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Kapitel 

C. M. Wielands Werke.

Vierzehnter Band.

Eilftes Kapitel.

Agathyrsus beruft seine Anhänger zusammen. Substanz seiner Rede an sie. Er ladet sie zu einem großen Opferfest ein. Der Archon Onolaus will sein Amt niederlegen. Unruhe der Partei des Erzpriesters über dieses Vorhaben. Durch was für eine List sie solches vereiteln.

Inzwischen ließ Agathyrsus, sobald die Abgeordneten der Zehnmänner sich wieder wegbegeben hatten, unverzüglich die Vornehmsten von seinem Anhang im Rath und unter der Bürgerschaft nebst allen Jasoniden zu sich berufen. Er erzählte ihnen, was ihm so eben auf Anstiften des Priesters Strobylus mit den Zehnmännern begegnet war, und stellte ihnen vor, wie nothwendig es nun, für das Ansehen ihrer Partei sowohl, als für die Ehre und selbst für die Erhaltung der Stadt Abdera sey, die Anschläge dieses ränkevollen Mannes zu vereiteln, und dem Volke, welches er durch die lächerliche Fabel von der Wehklage der Latonenfrösche in Unruhe gesetzt, wieder einen entgegengesetzten Stoß zu geben. Es falle einem jeden von selbst in die Augen, daß Strobylus dieses armselige Mährchen nur deswegen ersonnen habe, um die eben so ungereimte, aber wegen der abergläubischen Vorurtheile des Volkes desto

gefährlichere Anklage, die er gegen ihn, den Erzpriester, bei den Zehnmännern angebracht, vorzubereiten, und eine wichtige, die Wohlfahrt der ganzen Republik betreffende Sache daraus zu machen. Aber auch dieß sey im Grunde doch nur ein Mittel, wozu er in der Verzweiflung gegriffen habe, um seiner darniedergesunkenen Partei wieder auf die Füße zu helfen, und von den Bewegungen, welche in der Stadt dadurch erregt worden, bei bevorstehender Entscheidung des Eselschatten-Handels Vortheil zu ziehen. Weil nun aus eben diesem Grunde leicht vorauszusehen sey, daß der unruhige Priester aus dem, was diesen Morgen mit den Zehnmännern vorgegangen, neuen Stoff hernehmen werde, ihn, den Erzpriester, bei dem Volke verhaßt zu machen, und im Nothfalle wohl gar einen abermaligen noch gefährlichern Aufstand zu erregen: so habe er für nöthig gehalten, seine und des gemeinen Wesens zuverlässigsten Freunde in den Stand zu setzen, dem Volke und allen die dessen bedürften richtigere Begriffe von dem heutigen Vorgang und dessen etwanigen Folgen geben zu können. Was also die Störche anbelange, so wären solche ohne sein Zuthun von selbst gekommen, und hätten sich auf einem Baume seines Gartens ein Nest gebaut. Er habe sich nicht für berechtigt gehalten sie darin zu stören; theils weil die Störche seit undenklichen Zeiten bei allen gesitteten Völkern im Besitz einer Art von geheiligtem Gastrechte ständen; theils weil die Freiheit des Jasontempels und der Schutz dieses Gottes alle lebenden und leblosen Dinge angehe, die sich in dem Umfang seiner Mauern befänden. Das Gesetz, wodurch

die Zehnmänner vor einigen Jahren die Störche aus dem Gebiet von Abdera verwiesen hätten, gehe ihn nichts an; indem die Gerichtsbarkeit dieses Tribunals sich nur über dasjenige erstrecke, was auf den Dienst der Latona und die Gebräuche desselben Bezug habe. Und überhaupt sey bekannt, daß der Jasontempel nur insofern, als die Republik bei dessen Stiftung versprochen habe, ihn gegen alle gewaltsamen Unternehmungen einheimischer oder auswärtiger Feinde zu beschützen, mit derselben in Verbindung stehe, übrigens aber von allem Gerichtszwange der Abderitischen Tribunale und von aller Oberherrlichkeit der Republik vollkommen und auf ewig befreit sey. Er habe also, indem er die unbefugte Vorladung von sich abgewiesen, nichts gethan als was seine Würde von ihm erfordere; die Zehnmänner hingegen hätten durch diesen unbesonnenen Schritt, wozu die Mehrheit derselben von dem Priester Strobylus verleitet worden, ihn in den Fall gesetzt, von der Republik wegen einer so groben Verletzung seiner erzpriesterlichen Vorrechte im Namen Jasons und aller Jasoniden die strengste und vollständigste Genugthuung zu fordern. Die Sache wäre von wichtigern Folgen, als die Anhänger des Zunftmeisters Pfriem und Strobylus mit seinen Froschpflegern sich vielleicht vorstellten. Das goldne Vließ, welches die Jasoniden als ihr wichtigstes Erbgut in diesem Tempel aufbewahrten, wäre seit Jahrhunderten als das Palladium von Abdera betrachtet und verehrt worden. Die Abderiten hätten sich also wohl vorzusehen, keine Schritte zu thun noch zuzulassen, wodurch sie vielleicht durch eigne Schuld desjenigen

beraubt werden könnten, an welches, nach einem uralten und zur Religion gewordnen Glauben, das Schicksal und die Erhaltung ihrer Republik gebunden sey.Der Erzpriester empfing auf diesen Vortrag von allen Anwesenden die stärksten Versicherungen ihres Eifers sowohl für die gemeine Sache als für die Rechte und Freiheiten des Jasontempels. Man besprach sich über die verschiednen Maßregeln, die man nehmen wollte, um die Bürgerschaft in ihren guten Gesinnungen zu befestigen, und diejenigen wieder zu gewinnen, die entweder das vorgegebne Wunderzeichen mit den Fröschen der Latona irre gemacht, oder Strobylus gegen die Störche des Erzpriesters aufgewiegelt haben würde. Die Versammlung trennte sich hierauf, und jeder begab sich an seinen Posten, nachdem Agathyrsus sie alle zu einem feierlichen Opfer eingeladen hatte, welches er diesen Abend dem Jason in seinem Tempel bringen wollte.Während dieß im Palaste des Erzpriesters vorging, war der Archon, äußerst mißvergnügt über die nicht allzu ehrenfeste Rolle die er wider Willen hatte spielen müssen, nach Hause gekommen, und hatte alle seine Verwandten, Brüder, Schwäger, Söhne, Tochtermänner, Neffen und Vettern, zu sich berufen lassen, um ihnen anzukündigen: wie er fest entschlossen sey, morgenden Tages vor dem großen Rath seine Würde niederzulegen, und sich auf ein Landgut, das er vor einigen Jahren auf der Insel Thasus gekauft hatte, zurückzuziehen. Sein ältester Sohn und noch etliche von der Familie waren bei diesem Familienconvent nicht zugegen, weil sie eine halbe Stunde zuvor zu dem Erzpriester waren gebeten worden.

Da nun die übrigen sahen, daß Onolaus, aller ihrer Bitten und Vorstellungen ungeachtet, unbeweglich auf seinem Vorsatz beharrte: so schlich sich einer von ihnen weg, um der Versammlung im Jasontempel Nachricht davon zu geben, und sie um ihren Beistand gegen einen so unverhofften widrigen Zufall zu ersuchen.Er langte eben an, da die Versammlung im Begriff war auseinanderzugehen. Diejenigen, denen die Gemüthsart des Archon von langem her bekannt war, fanden die Sache bedenklicher als sie beim ersten Anblick den meisten vorkam. Seit zehn Jahren, sagten sie, ist dieß vielleicht das erstemal, daß der Archon eine Entschließung aus sich selbst genommen hat. Gewiß ist sie ihm nicht plötzlich gekommen! Er brütet schon eine geraume Zeit darüber, und der heutige Vorgang hat nur die Schale gesprengt, die über kurz oder lang doch hätte brechen müssen. Kurz, diese Entschließung ist sein eignes Werk; man kann also sicher darauf rechnen, daß es nicht so leicht seyn wird, ihn davon zurückzubringen.Die ganze Versammlung gerieth darüber in Unruhe. Man fand, daß dieser Streich in einem so schwankenden Zeitpunkte, wie der gegenwärtige, der ganzen Partei und der Republik selbst sehr nachtheilig werden könnte. Es wurde also einhellig beschlossen: daß man zwar so viel von diesem Vorhaben des Archon unter das Volk kommen lassen müßte, als vonnöthen sey solches in Furcht und Ungewißheit zu setzen; zugleich aber wollte man auch veranstalten, daß noch vor dem Opfer im Jasontempel die angesehensten von den Räthen und Bürgern beider Parteien sich zu dem Archon begeben, und

ihn im Namen des ganzen Abdera beschwören sollten, das Ruder der Republik nicht mitten in einem Sturme zu verlassen, wo sie eines so weisen Steuermanns am meisten vonnöthen hätten.Der Gedanke, die Vornehmsten von beiden Parteien hierin zu vereinigen, wurde dadurch nothwendig, weil man voraussah, daß ohne dieses Mittel alle ihre Arbeit an dem Archon fruchtlos seyn würde. Denn wiewohl er von Jugend an der Aristokratie eifrig ergeben war, so hatte er sich doch zu einem Grundsatz gemacht, nicht dafür angesehen seyn zu wollen; und die Popularität, die er zu diesem Ende schon so lange spielte, daß sie ihm endlich ganz natürlich ließ, war es eben, was ihn beim Volke so beliebt gemacht hatte, als noch wenige von seinen Vorfahren gewesen waren. Besonders hatte er, seitdem sich die Stadt in die zwei Parteien der Esel und der Schatten getheilt fand, einen ordentlichen Ehrenpunkt darein gesetzt, sich so zu betragen, daß er keiner von beiden Parteien Ursache gäbe, ihn zu der ihrigen zu zählen; und wiewohl beinahe alle seine Freunde und Anverwandten erklärte Esel waren, so blieben die Schatten doch überzeugt, daß sie nichts dadurch bei ihm verlören, und die Esel nichts dabei gewönnen; indem diese letztern genöthigt waren, alle ihre Schritte vor ihm zu verbergen, und bei jedem Vortheil, den sie über die Schatten erhielten, sich darauf verlassen konnten, daß er, um die Sachen wieder ins Gleichgewicht zu bringen, sich auf die Seite ihrer Gegner neigen würde, wiewohl er keinen einzigen von ihnen persönlich liebte.Die Bekanntmachung der Entschließung des Archons hatte

alle die Wirkung, die man sich davon versprochen hatte. Das Volk gerieth darüber in neue Bestürzung. Die meisten sagten: man brauche nun weiter nicht nachzuforschen was die Wehklage der geheiligten Frösche vorbedeute; wenn der Archon die Republik in dem betrübten Zustande, worin sie sich befinde, verlasse, so sey alles verloren.Der Priester Strobylus und der Zunftmeister Pfriem erhielten die Nachricht von dem großen Opfer, das der Erzpriester veranstalte, und das Gerücht von dem Entschlusse des Archon, seine Stelle niederzulegen, zu gleicher Zeit. Sie übersahen beim ersten Blick die Folgen dieses gedoppelten Streichs, und eilten den einen zu erwiedern und dem andern zuvorzukommen. Strobylus ließ das Volk zu einer Expiation einladen, welche auf den Abend in dem Tempel der Latona mit großen Feierlichkeiten angestellt werden sollte, um die Stadt von geheimen Verbrechen zu reinigen, und die schlimme Vorbedeutung des Eleleleleleu der geheiligten Frösche abzuwenden. Meister Pfriem hingegen ging, die Räthe, Zunftmeister und angesehensten Bürger von seiner Partei aufzusuchen, und sich mit ihnen zu berathen, wie der Archon auf andere Gedanken zu bringen seyn möchte. Die meisten waren schon durch die geheimen Werkzeuge der Gegenpartei vorbereitet, welche als ein großes Geheimniß herumgeflüstert hatten: man wüßte ganz gewiß, daß die Esel sich alle mögliche Mühe gäben, den Archon unter der Hand in seinem Entschluß zu bestärken. Die Schatten hielten sich dadurch überzeugt, daß ihre Gegner einen aus ihrem Mittel zu der höchsten Würde in der Republik zu erheben gedachten, und also der Mehrheit im großen Rath,

bei welchem die Wahl stand, schon ganz gewiß seyn müßten. Diese Betrachtung setzte sie in so großen Allarm, daß sie, mit einer Menge Volks hinter ihnen her, zur Wohnung des Onolaus eilten, und, während der Pöbel ein Vivat nach dem andern erschallen ließ, hinaufgingen, um Seine Gnaden im Namen der ganzen Bürgerschaft flehentlich zu bitten, den unglücklichen Gedanken an Resignation aufzugeben, und sie niemals, am wenigsten zu einer Zeit zu verlassen, wo seine Weisheit zu Beruhigung der Stadt unentbehrlich sey.Der Archon zeigte sich über diesen öffentlichen Beweis der Liebe und des Vertrauens seiner werthen Mitbürger sehr vergnügt. Er verhielt ihnen nicht, daß kaum vor einer Viertelstunde der größte Theil der Rathsherren, der Jasoniden, und aller übrigen alten Geschlechter von Abdera, bei ihm gewesen, und eben diese Bitte in eben so geneigten und dringenden Ausdrücken an ihn gethan hätten. So große Ursache er auch habe, der beschwerlichen Regierungslast müde zu seyn, und zu wünschen daß sie auf stärkere Schultern als die seinigen gelegt werden möchte: so habe er doch kein Herz, das diesem so lebhaft ausgedrückten Zutrauen beider Parteien widerstehen könne. Er sehe diese ihre Einmüthigkeit in Absicht auf seine Person und Würde als eine gute Vorbedeutung für die baldige Wiederherstellung der allgemeinen Ruhe an, und werde seines Orts alles Mögliche mit Vergnügen dazu beitragen.Als der Archon diese schöne Rede geendigt hatte, sahen die Schatten einander mit großen Augen an, und fanden sich, zu ihrem empfindlichsten Mißvergnügen, auf einmal um die Hälfte klüger als zuvor; denn sie merkten nun, daß sie

von den Eseln betrogen und zu einem falschen Schritte verleitet worden waren. Sie hatten, in der Meinung daß sie diesen Schritt allein thäten, den Archon ganz dadurch auf ihre Seite zu ziehen gehofft; und nun fand sich's, daß er ihren Gegner eben so viel Verbindlichkeit hatte als ihnen; welches gerade so viel war als ob er ihnen gar keine hätte. Aber dieß war noch nicht das ärgste. Das hinterlistige Betragen der Esel war ein offenbarer Beweis, wie viel ihnen daran gelegen sey daß die Stelle des Archons nicht ledig würde. Nun konnte ihnen aber an der Person des Onolaus nicht viel gelegen seyn; denn er hatte nie das Geringste für ihre Partei gethan. Wenn sie also eifrig wünschten, daß er seinen Platz behalten möchte, so konnt' es aus keiner andern Ursache geschehen, als weil sie sich versichert hielten, daß die Schatten Meister von der Wahl des neuen Archon bleiben würden. Diese Betrachtungen, die sich ihnen jetzt mit einem Blicke darstellten, waren von einer so verdrießlichen Art, daß die armen Schatten alle Mühe von der Welt hatten ihren Unmuth zu verbergen, und sich, zu großem Vergnügen des Archons, ziemlich eilfertig wegbegaben, ohne daß es diesem eingefallen wäre sich darüber zu wundern, oder die Veränderung in ihren Gesichtern wahrzunehmen.Der heutige Tag war ein großer Tag für den weisen und ziemlich schwer beleibten Onolaus gewesen, und er war nun vollkommen wieder mit Abdera zufrieden. Er befahl also daß seine Thür geschlossen werden sollte, zog sich in sein Gynäceum zurück, warf sich in seinen Lehnstuhl, schwatzte mit seiner Frau und seinen Töchtern, aß zu Nacht, ging zeitig zu Bette,

und schlief, wohlgetröstet und unbesorgt um das Schicksal von Abdera, bis an den hellen Morgen.

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