C. M. Wieland's Werke.
Fünfzehnter Band.
Siebenzehnter Gesang.
St. 1. Der Hurensohn Roland — Dieße heroische Wendung gab
Don Ouixote (vermittelst einer Anspielung auf die fünfte und sechste Stanze
im vierundzwanzigsten Gesange des Orlando Furioso) seinem ersten kläglichen
Abenteuer mit dem handfesten Mauleseltreiber von Toledo, wie im siebenten
Capitel des ersten Theils seiner Geschichte zu lesen ist. Sollte übrigens die
Delicatesse unserer Leser durch das Beiwort, welches der Dichter aus dem
Munde des besagten Ritters dem großen Roland gibt, beleidiget worden
seyn: so dient zu einiger Entschuldigung desselben, daß der Titel fils de
putain, wenn dem Stallmeister des Spiegelritters (dessen unterhaltende Gespräche
mit Sancho Pansa im dreizehnten Capitel des dritten Theils vorgedachter
Geschichte beschrieben sind) zu glauben wäre, vielmehr eine Art
von Lob als einen beschimpfenden Vorwurf mit sich führte. Wenigstens hat
es in Beziehung auf den großen Orlando das Verdienst der Wahrheit; denn
dieser wurde allgemein für einen natürlichen Sohn Karls des Großen gehalten.
W.St. 19. Wie Laurens Dichter — Oder doch gesungen haben könnte;
denn daß Petrarca dieß wirklich von der Stimme seiner geliebten Laura
gesungen habe, können wir uns nicht erinnern. Doch fanden wir, beim
Nachschlagen, eine Stelle, wovon unserm Dichter vielleicht eine ungetreue
Erinnerung vorgeschwebt haben mag.
| Ed udì sospirando dir parole
Che farian gir i monti e star i fiumi. Sonnetto 123. W. |
St. 25. Brunels Ring — Nämlich, die Gabe, unsichtbar zu werden.
S. Orlando Fur. C. III. 69. W.St. 34. Das Ding, das nicht ist — Die berühmten Huynhuhms,
deren (maschinenmäßige verdienstlose) Tugend Gulliver-Swift auf Unkosten
der menschlichen Natur so sehr erhebt, hatten in ihrer Sprache kein Wort,
um Unwahrheit oder Lüge zu bezeichnen. Sie mußten sich der Umschreibung
dazu bedienen. Du sagst das Ding, das nicht ist, wieherten sie dem armen
Gulliver zu, wenn er etwas gesagt hatte, das sie nicht begreifen konnten. W.St. 39. Ein Santon aus der Wüste — Santons heißen die
Einsiedler bei den Türken und Mauren, eine Art Wahnsinniger, die entweder
ganz nackt oder nur mit Federn und Lumpen bedeckt einhergehen,
jedoch nicht immer sehr enthaltsam sirid. S Arvieux descr. Afric. 135.St. 39. Eine Bégeule. — Mit diesem Ausdruck schimpft das Volk
ein weibliches Geschöpf, das sich in Alles vergafft.St. 41. Ein Hut auf jeden Unterrock — "Zu Verständniß dieses
höchst abgeschmackten Verses diene den jetzt Lebenden und den Nachkommen,
welchen er unter die Augen kommen mag, zu wissen: daß es zur Zeit, da
dieses Gedicht vollendet wurde (1770) in Franken, Thüringen und Sachsen,
nicht etwa unter dem gemeinen Volke, sondern sogar unter Personen von
den ersten Classen gewöhnlich war, die Mannsleute Chapeaux, Hüte, zu
nennen. Wir haben nie recht dahinter kommen können, wann und wie eine
so seltsame und dem männlichen Geschlechte offenbar despectirliche Benennung
zur Mode geworden; aber so viel ist gewiß; wenn es anständig ist,
statt Mannspersonen Hut zu sagen, so muß es auch erlaubt seyn, statt des
Worts Frauenzimmer oder Dame, sich hinfür des noch charakteristischem
Wortes, Unterröcke, zu bedienen. Man hat in diesem Vers einen Versuch
damit machen wollen, um zu sehen, ob er die Ehre haben werde, entweder
die Hüte abzuschaffen oder die Unterröcke Mode zu machen." — Das letztere
ist, wie leicht vorherzusehen war, nicht erfolgt: aber, was auch die Ursache
davon seyn mag, die ehemalige Synonymität der Wörter Mann und Hut
ist unvermerkt verschwunden, und diese Anmerkung, welche ehemals einen
elenchtischen Zweck hatte, mußte bloß beibehalten werden, um obigen Vers
der Nachwelt verständlich zu machen.
Wir können nicht umhin, bei dieser Gelegenheit überhaupt anzumerken,
daß noch Verschiedenes in diesem Gedichte vorkommt, das sich auf Moden,
Gewohnheiten und Sitten bezieht, die im zweiten Drittel dieses Jahrhunderts
noch ziemlich gemein in Deutschland waren, seit fünfzehn oder
zwanzig Jahren aber nach und nach so gänzlich verschwunden sind, daß die
darauf anspielenden Stellen theils unverständlich geworden, theils wohl gar
etwas Unfügliches zu haben scheinen, das sie bei der ersten Erscheinung des
neuen Amadis nicht hatten. W.Vergl. Anm. zu Gest. 2. St. 4.