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Kapitel 

C. M. Wieland's Werke.

Neunter Band.

Eilftes Capitel.

Ein ehevertrauliches Gespräch zwischen Danischmend und Perisadeh.

Als Danischmend und Perisadeh sich wieder allein befanden, —— Sie sehen, meine Freunde, ich erlasse Ihnen den Rest der Unterredung bei Tische, und wie man einander gute Nacht wünschte, und die Beschreibung des Schlafzimmers, welches dem Kalender angewiesen wurde, und die

Beschreibung einer schönen jungen Sklavin, die ihm Wasser brachte und schon wieder verschwunden war, da er sie eben mit einiger Aufmerksamkeit ansehen wollte, u. s. w. — und dieß ist immer sehr höflich von einem Schriftsteller, der bei gutem Muth ist und etliche Buch schönes weißes Papier und ein Duzend schon zugeschnittene starke Gänsekiele vor sich liegen hat —Als, sage ich, Perisadeh und Danischmend (zu großer Erleichterung der erstern) sich wieder allein befanden, erfolgte etliche Minuten lang eine tiefe Stille."Dieser Kalender ist mein Mann nicht," sagte endlich Perisadeh, indem sie ihr leichtseidnes rosenfarbnes Untergewand herabschlüpfen ließ.Ich wollte auch nicht, daß er's wäre, antwortete Danischmend."Eine Frau wäre unglücklich bei einem solchen Manne, fuhr sie fort: wie könnt' ein Mann, der so denkt, ein zärtlicher Vater seyn?"Mit einer solchen Art zu denken, Perisadeh, wird man ein Kalender — oder ein Bösewicht."Ich fürchte, wir haben einen schlimmen Menschen unter unserm Dache, mein Lieber."Besorge nichts, Perisadeh; er ist nicht so arg, als er sich macht. Und dann ist er ja ein Kalender!"Ich bin diesen Leuten nie gut gewesen."Ich auch nicht. Aber ein Kalender kann so denken, wie dieser, ohne daß er darum ein schlimmerer Mann ist, als tausend andere.

"Nichts so sehr lieben, daß seine Ruhe dabei in Gefahr käme? — Begreifst du das, Danischmend? Was nennt der Mensch lieben?"Wir müssen ihn nicht nach uns beurtheilen, meine Beste, wenn wir ihm nicht Unrecht thun wollen. Der Mann trägt sein Herz in seinem Kopfe."Ich kann nicht glauben (fuhr Perisadeh fort), daß ein Mensch desto besser sey, wenn er so wenig Bedürfnisse hat. Ich wenigstens schäme mich nicht, zu gestehen, daß ich ohne dich und unsre Kinder keinen Augenblick leben möchte. Und wenn ich jetzt denken müßte, daß ein einziges menschliches Geschöpf in unserm Hause unglücklich wäre; ich könnte keine Ruhe haben. Das Glück der Menschen, die um mich sind, ist ein Bedürfniß für mich."Wie Sie sehen, war die gute Perisadeh, mit aller ihrer Zärtlichkeit und Güte des Herzens, eine kleine Egoistin. Allein dieß konnte nicht anders seyn. Wir haben es schon gesagt, sie war eine bloße kunstlose Tochter der Natur.Danischmend liebte sie nur desto mehr darum.Was Perisadeh eben gesagt hatte, eröffnete zwischen ihnen eine von diesen interessanten — aber nur für die redenden Personen interessanten Dialogen, die sich in keine Wörtersprache übersetzen lassen. Man könnte sie unmittelbare Seelengespräche nennen, wenn es in unserm gegenwärtigen Zustande möglich wäre, daß Seelen sich einander, ohne durch ein materielles Medium zu gehen, mittheilen könnten.Aber eben darum, weil dieß nicht angeht; rathe ich einem Jeden, der viel Seele hat und unter vier Augen mit einer

Freundin unvermerkt in eine so interessante Unterredung geräth, daß die gewöhnliche Sprache unter der Gewalt ihrer beiderseitigen Empfindungen einsinkt, — wofern die Freundin nicht, zum Glücke, seine eigene Frau ist, so rathe ich ihm, daß er von dem Augenblick an, da er merkt, daß seine besagte Seele alle ihre Kräfte zusammenrafft, um durch ihren Leib, wie durch eine zwischen ihr und der Seele aufgemauerte Scheidewand, durchzubrechen, — auf allen seinen Beinen so hurtig davon laufe, als er kann, — wenn es anders, wie ich besorge, nicht schon zu spät ist.

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