheit zu sehen und zu hören bekam; und du verlierst um so weniger dabei, da dir das Hauptsächlichste aus den Mysterien zu Eleusis schon bekannt ist. Genug, meine Wißbegierde fand in Samothrake so reichliche Nahrung, daß ich mehrere Jahre unter meinen Orphikern zubrachte, weil ich sie nicht eher verlassen wollte, als bis sie mir nichts mehr zu entdecken hätten.Dieser Orden bestand eigentlich nur aus zwei Hauptclassen. Schwärmer, die mit vollem Glauben an den Träumereien der Dämonologie, Magie und Theurgie hingen, sich dem Erforschen und Ausüben dieser Dinge gänzlich widmeten, und (da nichts so gern sich mittheilt als Schwärmerei) ihr ganzes Leben damit zubrachten, andre eben so zu betrügen, wie sie sich selbst betrogen, ohne daß ihnen jemals ein Zweifel über ihre eigne Ehrlichkeit oder die Wahrheit ihrer Hirngespenster aufgestiegen wäre; — diese Phantasten machten in verschiedenen Abtheilungen die erste und zahlreichste Classe aus. Die zweite bestand aus den Obervorstehern des ganzen Ordens; drei oder vier Männern von ziemlich hellem Kopfe, die

sich aus den Gliedern der ersten Classe so viele Werkzeuge bildeten, als sie zu Beförderung ihres Zweckes nöthig hatten. Diesen fiel es gar nicht ein, über die Beschaffenheit der Mittel, deren sie sich bedienten, sich selbst täuschen zu wollen: aber dafür hielten sie ihren Zweck für so groß und gemeinnützig, daß es ihnen eben so wenig einfiel, sich wegen der Rechtmäßigkeit der Mittel, wodurch sie ihn zu bewirken suchten, das mindeste Bedenken zu machen.Dieser Zweck war nichts Geringeres, als der alten Volksreligion — deren täglich zunehmender Verfall ihren gänzlichen Umsturz als etwas sehr Nahes befürchten heißt — wieder aufzuhelfen, und zu solchem Ende die berühmtesten Tempel, die in Ruinen zu zerfallen drohten, wieder in Aufnahme, die Orakel, welche zu verstummen anfingen, wieder in Ansehen zu bringen, und den fast ganz erloschnen Glauben an Belohnung und Bestrafung in einem andern Leben, durch alle nur ersinnlichen Kunstgriffe, wieder aufzufrischen und wirksam zu machen. Ihrer wirklichen oder vorgeblichen Ueberzeugung nach, hängt die Erhaltung der bürgerlichen Ordnung an der Erhaltung des alten Volksglaubens, so wie an jener die Wohlfahrt des menschlichen Geschlechts und die Hoffnung der bessern Zeiten, die der ewige Gegenstand der allgemeinen Wünsche sind. — Gestehe, Hegesias, daß ein solcher Zweck auch täuschende Mittel, sobald sie tauglich sind, rechtmäßig macht!Das möchte ich nicht gern gestehen, erwiederte ich; wenigstens nicht, so lange ich mich versichert halte, die Vernunft sey keine so todte Kraft im Menschen, daß es weiser seyn sollte, anstatt ihn über sein wahres Interesse aufzuklären, ihn

durch betrügerische Kunstgriffe, gleichsam wider seinen Willen, auf den Weg der Glückseligkeit zu verführen.So dachte ich damals auch, sagte der Alte lächelnd: aber der ehrwürdige Theophranor, mein Mystagog, der nun einer meiner vertrautesten Freunde war, unterließ nichts, um mich eines andern zu belehren. Wie? sagte er, wir machen uns kein Bedenken, den Rand des Bechers, woraus wir unsern Kindern eine bittere Arznei geben, mit Honig zu bestreichen: und wir sollten Bedenken tragen, den Glauben an höhere Mächte durch Orakel zu bestärken, oder einen Menschen, den zügellose Sinnlichkeit und Verderbniß des Herzens zum Ungläubigen gemacht haben, in der Höhle des Trophonios schlafen zu lassen, um ihn durch das eingebildete Zeugniß seiner Sinne zu überzeugen, daß es eine Unterwelt, einen Tartarus und einen Pyriphlegethon gibt?Du setzest, wie es scheint, voraus (wendete ich ein), daß der große Haufe der Menschen immer als Kinder behandelt werden müsse?Ohne Zweifel, versetzte er, so lange sie in den wichtigsten Angelegenheiten der Menschheit wie Kinder denken und handeln; und daß dieß immer der Fall gewesen sey, liegt am Tage.Vermuthlich, erwiederte ich, weil ihre Erzieher und Beherrscher sich immer alle mögliche Mühe gegeben haben, daß es nicht anders seyn könne. Indessen ist nicht zu zweifeln, daß eben diese Menschen, die in allem, was ihr sinnliches Interesse betrifft, sich ihrer Vernunft gar meisterlich zu bedienen wissen, nicht auf dem Wege der Aufklärung so weit gebracht werden

könnten, daß sie nicht nöthig hätten, zu ihrem Besten hintergangen zu werden.Theophranor glaubte am kürzesten aus der Sache zu kommen, wenn er mir die Voraussetzung, worauf ich mich als auf eine bekannte Thatsache berief, geradezu abläugnete. Er behauptete, daß das, was man so höflich sey, bei dem unendlich größern Theil der Menschen Vernunft zu nennen, nichts weiter als ein vernunftähnlicher Instinct sey, der wenig oder nichts über ihre Vorurtheile und Gelüste vermöge, und alle Augenblicke von ihren Leidenschaften irre geführt werde. Oder würden sie sonst (sagte er), wenn sie sich der Vernunft, auch nur in Dingen, wovon ihr sinnliches Interesse abhängt, so gut zu bedienen wüßten, würden sie seyn, was sie sind? oder leiden, was sie mit lastthierischer Geduld, wiewohl unter ewigem Murren, aus Furcht vor ihrem eigenen Schatten ertragen? da es doch in ihrer Macht steht, sich durch vernünftigen Gebrauch ihrer vereinigten Kräfte in einen ungleich bessern Zustand zu versetzen?Theophranor behauptete: das menschliche Geschlecht müsse, eben so wohl wie der einzelne Mensch, zur Vernunft erzogen werden: die Natur selbst befördere dieses Erziehungsgeschäft, bei jenem wie bei diesem, durch die innerlichen Antriebe und äußerlichen Veranlassungen, wodurch die Vernunft entwickelt und in Thätigkeit gesetzt werde; nur könne es nicht anders seyn, als daß es bei jenem unendlich langsamer damit hergehen müsse. So lange sinnliche Triebe und Leidenschaften, oder, mit Einem Worte, so lange die Thierheit bei dem größten Haufen die Vernunft noch gefangen halte, sey Täuschung ihrer

Sinne und Einbildungskraft eine unentbehrliche Hülfsquelle, der Religion, und den Gesetzen — als den einzigen Mitteln der Humanisirung des rohen Menschen —Eingang, Ansehen und Uebergewicht bei ihnen zu verschaffen. Die älteste Geschichte der Welt setze dieß in das helleste Licht. Hermes, Orpheus, Minos, Phoroneus, Lykurgus, Numa, Pythagoras, und alle übrigen Stifter oder Verbesserer der gottesdienstlichen und bürgerlichen Verfassungen unter den Menschen hätten sich dieses Hülfsmittels mit Erfolg bedient. "Und warum (sagte Theophranor) hätten sie Bedenken tragen sollen, entweder ungeschlachte und unwissende, oder durch übermäßige Verfeinerung der Sinnlichkeit geschwächte Menschen, durch heilsame Täuschungen zu hintergehen? Ist nicht auch in diesem Punkt die Natur selbst unsre Lehrerin? sie, die uns, vom ersten Augenblick unsers Daseyns an, von außen mit Erscheinungen umgibt, die nicht sind, was sie scheinen, und von innen durch die magischen Wirkungen der Liebe und der Hoffnung unser ganzes Leben durch aus den wohlthätigsten Absichten täuschet? — Was dich (fuhr er fort) gegen dieses der Natur selbst abgelernte Verfahren der Erzieher der Menschheit eingenommen hat, ist der Mißbrauch, welchen die Priesterschaft und die mit ihr einverstandenen Herrscher bei den meisten, wo nicht bei allen Völkern davon gemacht haben, und noch lange machen werden. Aber diesem Mißbrauch entgegen zu arbeiten, ist ja eben, wie du weißt, der Hauptzweck der Philosophie sowohl als der Mysterien. Warum sollten wir Anstand nehmen, so lang' es nöthig ist, die Kunstgriffe, wodurch religiöse und politische Tyrannei das Menschengeschlecht in ewiger

Kindheit zurückzuhalten sucht, gegen ihre Feinde selbst zu richten, und zur Befreiung desselben anzuwenden? Je näher wir unserm Zwecke kommen, je weniger werden wir derselben nöthig haben. Ist die Vernunft einmal in Freiheit und auf den Thron gesetzt, der ihr allein gehört, dann bedarf es keiner Herablassung zu den Schwachheiten und Vorurtheilen der Menschen mehr: die wohlthätige Absicht, warum wir sie, so lange sie noch als Kinder oder Thoren behandelt werden mußten, zu ihrem eigenen Vortheil zu täuschen genöthigt waren, ist dann erreicht; und wohl denen, die vielleicht in einigen Jahrtausenden diese goldne Zeit erleben werden!"Diese Vorstellungsart, und diese großen Gesinnungen, welche Theophranor, ein großer Meister in der Täuschungskunst, durch eine lange Uebung so geschickt zu heucheln gelernt hatte, daß er einen viel scharfsichtigern Menschenkenner, als ich damals war, hätte hintergehen können, stimmten zu gut mit den meinigen überein, um seine Absicht bei mir zu verfehlen; welche wohl keine andere seyn mochte, als mich zu überreden, daß diese Gesinnungen wirklich die seinigen seyen, und sich dadurch gänzlich von meinem Herzen Meister zu machen. Aber die Vertraulichkeit, die nun zwischen uns entstand, gab mir zu viele Gelegenheit, in das seinige zu blicken, um nicht zuletzt gewahr zu werden, daß ich mich an ihm betrogen hatte, da ich aus der Gleichförmigkeit unsrer Sprache auf die Gleichheit unsrer Gesinnung schloß. Je genauer ich ihn und seine Gehülfen kennen lernte, je mehr überzeugte ich mich, daß sie das, was, ihrem Vorgeben nach, nur Mittel zu einem höhern Zweck seyn sollte, zum Zweck selbst machten, und daß es ihnen mehr

um Einfluß auf ihre Zeitgenossen zu ihren besonderen Absichten, als um Beförderung dessen, was ich für die große Sache der Menschheit hielt, zu thun war. Es schmeichelte ihrer Eitelkeit, sich vom Volke als Männer, die mit den Göttern in Gemeinschaft ständen, verehrt zu sehen; und der Credit, in welchen sie sich durch diesen Wahn selbst bei vielen Großen zu setzen wußten, verschaffte ihnen und ihren Anhängern so beträchtliche Vortheile, daß sie, über dem Bestreben, sich im Besitz derselben zu erhalten, zuletzt jenen hohen Zweck gänzlich aus den Augen verloren.Diese Entdeckung kostete mir einige Jahre; aber die natürliche Folge davon war auch, daß die Orphiker in meiner Achtung zu den herumziehenden Jsispriestern, Siebdrehern, Schatzgräbern und Geisterbannern herabsanken, welche damals schon die östlichen und westlichen Provinzen des Römischen Reichs zu überschwemmen anfingen. Indessen hütete ich mich wohl, sie merken zu lassen, wie ich von ihnen dachte. Denn wozu hätt' es geholfen? Ich konnte nicht hoffen, sie zu meiner Denkart umzustimmen. Die ihrige war ihnen durch lange Gewohnheit persönlich geworden; und wie groß auch mein Selbstvertrauen war, so schien mir doch das Unternehmen, Schwärmer vernünftig oder Heuchler redlich machen zu wollen, schon damals so unmöglich, als ich es im ganzen Laufe meines Lebens befunden habe. Auf der andern Seite stand ich nun einmal mit diesen Leuten in einer Verbindung, welche wieder aufzuheben gegen alle Klugheit gewesen wäre: denn es konnten sich Fälle ereignen, wo sie zu meinen Absichten brauchbar waren, und ihr Haß konnte mir auf jeden Fall nur schädlich

seyn. In dieser Rücksicht beschloß ich, alle Orphiker, die noch in den untern Graden ihres Ordens standen, zum ersten Grade des meinigen zuzulassen; wodurch sie, wiewohl ihnen der letzte Zweck desselben unbekannt blieb, wenigstens in ein gewisses Verhältniß mit ihm gesetzt wurden, und durch die Hoffnung, dereinst in seine Geheimnisse schauen zu dürfen, angespornt wurden, ihm ihre Anhänglichkeit durch ihren Diensteifer zu beweisen. Eine Einrichtung, die ich treffen mußte, weil beinahe jedermann gut genug war, als bloßes Werkzeug zu meinem Zwecke mitzuwirken; da hingegen nur den Edelsten und Besten zuzutrauen war, daß sie diesen Zweck selbst zum ihrigen machen würden.

VIl.

Während meines Aufenthalts unter den Orphikern fehlte mir's nicht an Zeit und Gelegenheit, verschiedene Reisen nach dem festen Lande zu machen, und die merkwürdigsten Inseln des Aegeischen und Ionischen Meeres zu besuchen. Da es zu meinem Plan gehörte, auch dem seltsamen Gemische von Aberglauben und Betrügerei, das unter dem Namen der Magie von jeher den unaufgeklärten Theil der Menschheit auf dem ganzen Erdboden bethört hat, wo möglich auf den Grund zu kommen, so begab ich mich bloß in dieser Absicht nach Thessalien, wo, der gemeinen Sage nach, die Zauberei seit uralten Zeiten ihren Hauptsitz gehabt haben soll. Ich hielt mich eine geraume Zeit zu Larissa und Hipata auf, machte mit allen Arten von Menschen Bekanntschaft, und fand —

was ich mit etwas mehr Weltkenntniß, als ich damals besaß, leicht hätte voraussehen können. Wer zu den höhern Ständen gehörte, und an Erziehung und feinere Lebensart Anspruch machte, verlachte größtentheils alles, was gelegentlich von dergleichen Dingen erzählt wurde; wiewohl es mir vorkam, als ob dieser Unglaube bei manchen mehr aus Anmaßung als wirklicher Ueberzeugung entspringe. Das gemeine Volk hingegen war von der Wahrheit aller der Zaubermährchen, die es von Kindheit an gehört hatte, so innigst durchdrungen, daß, wer den geringsten Zweifel in die ungereimtesten Erzählungen dieser Art setzte, ein Wahnsinniger oder gar ein Gottesläugner in ihren Augen war. Ihren Reden nach wimmelte Thessalien von Zauberern beiderlei Geschlechts, die den Mond vom Himmel herabziehen, die Geister der Verstorbenen aus dem Erebus heraufrufen, ja die furchtbare Hekate selbst zu erscheinen zwingen konnten; die mit einem einzigen Worte Menschen in Thiere verwandelten, sich unsichtbar machten, auf dem Wasser oder auf den Wolken gingen, bei heiterm Himmel Stürme und Ungewitter erregten, Wildnisse und Steinhaufen im Augenblick zu prächtigen Gärten und Palästen umschufen, unterirdische Schätze hoben, und eine Menge andrer übernatürlicher Dinge bewerkstelligten; obwohl ein Fremder, dem von diesem allem nichts voraus gesagt worden wäre, zwanzig Jahre in Thessalien hätte leben können, ohne etwas davon gewahr zu werden, oder auf den mindesten Verdacht zu gerathen, daß nicht alles in diesem Lande eben so natürlich zugehe, als in jedem andern. In der That schien der Glaube an diese Ungereimtheiten sich bei dem Thessalischen

Volke bloß auf Tradition und Hörensagen zu gründen: denn unter zehn, die davon als von allgemein bekannten Thatsachen sprachen, war kaum Einer, der sich auf seine eigne Erfahrung berief; und an diesen letztern mußt' es jedem Unbefangenen sogleich in die Augen leuchten, daß sie entweder Betrogene oder Betrüger waren.Das Beste also, was ich durch den Aufenthalt in diesem Zauberlande gewann, war die ungeheure Uebermacht vorgefaßter Meinungen, und einer frühzeitig an erstaunliche und unbegreifliche Dinge gewöhnten Einbildungskraft über den gemeinen Menschenverstand, an einem der auffallendsten Beispiele, das vielleicht der ganze Erdboden darbietet, kennen zu lernen. Denn wiewohl mir, auch ohne nähere Untersuchung, klar genug war, daß in manchen Fällen vorsetzlicher Betrug der unwissenden Einfalt Netze stellte, so waren diese doch von so grobem Gewebe, daß man es für unmöglich hätte halten sollen, daß jemand anders als ein Kind sich darin fangen lassen würde. Unter mehrern Beispielen dieser Art erinnere ich mich eines einzigen noch deutlich genug, um dir von den Künsten der Thessalischen Zauberer, und von der blinden Leichtgläubigkeit derjenigen, die sich von ihnen täuschen ließen, einen anschaulichen Begriff zu geben.

VIII.

Ich gerieth zu Larissa in die Bekanntschaft einer Frau, die (nach der Versicherung meiner alten Wirthin) für eine der gefährlichsten Zaubrerinne in ganz Thessalien gehalten wurde.

Sie war die Gattin eines reichen Kaufmanns, den seine Geschäfte häufig von Larissa entfernten; und wenn Jugend und Schönheit, mit allen Arten von Reiz verbunden, für Zaubermittel gelten können, so mußte man gestehen, daß Chrysanthis (so nannte man sie) nicht mit Unrecht zu dem Ruf einer zweiten Circe gekommen war. In der That schien sie mir, beim ersten Anblick, keiner andern Magie, als ihrer eignen Reizungen, zu bedürfen; und wenn sie (wie die Sage ging) einer nicht geringen Anzahl edler Thessalischen Jünglinge, gleich ihrer Homerischen Vorgängerin mitgespielt hatte, so war es ohne Zweifel ganz natürlich dabei zugegangen. Daß es ihr an Neigung und Fertigkeit, einen solchen Gebrauch von dem Zauber ihrer Augen zu machen, nicht fehlte, erfuhr ich ziemlich bald durch mich selbst: denn sie ergriff jede Gelegenheit, oder machte vielmehr deren so viele als ihr nur immer möglich war, um mir auf die unzweideutigste Art zu entdecken, daß ich mich nicht über eine Grausame zu beklagen haben sollte, wenn ich ihren Einladungen Gehör geben würde.Lebensart und Sitten sind bekanntermaßen in der ganzen Hellas nirgends freier als in Thessalien. Das überhaupt zu sehr vernachlässigte weibliche Geschlecht wird vielleicht nirgend schlechter erzogen; und es ist daher kein Wunder, wenn die Bewohnerinnen dieses schönen Landes kein höheres Glück, als die Befriedigung ihrer sinnlichen Triebe, kennen, und sich ihnen mit der ganzen Lebhaftigkeit des feurigen Temperaments, womit die Natur sie begabt hat, ohne Bedenken überlassen.Chrysanthis mochte wohl bisher zu wenig Schwierigkeiten

angetroffen haben, um die Kälte, womit ich ihre Blicke abglitschen ließ, nicht unbegreiflich zu finden. Indessen ließ sie sich nicht dadurch abschrecken, und nachdem ihr verschiedene andre Versuche mißlungen waren, nahm sie endlich (was ihr vermuthlich noch nie begegnet war) ihre Zuflucht zu einer berüchtigten alten Zaubrerin, die sich außerhalb der Stadt in einem kleinen Gartenhause aufhielt, welches sie zum Behuf ihres doppelten Handwerks (denn sie machte nebenher auch die Kupplerin) ziemlich zweckmäßig eingerichtet hatte.Die Alte besaß, ihrem Vorgeben nach, unfehlbare Geheimnisse, hartnäckige Verächter der Liebesgöttin kirre zu machen. Chrysanthus überließ sich ihr mit blinder Zuversicht, und die Nacht auf den nächsten Vollmond wurde zum Anfang ihrer magischen Arbeiten angesetzt.Die Zaubrerin wandte (wie es scheint) die Zwischenzeit theils zu den nöthigen Zurüstungen, theils zu genauern Erkundigungen nach dem Aufenthalt und der Lebensart des jungen Mannes an, den sie ihrer Clientin in die Arme zu liefern versprochen hatte. Glücklicher Weise für ihre Absichten hielt ich mich ebenfalls vor der Stadt auf, und meine Wohnung in der Nähe eines anmuthigen Wäldchens, wo ich gewöhnlich in mondhellen Nächten zu lustwandeln pflegte, war nur durch einen schmalen Fußweg von dem Gärtchen der Alten abgesondert; ein Umstand, der ihr zur Anlegung ihres Plans sehr zu Statten kam.Sobald die bestimmte Nacht erschienen war, schlich die Thessalierin sich heimlich aus ihrem Hause in die Hütte der Zaubrerin, worin sie, ungeachtet des äußerlichen armseligen

Ansehens, ein ziemlich nettes Zimmer zu ihrem Empfang bereit fand. Es war mit einem wohl gepolsterten Ruhebette versehen, und von einer dicken Lampe mit wohlriechendem Oel beleuchtet, dessen Dufte die Zaubrerin große Kräfte zuschrieb. Neben dem Ruhebette stand ein Tisch von Elfenbein, mit Erfrischungen und goldnen Trinkgefäßen besetzt, und einer von den Bechern war mit einem Liebestrank angefüllt, der, nach ihrer Versicherung, den Nektar an Süßigkeit übertreffe, und wovon ein einziger Zug genug sey, um den greisen Tithon selbst in einen Jüngling zu verwandeln.Jetzt blieb nur noch die Schwierigkeit übrig, denjenigen herbeizuschaffen, um dessentwillen alle diese Anstalten gemacht waren. Die Alte hatte zu diesem Ende ein kleines wächsernes Bild in Bereitschaft, welches meine Person vorstellte, und aus verschiedenen magischen Mischungen kunstgemäß verfertigt war. Ihrem Vorgeben nach hatte sie auch sieben meiner längsten Haare in ihre Gewalt bekommen, die zu ihrem Vorhaben unentbehrlich waren. Sie knüpfte sie zu einer Schnur zusammen, wovon sie das eine Ende um den linken Daumen der Chrysanthis, das andre um die Hüften der kleinen Wachspuppe befestigte. Hierauf holte sie eine Pfanne mit glühenden Kohlen, warf einige Weihrauchkörner darauf, steckte das Bild auf eine mitten aus der Pfanne hervorragende Spitze, und versicherte nun die Schöne, die ihren Vorrichtungen mit klopfendem Herzen zusah, ehe das Bild völlig geschmolzen seyn würde, sollte sie ihren Geliebten herbeieilen sehen. Was du alsdann zu thun hast, setzte sie hinzu, weißt du besser als ich. Er müßte kein Mensch wie andre seyn, wenn er deinem

eignen Liebreiz und dem Zaubertrank, den du ihm reichen wirst, widerstehen könnte. Auf den Fall aber, daß er, wider alles Hoffen, seinen Starrsinn so weit treiben sollte, übergebe ich dir meinen Zauberstab. Tritt alsdann auf diese mit Sand bestreute Stelle, ziehe mit dem Stab einen Kreis um dich her, schlage dreimal auf den Boden, und rufe dreimal immer lauter, Hekate, Hekate, Hekate! — und eine Göttin wird dir zu Hülfe kommen, deren bloßer Anblick den Widerspänstigen auf immer in deine Arme hineinschrecken wird.Chrysanthis (aus deren Munde ich alle diese Umstände erzähle) hatte, zu aller ihrer natürlichen Herzhaftigkeit, noch die ganze Stärke einer durch Widerstand aufs äußerste gebrachten Leidenschaft vonnöthen, um sich zu einem Mittel zu entschließen, vor dessen bloßer Vorstellung ihr das Blut in den Adern gerann: aber die Alte betheuerte bei allen Göttern des Himmels und des Erebus, daß sie nicht die geringste Gefahr dabei laufe, steckte ihr zum Ueberfluß noch einen talismanischen Ring an den Finger, und brachte es durch ihren Zuspruch so weit, daß die Thessalierin Heldenmuth genug in sich zu fühlen glaubte, um den Anblick der gräßlichsten Ungeheuer des Tartarus auszuhalten. Indessen hatte die Alte, wie gewiß sie auch der Macht ihrer Zauberkünste zu seyn vorgab, sich dennoch auf die Wirkung des magischen Wachsbildchens und der sieben Haare nicht so gänzlich verlassen, um ein natürlicheres Mittel für überflüssig zu halten, wodurch sie mich unfehlbar herbeizuschaffen hoffte. Die Schönheit der Nacht, in welcher alles dieß vorging, hatte mich seit mehr als einer Stunde auf meinen gewöhnlichen Spaziergang gelockt,

und ich irrte, meinen Betrachtungen nachhängend, zwischen den Bäumen hin und her, als plötzlich ein Mädchen von eilf oder zwölf Jahren mit ängstlichem Geschrei und ausgebreiteten Armen auf mich zulief, und mich flehentlich beschwor, ihrem alten Vater zu Hülfe zu eilen, der in einer nahen Hütte von zwei bösen Menschen überfallen worden sey, die ihn unfehlbar ermorden würden, wenn er nicht schleunigen Beistand erhielte. Das Kind spielte seine Rolle so natürlich, daß ich, vom Gefühl des Augenblicks fortgerissen, mich von ihm führen ließ, ohne eine Hinterlist zu argwohnen, oder zu bedenken, daß ich unbewaffnet war. Bilde dir ein, wie ich stutzte, da ich, anstatt eines unter Räuberhänden sich sträubenden Alten, die schöne Chrysanthis fand, die, in einem leichten Anzug auf ein wollüstiges Canapee hingegossen, mit Blicken, Gebärden und Reden mich zu einem viel gefährlichern Kampf, als ich erwartet hatte, herausforderte.Du verlangst von einem Greise in meinen Jahren keine umständliche Beschreibung der Waffen, womit die schöne Versucherin die Hartnäckigkeit meines Widerstandes bestürmte: aber noch jetzt ist mir unbegreiflich, wie sie von irgend einer andern Magie erwarten konnte, was ihren eigenen Reizen unmöglich gewesen war. Und doch ergriff sie endlich in der Verzweiflung das einzige Mittel, das ihr, wie sie glaubte, übrig blieb; denn den Liebestrank hatte ich durch die Betheurung, daß ich nichts als Wasser trinke, unbrauchbar gemacht. Sie sprang mit der Wuth einer Bacchantin auf, um nach dem schwarzen Stabe zu greifen, den ihr die Alte zurückgelassen; und noch in diesem Augenblicke sehe ich sie fast eben

so lebendig vor mir schweben, als damals, da sie mit halbfliegendem, halb in großen Locken bis unter die Hüfte herabwallendem Haar, rollenden Augen, und entblößten Armen und Füßen, nur von einer Koischen Tunica umflattert, furchtbar und wollustathmend zugleich, den mächtig geglaubten Zauberstab gegen mich schwang; eine wahre Medea, die ich, als ob sie mir diese Rolle auf dem Schauplatz darstellte, nicht ohne eine Beimischung von Vergnügen betrachtete, mit ziemlich ruhiger Neugier erwartend, was aus diesem Anfang einer andern Art von Zauberei werden sollte. Die nur mühsam unterdrückte Angst war auf ihrem erbleichenden Gesicht und langsam sich hebenden Busen sichtbar, da sie, nachdem sie den Kreis gezogen und dreimal auf den Boden geschlagen, den furchtbaren Namen Hekate! so laut als ihr möglich war, ausrief.Sie hatte ihn kaum zum drittenmal ausgerufen, so erschütterte ein hohles, dumpfes Getöse den Boden unter uns, das Zimmer verfinsterte sich, ein schwarzer, mit zückenden Flammen vermischter Rauch wirbelte aus dem krachend sich spaltenden Boden empor, man hörte Donner rollen, Schlangen zischen und Hunde heulen; das fürchterliche Unwesen kam immer näher, und unter Blitzen und Donnern stieg die dreiköpfige Hekate herauf, in der ganzen gräßlichen Ungestalt, wie sie von den Dichtern geschildert wird, mit Schlangenhaaren und Drachenfüßen, in schwarzem Gewand, und eine ungeheure Schlange in der Rechten schwingend. Zittre, verwegner Sterblicher, schrie sie mich mit hohler krächzender Stimme an, zittre vor der Rache der Götter! Fliehe vor Aphroditens

Zorn in die Arme der Liebe, oder stürze in den flammenden Tartarus! — Elende, rief ich, indem ich die unter der gräßlichen Maske versteckte Zaubrerin, trotz ihren unschädlichen Schlangen, kräftig beim Arm ergriff und zu mir herüberzog, — bekenne, daß du eine schändliche Betrügerin bist, oder du bist verloren! Die Zaubrerin, die auf einen solchen Ausgang nicht vorbereitet war, verlor auf einmal die Besonnenheit, kroch aus ihrer Verkleidung hervor, und bat fußfällig um Gnade.Der Verfolg dieser Geschichte gehört zwar nicht mehr in das Fach, wovon die Rede war; aber er gehört zur Geschichte meines Lebens, und du wirst mir gern verzeihen, daß ich mich dessen nicht ohne Vergnügen erinnere.Bestürzung, Scham und Erstaunen schien die arme Chrysanthis einige Augenblicke versteinert zu haben; aber ein noch mächtigeres Gefühl brachte sie bald wieder zu sich selbst. Eine wunderbare Art von Ehrfurcht überwältigte, oder veredelte vielmehr plötzlich ihre vorige Leidenschaft. Wer bist du, sagte sie zu mir, den weder die heißeste Liebe zu schmelzen, noch die Hölle selbst zu schrecken vermag? Aber, wer du auch bist, verlaß mich nicht in dieser Verwirrung meiner Sinne! Du hast ein mir selbst unbekanntes Gefühl in mir erregt. Führe mich von hinnen und vollende deinen Sieg über eine Leidenschaft, die deiner unwürdig war, und mich unter mich selbst erniedrigte. Sey mir mehr als ein Liebhaber, sey mein Freund! Verschmähe diese Hand nicht, die ich dir zum Pfande der Gelehrigkeit, womit ich mich deiner Führung überlassen will, darbiete!

Die Reihe zu erstaunen war nun an mir. Ich glaubte die erwachte bessere Seele aus ihren Augen strahlen zu sehen, und widerstand dem Gedanken nicht, eine Bekehrung zu vollenden, welche (wie ich mir schmeichelte) die Uebermacht meines Genius über den ihrigen zu bewirken angefangen hatte. Ich begleitete sie nach ihrer Wohnung, und sie wiederholte ihre Bitte, daß ich (nach ihrem Ausdruck) ihr Schutzgeist gegen sie selbst seyn, und sie nicht eher verlassen möchte, bis sie durch meinen Umgang Kraft genug erhalten haben würde, sich's zuzutrauen, daß es noch in ihrer Macht stehe, die Verirrungen einer allzu leichtsinnigen Jugend durch die Unsträflichkeit ihres künftigen Lebens zu vergüten. Es würde Unsinn seyn, setzte sie hinzu, meine Heilung von einem solchen Mittel zu erwarten, wenn ich dir nach dem, was ich heute gesehen habe, nicht alles, und beinahe sogar das Unmögliche, zutraute.Ich kann dich nicht tadeln, Hegesias, wenn dir die Verwegenheit des jungen Mannes, der sich eines solchen Abenteuers unterfing, die Strafe eines beschämenden Falles zu verdienen scheint. Aber eben die Schwierigkeit der Unternehmung war es, was meinen Entschluß bestimmte: denn es gehörte zum Plan meines Lebens, keiner moralischen Gefahr aus dem Wege zu gehen, und keine Gelegenheit zu versäumen, wo ich durch mich selbst das Aeußerste erfahren könnte, was menschliche Kraft vermag, um über Lust oder Schmerz den Sieg zu erhalten, wenn jene oder dieser uns von Ausübung irgend einer edlen und guten Handlung abzulocken oder abzuschrecken streben. Die schöne Chrysanthis auf den Weg der

Tugend zurückzubringen, war doch des Versuches werth; nach meinen Grundsätzen wär' es die schändlichste Feigheit gewesen, wenn ich mich durch die Gefahr, in welche meine eigene Tugend dabei gerathen konnte, von diesem Versuch hätte abhalten lassen wollen. Wir nahmen also Abrede, wie ich sie während meines Aufenthalts zu Larissa insgeheim besuchen könnte; und da dieß nur bei Nacht anging, so ließ ich mir (wie unschicklich auch diese Zeit in andern Rücksichten war) gefallen, jedesmal von ihrer vertrautesten Sklavin durch eine von hohem Gesträuche verdeckten Hinterthür ihres Gartens in einen Saal, wo sie mich erwartete, geführt zu werden.Chrysanthis schien mir auf diese meine Herablassung (wie sie es nannte) einen Werth zu legen, der mich abnehmen ließ, wie tief sie in ihren eigenen Augen unter mir stehe, und wie nöthig es sey, ihrem zu sehr gesunknen Stolze zu Hülfe zu kommen. Meine erste Bemühung war also darauf gerichtet, sie mit sich selbst auszusöhnen, und zu überzeugen, daß das, was die Würde unsrer Natur ausmacht, in der Selbstbewegung unsres Willens bestehe, welche zwar zufälliger Weise gehemmt und gebunden, aber nicht verloren werden könne. Um dem Unterrichte, den sie zu bedürfen schien, eine bessere Haltung zu geben, las ich ihr aus Xenophons Cyropädie die Geschichte des Araspes vor, dessen Fall so viele Aehnlichkeit mit ihrem eigenen hatte, daß sie sich desto mehr ermuntert fühlen mußte, ihm auch in dem edeln Schwunge, den seine bessere Seele unter den Augen des Cyrus nahm, ähnlich zu werden. Diese zwei in angebornem Kriege mit einander liegenden Seelen, durch welche Araspes das Schwankende

seines Gemüthszustandes sich zu erklären suchte, schienen ihr stark einzuleuchten, und sie nahm alles, was ich ihr von den Mitteln, der bessern Seele den Sieg über die schlechtere zu verschaffen, sagte, mit einer Gelehrigkeit auf, die mich hätte argwöhnisch machen können, wäre in ihrem ganzen Betragen auch nur das Geringste zu bemerken gewesen, was einen geheimen Anschlag und verdeckte Absichten verrathen hätte. Aber nichts konnte einfacher und kunstloser seyn, als die Art, wie sie sich in allem gegen mich benahm. Ihre Kleidung, ohne weder nachlässig noch überzüchtig zu seyn, war ein Muster des schicklichsten Anzugs für eine Matrone von ihren Jahren, die nichts hinterlistig zeigen noch verbergen will, und bei ihrem Putze keine andere Absicht hat als anständig bekleidet zu seyn. In der sittsamsten Stellung oder Lage ließ sie immer so viel Raum zwischen uns, daß die natürliche Anziehungskraft, die zwischen Personen von verschiednem Geschlechte gewöhnlich stattfindet, wenn sie sich nahe kommen, keine oder nur sehr schwache Wirkung thun konnte; und überdieß war ihre Vertraute, in einem Winkel des Saals mit stiller Arbeit beschäftigt, immer bei unsern Zusammenkünften gegenwärtig. Ihr Ton gegen mich war mehr gefällig als schmeichelhaft, und mehr aufmerksam als gefällig. Eine Art von Ehrfurcht, wie man in Gegenwart eines höhern Wesens fühlen würde, schien ihr von der feurigen Leidenschaft, deren Gegenstand ich noch vor wenigen Tagen gewesen war, nur ein sanft sich hingebendes unbegränztes Vertrauen übrig gelassen zu haben.Wofern wirklich ein geheimer Anschlag unter diesem allen

verborgen lag, so hätte sie allerdings kein zweckmäßigeres Mittel wählen können, meine Vorsicht unvermerkt einzuschläfern, und meinem Herzen ganz leise immer näher zu kommen. Wir schienen beide nichts davon gewahr zu werden; aber schon nach dem fünften oder sechsten Besuch fand ich, daß mir Chrysanthis immer liebenswürdiger vorkam, daß meine Besuche immer länger dauerten, und daß es mir einige Mühe kostete, mich wieder zu entfernen. Auch bemerkte ich endlich, daß wir, ohne uns des Warum? bewußt zu seyn, näher als anfangs zusammenrückten, und daß ich einsmals, da ich mit ziemlicher Wärme von dem Unterschiede der sittlichen Venus und ihrer Grazien von den gemeinen Volksidolen dieses Namens sprach, unvermerkt eine ihrer Hände in der meinigen hielt.Nach dieser Entdeckung däuchte es mir hohe Zeit, meinen Besuchen ein Ende zu machen, und dieß um so mehr, da ich mich, der schönen Chrysanthis zu Gefallen, bereits länger, als es mein Reiseplan erlaubte, zu Larissa aufgehalten hatte. Was sollte ich länger da? Meine Absicht war erreicht. Chrysanthis schien von ihrer Leidenschaft geheilt und eine aufrichtige Verehrerin der himmlischen Venus geworden zu seyn. Ich konnte sie also ruhig sich selbst überlassen, und kündigte ihr meinen Entschluß beim nächsten Besuch nicht ohne einige Verlegenheit an. Sie nahm ihn mit ihrer gewohnten Ehrfurcht und Ergebung auf, wiewohl ich merken konnte, daß sie etwas unterdrücke, was wider ihren Willen in ihrem ganzen Wesen sichtbar wurde. Sie sprach wärmer als jemals von den Verbindlichkeiten, die ich ihr aufgelegt

hätte; wie ganz sie sich als mein Geschöpf betrachte, und wie sehr sie meinen Verlust empfinden würde. Sie hielt wieder inne — drückte mehr als Einen Seufzer zurück, während die Hülle, die ihren schönen Busen fesselte, nach und nach immer loser wurde — fing von neuem an mich zu versichern, daß sie selbst die Nothwendigkeit unsrer Trennung stärker als jemals fühle — ergriff, während sie mir dieß versicherte, meine Hand, preßte sie an ihr hochschlagendes Herz, und brach in Thränen aus, die sie an dem meinigen zu verbergen suchte. Kurz, ohne recht zu wissen wie es zugegangen war, fand sich's, daß ich sie in meinen Armen hatte, daß ihre glühenden Lippen an den meinigen hingen, und daß diese Scene keinen Augenblick länger dauern durfte. Ich raffte mich zusammen, legte die halb ohnmächtige Schöne auf den Sofa, empfahl sie der Sorgfalt ihrer Sklavin, und entfernte mich so schnell als mir möglich war.Dießmal bist du einer großen Gefahr entgangen, sagte ich zu mir selbst, als ich mich wieder im Freien befand. Ob Chrysanthis in allem diesem nur die Art ihrer Zauberkünste verändert hatte, oder ob sie wirklich aufrichtig war, und nur jetzt, bei dem Gedanken der Trennung, einen unfreiwilligen Rückfall erlitt, lasse ich unentschieden. Damals fand meine Eigenliebe ihre Rechnung dabei, das letztere zu glauben, und vielleicht traf sie die Wahrheit. Ich entfernte mich wirklich den folgenden Morgen aus Larissa, und es fügte sich, daß ich unterwegs mit einem in dieser Stadt wohnhaften feinen Mann Bekanntschaft machte, der von einer Geschäftsreise, die ihn einige Zeit zu Byzanz aufgehalten hatte, zu Pferde nach

seiner Heimath zurückkehrte. Bei der Unterredung, in welche wir geriethen, während wir unsere Thiere ausruhen ließen, entdeckte sich, daß er der Gemahl der schönen Chrysanthis war. Er schien sehr nach dem Augenblick des Wiedersehens zu verlangen, und ich benutzte diese Gelegenheit, um ihn, auf eine Art, wodurch ihm die Aufführung seiner Gattin nicht verdächtig werden konnte, zu überzeugen, daß die Vortheile, die er von seinen häufigen Reisen ziehe, nur eine schwache Vergütung der häuslichen Glückseligkeit seyen, die er ihnen aufopfre. Meine Vorstellungen schienen den erwarteten Eindruck auf den Mann zu machen, denn er schied von mir mit dem Vorsatz, solche Einrichtungen in seinen Geschäften zu treffen, daß er künftig nur selten und auf kurze Zeit in den Fall kommen könne, sich von seiner geliebten Chrysanthis zu entfernen, die er mir als die schönte, sanfteste und zärtlichste aller Weiber schilderte. Wofern er Wort hielt, so zweifle ich nicht, daß beide sich bei meinem Rathe wohl befunden, und Chrysanthis, ohne die Lehren ihres Mentors gänzlich zu vergessen, über seinen Verlust sich bald und leicht getröstet haben werde.

IX.

Im Verfolg meiner Rückreise aus Thessalien kam ich in eine Gegend, deren erster Anblick dem Fleiß und der Wirthschaft ihrer Anbauer ein schlechtes Zeugniß gab. Auf den Feldern stand das Getreide dünn, mager und von Unkraut erstickt. Die Wiesen, dem von benachbarten Bergen

abfließenden Gewässer im Frühling und Herbst unbeschützt preisgegeben, und an vielen Stellen von vernachlässigten Brunnadern ersäuft, brachten nur saures Gras hervor, und waren zum Theil in sumpfiges Moor ausgeartet, worin einige magere Kühe einzeln herumirrten, und trotz ihres Hungers das schlechte Futter unter ihren Füßen verschmähten. Auf den kahlen Angern weideten schmutzige, von der Räude angefressene Schafe. Wohnung, Kleidung und Lebensart der Landleute waren, wie es beim Anblick der elenden Beschaffenheit ihrer Grundstücke zu erwarten war. Kurz, alles hatte ein höchst armseliges und trauriges Ansehen, welches desto mehr auffiel, da diese Flur von zweien Seiten an Ländereien gränzte, über welche der Ueberfluß sein ganzes Füllhorn ausgegossen zu haben schien, und wo das Auge nicht müde wurde, sich am Anblick der fruchtbarsten und lachendsten Auen, der schönsten Viehheerden aller Arten, und einer Menge wohl genährter, ebenso fröhlicher als emsiger Jünglinge und Mädchen, zu ergötzen, welche so eben mit Einsammlung der Reichthümer beschäftigt waren, womit Ceres und Pomona diese reizenden Fluren gesegnet hatten.Der auffallende Abstich so nah an einander glänzender Ländereien war eine sehr einleuchtende Darstellung des Unterschieds der natürlichen Folgen einer guten und schlechten Cultur. Indessen wünschte ich doch die Ursachen zu erfahren, warum die Eigenthümer der einen so weit hinter den andern zurückgeblieben wären, und erkundigte mich darüber bei einem jungen Manne, der im Begriff war, die karge Ausbeute eines steinichten Ackers auf einem Karren nach Hause zu führen.

Ich erhielt zu meinem Erstaunen den Bescheid: daß ein verruchter Zauberer der einzige Urheber des elenden Zustandes sey, worin die Bewohner dieser Gegend seit mehr als vierzig Jahren schmachteten. Er nennt sich Pythokles, sagte der junge Bauer; das große Haus dort auf der Anhöhe, das dem Palast eines Königs gleicht, ist seine Wohnung, und die herrlichen Fluren, die sich an dem Hügel hinauf ziehen, sind nur ein kleiner Theil seiner Besitzungen. Es ist uns unmöglich vor einem so gefährlichen Nachbar aufzukommen. Nicht zufrieden, seine eignen Ländereien durch seine Zauberkünste zu einem übernatürlichen Ertrag zu bringen, bedient er sich ihrer auch noch, sich des unsrigen zu bemächtigen. Denn er versetzt, mit Hülfe der bösen Dämonen, die ihm zu Gebote stehen, unser Getreide alle Jahre von unsern Feldern auf die seinigen; ja er weiß sogar die Milch unsrer Kühe in die Euter der seinigen zu zaubern; und wenn er seine Markung umgeht, braucht er nur einen Blick auf die unsrige zu werfen, so ist's als ob nichts gedeihen könne, was er angesehen hat.Ich ergrimmte in mir selbst, diese arme Menschen durch einen so sinnlosen Aberglauben, der zuletzt doch wohl die Hauptursache ihrer Trägheit war, so übel gemißhandelt zu sehen. Aber es wäre verlorne Mühe gewesen, Leute, die solchen Unsinn glauben konnten, durch Vernunftgründe eines Bessern belehren zu wollen. Ihr guter Genius gab mir ein anderes Mittel ein. Euer Zustand ist traurig, sagte ich, aber euch kann geholfen werden. Führe mich zu den Aeltesten in deinem Dorfe. — Der Bauer sah mich mit großen

Augen an, besann sich eine Weile, und hieß mich endlich mitgehen, indem er ein mit zusammengeschrumpftem Leder überzogenes Gerippe von einem Pferde, das seinen Karren zog, hinter sich nachschleppte.Als wir ankamen, versammelten sich die Alten um mich her, und ich vernahm die Bestätigung ihrer unglaublichen Dummheit aus ihrem eigenen Munde. Meine Freunde, sprach ich zu ihnen, euer Zustand jammert mich. Ich bin ein Priester der heiligen Kabiren in Samothrake. Die Götter haben uns hohe Geheimnisse anvertraut, und es gibt keine Zauberei, die wir nicht durch ihren Beistand vernichten könnten. Setzt Vertrauen auf mich. Ich will das Orakel des großen Axiochersos fragen, wie euch zu helfen sey, und in weniger als zehn Tagen will ich euch seine Antwort bringen.Da ich, unglücklicher Weise, kein Wunder bei der Hand hatte, um diesen einfältigen Leuten meine Sendung zu beweisen, so war ich darauf gefaßt, daß ein solches Versprechen von einem Unbekannten keinen großen Eindruck auf sie machen würde. Indessen schienen ihnen doch mein Aeußerliches und mein zuversichtlicher Ton Vertrauen einzuflößen; ich wiederholte meine Zusage, bestieg, während sie leise mit einander sprachen, mein Pferd, und verschwand so schnell aus ihren Augen, daß meine Erscheinung unter ihnen in ihrer Vorstellungsart etwas hinlänglich Wunderbares haben mußte, um sie, während meiner Abwesenheit, mit mir und meinem geglaubten oder bezweifelten Wiederkommen bei ihren Zusammenkünften zu beschäftigen.Inzwischen begab ich mich, durch einen Wald von hohen

Nußbäumen, der die angränzende Flur gegen Norden beschützte, zu dem Eigenthümer des schönen Landsitzes, und wurde gastfreundlich von ihm aufgenommen. Ich fand einen Mann von siebzig Jahren, der nicht viel über fünfzig zu haben schien, von sechs oder sieben Söhnen seiner Art und etlichen wohlgebildeten Töchtern umgeben, deren braunröthliche Sonnenfarbe mir bewies, daß die Schonung einer zarten Haut sie nicht abhielt, bei allen ländlichen Arbeiten, die ihrem Geschlechte ziemen, Hand anzulegen. Die weitläufigen Gebäude, die beinahe die ganze obere Fläche des Hügels bedeckten, wimmelten, wie Bienenkörbe im Frühling, von beschäftigten Menschen, auf deren Angesichtern Zufriedenheit mit ihrem Zustand glänzte. Der Hausherr führte mich, auf mein Ansuchen, in allen Zubehören seiner Landwirthschaft herum, und ich konnte die Reinlichkeit, Ordnung, Zweckmäßigkeit und Harmonie, die überall in die Augen fielen und alle Theile zu einem vollständigen Ganzen verbanden, nicht genug bewundern. Ich sprach von der Schönheit und dem vortrefflichen Anbau seiner Güter, so viel ich im Vorbeigehen davon gesehen hatte, und er gestand mir, daß ihr Ertrag ihn zu einem der reichsten Landwirthe in Thessalien mache, und in den Stand setze, eine sehr große Anzahl meistens in seinem Hause geborner Dienstleute so zu halten, daß sie ihre Lage um keine andere in der Welt vertauschen würden.Ich erwähnte bei dieser Gelegenheit des armseligen Zustandes des benachbarten Dorfes. Die Schuld liegt an ihnen selbst, sagte Pythokles; sie wollen es nicht besser haben, oder wollen wenigstens die Mittel nicht, wodurch ihrem

Elend abgeholfen werden könnte. Ein großer Theil des Gutes, dessen Eigenthümer ich bin, war vor fünfzig Jahren in keinem bessern Stande als die Grundstufe meiner Nachbarn. Alles, was du hier siehest, ist, nächst dem Segen der Götter, die Frucht eines unverdrossenen Fleißes, einer scharfen Aufmerksamkeit auf den Gang und die Winke der Natur, einer durch Versuche und Fehler nicht wohlfeil erkauften langen Erfahrung, einer guten Eintheilung der Arbeiten, und genauen Berechnung der Mittel und Zwecke, Vortheile und Nachtheile, —kurz, einer in allen ihren Theilen klug und emsig betriebenen Oekonomie. Die Natur hat mir ein neidloses Herz gegeben; ich würde mich gefreuet haben, wenn mein Wohlstand auch meinen Nachbarn nützlich geworden wäre. Aber die Thoren halten mich für einen Zauberer; sie lassen sich's nicht ausreden, daß meine Kornböden nur darum so voll sind, weil ich ihr Getreide auf meine Felder zaubere; und so kann ihnen weder mein Beispiel noch mein Unterricht nützlich seyn. — Einem so edeln Manne wie du, versetzte ich, würde es gewiß Freude machen, diese Unglücklichen von ihrem Wahn geheilt zu sehen. Ich bin auf einen Einfall gekommen, der mir vielleicht gelingt; wenigstens ist es des Versuches werth, ob sich der Aberglaube dieser Leute, der ihnen bisher so schädlich gewesen ist, nicht zu ihrem Vortheil benuzen lasse. Pythokles lobte mein Vorhaben, ohne einige Neugier zu zeigen, durch was für Mittel ich es zu bewerkstelligen gedächte, und wir kamen bald auf andere Gegenstände.Es war so viel Merkwürdiges in diesem Hause zu sehen, und so viel von seinem Besitzer zu lernen, die ganze

Familie war ein so guter Schlag Menschen, und man setzte mir auf eine so freundliche Art zu, einige Tage bei ihnen zu verweilen, daß ich nicht daran denken konnte, ihnen etwas abzuschlagen, wozu ich selbst so geneigt war.Nach acht Tagen, die mir unter diesen Glücklichen, im schönsten Genuß der Natur, so schnell wie ein einzelner Tag entschlüpften, erinnerte ich mich, daß es Zeit sey, meine Zusage gegen die Thalbewohner zu erfüllen. Meine Einweihung in den Samothrakischen Mysterien gab mir die Rechte eines Priesters der Kabiren. Ich erschien also unter ihnen mit der priesterlichen Binde um die Stirne, und sie empfingen mich wie einen Gott. Ich habe, sprach ich zu ihnen von einer erhöhten Stelle, in einem Tone, der zugleich Vertrauen einflößte und Ehrfurcht gebot, ich habe das Orakel für euch gefragt, und bringe euch seine Antwort. Allerdings ist ein geheimer Zauber, der euer Land drückt, die Quelle eures Elends; aber die Ursache desselben ist viel älter als der älteste unter euch. Merket auf meine Rede, und gehorchet von Wort zu Wort dem, was ich euch im Namen der großen Götter sagen werde, und die Bezauberung, die euer Land unfruchtbar gemacht hat, wird aufhören. Auf Befehl des Orakels habe ich einen milchweißen Stein von der Größe eines Schwaneneies in eurer Flur vergraben. Diesem sollt ihr, wenn die Bestellzeit herankommt, von Osten nach Westen und von Westen nach Osten zugleich, so lange mit dem Spaten nachgraben, bis auf allen euern Feldern kein Fuß breit Landes übrig ist, den ihr nicht wie Gartenland umgegraben habt; und weil dieser weiße Stein keinen andern in seiner Nähe duldet, so

sollt ihr alle Steine auf euern Aeckern sorgfältig zusammenleben, und an einem besondern Orte zu dem Gebrauch, den ich euch sagen werde, aufbewahren. So oft ihr an die Arbeit geht, so rufet die großen Götter auf euern Knieen um ihren Segen an, und wenn ihr sie vollendet habt, dann bestellet eure Aecker wie gewöhnlich; und so verfahret sieben Jahre nach einander. Mit jedem Jahre wird der milchweiße Stein einen Faß tiefer in die Erde sinken; mit jedem Fuße, den er tiefer gesunken ist, wird sich die Fruchtbarkeit eures Bodens vermehren, aber nach dem siebenten Jahre wird der Stein ruhen; und seine geheimnißvolle Kraft wird nie wieder von euern Feldern weichen. Merket nun weiter auf, und gehorchet von Wort zu Wort dem, was ich euch im Namen der großen Götter befehle! Euer Wiesengrund wird von Nymphen bewohnt, welchen ihr versäumt habt die gebührende Ehre zu erweisen. Zur Strafe dieser Vernachlässigung haben sie ihn in einen Sumpf verwandelt, worin euer Vieh nur karge und ungesunde Nahrung findet. Um den Zorn der Nymphen zu besänftigen, befiehlt euch das Orakel, die sumpfigen Stellen auszutrocknen, das ganze Thal durch tiefe Gräben und erhöhte Dämme vor künftigen Ueberschwemmungen zu schützen, die Brunnquellen hingegen zu fassen, und in kleinen Canälen durch eure Fluren hin und her zu leiten. Mit den Steinen, wovon ihr eure Aecker gereiniget habt, sollt ihr die tiefsten Stellen eurer Sümpfe ausfüllen, nachdem ihr aus den größten dieser Steine den Nymphen eine kleine Capelle erbaut, und den ganzen Anger um sie her mit einem Hain von fruchtbaren Bäumen bepflanzt habt, deren Erstlinge ihr alle Jahre,

festlich versammelt, den freundlichen Nymphen opfern werdet. Endlich soll ich euch aus dem Munde des Orakels sagen, daß euer Argwohn dem reichen Pythokles Unrecht thut. Die Götter haben sein Herz zu euch geneigt; und er wird euch, wenn ihr ihm einen bessern Willen zeigt, mit Rath und That zu Hülfe kommen. Denn nicht böse Zauberkünste, sondern der Segen der Götter und sein von Klugheit geleiteter Fleiß sind die Quellen seines Reichthums, und wenn ihr seinem Beispiel folget, werdet ihr ihm auch an Wohlstand ähnlich werden.Die Bauern horchten meinem Orakel mit starrer Aufmerksamkeit zu, wiewohl leicht zu sehen war, daß sie ein weniger mühsames Mittel erwartet hatten, und über den Schluß meiner Rede stutzig wurden. Ich fand aber nicht für gut, das Ende des leisen Gemurmels, das jetzt unter ihnen begann, abzuwarten. Ich übergab ihrem Aeltesten eine Abschrift des Orakels, ermahnte sie nochmals den Befehlen der großen Götter zu gehorchen, schwang mich, nachdem ich eine Hand voll Drachmen unter ihre zerlumpten Kinder geworfen hatte, wieder auf mein Roß, und verschwand eben so schnell als ich gekommen war, ohne mich um den Erfolg dieses Abenteuers weiter zu bekümmern.Ungefähr vor zehn Jahren, da ich aus Italien durch Epirus und Thessalien zurückreiste, erinnerte ich mich dieser alten Begebenheit wieder, und ließ mich von der Neugier, zu sehen was sie für Folgen gehabt hätte, zu einem Umweg in die Gegend, wo die Scene derselben lag, verleiten. Ich befand mich eine gute Weile mitten darin, ohne sie zu

erkennen; so gänzlich hatte sich das unfruchtbare Land, der sumpfige Thalgrund und das armselige Dörfchen in diesem langen Zeitraum umgestaltet. Bin ich wirklich zu Gyreinä? fragte ich endlich einen ziemlich abgelebten Greis, der vor der Thür eines ansehnlichen Maiershofes in der Sonne saß. Der alte Mann bejahte meine Frage, indem er mich mit großer Aufmerksamkeit betrachtete. So hat es sich in fünfzig Jahren sehr verändert, sagte ich. Du hast es also vor fünfzig Jahren gesehen? fragte jener, mit sichtbarem Streben sich meiner zu erinnern. Allerdings, erwiederte ich, und, wenn mich ein Rest von Aehnlichkeit nicht trügt, auch dich, der damals ein junger Mann von fünfundzwanzig seyn mochte, und eben beschäftigt war, einige magere Garben einem Gespenst von einem Karrengaul fortschleppen zu helfen, als ich seine Bekanntschaft machte. Ist dein Name nicht Dryas? Bei diesen Worten sprang der Alte so lebhaft auf, als ob sie ihm seine Jugend wieder gegeben hätten, und ich konnte ihn kaum abhalten, sich vor mir auf die Erde zu werfen. Göttlicher Mann, rief er aus, nur die Schwäche meiner Augen konnte mich verhindern, in dir, an dessen Gestalt und Gesichtszügen die lange Zeit nur wenig verändert hat, den ehrwürdigen Priester aus Samothrake zu erkennen, dem die Bewohner dieser Gegend den Wohlstand, worin sie jetzt leben, einzig zu verdanken haben; dem auch ich es verdanke, daß ich ihm das Gastrecht unter meinem eigenen Dach anbieten kann. — Angenehmer wurd' ich vielleicht in meinem ganzen Leben nie überrascht, als durch diesen Erfolg einer Handlung, die bloß aus einem schnell aufwallenden Gefühl

entstanden war, und von welcher sich ein solcher Ausgang mehr wünschen als erwarten ließ.Der alte Dryas, dem ich es nicht abschlagen konnte, einen Tag bei ihm zu verweilen, befriedigte mein Verlangen, von diesem Hergang genauer unterrichtet zu seyn, durch eine sehr umständliche Erzählung, wovon ich nur das Wesentliche berühren will. Als ich mich nach Verkündigung meines Orakels so schnell entfernt hatte, entstand ein ziemlich lebhafter Streit unter den Dorfbewohnern. Die Alten, die in dem Wahne, daß Pythokles ein Zauberer und die Ursache ihrer schlechten Ernten sey, grau geworden waren, wollten sich nicht ausreden lassen, der vorgebliche Priester der Kabiren sey mit Pythokles einverstanden, und habe sie mit seinem Orakel nur zum Besten. Die Jüngern hingegen behaupteten, es sey keine Ursache vorhanden, den Fremden für einen Betrüger zu halten; sein bloßes Ansehen zeuge schon genugsam für das Gegentheil, und das Orakel müsse schlechterdings befolget werden. Sie legten auch, da sie die Mehrheit ausmachten, sogleich Hand ans Werk, gruben die Aecker um, reinigten sie von Steinen und Unkraut, bauten den Nymphen eine Capelle, trockneten die Sümpfe aus, und brachten nicht ohne große Mühe nach und nach alles zu Stande, was das Orakel befohlen hatte. Die reiche Ernte des nächsten Jahres, womit die Natur ihren Fleiß belohnte, stopfte der Gegenpartei den Mund; sie bewies, daß ihnen der Fremde wohl gerathen hatte, und daß ihre böse Meinung von dem reichen Pythokles grundlos war. Denn warum hätte er ihr Getreide nicht auch dießmal auf seine Felder gezaubert, wenn er es jemals gethan hätte? Die

Verständigern erwogen nun den Inhalt des Orakels mehr als jemals, und forschten seinem wahren Sinne so lange nach, bis sie zu sehen glaubten, seine Absicht sey bloß gewesen, sie von ihrem Vorurtheil gegen Pythokles und von ihrer daher entsprungenen Muthlosigkeit und Trägheit zu heilen, und ihnen durch die Erfahrung einleuchtend zu machen, daß nicht die Zauberkünste ihres Nachbars, sondern ihre eigne Unthätigkeit und schlechte Wirthschaft, die Ursache, warum sie nicht gedeihen konnten, gewesen sey. Aber was sie von dem weißen Steine, dem sie sieben Jahre lang nachgraben mußten ohne ihn jemals zu finden, denken sollten, wurde ihnen immer zweifelhafter. Sollte nicht vielleicht, sagte einer, der immer die besten Einfälle zu haben pflegte, dieser Stein bloß dazu erfunden seyn, uns zu einer mühseligen Arbeit zu vermögen, wozu wir vielleicht durch keine andere Vorstellung zu bringen gewesen wären? —Diese Vermuthung war nicht ohne Wahrscheinlichkeit; aber sie getrauten sich dennoch nicht von dem Buchstaben des Orakels abzugehen. Sie setzten das Umgraben der Felder noch zwei Jahre fort, und wurden jedesmal reichlich für ihre Mühe belohnt. Inzwischen hatten sie sich auch mit ihrem Nachbar Pythokles ausgesöhnt, und erhielten von dem edelmüthigen Mann alle mögliche Unterstützung bei der neuen Einrichtung ihrer Landwirthschaft. Er bestätigte sie in dem Gedanken, daß es bei dem oft erwähnten Orakel weniger darauf ankomme, es wörtlich zu befolgen, als in seinen Sinn und Geist einzudringen, der kein andrer sey, als sie zu belehren: "Daß die Götter den Sterblichen nichts Gutes ohne Mühe verleihen; daß der Erdboden desto reichlicher ertrage,

je fleißiger er bearbeitet werde, und daß der Mensch die Vernunft darum empfangen habe, damit er der Natur zu Hülfe komme, sie vor Verwilderung bewahre, gegen die verwüstende Gewalt der Elemente schütze, und, indem er sie durch klugen und unverdrossenen Fleiß zum möglichsten Ertrag bringe, sich selbst einen frohen Lebensgenuß, und den Thieren, die ihm von der Natur als eine Art dienstbarer und nützlicher Hausgenossen zugegeben sind, zu seinem eigenen Vortheil reichlichern Unterhalt verschaffe." Pythokles und seine Söhne machten sich ein Vergnügen daraus, den fähigsten und lehrbegierigsten jungen Männern zu Gyreinä Anleitung zu geben, wie sie es anfangen müßten, um es mit der Zeit, wenn auch nach einem kleinern Maßstab, eben so weit zu bringen als sie selbst. Da nun ihre Nachbarn sahen, wie der Wohlstand dieser Leute von Tag zu Tag zunahm, so wurde die Wirkung ihres Beispiels endlich allgemein: und so geschah es, daß eben dieses Gyreinä, von dessen äußerstem Verfall ich vor fünfzig Jahren ein Augenzeuge gewesen war, binnen dieser Zeit in den blühenden Zustand kam, worin ich es wieder sah. — Und was ist aus den Nachkommen des Pythokles geworden? fragte ich. — Ein trauriges und lehrreiches Beispiel, versetzte der Alte, daß ein wohl erworbenes Gut nur durch eben die Mittel erhalten werden kann, wodurch es erworben wurde. So lange Pythokles lebte, blieb seine Familie in Eintracht beisammen, und machte eine kleine Republik von tugendhaften und glücklichen Menschen aus. Auch unter seinen Söhnen erhielt sich diese Einrichtung noch; und wiewohl der Geist des Vaters unvermerkt von ihnen zu weichen schien, so vermehrte sich doch

ihr Reichthum noch immer, vielleicht zum Verderben der dritten Generation, die durch Zwietracht, Ueppigkeit und Verschwendung wieder zerstreute, was die Väter mit Mühe gesammelt hatten. Du würdest dich vergebens nach den Enkeln des guten Pythokles in diesen Gegenden umsehen; es ist schon eine geraume Zeit verflossen, seit sie von uns weggezogen sind, und wir haben seitdem nichts mehr von ihnen gehört.Halt' es mir zu gut, Hegesias, fuhr Agathodämon fort, wenn ich zu umständlich in Erzählung meiner kleinen Abenteuer in Thessalien gewesen bin. Das Alter ist geschwätzig, und ist es nie mehr, als wenn es auf Geschichten seiner Jugend kommt. Aber ich habe mich vorsetzlich bei der letztern länger verweilt, als einem doppelten Beispiel, von der ungeheuern Gewalt, die der dämonistische Aberglauben über einfältige Menschen ausübt, und von einer vielleicht unverwerflichen Art, wie man sich der Verblendung solcher Leute zu ihrem eigenen Vortheil bedienen könnte. Ich denke dir dadurch begreiflich gemacht zu haben, was ich unter einer Täuschung verstehe, die, so zu sagen, ihr Gegengift bei sich führt, weil sie in eben dem Augenblicke, da sie ihre abgezielte Wirkung gethan hat, als Täuschung erkannt wird. Sie fällt dann, wie die Schale von einer reifen Frucht, von selbst ab, und die Wahrheit, deren Hülle sie war, bleibt allein zurück.Hier machte Agathodämon eine Pause, und da ich ihn von den langen Reden ein wenig erschöpft sah, war ich im Begriff, ihn zu bitten, daß er mich auf etliche Stunden beurlauben möchte, als er mir mit einem gefälligen Lächeln zuvorkam. Ich sehe warum du mich bitten willst, sprach er:

du bist hier gänzlich dein eigener Herr; vielleicht ist es dir angenehm in der Zeit, die noch bis zu unserm kleinen Mahl verstreichen wird, mit meinem wackern Kymon Bekanntschaft zu machen.Mit diesen Worten begab er sich in ein Nebenzimmer, und ich entfernte mich, von Gefühlen durchdrungen, wie sie mir noch kein Sterblicher eingeflößt hatte.

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