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Kapitel 

C. M. Wielands Werke.

Vierzehnter Band.

Zwölftes Kapitel.

Der Entscheidungstag. Maßregeln beider Parteien. Die Vierhundert versammeln sich, und das Gericht nimmt seinen Anfang. Philanthropisch-patriotische Träume des Herausgebers dieser merkwürdigen Geschichte.

Die verschiedenen Maschinen, welche man diesen Tag über auf beiden Seiten hatte spielen lassen, brachten den Abderitischen Staatskörper, bei dem Anschein der größten innerlichen Bewegung, durch die Stöße, die er nach entgegengesetzter Richtung erhielt, in eine Art von wagerechtem Schwanken, vermöge dessen um die Zeit, da die Vierhundert zu Entscheidung des Eselsschattenhandels zusammen kamen, sich alles ungefähr in eben dem Stande befand, worin es einige Tage zuvor gewesen war, das ist, daß die Esel den größten Theil des Raths, die Patricier und die Ansehnlichsten und Vermöglichsten von der Bürgerschaft auf ihrer Seite hatten, die Schatten hingegen ihre meiste Stärke von der größern Anzahl zogen. Denn, seit dem feierlichen Umgang um den Froschteich der Latona, welchen Strobylus den Abend zuvor veranstaltet, und dem die sämmtlichen Schatten, mit dem Nomophylax Gryllus und dem Zunftmeister Pfriem an ihrer Spitze, sehr andächtig beigewohnt hatten, war der Pöbel wieder gänzlich für die letztere Partei erklärt.

Es würde bei Gelegenheit dieses Umgangs dem Priester Strobylus und den übrigen Häuptern derselben ein Leichtes gewesen seyn, mittelst ihres Ansehens über einen fanatischen Haufen Volks, welcher größtentheils bei gänzlicher Zerrüttung der Republik mehr zu gewinnen als zu verlieren hatte, noch an selbigem Abend viel Unheil in Abdera anzurichten. Allein — außerdem, daß der Oberpriester im Namen des Archons noch einmal nachdrücklichst angewiesen worden war, den Pöbel in gehöriger Ordnung zu erhalten, und dafür zu sorgen, daß der Tempel und alle Zugänge zu dem geheiligten Teiche noch vor Sonnenuntergang geschlossen wären — so waren sie auch selbst weit entfernt, die Sache ohne höchste Noth aufs äußerste treiben, oder die ganze Stadt in Blut und Flammen sehen zu wollen; und so klug waren sie doch, trotz ihrer übrigen Abderitheit, um einzusehen, daß, wenn ihnen der Pöbel einmal die Zügel aus den Händen gerissen hätte, es nicht mehr in ihrer Gewalt seyn würde, der ungestümen Wuth eines so blinden reißenden Thiers wieder Einhalt zu thun. Der Zunftmeister begnügte sich also, da der Umgang vorbei war und die Thüren des Tempels geschlossen wurden, dem aus einander gehenden Volke zu sagen: er hoffe, daß sich alle redlichen Abderiten morgen um neun Uhr auf dem Markte bei dem Urtheil über den Handel ihres Mitbürgers Struthion einfinden, und, soviel an ihnen wäre, dazu mit helfen würden, daß seine gerechte Sache den Sieg davon trage.Die Einladung war zwar, ungeachtet der glimpflichen und (seiner Meinung nach) sehr behutsamen Ausdrücke worin er sie vorbrachte, nicht viel besser als ein höchst gesetzwidriges

Verfahren eines aufrührischen Zunftmeisters, der im Nothfall die Richter durch die unmittelbare Gefahr eines Tumults nöthigen wollte, das Urtheil nach seinem Sinn abzufassen. Allein dieß war es auch, worauf es ankommen zu lassen die Schatten fest entschlossen waren; und da die andere Partei hiervon völlig überzeugt war, so hatten sie ihrerseits alle möglichen Maßregeln genommen, sich auf das Aeußerste, was geschehen konnte, gefaßt zu halten.Der Erzpriester ließ, sobald das Gericht den Anfang nahm, alle Zugänge zum Jasontempel von einer Schaar handfester Gerber und Fleischer, die mit tüchtigen Knütteln und Messern versehen waren, besetzen; und in den Häusern der vornehmsten Esel hatte man sich in eine Verfassung gesetzt, als ob man eine Belagerung auszuhalten gedenke. Die Esel selbst erschienen mit Dolchen unter ihren langen Kleidern auf dem Gerichtsplatze; und einige von denen, die am lautesten sprachen, hatten die Vorsicht gebraucht, sogar einen Panzer unter ihrem Brustlatze zu tragen, um ihren patriotischen Busen mit desto größerer Sicherheit den Stößen der Feinde der guten Sache entgegen setzen zu können.Die neunte Stunde kam nun heran. Ganz Abdera stand in zitternder Bewegung, erwartungsvoll des Ausgangs, den ein so unerhörter Handel nehmen würde; niemand hat sein Frühstück ordentlich zu sich genommen, wiewohl alles schon mit Tagesanbruch auf den Füßen war. Die Vierhundert versammelten sich auf dem erhöhten Vorplatze der Tempel des Apollo und der Diana (dem gewöhnlichen Ort, wo der große Rath unter freiem Himmel gehalten wurde), dem großen

Marktplatze gegenüber, von welchem man auf einer breiten Treppe von vierzehn Stufen zur Terrasse hinauf stieg. Auch der Kläger und Beklagte mit ihren nächsten Anverwandten und mit ihren beiden Sykophanten hatten sich bereits eingefunden, und ihren gehörigen Platz eingenommen; indessen sich der ganze Markt mit einer Menge Volks anfüllte, dessen Gesinnungen durch ein lärmendes Vivat, so oft ein Rathsherr oder Zunftmeister von der Schattenpartei einher gestiegen kam, sich deutlich genug verriethen.Alles wartete nun auf den Nomophylax, der, nach den Gewohnheiten der Stadt Abdera, in allen Fällen, wo die Versammlung des großen Rathes nicht unmittelbare Angelegenheiten des gemeinen Wesens betraf, den Vorsitz bei demselben führte. Die Esel hatten zwar alles angewandt, den Archon Onolaus dahin zu bringen, daß er, weil es doch um ein neues Gesetz zu thun wäre, den elfenbeinernen Lehnstuhl (der, um drei Stufen über die Bänke der Räthe erhöht, für den Präsidenten gesetzt war) mit seiner eignen ehrwürdigen Person ausfüllen möchte. Aber er erklärte sich: daß er lieber das Leben lassen, als sich dazu verstehen wolle, über ein Eselsschattengericht zu präsidiren. Man hatte sich also gezwungen gesehen seiner Delicatesse nachzugeben.Der Nomophylax —als ein großer Anhänger der Etikette, gewohnt, bei dergleichen Gelegenheiten auf sich warten zu lassen — hatte dafür gesorgt, daß die Versammlung indessen mit einer Musik von seiner Composition unterhalten, und (wie er sagte) zu einer so feierlichen Handlung vorbereitet würde. Dieser Einfall, wiewohl er eine Neuerung war,

wurde dennoch sehr wohl aufgenommen, und that (gegen die Absicht des Nomophylax, der seine Partei dadurch in verstärkte Bewegungen von Muth und Eifer hatte setzen wollen) eine sehr gute Wirkung. Denn die Musik gab denen von der Partei des Erzpriesters zu einer Menge spaßhafter Einfälle Anlaß, über welche sich von Zeit zu Zeit ein großes Gelächter erhob. Einer sagte: dieses Allegro klingt ja wie ein Schlachtgesang, —zu einem Wachtelkampfe, fiel ein anderer ein. Dafür tönt aber auch, sagte ein dritter, das Adagio, als ob es dem Zahnbrecher Struthion und Meister Knieriemen, seinem Schutzpatron, zu Grabe singen sollte. Die ganze Musik, meinte ein vierter, verdiene von Schatten gemacht, und von Eseln gehört zu werden u. s. w. Wie frostig nun auch diese Scherze waren, so brauchte es doch bei einem so jovialischen und so leicht anzustellenden Völkchen nichts mehr, um die ganze Versammlung unvermerkt in ihre natürliche komische Laune umzustimmen; eine Laune, die der Parteiwuth, wovon sie noch besessen waren, unvermerkt ihren Gift benahm, und vielleicht mehr als irgend etwas andres zur Erhaltung der Stadt in diesem kritischen Augenblicke beitrug.Endlich erschien der Nomophylax mit seiner Leibwache von armen, ausgemergelten und bresthaften Handwerkern, welche, mit stumpfen Hellebarden und mit einer friedsamen Art von eingerosteten Degen bewaffnet, mehr das Ansehen der lächerlichen Figuren hatten, womit man in Gärten die Vögel schreckt, als von Kriegsmännern, die dem Gerichte beim Pöbel Würde und Furchtbarkeit verschaffen sollten. Wohl indessen

der Republik, die zu Beschirmung ihrer Thore und innerlichen Sicherheit keiner andern Helden nöthig hat als solcher!Der Anblick dieser grotesken Milizer, und die ungeschickte possierliche Art, wie sie sich in dem kriegerischen Aufzuge, worein man sie nicht ohne Mühe verkleidet hatte, gebärdeten, erweckte der dem zuschauenden Volke einen neuen Anstoß von Lustigkeit; so daß der Herold viele Mühe hatte, die Leute endlich zu einer leidlichen Stille, und zu dem Respect, den sie dem höchsten Gerichte schuldig waren, zu bringen.Der Präsident eröffnete nunmehr die Sitzung mit einer kurzen Rede, der Herold gebot ein abermaliges Stillschweigen; und die Sykophanten beider Theile wurden namentlich aufgefordert, sich mit ihrer Klage und Verantwortung mündlich vernehmen zu lassen.Den Sykophanten, welche für große Meister in ihrer Art galten, mußte die Gelegenheit, ihre Kunst an einem Eselsschatten sehen zu lassen, an sich allein schon eine große Aufmunterung seyn. Man kann also leicht denken, wie sie sich nun vollends zusammengenommen haben werden, da dieser Eselsschatten ein Gegenstand geworden war, woran die ganze Republik Antheil nahm, und um dessen willen sie sich in zwei Parteien getrennt hatte, deren jede die Sache ihres Clienten zu ihrer eignen machte. Seit ein Abdera in der Welt war, hatte man noch keinen Rechtshandel gesehen, der so lächerlich an sich selbst, und so ernsthaft durch die Art wie er behandelt wurde, gewesen wäre. Ein Sykophant müßte auch ganz und gar kein Genie und keinen Sykophantensinn

gehabt haben, der bei einer solchen Gelegenheit nicht sich selbst übertroffen hätte.Um so mehr ist es zu beklagen, daß der übel berüchtigte Zahn der Zeit, dem so viele andere große Werke des Genie's und Witzes nicht entgehen konnten noch künftig entgehen werden, leider! auch der Originale dieser beiden berühmten Reden nicht verschont hat! —wenigstens so viel uns bekannt ist. Denn wer weiß, ob es nicht vielleicht einem künftigen Fourmont, Sevin oder Villoison, der auf Entdeckung alter Handschriften ausgeht, dereinst gelingen mag, eine Abschrift derselben in irgend einem bestäubter Winkel einer alten Klosterbibliothek aufzuspüren? Oder, wenn dieß nicht zu hoffen stände, wer kann sagen, ob nicht in der Folge der Zeiten Thracien selbst wieder in die Hände christlicher Fürsten fallen wird, die sich eine Ehre daraus machen werden, mächtige Beförderer der Wissenschaften zu seyn, Akademien zu stiften, versunkne Städte ausgraben zu lassen u. s. w. Wer weiß, ob nicht alsdann diese gegenwärtige Abderitengeschichte selbst (so unvollkommen sie ist), in die Sprache dieses künftigen bessern Thraciens übersetzt, die Ehre haben wird Gelegenheit zu geben, daß ein solcher Neuthracischer Musaget auf den Einfall kommt, die Stadt Abdera aus ihrem Schutte hervorzurufen? da denn ohne Zweifel auch die Kanzlei und das Archiv dieser berühmten Republik, und in demselben die sämmtlichen Originalacten des Processes um des Esels Schatten, nebst den beiden Reden, deren Verlust wir beklagen, sich wieder finden werden. —Es ist wenigstens angenehm, auf den Flügeln solcher patriotisch-menschenfreundlicher Träume

sich in die Zukunft zu schwingen, und seinen Antheil an den Glückseligkeiten vorauszunehmen, die unsern Nachkommen noch bevorstehen; Glückseligkeiten, für welche die immer steigende Vervollkommnung der Wissenschaften und Künste, und die von ihnen sich über alles Fleisch ergießende Erleuchtung, Verschönerung und Sublimirung der Denkart, des Geschmacks und der Sitten, uns augenscheinliche Bürgschaft leisten!Inzwischen gereicht es uns doch zu einigem Troste, aus den Papieren, aus welchen gegenwärtige Fragmente der Abderitengeschichte genommen sind, wenigstens einen Auszug dieser Reden liefern zu können, dessen Aechtheit um so unverdächtiger ist, da kein Leser, der eine Nase hat, den Duft der Abderitheit, der daraus emporsteigt, verkennen wird. Ein innerliches Argument, das am Ende doch immer das beste zu seyn scheint, das für das Werk irgend eines Sterblichen, er sey nun ein Ossian oder ein Abderitischer Feigenredner, sich geben läßt!

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