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C. M. Wieland's Werke.

Zwölfter Band.

V. Am 24. October 1790.

Die Dankbarkeit, der Menschen erste Pflicht,
Ist, wie man, ohne sehr zu lästern,
Behaupten mag, der Götter Tugend nicht.
Die Grazien nehm' ich aus und ihre holden Schwestern,

Das heil'ge dreimal Drei, das auf dem Pindus thront, Die freundlichsten der Götter und Göttinnen. Die bloße Lust, womit man ihnen dient, belohnt Schon durch sich selbst: uns wird an Herz und Sinnen So wohl dabei, so leicht, so warm, so frei! Die liebe Zeit, die insgemein wie Blei Auf Adams Kindern liegt, scheint mit den Charitinnen Und Musen immer nur zu schnell uns zu entrinnen, Und kurz, das Wenigste, was wir durch sie gewinnen, Ist hier — ein Himmelreich und dort —Unsterblichkeit. Drum dächt' ich auch, (mit Gunst der werthen Christenheit!) Wir blieben noch, solang' es uns gedeiht, In diesem Stück' ein wenig — Heiden Und schafften unsre Seligkeit, Anstatt mit Angst und Herzbeklommenheit, Im Dienst der Grazien — mit Freuden.

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Beschworen sey er denn an diesem goldnen Tag,
Der dich, Olympia, der Welt und uns gegeben,
Beim heil'gen Drei und Neun, der festliche Vertrag,
Solang die Parzen noch an unserm Daseyn weben,
Den Musen und den Grazien zu leben!
Sie haben von des Lebens Morgen an
So viel für dich, du hast so viel für sie gethan:
Wie sollte durch dieß wechselseit'ge Geben
Und Nehmen jenes Blumenband,
Das euch umschlingt, nicht unverwelklich dauern?

Was sag' ich? Führten sie nicht selbst an ihrer Hand Dich in ihr zweites Vaterland Im Jubel ein? — in jene stolzen Mauern, Wo Göttin Rom, die Herrscherin der Welt, Noch unter Trümmern sitzt, die Herz und Mark durchschauern, Und den Kolossen gleich, von ihnen aufgestellt, Die Heldengeister Roms noch ihren Fall betrauern; Wo jeder Athemzug, geschwellt Von dieser Zauberluft, den Funken Des Hochgefühls, das uns zu Göttern macht, Selbst in der engsten Brust zur hellen Flamme facht.

Doch, darf wohl ein Profaner sich entblöden,
Olympia, von dem, was du gesehn, zu reden?
Der Arme, dem das Heiligthum der Kunst
Stets unzugangbar blieb! Dem, ach! aus tiefer Ferne
Dieß Alles nur in blauem Dunst,
Traumähnlich oder gar gleich einem Nebelsterne,
Gespenstern gleich, die im Erscheinen fliehn,
Geahnet nur, ach! nicht gesehn, erschien!
Ihm ziemt es, mit religiösem Schweigen
Sich vor der Glücklichen zu beugen,
Die bis ins Heiligste der ew'gen Tempel drang,
Der höchsten Kunst der Neuern und der Alten,
Mit eignen Augen sah die göttlichen Gestalten,
Mit eignem Ohr den himmlischen Gesang
Der Musen hörte, Jahre lang
Mit Nektar und Ambrosia sich nährte
Und, als sie endlich — voll der Götterspeise, nicht

Gesättigt — wieder zu uns kehrte, Beim ersten Wiedersehn, aus ihrem Angesicht (Den Jüngern gleich, die Tabors Glanz verklärte) Von Allem, was ihr Aug' in jenem Götterlicht Gesehn, den Wiederschein in meine Seele strahlte Und, o! so ganz sie selbst, so ganz Olympia, Vor meinen Augen stand, wie sie —Angelika, Der Grazien vierte Schwester, malte!

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Ihr holde Drei, nehmt meinen Dank dafür,
Daß ihr Olympien und unser Glück in ihr
Uns wieder gabt! —Und wenn, was ich von euch gesungen,
Und wenn um eueren Altar
Ein Blumenkranz von mir geschlungen
Euch je nicht ungefällig war,
So hört mich jetzt! —Laßt die Erinnerungen
Aus jenem schönen Doppeljahr
Gleich Platons göttlichen Ideen
In einem ew'gen Traum vor ihrer Seele stehen!
Sein Zauber wirke stets auf ihre Phantasie,
Belebe stets ihr Herz, erneue
Mit jedem Morgen sich und streue
Nicht eignen Reiz auf Alles um sie her.
So, holde Grazien, geleitet sie durchs Leben,
Und (meinem kleinen Ich sein Recht nicht zu vergeben)
So laßt, in Belvedere's Hain,
Auch mich von Allem dem noch lange Zeuge seyn!