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Kapitel 

C. M. Wieland's Werke.

Neunter Band.

Vierzehntes Capitel.

Was Danischmend dazu sagt.

Da der Kalender seinen Satz sattsam ausgeführt zu haben glaubte, so schwieg er nun und erwartete, was Danischmend dagegen einzuwenden haben würde. Aber Danischmend liebte das Disputiren nicht halb so viel, als der Kalender.

Soll ich dir sagen, was ich von der Sache denke? sprach er. Fürs Erste sag' ich: Der weise Mann, der vor übergroßer Weisheit nicht alles Gute thut, wozu er Gelegenheit hat, ist, nach meinem Wörterbuch, ein kalter, selbstischer, feigherziger Schurke; und hierin, hoffe ich, sind wir einverstanden."Das denk' ich," sagte der Kalender, ein wenig erröthend.Sodann, was die Enthusiasten betrifft, fuhr Danischmend fort, so gesteh' ich dir, daß dieß eine Gattung von Sterblichen ist, die ich vielleicht besser kenne, als irgend eine andere. Ueberhaupt läßt sich viel Böses von ihnen sagen; es ist ein ergiebiges Gemeinplätzchen. Aber, da dießmal die Rede bloß von den Enthusiasten der Tugend, von den Eiferern für die Rechte und Vortheile der Menschheit war; so hast du, denk' ich, mehr Böses und weniger Gutes von ihnen gesagt, als recht ist. Ich berufe mich auf die Geschichte, wie du, wenn ich behaupte: daß das menschliche Geschlecht dieser Art von Enthusiasten Alles, was von Vernunft, Tugend und Freiheit noch auf dem Erdboden übrig ist, zu danken hat. Dieß Alles ist sehr wenig, wirst du sagen. Aber, so wenig es seyn mag, für uns ist es unendlich viel; denn dieß Wenige macht, daß wir Menschen und keine Orang-Utangs oder noch was Aergeres sind.Aber, sprichst du, sie zerrütten die Welt, indem sie einen Feind bekämpfen, der nicht auszurotten ist, und sie selbst werden oft das Opfer ihres schwärmerischen Heldenmuths. Denn edler und preiswürdiger sind sie, für die Sache der Menschheit keine Gefahr zu scheuen und großmüthig ihr

Vergnügen, ihre Ruhe, ihr Leben selbst auf ein Spiel zu setzen, wobei gemeiniglich nur die Andern die Gewinnenden sind. Und wenn der hitzige Krieg, den sie zu unserm Besten mit den Feinden der Menschheit führen müssen, nicht immer ohne gewaltsame Erschütterungen abläuft, ist es ihre Schuld? Das Böse, wozu sie wider ihren Willen den Vorwand oder die Veranlassung gegeben, ist das Werk der Bösen; das Gute hingegen, das sie hervorbringen, ist ihr eigenes Werk: aber jenes ist vorübergehend; dieses fortdauernd und unermeßlich durch die wohlthätigen Folgen, die es über das menschliche Geschlecht verbreitet.Es ist wahr, sie fehlen zuweilen in der Wahl der Mittel; aber dieß beweiset nur, wie nothwendig es ist, daß sie mit den Weisen in gutem Vernehmen stehen: diese sollen untersuchen und entwerfen, jene ausführen. Vereinigt können sie Alles; getrennt sind sie immer in Gefahr, das zu seyn, wofür du sie ausgegeben hast, Memmen und Narren.Auch die Virtuosen — wie du eine der besten Menschenarten nennest —sind so unnützlich nicht, als du dir einbildest: und wenn sie der Welt auch keinen andern Dienst erwiesen, als daß sie gleichsam die Bewahrer jener Jdeale des Schönen und Guten, jener unvergänglichen Bilder der Vollkommenheit, sind, die den kostbarsten Schatz der Menschheit ausmachen; ist dies nicht genug, um sie in den Augen eines Weisen wenigstens so ehrwürdig zu machen, als es der Hüter des heiligen Grabes zu Mekka in den Augen der Muselmänner ist?

Aber wie kommt es, Freund Kalender, daß du einer Classe von guten Menschen vergessen hast, deren Dasein dir doch unmöglich hat verborgen bleiben können, da sie ganz gewiß zahlreicher ist, als eine von den dreien, in welche du die Guten vertheilt hast?"Du meinst doch wohl nicht diese Leute von tugendlichem Temperament? diese guten Seelen, die es bloß darum sind, weil sie keine Versuchung oder nicht Muth genug in sich fühlen, Böses zu thun?"Glückliche Schwäche! rief Danischmend, glückliches Temperament, das den Menschen, zu seinem und seiner Mitgeschöpfe Besten, unfähig macht, verkehrt und übelthätig zu seyn! Nenn' es immer Temperament, oder was du willst; — genug, es gibt Menschen, die, durch eine angeborne Richtigkeit, der Natur getreu bleiben, redlich gegen alle andre Menschen gesinnt sind, das Wahre fühlen, das Gute thun, ohne sich den Kopf darüber zu zerbrechen, warum es wahr und gut ist, und ohne jemals die unendlich feinen Schwierigkeiten gesehen zu haben, die den Metaphysiker martern, wenn er die Grenzlinien des einen und des andern haarscharf durch alle die labyrinthischen Krümmungen und Verwicklungen der Natur, der Nothwendigkeit, des Zufalls und der menschlichen Anordnungen ziehen will.Diese Art von Menschen ist unter den unverfeinerten Classen der polizirten Völker und unter den rohen Kindern der Natur, die wir Barbaren und Wilde nennen, viel zahlreicher, als man glaubt; und wenn du auf deinen Wanderungen so unglücklich gewesen seyn solltest, keinem davon in

den Wurf gekommen zu seyn, so mache dich mit dem Völkchen bekannt, unter dem ich hier lebe. Es wird vielleicht mehr beitragen, dich mit der menschlichen Natur auszusöhnen, als Alles, was ich zu ihrer Vertheidigung sagen könnte."Oder mich wenigstens in den Gedanken bestärken, erwiederte der Kalender, daß die Menschen desto besser sind, je mehr sie sich dem Stande nähern, wo der Instinct die Stelle der Vernunft, der Gesetze und der übrigen künstlichen Maschinerien vertritt, wodurch man sie verschlimmert hat, indem man sie verfeinern wollte; kurz, daß sie desto besser sind, je mehr sie — in ihrer Art versteht sich — den übrigen Thieren gleichen."Freund Kalender, sagte Danischmend ein wenig unmuthig, es ist etwas in deinen Begriffen, das alle Augenblicke wider die meinigen anprallt. — Aber —fuhr er fort, indem er sich sogleich wieder zusammenraffte — wir können und sollen nicht alle durch ein und ebendasselbe Schlüsselloch in die Welt gucken. Vergib mir; ehrlicher Alter! Ich hatte Unrecht, zu vergessen, daß du schon über dreißig Jahre ein bloßer Zuschauer und ein Kalender bist.

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