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C. M. Wieland's Werke.

Fünfzehnter Band.

Neunter Gesang.

1.

Empfohlen sey sie demnach, die gute dicke Seele,
Dem Sylphen, der ihre Tugend und ihren Unterrock schützt,
Wenn anders die Lampe, die aus dem Innern der Höhle
Uns eben in die Augen blitzt,
Nicht einen Gnomen verräth. — Wie dem auch sey, für itzt
Ist's hohe Zeit, nach Chatouilleusen zu fragen,
Mit welcher Don Boreas schon zwei Tage und eine Nacht
Davon geritten ist. Die Wahrheit frei zu sagen,
Wir lieben sie nicht genug, ihr eiliger nachzujagen,
Und ihre Tugend ist just, was den wenigsten Kummer uns macht.

2.

Möcht' aus ihr werden, was will, wenn ohne Chatouilleusen
Uns möglich wäre, den armen Amadis
Von einer Stellung zu erlösen,
Worin seit Erschaffung der Welt kein Held sich sehen ließ.
Nun aber, da ihn nur die Fürstin der Precieusen
Entzaubern kann, nun tritt ein starker Beweggrund ein,
Für ihr Geschick nicht unbesorgt zu seyn.
Wir ließen sie, seit sie dem Triton und ihrem alten Getreuen
Den Abschied gab, in der Obhut eines neuen
Beschützers, wie gesagt, zwei Tage schon allein.

3.

Herr Boreas führte den ominösen Namen
(Zu dem er, wir wissen nicht wie? noch wann?
Gekommen war) mit der That; denn rauher und stürmischer kann
Kein Nordwind seyn, als dieser Edelmann.
Zwar hatt' er die böse Gewohnheit, bei allen Arten von Damen
Altmodische Complimente, in platten Witz gehüllt,
(Womit er seinen Sack aus Trauerspielen und Dramen
Und alten Romanen in müßigen Stunden gefüllt)
Mit vielem Prunk' und Bombast' auszukramen,
Die meist bei den Zofen ihm besser als bei den Damen bekamen:

4.

Allein im Grunde war schwerlich ein Kalmuck
Von Fibern gröber, als er; ein kleiner schmeichelnder Druck
Von seiner nervigen Faust, wenn er die Augen rollte
Und seinen Korydon recht zärtlich spielen wollte,
Ließ immer ein blaues Mal auf einer weißen Hand.
Bei einem Manne, wie er, war jeder Widerstand
Beleidigung; konnte sich wohl ein Mann, wie er, entschließen,
Was euch so manche von selbst — schenkt, anbeut oder leiht,
Durch kleine Schmarotzerkünste, durch Unterwürfigkeit
Und sanftes Schmeicheln erschleichen zu müssen?

5.

Er pflegte bei jedem Anlaß mit großem Selbstgefühl
Zu seinen Vertrauten zu sagen: man hätte Unrecht, den Schönen

Den albernen Uebermuth anzugewöhnen, Das Bißchen Gewalt, das ihnen ein bloßes Sinnenspiel Im Taumel über uns gebe, so sinnlos auszudehnen, Sich als Gebieterinnen der Männer anzusehn. Ha, rief er, wüßten die Gecken die Würde der Mannheit zu schätzen Und hätten, anstatt sogleich die weiße Fahne wehn Zu lassen, den Witz, sich selbst in ihren Vortheil zu setzen, Die Puppen sollten wohl bald bei uns um Gnade flehn!

6.

Ich bitte tausendmal ab, daß solche Lästerungen,
Wobei mir selbst die Haare zu Berge stehn,
Auch nur in der dritten Person aus meinem Munde gehn!
Was muß, von der Pflicht, die Wahrheit zu sagen, gedrungen,
Ein armer Dichter, der an nichts Böses denkt,
Nicht seine Personen oft sprechen lassen!
Und wär' es billig, den Mann, der uns Vergnügen schenkt
Und scherzend Weisheit lehrt, für fremde Sünden zu hassen?
Die Menschen und jeden mit seinem eignen Gesicht,
Schön oder häßlich, zu malen, ist seine erste Pflicht.

7.

Im Uebrigen, wenn der Enkel vom großen Facardin
In Sachen des schönen Geschlechts wie ein wahrer Sultan dachte,
So müssen wir auch bekennen, daß Bambo's Tochter ihn,
Was eine Schöne vermag, empfindlich fühlen machte;
Was gegen den wildesten Heiden, und wär' er der Dedschial gar,

Die Schöne vermag, sobald sie den schwachen Ort gefunden, Wobei sie ihn fassen muß. Ihr wißt, Achilles war Am ganzen Leibe nicht zu verwunden, (Weil Thetis nach der Geburt im Styx ihn abgespült) Die Ferse nur ausgenommen, wobei die Göttin ihn hielt.

8.

Doch wißt ihr auch, daß dieß Mährchen, wie große Kenner sagen,
Von unserm ganzen Geschlecht ein feines Sinnbild ist?
Ein Mann sey tapfer genug, mit Riesen sich zu schlagen,
Sey breit geschultert, wie Atlas, das Sterngewölbe zu tragen,
Sey weiser als Cato, gelehrter als ein Encyklopädist,
Er laufe so schnell wie Achill, sey schöner als Narcissus,
Und raisonnire subtiler als Sokrates und Jlyssus;
Er mache Verse wie Maro und Gold wie Trismegist
Und Republiken wie Plato; er siege wie Alexander
Und ess' und verbaue so brav, wie die Helden am Skamander;

9.

Kurz, setzt aus sieben der Besten (wie Zeuxis einst gethan)
Ein Ideal von einem Manne zusammen,
Dem selbst die Götter Homers mit Ehrerbietung sich nahn;
Fest sey er am ganzen Leib', er wandle auf Fluten, durch Flammen
Und spiele mit Löwen so frei, wie mit Lämmern ein Geßner'scher Hirt':
Ein Fleckchen bleibt, wo ihn zu überwinden
Was Leichtes ist, und dieses Fleckchen wird
Die kleine Iris so gut als ihre Göttin finden.

Verlangt ihr das ganze Geheimniß, ihr Schönen, in einem Wort? "Durch Sprödethun trefft ihr unfehlbar den übel befestigten

10.

Der stolze Boreas ward in vier und zwanzig Stunden
Dadurch so geschmeidig als wie ein Handschuh gemacht.
Die Dame hielt dazu sich um so mehr verbunden,
Weil ihn der Triton vielleicht auf arge Gedanken gebracht.
Eilf Stürme, aufs wenigste, wurden so tapfer abgeschlagen,
Daß er den Muth verlor, den zwölften auch zu wagen,
Und, nur geduldet zu werden, nicht wenig Schwierigkeit fand.
So lagen ungefähr die Sachen,
Als etwa am dritten Tage der Sonne mittäglicher Brand
In einem schönen Park sie nöthigte Halt zu machen.

11.

Sie suchten eben den Baum, der am meisten Schatten
Auf einmal standen sechs schöne geflügelte Knaben vor ihnen,
Sehr emsig, die fremde Dame standsmäßig zu bedienen;
Der eine hielt ihr Pferd, ein andrer half ihr herab,
Ein dritter winkte mit freundlichen Mienen
Zu einer Laube, wo, unter gewölbten Jasminen,
Mit Rosen durchwebt, dem königlichen Gast
Ein vierter mit Polstern von reichem Damast
Den Boden belegt, indeß die beiden letzten
Ein Tischchen, von — was ihr wollt, mit goldnen Körbchen besetzten.

12.

Die Knaben schienen so stumm und taub zu seyn,
Als hätte die Kunst sie aus parischem Stein
Gebildet; doch luden sie alle durch Winken und harmloses Lächeln
Die Tochter Bambo's zu ihren Erfrischungen ein;
Beschäftigt mit necktarnem Eis' und geistigem perlendem Wein
Sie zu bedienen, mit Tänzen und Sprüngen sie zu erfreun
Und ihren Busen, der unter Spitzen von Mecheln
Unruhig stieg und fiel, mit ihren Flügeln zu fächeln.
Herr Boreas stand indessen an seinem Baum allein,
So unbehäglich, als ständ' er auf scharf gespitzten Hecheln.

13.

Er stand mit gerümpfter Stirne bei seinem Pferd' und machte
Sehr große Augen, daß Niemand an seine Gegenwart dachte.
Dieß Alles schien in einem bezauberten Hain
Viel Gutes nicht zu prophezein.
Zum Ueberfluß stärken ihn noch in seinem schwarzen Verdachte
Die losen Knaben, die ihm Gesichter verleihn,
Wovon ihn, wenn er sie in seine Sprach' übersetzte,
Der Inhalt nicht besonders ergetzte;
Zumal sich die Dame bei Allem so unbefangen benahm,
Wie eine, die eingeladen zu einem Feste kam.

14.

Doch was zu thun? Ihn dürstet; die Knaben bieten ihm Wein
Aus großen Gläsern an, wiewohl mit schelmischen Mienen;

Und weislich macht er den Schluß, das Beste dürfte seyn, Sich dieses Palliativs, soweit es reicht, zu bedienen. Der Dame schien indeß die kleine Galanterie, Von wem sie auch kam, zu gefallen. Nur Eines macht ihr Die Gnaymeden, gewöhnlichen Amoretten In allem Uebrigen ähnlich, sie waren es, leider! auch In ihrem Costume. Man kennt hierin den Gebrauch Zu Paphos: ihr ganzer Ornat war ein Kranz von Violetten.

15.

Ein Veilchenkranz ist in der That nicht viel,
So züchtigen Wangen, wie Chatouilleusens waren,
Ein immerwährendes Erröthen zu ersparen.
Sie schloß die Augen zwar halb; allein beim raschen Gewühl
Der kleinen Götter oder Geister
Blieb sie nicht immer so ganz von ihren Sinnen Meister,
Daß auf das lose Kinderspiel
Ihr nicht zuweilen ein Seitenblick entfiel,
Wobei (was auch die Ursach' heißen mochte)
Das Herz im erröthenden Busen ihr etwas höher pochte.

16.

Herr Boreas faßte nun Muth, dem Fräulein sich zu nahn.
Wenn man es fragen darf, Prinzessin (fängt der Ritter
Mit einer Miene, die er von einem Leichenbitter
Geborgt zu haben schien, zu Chatouilleusen an)
Sie sehen sehr aufgeräumt aus; ich nehme viel Antheil daran.
"Ich wüßte nicht, warum ich traurig sehen sollte!"
Erwiedert die Dame, mit einer Minaudrie,

Die nicht die verbindlichste war. — Wofern sich Madame die Müh, Mich anzuhören, geben wollte, So — "würde mich's traurig machen, Herr Ritter, glauben Sie?

17.

Sie sind sehr gütig!" — Und Sie sehr fertig, mich zu qualen! —
"Sie wünschen vielleicht, mein Herr, von mir befreit zu seyn?
Ich bin nicht gern zur Last; Sie haben nur zu befehlen!" —
Mein Fräulein, fällt Don Boreas ein,
Bei Sanct Georg! Sie setzen mich auch auf Proben,
Die einen Job — er murmelt die Worte, zum Toben
Zu bringen fähig wären, in seinen Bart hinein
Und schenkt, vermuthlich sich besser zu fassen,
Von perlendem Vin de Brie ein mächtiges Paßglas sich ein.
"Die Qualen sind wohl nicht feurig, die so sich löschen lassen?"

18.

Spricht jene. An Antworts Statt schenkt Boreas abermal ein.
Die Amorn, die ihn gern bald benebelt gesehen hätten,
Sind sehr besorgt für immer frischen Wein
Und singen ihm, während er trinkt, Balladen und Canzonetten,
Bei deren einschläferndem Ton noch einmal so süß und so leicht
Burgundiens duftender Nektar den Gaumen hinab sich schleicht;
Bis durch die vereinigten Kräfte der gallischen Lieder und Weine
Der tapfre Mann sein sorgenschwere Haupt

Hin auf die Polster neigt, und Amors Brüder und seine Gebietende Dame der Lust, ihn länger zu quälen, beraubt.

19.

Kaum fing er zu schnarchen an, weg waren die Amoretten,
Man weiß nicht wie. Die Dame blieb allein;
Und weil ein Silbergewölk dem strengen Sonnenschein
Zu dämpfen begann, entschließt sie sich, im Hain
Lustwandeln zu gehn. Ein Rasen, mit Violetten
Und Anemonen und bunten Aurikeln besät,
Führt ihren irrenden Fuß, durch Gänge von Cypressen
Und eine Thür, die weit eröffnet steht,
In Gärten — in Gärten — worin der hungrigste Poet
Gefahr lief, die Tafelstunde von seinem Mäcen zu vergessen.

20.

Dieß Wunder von Hirschfelds Kunst, von Zephyrn (so schien es) und Floren
Der Mutter der Grazien selbst zum Sommersitze gebaut,
Wovon die Infantin, in süßem Staunen verloren,
Die tausendfältigen Reize beschaut,
Gehörte — rathet einmal — zur Burg des bezauberten Mohren,
Woraus wir die Fürstin der Blonden, vor kurzem, nicht ohne Müh'
Herausgebracht, wiewohl mit der heilsamen Clausel, daß sie
Den schönen versteinerten Ritter zum Pfande lassen mußte:
Geschichten, wovon die Schwester, es wäre denn durch Magie,
Nichts wissen konnte und wirklich auch nichts wußte.

21.

Wir selber können nicht sagen, aus welcher Grille der Mohr
(Ein schelmischer alter Knabe!) dem armen versteinerten Ritter
Die höchste Gegend im Garten zum Ruheplatz' erkor:
Dort sollt' er, rings umher von einem goldenen Gitter,
Mit Blumentöpfen besetzt, bis an den halben Leib
Umgeben, in einer Stellung, die einst den Antiquaren
Zu schaffen geben wird, das wundervolle Weib
Erwarten, die ihn, trotz allen Scrupeln, Gefahren
Und Kosten und Schäden, die ihr die Unternehmung droht,
Befreien soll von diesem Zaubertod!

22.

Ihr böser Genius (würde ein alter Porphyrist,
Ein Reuchlin, ein Cardan, ein Rosenkreuzer sagen)
Trieb ihrem Verhängniß sie zu. Ich, dessen Sache nicht ist,
Die armen Dämonen unnöthig anzuklagen,
Ich sage gerad' heraus: nicht Satans Trug und List,
Nicht Fleisch und Blut, nein! etwas, das noch viel ärger ist,
Als beide, — was alle Eventöchter
Verführt, der ewige Feind von ihrer und unsrer Ruh,
Mit einem Worte der Vorwitz trieb sie dazu.
Sie sieht, von ferne, den schönen Gartenwächter;

23.

Sie sieht ihn in voller Bewegung so unbeweglich stehn,
Als wär' er ein Stein. Ihr scheint dieß Phänomen
Der kleinen Mühe werth, sich näher hin zu machen.
War denn, wenn ja die Dämonen so viel um unsre Sachen
Sich kümmern, kein Dämon da, gleich diesen Augenblick

In einen blauen Centauren oder Drachen Sich umzukleiden und Bambo's Tochter zurück Bis an den äußersten Wald, woher sie kam, zu jagen? Sie schlummern wohl auch mitunter — Kein Mensch kann seinem Geschick' Entrinnen — Die Kette der Dinge — Was sollen, was können wir sagen?

24.

Genug, kein Genius kam! Sie stieg die Terrasse hinan
Und ist schon nahe genug, um ohne Fernglas zu sehen.
Sie stutzt, wie leicht zu erachten, bleibt einen Augenblick stehen,
Und erst, nachdem sie so wenig zurück als vorwärts kann,
Versucht die Arme zurück zu gehen.
Zu spät! zu spät! das Aergste war geschehen!
Unglückliches Mädchen! — O Töchter Bambo's, wozu
Treibt euer Verhängniß euch von Kaschmir bis zu den Höhen
Des himmelstürmenden Atlas! —Du Aermste! für deine Ruh'
Hast du bereits zu viel gesehen!!

25.

Indessen sey es zum Ruhm' ihr nachgesagt, sie schlug
Beim ersten Anblick gleich die kleinen Augen nieder;
Ein Schauer fuhr durch ihre keuschen Glieder,
Sie lief, so weit ihr Fuß, gelähmt von Schrecken, sie trug.
Ein kleiner Labyrinth von neu beschornen Hecken
Bot ihr die nächste Zuflucht an.
Der Argwohn flüstert, sie hab' es gethan,
Um ihren lüsternen Vorwitz vor Zeugen zu verstecken.

Man konnte bequem durch diese Hecke sehn, Und Amadis, wie gesagt, war wirklich ein Phänomen!

26.

"Was (denkt sie) mag es bedeuten? Wen stellt es vor? Ist's möglich,
Daß Kunst auf diesen Grad sich in Natur verstellt?
Man glaubte von wallendem Blute die starken Arme geschwellt,
Die wie zum Umarmen sich öffnen — und doch so unbeweglich!
Wie lockig das Haar auf den Nacken ihm fällt!
Welch eine Figur! Man könnte nichts Zierlichers drechseln!
Ist's Marmor? ist's Elfenbein? — Nicht doch! Es lebt, es athmet, es muß
In diesem Augenblicke die Attitude wechseln!"
So spricht sie und guckt hervor und sieht, nicht ohne Verdruß,
Sich sehr betrogen von einem beinah' untrüglichen Schluß.

27.

Das Fräulein machte, zu ihren andern Verdiensten,
Den Anspruch, von allen schönen Künsten
Die feinste Kennerin zu seyn:
Sie spürte in einem Gedicht', in einer Zeichnung die Mängel
Mit kritischer Kälte heraus; sprach technisch von Contour,
Von reinen Formen, von Ausdruck, von schöner Natur;
Entzifferte wie ein Oedip die Räthsel im Mercur;
Und decoupirte wie ein Engel.
Doch lehnte sie sehr bescheiden, wenn Jemand Schuld ihr gab,
Selbst Virtuosin zu seyn, den Titel von sich ab.

28.

"Die Ehre, sprach sie erröthend, gebührt' ihr nicht; sie kannte
Die Kunst und sich zu gut dazu!
Zum Tanzen gehörte noch mehr als ein Paar neue Schuh';
O nein! Sie war nur eine — Dilettante." —
Wir leugnen nicht, das, was man Kennerschaft nennt,
Ist auch an Damen ein schönes Talent:
Allein dieß schöne Talent — o! hört es, ihr Mädchen alle!
Ihr, die ein verdächtiger Stern mit schönen Talenten begabt,
Wofern' ihr's an euch selbst nicht schon erfahren habt,
So nehmt es zu Herzen! — Es brachte die Tochter Bambo's zu Falle!

29.

"Sie denkt: Es kann am Ende doch nur ein Kunstwerk seyn,
Und ist es ein Werk der Kunst, so würde mich's ewig gereun,
Es nicht genauer betrachtet zu haben.
Vielleicht ist der Name des Meisters am Fußgestell' eingegraben;
Schönheiten sind in der Nähe vielleicht daran zu sehn,
Vielleicht auch Fehler zu entdecken,
Die in der Ferne verschwinden. Was hält mich, näher zu gehn?
Wer sieht mich hier durch diese Hecken?
Was hätt' ich Ursach, so zaghaft zu seyn?
Zwar ist's ein Mann, doch nur ein Mann von Stein!"

30.

Sie schleicht, indem sie behutsam nach allen Seiten schielet,
In schlängelnden Linien näher und immer näher heran.

Nun steht sie ihm gegenüber und blinzt erst schüchtern an, Was jetzt in vollem Glanz' ihr in die Augen spielet, Dann immer kühner und kühner, zuletzt mit allem Muth, Den eine Dilettante in ähnlichen Fällen fühlet, Nur nicht mit so gelass'nem Blut. — "Welch herrliches Werk! Wie konnt' es so vollkommen, So idealisch aus Menschenhänden kommen? Von welchem sichtbarn Gotte ward das Modell genommen?

31.

Doch nein! es ist kein Ideal!
Wo sieht man eines, das so den Seher täusche?
Nein, nein! dieß athmende Leben schafft weder Pinsel noch Stahl;
Man fühlt, mit den Augen sogar, in diesem schönen Fleische
Elastische Wärme wallen — Es athmet wirklich! Gewiß,
Ihm cirkelt Blut in den Adern; ich wette, dürft' ich's wagen
Und legte die Hand ihm aufs Herz, ich fühlt' es unter ihr schlagen.
(O Tochter Bambo's, welch' ein Gedanke war dieß!)
Und doch, warum nicht? was hätte die strengste Tugend dagegen,
So sachte als möglich die Hand auf ein Herz von Marmor zu legen?

32.

Was ist da zu wagen? Am Ende, trotz diesem blendenden Schein',
Ist's doch ein bloßes Bild von Stein!"
Sich recht davon zu überzeugen,

Entschließt die Kennerin sich, getrost hinan zu steigen: Doch, wie sie so nahe sich sieht, trifft ihre Phantasie Ich weiß nicht was; ihr Gehirn', ich weiß nicht wie, Kommt plötzlich aus allen seinen Falten; Ihr schwindelt; sie muß, um nicht zu fallen, sich halten, Legt in der Betäubung die Hand — ich kann nicht sagen worauf, Und — Amadis wacht aus seiner Bezauberung auf.

33.

Wo ist der Mann, der in einem solchen Momente
Zum Leben wieder auferstehn,
Die Schöne, deren Werk es wäre, vor sich sehn
Und seine Dankbarkeit in Schranken halten könnte?
Was kann er weniger thun, als ihr von diesen Armen
Die Erstlinge weihen, die wieder durch ihre Berührung erwarmen?
Entzücken und Dankbarkeit lassen in diesem Augenblick
Die Freiheit ihm nicht, auf dieß und jenes zu merken,
Was ihren Schrecken vielleicht geschickt war zu verstärken:
Sie zittert mit einem Schrei' aus seiner Umarmung zurück.

34.

Zum Unglück glitscht ihr rechter Fuß im Fliehen,
Sie fällt — auf weiches Gras und ohne Schaden zwar;
Allein (was hier gerade das Allerschlimmste war)
Sie hat das Mißgeschick, den Ritter nachzuziehen.
Nun fordre ich ungescheut die Weisen und Narren heraus
Und sage: Versucht's und sinnet mir einen Zufall aus —
Noch mehr, laßt alle der Menschheit gehässige Wesen,

Den Arimanius, Typhon, Beelzebub, Schiwen, und wie Sie alle heißen, die Feinde der Kalokagathie, Die großen Schöpfer und ersten Beweger des Bösen,

35.

Laßt sie mit allen Verdammten, in ihrem Parlament
Versammelt, noch einen ersinnen, der einer Precieusen
Die Seele vor Gram vom Leibe zu lösen
Geschickter wäre, — sofern' als Satan im gleichen Moment
Die dritte Person, von welcherlei Geschlechte,
Zu diesem an sich selbst so simpeln Zufall brächte.
Man braucht nicht viele Kenntniß der Welt,
Zu wissen, wie oft das Verhängniß der Unschuld oder Ehre
Des armen Erdenvolks dergleichen Fallen stellt:
Allein wer merkt es sich zur Warnung und zur Lehre?

36.

Wer, der des wahren Verlaufs der Sache so kundig nicht wär',
Als wir, und käm' auf einmal so hinter den Hecken daher
Gegangen und sähe zwei Personen
So seltsam vom bloßen Ungefähr'
Im Grase zusammen gruppirt, wer hielte nicht ihrer zu schonen
Für Thorheit und sträflichen Leichtsinn vielmehr
Als Menschenliebe? — So ging es Boreassen,
Der, zwei Secunden, nachdem der Fall geschah,
Die Dame, die er sucht, im Grase liegen sah:
Wie könnte bei solchem Anblick' ein Mann wie er sich fassen?

37.

Bestürzt und sinnlos steht er da,
Guckt immer wieder hin und fragt sich, zwischen Zweifel
Und Ueberzeugung, selbst: "Wie? narrt mich hier der Teufel?
Unmöglich sah ich — was ich sah!"
Noch immer starrt er hin, gleich einem Fieberkranken,
Der in den Höllenschlund blickt, betäubt und ohne Gedanken:
Doch plötzlich ergießt sich sein feuriges Blut
Durch alle Adern — er zieht mit beiden schwellenden Händen
Den Säbel und stürzt hervor in eifersüchtiger Wuth,
Um Beide mit einem Streich' in Charons Nachen zu senden.
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