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C. M. Wieland's Werke.

Sechster Band.

Sechstes {Kapitel.}

Neue Kunstgriffe des Alcibiades. Eine Philippika gegen das männliche Geschlecht, als eine Probe der Philosophie der schönen Aspasia.

Da dem Leser wenig daran gelegen seyn muß, wie oft Danae in ihrer Erzählung entweder durch die Zwischenreden ihres Zuhörers oder durch irgend einen andern Zufall unterbrochen worden: so glauben wir am besten zu thun, wenn wir annehmen, als ob sie niemals unterbrochen worden sey, und sie so lange fortreden lassen als es ihr beliebt; einbedungen, daß wir nicht verbunden sind, ihr länger zuzuhören, als sie uns interessiren wird.Alcibiades (fuhr sie fort) empfand es sehr hoch, nicht allein, daß ihm sein Anschlag auf die junge Danae, die er als sein rechtmäßiges Eigenthum ansah, mißlungen war — denn dieß hätte sich wohl leicht wieder gut machen lassen, dachte er — sondern daß es auf eine Art geschehen war, die, wenn er auch hoffen könnte nicht die Fabel von ganz Athen dadurch zu werden, ihn wenigstens in seinen eignen

Augen herabsetzte. Er glaubte sich an Danaen nicht besser dafür rächen zu können, als indem er ihr eine Gleichgültigkeit zeigte, die ihr, wofern sie sich jemals geschmeichelt hätte sein Herz gerührt zu haben, auch nicht den Schatten einer solchen Einbildung übrig ließe.Zu diesem Ende entführte er, so öffentlich und mit so vielem Geräusch als nur immer zu machen möglich war, eine junge Sklavin der Aspasia, die (außer einem vortrefflichen Ansatz zur Ausgelassenheit) nichts hatte, was die ungeheure Leidenschaft, die er für sie affectirte, rechtfertigen konnte, als eine sehr mittelmäßige Stimme und einiges Talent zur Pantomimik. Seine Absicht dabei war, Aspasien und ihre junge Freundin recht empfindlich zu kränken, indem er diese kleine Creatur zu der bewundernswürdigsten Person von Griechenland machte, oder wenigstens die Welt beredete daß sie es sey. Da er schon lange im Besitz war in allen Sachen den Ton anzugeben; da er einen ganzen Hof von Freunden, Schmeichlern und Parasiten um sich hatte, die sich ohne Bedenken zu blinden Werkzeugen aller seiner Einfälle gebrauchen ließen; da er, um eine Absicht, so unbedeutend auch ihr Gegenstand seyn mochte, durchzusetzen, keine Mühe zu groß, keinen Aufwand zu kostbar, kein Mittel zu ausschweifend fand: so gelang es ihm auch, wiewohl mit vieler Mühe, die kleine Pannychis auf etliche Augenblicke zum Abgott der Athener zu machen. Aber der Triumph, Aspasien und ihre junge Freundin dadurch so sehr zu demüthigen als er sich geschmeichelt hatte, wurde ihm durch die unbegränzte Gelehrigkeit der letztern gegen die Anweisungen der erstern vereitelt.

Um so aufrichtig zu bleiben als ich bisher in meiner Erzählung gewesen bin, darf ich nicht verbergen, daß die junge Danae das muthwillige Vergnügen, dem Alcibiades einen kleinen Streich gespielt zu haben, durch die Eindrücke, welche diese Scene in ihrem Gehirne zurückließ, weit über seinen Werth bezahlen mußte. Sobald sie allein war, drangen sich die verführerischen Bilder ihrer Einbildung auf. Ein beunruhigender Vorwitz machte sie lüstern, zu wissen was daraus erfolgt seyn möchte, wenn sie dem Alcibiades mehr Gelehrigkeit gezeigt hätte. Sie erröthete vor sich selbst, wie sie sich bei dem Wunsch ertappte, noch einmal eine solche Gelegenheit zu bekommen; aber es war nicht in ihrer Gewalt — und in der That wandte sie auch keine große Gewalt an — diesen Wunsch zu unterdrücken. Das Bild des Alcibiades stellte sich ihr von dieser Zeit an mit so lebhaften Farben, mit so besiegenden Reizungen dar, daß die Ruhe ihres Herzens darunter zu leiden anfing. Urtheile selbst, wie empfindlich es ihr, in einer solchen Lage des Gemüths, seyn mußte, sich um eine Pannychis verachtet und verlassen zu sehen! Ohne Aspasiens Beistand würde sie viel zu schwach gewesen seyn, dem Verräther ihren Schmerz darüber zu verbergen; zumal da selten ein Tag vorbeiging, ohne daß er gekommen wäre, um sie mit Beweisen seiner vollkommensten Gleichgültigkeit und mit Abschilderungen der unendlichen Reizungen ihrer Nebenbuhlerin und seiner Leidenschaft zu quälen.Aber Aspasia, die das Vertrauen, womit ihr Danae ihr Innerstes aufzuschließen pflegte, nicht nöthig hatte, um jede Bewegung ihrer Seele wahrzunehmen, kam ihr noch zu rechter

Zeit zu Hülfe. Da sie bald entdeckte, daß die Krankheit ihrer jungen Freundin mehr in der Einbildung als im Herzen ihren Sitz habe, so schien ihr die Cur desto leichter zu seyn: und, wiewohl das Mädchen die Offenherzigkeit nicht völlig so weit gegen sie trieb als gegen sich selbst; so glaubte sie doch zu sehen, daß die Erhitzung ihrer Phantasie und die Empfindlichkeit ihrer beleidigten Eigenliebe einem jeden liebenswürdigen Manne, der sich den Augenblick zu Nutze zu machen wüßte, zu Statten kommen, und ihr wenigstens Stärke genug geben würde, der Gleichgültigkeit des Alcibiades so viel Kaltsinn entgegen zu setzen, als vonnöthen wäre, um ihn über seine abermals fehlgeschlagene und so theuer erkaufte Erwartung zur Verzweiflung zu bringen.Ariochus, ein junger Mann, der in jeder Betrachtung niemand als den Alcibiades über sich sah, und auch diesem (wiewohl er einer von seinen Freunden war) ungern den Vorzug eingestand, war der Mann, durch den sie ihre Absichten am gewissesten zu erreichen hoffte. Er hatte für Danaen vom ersten Anblick an eine heftige Leidenschaft gefaßt, welche durch den Widerstand, den er in ihrem Vorurtheile für seinen Freund gefunden, nur desto heftiger geworden war. Zwanzig andere befanden sich ungefähr in dem nämlichen Falle: aber Alcibiades hatte sie alle in einer gewissen Entfernung gehalten. Sein Abenteuer mit der Tänzerin Pannychis erneuerte ihre Ansprüche. Der Gedanke, diesen ganzen Schwarm von Rivalen zu zerstreuen, und den Alcibiades selbst — der, seiner Gewohnheit nach, seinen Sieg über Danae's Herz für vollständiger ausgegeben hatte als er war — aus ihrem Andenken

auszulöschen, däuchte dem schönen Ariochus würdig alle seine Reizungen gegen die nichts übels besorgende Danae aufzubieten.Aspasia, deren Verwandter er war, unterstützte seine Hoffnungen; und Danae, ohne sich selbst das was in ihr vorging recht entziffern zu können, rechtfertigte in kurzem die Vermuthungen ihrer weiseren Freundin. Ohne das Geringste von diesen zärtlichen Regungen, die allein des Namens der Liebe würdig sind, für Ariochus zu empfinden, fühlte sie sich unvermerkt von den Reizen seiner Person getroffen: und wiewohl sie den Vorsatz nicht hatte, ihm Aufmunterungen zu geben, so neigte sich doch ihr williges Ohr zu seinen verliebten Beschwörungen, und ihr Auge verweilte mit Vergnügen auf seiner Gestalt, welche — den unerklärbaren Zauber, der dem Alcibiades eigen war, ausgenommen — als Statue betrachtet, von vielen der seinigen selbst vorgezogen wurde. Ohne voraussehen zu wollen, wohin diese Sorglosigkeit sie führen könnte, überließ sie sich dem angenehmen und ihr neuen Spiele des Instincts und der Eitelkeit, welche sich vereinigten, sie über den Verlust eines Liebhabers zu trösten, dessen Betragen die hassenswürdige Abschilderung, welche ihr Aspasia von ihm gemacht hatte, so sehr zu rechtfertigen schien.Ariochus schmeichelte sich, mit jedem Tag einen neuen Vortheil über Danae's Herz erhalten zu haben, und wurde, mit aller Kenntniß unsers Geschlechts (eines Zweiges von Gelehrsamkeit, worauf er sich viel zu Gute that), nicht gewahr, daß er alle diese vermeintlichen Vortheile nicht sich

selbst, sondern ganz allein eben diesem Alcibiades, den er verdrängt zu haben glaubte, zu danken hatte. Indessen würde er vielleicht am Ende durch den Irrthum der von sich selbst betrognen Danae glücklich geworden seyn, wenn Aspasia nicht abermal die Stelle ihres guten Genius vertreten hätte. Diese außerordentliche Frau wachte zu eben der Zeit, da sie ihre Untergebene auf die schlüpfrigen Wege leitete, wo die Unschuld bei jedem Schritte in Gefahr ist auszuglitschen, über jede ihrer Bewegungen, und bediente sich aller Scharfsichtigkeit, die ihr ein durchdringender Geist und eine große Kenntniß des Herzens gab, sie vor Fehltritten zu bewahren. — Warum, o Agathon! warum mußte jemals der Augenblick kommen, wo die vereinigten Verführungen des Herzens, da Einbildung und der Sinne die Wirkung ihrer Lehren unkräftig machten!"Die Männer, sagte Aspasia zu ihr, haben aus einer angemaßten Machtvollkommenheit; fur welche sie nicht den mindesten Titel aufweisen können, die ungerechteste Theilung mit uns gemacht, die sich denken läßt. Nicht zufrieden, uns von allen andern wichtigen Geschäften auszuschließen, haben sie sich sogar der Gesetzgebung einseitig bemächtiget, sie gänzlich zu ihrem eignen Vortheil eingerichtet, uns hingegen tyrannischer Weise genöthiget, Gesetzen zu gehorchen, zu denen wir unsre Einwilligung nicht gegeben haben, und die uns beinahe aller Rechte vernünftiger und freigeborner Wesen berauben. Nachdem sie alles gethan was nur immer zu thun war, um uns des bloßen Gedankens einer Empörung gegen ihre unrechtmäßige Herrschaft unfähig zu machen, sind sie unedelmüthig genug, unsrer Schwäche, die ihr Werk ist, noch zu spotten;

nennen uns das schwächere Geschlecht; behandeln uns als ein solches; fordern zum Preis alles Unrechts, das wir von ihnen leiden, unsre Liebe; wenden alle nur ersinnlichen Verührungen an, uns zu überreden, daß sie ohne uns nicht glücklich seyn können; und bestrafen uns gleichwohl dafür, wenn wir sie glücklich machen. Doch in diesem einzigen Punkte find' ich sie lobenswürdig. Wir verdienen bestraft zu werden, wenn wir blöde genug sind, die Feinde unsrer Ruhe, die Tyrannen unsers Lebens, die Räuber unsrer angebornen Rechte zu lieben. Warum fühlen wir nicht die Vortheile, die uns die Natur über sie gegeben hat? Warum bedienen wir uns derselben nicht? Wir sollten das schwächere Geschlecht seyn? Sie das stärkere? Die lächerlichen Geschöpfe! Wie fein steht es ihnen an, mit ihrer Stärke gegen uns zu prahlen, da die schwächste aus unserm Mittel es in ihrer Gewalt hat, ihre Helden, ihre eingebildeten Halbgötter selbst, mit einem lächelnden oder sauren Blick zu ihren Füßen zu legen! In der Güte unsers Herzens liegt unsre Schwäche; die schönste unserer Tugenden ist es, die uns von den Unverschämten zum Verbrechen gemacht wird. — Sie das stärkere Geschlecht? Wo ist eine Fähigkeit, ein Talent, eine Kunst, eine Vollkommenheit, eine Tugend, in der sie nicht weit hinter uns zurückblieben? An Schönheit, an Reiz, an feinem Gefühl, an Behendigkeit und Feuer des Geistes, an Großmuth, sogar an Entschlossenheit und Standhaftigkeit, übertreffen wir sie unläugbar; — und ich möchte den Mann sehen, der den Muth hätte zu thun oder zu leiden, was eine Frau zu thun oder zu leiden fähig ist. Unter welchem Geschlechte haben wir die meisten und

außerordentlichsten Beispiele von Thaten, die nur eine große Seele unternehmen kann? und alle diese Vorzüge — sind gleichwohl nur der Ueberrest dessen, was sie uns genommen haben! Aller Hülfsmittel zur Vervollkommnung, so viel an ihnen liegt, beraubt, haben wir nichts, als was uns die Tyrannen nicht nehmen konnten; und dieß beweis't was wir seyn würden, wenn die Erziehung, die sie uns geben, die Vorurtheile, womit sie uns fesseln, der Cirkel von Kleinigkeiten, in den sie uns einsperren, die Entwicklung und den freien Schwung unsrer Fähigkeiten nicht verhinderte. — Aber unsre Tyrannen haben uns zu bloßen Werkzeugen ihres Vergnügens herabgewürdiget. Sie fürchteten die Macht unsrer Reizungen, wenn sie durch die Vollkommenheiten des Geistes unterstützt würden; sie fühlten, daß es ihnen alsdann unmöglich seyn würde eine Herrschaft zu behaupten, zu der sie, außer der Stärke ihrer Knochen, nicht das mindeste natürliche Vorrecht haben. Kurz, es ist ihnen gelungen uns zu unterjochen; und ihre Usurpation ist durch die Länge der Zeit zu sehr befestiget, als daß die wenigen unter uns, welche durch irgend einen günstigen Zufall zum Besitz ihrer natürlichen Vorzüge gelangen, daran denken könnten die Befreiung ihres Geschlechts zu unternehmen. Alles was uns also übrig bleibt, ist, daß jede, so gut sie kann, für sich selbst sorge: und wenn sie glücklich genug gewesen ist, es so weit als Aspasia zu bringen; warum sollte sie nicht geneigt seyn, jungen Personen ihres Geschlechts, die durch vorzügliche Gaben von der Natur zu einer edlern Rolle ausgezeichnet sind, durch Mittheilung einer vielleicht theuer genug erkauften Weisheit nützlich zu werden? zumal da ihr

kein andrer Weg, sich um ihre Gattung verdient zu machen, übrig gelassen ist?"Höre mich also, liebste Danae, fuhr sie fort, und sey versichert, daß das Glück deines Lebens von dem Gebrauch abhangen wird, den du von dem, was ich dir sage, machen wirst."Eine Person unsers Geschlechts, die sich mit dem zweideutigen Vorzuge begabt sieht, durch einen mehr als gewöhnlichen Grad von Liebenswürdigkeit die Augen der Männer auf sich zu heften, hat alle ihre Sorgen und Bemühungen auf den gedoppelten Zweck zu richten — sich selbst von diesen Herren der Schöpfung unabhängig zu erhalten, und so viel Gewalt über sie zu bekommen, als nur immer möglich ist. Zu dem letztern hat uns die Natur mit einer Art von bezauberten Waffen versehen, gegen welche alle ihre eingebildete Stärke und Weisheit ohne Wirkung bleibt. Hier ist der Vortheil ganz auf unsrer Seite. Aber unglücklicher Weise scheint sie, über der Sorge uns zum Angriff auf die Herzen unsrer Gegner zu bewaffnen, vergessen zu haben unsre eignen gehörig zu verschanzen. Die Vertheidigung, liebste Danae, ist unsre blinde Seite; und hier ist es, wo wir am meisten vonnöthen haben, den Fehler der Natur durch Kunst zu verbessern."Sehr reizbare Sinnen, eine warme, immer geschäftige Einbildung, und ein Herz voll sympathetischer zärtlicher Gefühle sind auf einer Seite das, was unsern größten Werth ausmacht, aber auf einer andern gerade das, was uns den Nachstellungen unsrer Feinde am gewissesten Preis gibt. Wundre

dich nicht, daß ich ein so hartes Wort gebrauche: nichts ist nöthiger, als daß du dich angewöhnest, dir die Männer unter diesem verhaßten Bilde vorzustellen. Eine junge Person ist durch die Güte und Aufrichtigkeit ihres eigenen Herzens nur zu sehr geneigt, jeden der ihr liebkoset für einen Freund anzusehen. Da sie, in glücklicher Eintracht mit der ganzen Natur, lauter wohlwollende Blicke um sich herwirft: woher sollte sie in einem Geschöpfe, dessen Annäherung ihr Herz in so angenehme Regungen setzt, dessen Worte sich so sanft in ihre Seele einschmeicheln, den Zerstörer ihrer Glückseligkeit argwohnen? Gleichwohl ist dieß die wahre Gestalt des gefallenden Betrügers; der, wenn unsre gutherzige Thorheit ihm nichts mehr zu wünschen übrig gelassen hat, von der Person, die er vorstellte, da ein einziger Hoffnung gebender Blick ihn in Entzückung setzen konnte, so verschieden ist, als es zwei Wesen von ganz verschiedner Gattung nur immer seyn können."Die sichersten Mittel, unser Herz gegen ihre Berührungen zu bewahren, sind — wenn wir sie so gut kennen lernen, daß sie uns keine Hochachtung einflößen können; denn dieß ist doch gewöhnlich die Empfindung, unter deren Schutz sie unsre Liebe erschleichen; — wenn wir eine große Meinung von der Würde unsers eignen Geschlechts und eine geringe von dem ihrigen fassen; — wenn wir ihre anmaßlichen Vorzüge auf ihren wirklichen Werth heruntersetzen, und einsehen lernen, daß es der Gipfel der Thorheit wäre, sie für die Vortheile, die sie von unsrer Unterdrückung ziehen, noch belohnen zu wollen; — wenn wir, anstatt uns selbst über die Quelle

ihrer vorgeblichen Empfindungen für uns zu verblenden, aufrichtig genug sind uns zu gestehen, daß es bloß die Befriedigung ihrer Begierden oder ihrer Eitelkeit ist, was sie bei uns suchen; — wenn wir, ohne uns alberner Weise der Natur zu schämen, uns selbst über diesen Punkt eben so viel Gerechtigkeit widerfahren lassen als ihnen; — und endlich, wenn wir durch Beschäftigungen und Zerstreuungen die Schärfe unsrer Empfindlichkeit stumpfer zu machen suchen, und, indem wir unser Gemüth auf einmal so vielen und mannichfaltigen Eindrücken, als nur immer möglich ist, aussetzen, verhindern, daß kein besonderer Gegenstand sich unsrer ganzen Empfindlichkeit bemächtige."Die 'Belohnung, die uns für das Beschwerliche dieser Wachsamkeit über unser Herz entschädigt, und uns die angenehmen Täuschungen, deren wir uns berauben indem wir der Liebe entsagen, reichlich ersetzt, ist das Vergnügen, uns durch das Verdienst unsers eignen Betragens in alle Vorrechte unsers Geschlechts eingesetzt zu sehen. Denn je weniger Gewalt wir unsern Verehrern über unser Herz gestatten, je größer ist diejenige, die wir über das ihrige erlangen. Ich setze zum voraus, was sich von selbst versteht, daß wir nie zu viel Reizungen und Talente, nie zu viel Eigenschaften haben können, wodurch wir anlocken, gefallen, bezaubern, uns den Reiz der Neuheit geben, und durch die Mannichfaltigkeit und Größe der Vortheile, die sie in unserm Umgang finden, uns ihnen unentbehrlich machen können. Die ganze Theorie, von der ich dir spreche, ist nur für die Danaen und ihresgleichen gemacht. Aber außerdem, daß es uns ungleich leichter

als den Männern wird, in allen Dingen die Vollkommenheit zu erreichen, sollte der gedoppelte Vortheil, den wir durch Ausbildung unsers Geistes erhalten, nicht fähig seyn, uns auch die größten Schwierigkeiten, die damit verbunden seyn könnten, übersteigen zu helfen? Die Schönheit ist ein vorgeblicher Firniß, um den Vorzügen des Geistes und den Talenten einen höhern Glanz zu geben: aber nichts ist gewisser, als daß sie von ihnen mehr zurück empfängt als sie ihnen gibt; und daß die Vorzüge eines durch schöne Kenntnisse, Philosophie und Geschmack aufgeklärten, erhöhten und verfeinerten Geistes, verbunden mit den Reizungen eines schimmernden Witzes und eines gefälligen Umgangs, hinlänglich sind, um die unbedeutendste Figur über jedes belebte Venusbild, dem diese innere Quelle mannichfaltiger und nie veralternder Reizungen mangelt, triumphiren zu machen. Die Schönheit thut ihre stärkste Wirkung beim ersten Anblick, und verliert ihre anziehende Kraft in dem Maße, wie man mit ihr bekannter wird. Ueberdieß gibt es Stunden, Tage, ganze Perioden des Lebens, wo besondere Beschaffenheiten des Leibes oder der Seele — Sättigung — Launen — erschöpfte Lebensgeister — oder Sorgen und Unruhe des Gemüths — oder ernsthafte Geschäfte — oder der Frost des Alters, allem Zauder der Schönheit Trotz bieten. Vergebens berührt die schöne Circe den von Minerva mit einem Gegenmittel versehenen Ulysses mit ihrem Zauberstab, und befiehlt ihm die Gestalt anzunehmen die sie ihm geben will: unverwandelr bleibt Ulysses vor ihr stehen, und Circe ist für ihn keine Zaubrerin, sondern eine gemeine Frau. Aber sobald ihn die

Sirenen, unter feinen Schmeicheleien seiner Ruhmbegierde, zu Vergnügungen des Geistes einladen, ihm sagen, "daß sie alles wissen, was geschehen ist und geschehen wird:" — dann fühlt er einen unwiderstehlichen Hang, verliert alle Gewalt über sich selbst, und würde in die Wellen springen, um zu den Ufern dieser Seelenbezwingerinnen hinüber zu schwimmen, wenn seine Gefährten die Bande nicht verdoppelten, womit er an den Mast gebunden ist. Ich weiß nicht, ob Homer die Absicht hatte, unter diesen Bildern die Wahrheit anzudeuten, von der ich rede; aber dieß ist gewiß, daß sie sich nicht besser dazu schicken könnten, wenn er sie ausdrücklich dazu gewählt hätte. Die Schöne, welche, ohne darum weniger ein Gegenstand angenehmer Empfindungen zu seyn, den Verstand eines Liebhabers, oder — was im Grunde auf dasselbe hinaus kommt — eines Freundes zu interessiren weiß; die sich ihm durch ihren Rath in Geschäften, durch ihren Witz in Verlegenheiten, durch ihre Scherze in trübsinnigen Stunden, durch ergötzende Talente, wenn er belustiget, durch ernsthafte Gespräche, wenn er unterhalten seyn will, nothwendig machen kann; — die Schöne, die eine Schülerin und Gespielin der Musen ist, und von den Charitinnen die Gabe empfangen hat, Anmuth und Gefälligkeit über alles was sie sagt und thut zu gießen, —glaube mir, Danae, diese Schöne ist mehr Königin, als die oberste Sklavin des Despoten von Persien. Sie herrschet über die Herzen. Alles was Empfindung und Verstand hat, huldiget ihr. Die Philosophen, die Helden, die Virtuosen machen ihren Hof aus. In ihren Augen, von ihren Lippen erwartet jeder die Bestätigung seiner eignen

Vorzüglichkeit. Der Dichter, der Künstler ist nicht eher mit seinem Werke zufrieden, bis er ihres Beifalls gewiß ist; und der Weise selbst erröthet nicht, sich für ihren Schüler anzugeben. Aber nicht nur über das Reich des Schönen erstreckt sich ihre Herrschaft; ihr Einfluß über diejenigen, die am Ruder der Staaten sitzen, macht sie zur ersten Bewegerin der Triebräder der politischen Welt; und öfter als es diejenigen vermuthen, die nicht in das Innere der Maschine sehen, entscheidet sie, wohl oder übel, das Schicksal der Völker."Wir sind allein, Danae — warum sollte mich eine falsche Bescheidenheit zurückhalten, dir über alles dieses mich selbst zum Beispiel aufzustellen? Die schöne Thargelia, die, nachdem sie in Ionien lange eine glänzende Rolle gespielt hatte, in Thessalien endlich einen Thron bestieg, diese Thargelia ist mir eben das gewesen, was ich dir zu seyn wünsche. Ihr Unterricht und ihr Beispiel bildeten mich. Der Ruhm, den ich mir schon zu Milet erworben hatte, bahnte mir den Weg nach Athen. Eine Frau, die mit allem, was die Männer bei unserm Geschlechte suchen, alle die Eigenschaften verband, die sie als ein Eigenthum des ihrigen anzusehen gewohnt sind, war in Athen eine Art von Wunder. Aspasia erregte die allgemeine Aufmerksamkeit; in kurzem wurde sie der Gegenstand der Bewunderung der einen und der Mißgunst der andern. Man machte ihr ein Verbrechen daraus, daß sie die edelsten und wichtigsten Personen des Staats durch den Reiz der Vergnügungen in ihr Haus zöge; und eben davon, daß es nur Personen vom ersten Rang oder von dem ausgezeichnetsten Verdienste offen war, nahm der große Haufe der Ausgeschlossenen

Anlaß, ihre Sitten zu lästern. Aber sie ging ihren Weg fort, Zufrieden die ersten Männer der Nation unter ihren Freunden zu sehen, verachtete sie die Urtheile des Pöbels und die Spöttereien der Athenischen Possenspiele. Ihr Haus war eine Art von Akademie der schönsten Geister und der größten Künstler Gräciens. Staatsmänner besuchten es, um im Schooß der Musen und Grazien auszuruhen; die Anaxagoras und Sokrates, um ihre Philosophie aufzuheitern; die Phidias und Zeuxis, um schöne Ideen zu haschen; die Dichter, um ihren Werken die letzte Politur zu geben; die edelste Jugend von Athen, um sich zu bilden, oder wenigstens um sich rühmen zu können in Aspasiens Schule gebildet zu seyn. Viele der ersten Redner Griechenlands schätzten sich's zur Ehre, die Geheimnisse ihrer Kunst von Aspasien gelernt zu haben; und diese Aspasia — die in ihrem ersten Anfange nichts mehr gewesen war, als was Danae war, da der schöne Alcibiades sie aus der Werkstätte des Malers Aglaophon und den Klauen der alten Krobyle rettete — endigte damit, die Gemahlin des Perikles zu werden, und einige Jahre, ohne Diadem, unumschränkter in Griechenland zu herrschen, als ihre Lehrmeisterin Thargelia mit einem Diadem in Thessalien geherrscht hatte."Aber laß mich dir zum zweitenmal sagen, was nicht oft genug wiederholt werden kann: Aspasia würde diese edle Rolle nicht gespielt haben, würde höchstens eine Nemea, eine Theodota gewesen seyn, wenn sie weniger Meister von ihrem Herzen weniger vorsichtig in ihrer Aufführung, und (ungeachtet einer überlegten Verachtung der Urtheile des Pöbels)

weniger sorgfältig gewesen wäre, sich die Hochachtung derjenigen zu erwerben, deren Beifall für den öffentlichen Bürge ist. Glaubst du, Perikles würde sich haben einfallen lassen, sie zu seiner Gemahlin zu machen, wenn er Ursache gefunden hätte, nur zu vermuthen, daß sie um einen andern Preis zu haben wäre?"Ich habe mich (fuhr Danae nach einer kleinen Pause fort) von der Gelegenheit, und von dem Eindrucke, den diese Rede in mein Gedächtniß gemacht, verleiten lassen, dir durch diesen Auszug davon eine Probe von den Discursen der Aspasia zu geben, die ich dir schriftlich mitzutheilen versprochen habe. Ihre Neigung zu mir, welche täglich zunahm, ging zuletzt so weit, daß sie mir ihre Geschichte, ohne selbst den geheimsten Theil davon auszunehmen, mit einer Offenherzigkeit vertraute, die durch Einwebung einer Menge feiner und lehrreicher Anmerkungen sie für mich unendlich interessant machte.Hier unterbrach sie Agathon um sie zu versichern, daß diese Geschichte es eben so sehr für ihn seyn würde; und er setzte hinzu, er hoffe, Danae werde sie nicht weniger als die übrigen Unterredungen der schönen Aspasia aufgeschrieben haben. Ihre Antwort gab ihm einige Hoffnung, daß sie seine Neugier vielleicht auch in diesem Stücke würde befriedigen können; und nun setzte sie, auf sein Bitten, ihre eigene Geschichte folgendermaßen fort.

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