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Kapitel 

C. M. Wieland's Werke.

Fünfter Band.

Buch 8.

S. 69. Z. 9. 10. den prächtigsten Städten —— Vorzug streiten konnte — Agathon spricht hier, wie es sich für sein Zeitalter, nicht für das unsrige schickt. Die Alten, und besonders die Griechen, setzten die Schönheit einer Stadt in die Menge und Pracht der Tempel, öffentlichen Gebäude und Denkmäler, Colonnaden, Gymnasien, Theater, Bäder u. s. w., nicht in die Regelmäßigkeit der Bauart und in die Größe, Pracht und Schönheit der Privatwohnungen. In

Rücksicht dieser letztern hat Herr von Pauw (in seinen Recherches sur les Grecs) Recht zu behaupten, daß Athen, mit den größten Städten des heutigen Europa's verglichen, keine schöne Stadt war, ungeachtet sie seit der Staatsverwaltung des Perikles die schöne Athenä genannt zu werden pflegte; woraus sich schließen läßt, daß man in dem freien Griechenlande ganz andere, aus dem Geiste der Freiheit und Gleichheit natürlicher Weise entspringende, Begriffe von der Schönheit einer Stadt hatte, als wir, oder als die Römer unter den ersten Kaisern hatten.S. 71. Z. 18. Gorgias und Prodikus — sind zwei der berühmtesten Sophisten aus der Zeit des Sokrates und Platon, so wie Hippias, der in dem Agathon selbst aufgeführt wird. Zu dem, was Wieland im Allgemeinen in der Einleitung über sie erklärt hat, ist es vielleicht nicht ganz unnöthig, noch einiges hinzuzufügen, da nicht leicht in der literarischen Welt ein Name so verrufen geworden als der Name der Sophisten, unter denen man sich nur ein Pack schamloser, verabscheuungswürdiger Charlatans, absichtliche Verdreher des Wahren und Guten, ja selbst, von Platon irre geleitet, aufgeblasener Dummköpfe zu denken pflegte. Wie aber wäre es denn wohl möglich gewesen, daß sie an einem Orte wie Athen, in der höchsten Blüthe seiner Cultur, zu Ansehen und Einfluß gelangt wären, ja die Bewunderung an sich gerissen hätten? Im Gegentheil waren sie sehr gebildete Männer, gewandte, scharfsinnige Köpfe, die auf Reisen sich einen großen Reichthum von Menschenkennzniß erworben hatten, und die mit dem Talent des Umgangs einen feinen äußern Anstand verbanden, durch den sie, wo es galt, weh! auch zu imponiren wußten. Wüßten wir auch nur das Einzige von ihnen, daß Sokrates die berühmte Dichtung von Herkules am Scheidewege dem Sophisten Prodikus bloß nacherzählt hat, so würde das schon hinreichen, von ihren Köpfen uns eine vortheilhafte Meinung einzuflößen. Man hat aber auch nicht Ursache, bei ihrem ersten Auftreten einen schlimmen Verdacht gegen ihre Absichten zu hegen, wenn gleich dieser in der Folge nur zu gegründet wurde. Das war aber nicht ihre Schuld allein. Sie waren Lehrer der Beredsamkeit, und mußten als solche zum Gegenstand ihres tieferen Erforschens die Rhetorik machen, was nicht geschehen konnte, ohne die Dialektik (als Wissenschaft und Kunst des Denkens, um durch Aussprechen des Gedachten Ueberzeugung zu bewirken, immer mehr zu begründen. Es ist nicht zu läugnen, da8 sie um beide sich bedeutende Verdienste erworben haben, wie schon daraus erhellet, daß Platon selbst seine bewunderte Beredsamkeit und zum Theil höchst spitzfindige Dialektik

in ihrer Schule erlernt hatte. Eben in dieser Dialektik aber lauerte die verborgene Gefahr für sie, und hier war die Klippe, an welcher ihr Charakter scheiterte. Der Anfang zu ihrer nachmaligen Verrufenheit liegt darin, daß sise nicht Kraft genug hatten, über den Zeitgeist sich zu erheben, sondern sich von dem Strome fortreißen ließen. Man bedenke, worauf sie die Hauptanwendung von ihrer Dialektik machen mußten, auf — Rechtsstreite, Processe, Politik. Jeder kam in der Absicht zu ihnen, um durch sie gewinnen zu lernen. Freilich war dieß an sich unmöglich, allein da man's gleichwohl verlangte, so machte man den Versuch, jedes Ding von mehreren Seiten zu beleuchten, die eben vortheilhaftere ins glänzendste Licht zu setzen, allenfalls auch durch Scheingrunde tu blenden. Hiemit wurde der Weg gebahnt, überall eine Scheinwahrheit zu erkünsteln, welches allerdings auf den Geist wie auf den Charakter eine nur nachtheilige Wirkung haben konnte, denn die Geister mußten dadurch gleichgültig werden für die Wahrheit, und dieß kann nicht geschehen, ohne daß die Herren gleichgültig wurden für die Sittlichkeit. — Diese Gleichgültigkeit entstand bei den Sophisten aus ihrer zu politischen Disputirkunst, bei der es nur auf den Sieg ankam, gleichviel durch welche Mittel er erlangt worden. Da nun alles, was von Ehrgeizigen und Ruhmsüchtigen in Athen war, zu ihnen strömte, so zogen sie von ihrer Wissenschaft und Kunst immer größeren Vortheil; Gewinnsucht wurde ihr hervorstechender Charakterzug, und um diese desto besser zu befriedigen, lehrten sie auch eine Weisheit, der es in einem frivolen Zeitalter nicht an Anhängern fehlen konnte. Dadurch griffen sie die Humanität an der Wurzel ihres Lebens an.S. 72. Z. — 4-6. Der Vorwurf, den sich Platon —— zugezogen hatte — Nämlich den Vorwurf, mit allem seinem Haß gegen die Sophisten selbst eine Art von Sophist zu seyn. W. — (Dieser Vorwurf kann bei Platon nur insofern gültig seyn, als seine Dialektik selbst zuweilen sehr spitzfindig ist, und man zweifelhaft bleibt, ob er durch einen Scheingrund getauscht war oder täuschen wollte. Der reinste Sinn für Wahrheit und Sittlichkeit, der stete Hinblick auf das Göttliche, seine Achtung vor der Würde der Menschennatur erheben ihn über jeden Vergleich mit den Sophisten, denen er nur Beredsamkeit und Dialektik schuldig war)S. 88. Z. 1. Harmodius und Aristogiton — Des Tyrannen Plästratos Nachfolger zu Athen waren seine Sohne Hipparchos und Hippias (die Piststratiden) Hipparchos hatte des Harmodios Schwester

öffentlich beleidigt, und der Bruder verband sich mit Aristogiton zur Rache an dem Tyrannen. An dem Feste der Panathenäen verbargen sie unter Myrtenzweigen, welche die Feiernden trugen, die Schwerter der Rache Hipparchos fiel unter ihren Schwertern, und dieß war das Signal für die Freiheit Hippias mußte das Land verlassen, und fiel nachher im Kampfe gegen sein Vaterland. Dem Harmodios und Aristogiton errichtete man Bildsäulen, ihre Nachkommen wurden von allen Abgaben befreit, keinem Sklaven durften ihre Namen beigelegt werden, und man sang ihnen zu Ehren Lieder. Eins derselben, von Athenaos aufbewahrt, welches den Geist jener Zeit charakterisirt, s. b. Herder Werke für Liter. und Kunst Bd. 8 S. 163.S. 89. Z. 15. 16. Den großen Beschützer der Griechischen Freiheit — Miltiades, der im Gefängniß starb, weil er eine Geldstrafe, zu der er verurtheilt war, nicht bezahlen konnte. Die wahre Ursache zu seiner Verurtheilung war die Furcht, er mochte durch sein Uebergewicht die kaum gestürzte Tyrannie wieder stiften —— Sokrates wurde, wie Wieland von Agathon erzählt, frei gesprochen worden seyn, wenn er sich zu einer Vertheidigungsrede im Sinne des Volkes hätte erniedrigen können.S. 94. Z. 13. Eine andre Mine springen lassen — ist wohl ein in Agathons Munde sehr unpassender Ausdruck, der dem Dichter hier entschlürft ist.S. 106. Z. 5. Gebäude der republicanischen Verfassung auf Tugend gründe — Montesquieu im dritten Buch, wo er von den Haupttriebfedern der drei Regierungsformen handelt, nennt als die der republicanischen die Tugend, der monarchischen die Ehre, der despotischen die Furcht. Ob nun Montesquieu oder Wieland Recht habe, untersuche jeder selbst; ich bemerke dieß bloß um zu beweisen, wie treu sich Wieland auch in seinen politischen Grundsätzen blieb, von denen zu sprechen einem andern Orte vorbehalten bleibt.S. 110. Z. 17. Einwohner des Mondes — Die Einwohner des Mondes, wiewohl wir Neuern erst durch Huygens und Fontenelle mit ihnen in Bekanntschaft gekommen, sind in Agathons Munde nicht unschicklich. Schon die alten Aegyptischen Priester hielten den Mond für eine bewohnte Welt, und Orpheus brachte diese Lehre zu den Griechen. W.