C. M. Wieland's Werke.
Zehnter Band.
Erster Gesang.
Der Klosterstand, wovon Pythagoras Den blinden Heiden schon ein Mütterlein gegeben, Hat seinen Werth, so gut (zum mindsten) als — ein Leben In Diogens berühmtem Lagerfaß. Wenn gleich nicht Alle propagiren, Seyd unbesorgt, das menschliche Geschlecht Stirbt drum nicht aus. — Doch fordert man mit Recht, Des inneren Berufs sich erst zu überführen, Bevor ein Menschensohn das kühne Wagstück wagt Und Allem, was in Kopf und Herz und Nieren Uns zweigebeinten federlosen Thieren Diesseits des Monds am meisten wohl behagt, Durch einen derben Schwur entsagt, Um all sein Leben lang, bei wohl verschloss'nen Thüren, Zu fasten und zu psalmodiren. |
Beruf, Beruf! darauf kommt Alles an! Der fehlte nun — sagt uns ein altes Mährchen — Zum Unglück just dem lieben frommen Pärchen, Wovon ich euch, so gut ich weiß und kann, Erzählen will, was sich in jenen Tagen |
Ein frommes klösterliches Pärchen, Er, Bruder Sixt, sie, Schwester Clärchen, Noch beide jung und schön und zart Und fromm und gut nach deutscher Art, Kurz, recht geschaffen für einander, Wie ehmals Hero und Leander, Und (was ich nicht verschweigen muß) Der Künste, die Ovidius De Arte lehrt, so unerfahren, Als nie ein Paar von achtzehn Jahren: Dieß gute Paar — erschrecket nicht! Sie glaubten nicht daran zu fehlen, Die armen argwohnlosen Seelen! Sie — liebten sich und nannten's Pflicht. Sixt sah die junge Schwester gerne, Die Schwester sah den Bruder gern, Und ihre schönen Augensterne Gestanden's frei, doch nur von fern. Sie fühlten, sich so anzusehen, Ihr könnt nicht glauben welche Lust: |
Bei dieser Lust sich vorzusehen, Fiel, bloß aus Unschuld, keinem ein. Wie kann darin was Böses seyn? Denkt: junges Volk. — So pflegt's zu gehen! Das süße Gift der Liebe schleicht, Wie eitel Nektar, glatt und leicht, Ins Herz hinab; allein die Wehen, Die Wehen, Kinder, folgen nach. Da geht's euch wie Dionens Knaben, Als ihn, versteckt im Honigwaben, Ein Bienchen in den Finger stach. Des Busens wollustreiches Dehnen, Dieß dunkle namenlose Sehnen, Wird unvermerkt zum stumpfen Schmerz. Euch preßt, ihr wißt nicht was, das Herz, Im trüben Auge schwimmen Thränen; Von eurem Lager flieht die Ruh', Ihr ruft zur Stillung eures Kummers Umsonst den holden Gott des Schlummers Und schließt die Augen schlaflos zu. Ein innerlich verzehrend Feuer Leckt euer jugendliches Blut; An eurer Leber nagt der Geier Des Tityus, der niemals ruht; Wie Rosen in der Mittagsglut, Welkt ihr dahin, wie auf den Matten |
Dieß war der jammervolle Stand, Worin sich unser Paar befand. Denn, ach! sich lieben und nicht sehen Und, sieht man sich, durch Blicke nur Einander, was man fühlt, gestehen, Ist mehr, als menschliche Natur Ertragen kann! — Nur ein Mal, nur Auf ihre Hand, den Mund zu drücken (Seufzt Bruder Sixt), o welch Entzücken! Nur ihre Hand an meine Brust: Mein Leben gäb' ich drum mit Lust! |
Wie gern erhörte Schwester Clärchen, Du lieber armer Bruder Sixt, Den Wunsch, den du zum Himmel schickst! Sieh, zum Beweis, das helle Zährchen, Das aus den Augen — stets nach dir Mit reiner herzlicher Begier Gerichtet — auf die Leinwand bebt, Die sich von ihren Seufzern hebt. Wie gerne hätt' er diese Zähre Vom weißen Kragen weggeküßt! In meinen Augen, daß ihr's wißt, Macht Sixten diese Schwachheit Ehre. Ein Mensch, der doch kein Engel ist, Kann, traun! um kleinern Sold nicht minnen. |
Wie wird's den armen Seelen gehn! Verhaltne Liebe, sagt Galen (Sagt's oder hätt' es sagen sollen), Je mehr wir sie verbergen wollen, Je tiefer frißt sie sich ins Herz. Ihr Schmerz ist ein zu süßer Schmerz, Als daß man gleich an Heilung dächte; Und wenn man dann geheilt seyn möchte, So ist's zu spät. Dieß sehen wir An Bruder Sixt und Schwester Clare. Schon drei äonenlange Jahre, Unglückliche, bekämpfet ihr Natur und Herz, Casteien, Beten, Die Geißel und das härne Kleid Habt ihr versucht, den Feind zu tödten: |
Zum Unglück' ist, zumal bei Claren, Der Sitz des Uebels — nicht im Fleisch. Sie ist so neu, so unerfahren Und liebt so schön, so engelkeusch! Für sie nur schlimmer! Denn, je reiner Des Nönnchens Seele ist, je feiner Sie denkt und fühlt, je minder läßt Durch Geißeln, Wachen, Fasten, Beten, Solch eine Neigung sich ertödten. Im Tempel selbst, am höchsten Fest, Schwebt Sixtens liebes Bild ihr immer Vor ihrer Stirn! Im Speisezimmer, In jedem Kreuzgang, jedem Saal, An jeder Wand hängt's überall Gemalt, geschnitzt, mit einem Schimmer Von Gold ums Haupt. Ihn muß sie sehn, Wohin sich ihre Blicke lenken, Muß mit ihm auf und nieder gehn, Muß von ihm träumen, an ihn denken, Und träumte sie vom Himmelreich. Kurz, was in Clärchen leibt und lebet, Ist durch und durch mit ihm verwebet, Und ihm sehn alle Heil'gen gleich. |
Eh könnte sie sich selbst verlieren, Als dem geliebten Bild entfliehn. Vertieft sie sich im Meditiren, |
O sagt, die ihr die Liebe kennet, Ist euch um Clärchens Herz nicht bang? Ein Herz, das so wie ihres brennet, Wenn Schicksal, Mauern, Klosterzwang Und Schwur den Liebling von ihr trennet, Laßt seine Liebe noch so rein, Laßt seine Seufzer Engel seyn, Zu bald wird die Natur es rächen! Die schwärmerische Seelenglut Entflammet bald sein junges Blut, Und reinste Liebe wird zu Wuth, Wenn Trost und Hoffnung ihr gebrechen. |
Wie kann sie von Entbehrung leben? Sie will genießen, was sie liebt, Und Küsse, die sie träumend gibt, Will sie zuletzt auch wachend geben. |
Ihr sprecht: in stillen Liebesthränen Ist Wollust; — wahr! doch sagt, was ist |
Allein, wenn jeder Wunsch des Herzens, Auf ewig unbefriedigt bleibt; Wenn jede Nacht den Grad des Schmerzens, Die Pein der Sehnsucht höher treibt; Wenn sich in brünstigem Verlangen Die Arme aufthun, liebevoll, Und einen Schatten stets umfangen: Sagt, wie ein Herz nicht brechen soll? Wer wünschte nicht, ein Marterleben, Das nur verlängert wird zur Pein, Dem, der es gab, zurück zu geben? |
Bald ausgespannt, bald frei zu seyn, Ist nun auch Clärchens Trost allein! Da sitzt bei mattem Lampenschein Das arme Kind in seiner Zelle, Blaß, wie bei düstrer Mondeshelle Ein Geist auf einem Leichenstein. Vertrocknet ist der Thränen Quelle; Auf einen Todtenkopf den Blick Geheftet, bebt sie nicht zurück Vor dem Gedanken, bald zu sinken Ins kühle Grab, die Ruhestatt Des Müden, der vollendet hat, Der Leiden bittern Kelch zu trinken. Sie sieht, mit Palmen in der Hand, Ihr aus den Wolken Engel winken, |
So schwärmt die kranke Phantasei In Clärchens sanfter schöner Seele, Stets sanft und zärtlich, — wie im Mai Die stille Nacht durch Philomele Um den geraubten Gatten weint. |
Ganz anders wirkt die Fieberhitze In ihrem unglücksel'gen Freund. Wild springt er auf vom harten Sitze, Umarmt in glüh'nder Raserei Ein Crucifix — (er wähnt, es sey Der Abgott seiner Seele)— drückt Mit tausend liebestrunknen Küssen Es an sein schlagend Herz, — erblickt Mit kaltem Schau'r, was er gethan, Und stürzt betäubt dem Gott zu Füßen Und fleht um einen Blitz ihn an! |
Die ihr, von frommem Wahn geblendet, Den Arm zu Molochs-Opfern bebt, O Väter, eh' ihr sie vollendet, Betrachtet dieses Bild und bebt! |