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Kapitel 

C. M. Wieland's Werke.

Fünfter Band.

Achtes Capitel.

Eine oder zwei Abschweifungen.

Wir wünschen uns Leserinnen zu haben (denn diese Geschichte, wenn sie auch weniger wahr wäre als sie ist, gehört nicht unter die Romanen, von welchen der Verfasser des gefährlichsten und lehrreichsten Romans in der Welt die Jungfrauen zurück schreckt); und wir sehen es also nicht gern, daß einige unter ihnen, welche noch Geduld genug gehabt haben, dieses neunte Buch zu durchblättern — in der Meinung, daß nun nichts Interessantes mehr zu erwarten sey, nachdem Agathon durch einen Streich von der verhaßtesten Art, durch eine heimliche Flucht, der Liebe den Dienst aufgesagt habe — den Verfolg seiner Geschichte kaltsinnig aus ihren schönen Händen entschlüpfen lassen, und vielleicht den Sopha, oder die allerliebste kleine Puppe des Herrn Bibiena ergreifen, um die Vapeurs zu zerstreuen, die ihnen die Untreue und die Betrachtungen unsers Helden verursacht haben.Woher es wohl kommen mag, meine schönen Freundinnen, daß die meisten unter Ihnen geneigter sind, uns alle Thorheiten, wozu die Liebe nur immer verleiten kann, zu verzeihen, als die Wiederherstellung in den natürlichen Stand unsrer gesunden Vernunft? Gestehen Sie, daß wir Ihnen desto mehr gefallen, je mehr wir durch die Schwachheiten, wozu Sie uns bringen können, die Obermacht Ihrer Reizungen über die eingebildete Stärke unsers Verstandes beweisen! Was fur ein interessantes Gemälde ist nicht eine Dejanira, mit der

Löwenhaut ihres nervigen Liebhabers umgeben, und mit seiner Keule auf der Schulter, wie sie einen triumphirend-lächelnden Seitenblick auf den Bezwinger der Riesen und Drachen wirft, der, in ihre langen Kleider vermummt, im Cirkel ihrer Sklavinnen mit ungelenksamer Faust die weibische Spindel dreht! —Wir kennen einige, auf welche diese kleine Apostrophe gar nicht zu passen scheint. Aber wenn wir ohne Schmeichelei reden sollen (welches freilich nicht geschehen würde, wenn wir die Klugheit zu Rathe zögen), so zweifeln wir, ob die Weiseste unter allen, zu eben der Zeit, da sie sich bemüht den Thorheiten ihres Liebhabers Schranken zu setzen, sich erwehren könne, ganz leise in sich selbst darüber zu frohlocken, daß sie liebenswürdig genug ist, einen Mann seines eignen Werths vergessen zu machen.Hingegen mögen wir unsern besagten Leserinnen zu einiger Vergütung eine kleine Anekdote aus dem Herzen unsers Helden nicht verhalten, wenn er auch gleich dadurch in Gefahr kommen sollte, die Hochachtung wieder zu verlieren, in die er sich bei den ehrwürdigen Damen, welche nie geliebt haben, und, Dank sey dem Himmel! nie geliebt worden sind, wieder zu setzen angefangen hat.So vergnügt Agathon über die Entweichung aus seiner angenehmen Gefangenschaft in Smyrna, und in diesem Stücke mit sich selbst war; so wenig die Bezauberung, unter welcher wir ihn gesehen haben, die Liebe der Tugend in ihm zu ersticken vermocht hatte; so aufrichtig die Gelübde waren, die er that, ihr künftig nicht wieder untreu zu werden; so groß und wichtig die Gedanken waren, welche seine Seele schwellten; so sehr er

(um alles mit Einem Worte zu sagen) wieder Agathon war: so hatte er doch Stunden, wo er sich selbst gestehen mußte, daß er mitten in der Schwärmerei der Liebe und in den Armen der schönen Danae —glücklich gewesen sey. Es mag immer viel Verblendung, viel Ueberspanntes und Chimärisches in der Liebe seyn, sagte er zu sich selbst, aber gewiß ihre Freuden sind doch keine Einbildung! Ich fühlte es, und fühl' es noch, so wie ich mein Daseyn fühle, daß es wahre Freuden sind, so wahr in ihrer Art, als die Freuden der Tugend! Und warum sollt' es unmöglich seyn, Liebe und Tugend mit einander zu verbinden? — Sie beide zugleich zu genießen, o! das würde erst vollkommne Glückseligkeit seyn!Zu Verhütung eines besorglichen Mißverstandes scheint uns hier eine kleine Parenthese vonnöthen zu seyn, um denen, die keine andern Sitten kennen, als die Sitten des Landes oder Ortes, worin sie geboren sind, zu sagen: daß ein vertrauter Umgang mit Frauenzimmern von einer gewissen Classe, das ist (um nicht so Französisch, aber weniger zweideutig zu reden), welche mit dem, was man etwas uneigentlich Liebe zu nennen pflegt, ein Gewerbe treiben, bei den Griechen eine so erlaubte Sache war, daß die strengsten Väter sich lächerlich gemacht haben würden, wenn sie ihren Söhnen, so lange sie unter ihrer Gewalt standen, eine Liebste aus der bemeldeten Classe hätten verwehren wollen. Frauen und Jungfrauen genossen, wie aller Orten, des besondern Schutzes der Gesetze, und waren durch die Sitten und Gebräuche dieses Volks vor Nachstellungen ungleich besser gesichert, als sie es bei den heutigen Europäern sind. Ein Anschlag auf ihre Tugend war so schwer zu bewerkstelligen, als die

Bestrafung eines solchen Verbrechens streng war. Ohne Zweifel geschah es, um diese in den Augen der Griechischen Gesetzgeber geheiligten Personen, die Mütter der Bürger, und diejenigen, welche zu dieser Ehre bestimmt waren, den Unternehmungen einer unbändigen Jugend desto gewisser zu entziehen, —daß der Stand der Phrynen und Laiden geduldet wurde. So ausgelassen und schmutzig die Gemälde sind, welche uns der genievollste, witzigste und verständigste aller Possenschreiber, Aristophanes, von den Frauen zu Athen macht: so ist doch gewiß, daß die Weiber und Töchter der Griechen überhaupt sehr sittsame Geschöpfe waren, und daß, ordentlicher Weise, die Sitten einer Vermählten und einer Buhlerin bei ihnen eben so stark von einander abstachen, als man dermalen in einigen Hauptstädten von Europa bemüht ist, sie mit einander zu vermengen.Ob jene Einrichtung in allen Stücken löblich war, ist eine andre Frage, von der hier die Rede nicht seyn soll, wir führen sie bloß deßwegen an, damit man nicht glaube, als ob die Neue und die Gewissensbisse Agathons aus dem Begriff entstanden seyen, daß es unerlaubt sey mit einer Danae der Liebe zu pflegen. In diesem Stücke dachte er wie alle andern Griechen seiner Zeit. Bei seiner Nation (die Spartaner vielleicht allein ausgenommen) durfte man, wenigstens in seinem Alter, die Nacht mit einer Tänzerin oder Flötenspielerin zubringen, ohne sich deßwegen einen Vorwurf zuzuziehen, insofern nur die Pflichten seines Standes nicht darunter leiden mußten, und eine gewisse Mäßigung beobachtet wurde, welche, nach den Begriffen dieser Heiden, die Gränzlinie der Tugend und des Lasters ausmachte. Wenn man dem Alcibiades übel genommen hatte, daß

er sich im Schooß der schönen Nemea, wie vom Siege ausruhend, malen ließ, oder daß er den Liebesgott mit Jupiters Blitzen bewaffnet in seinem Schilde führte (und Plutarch sagt uns, daß nur die ältesten und ernsthaftesten Athener sich darüber aufgehalten; Leute, deren Eifer gegen die Thorheiten der Jugend öfters nicht sowohl die Liebe der Tugend als die Verdrießlichkeit des Alters zur Quelle hat); wenn man, sage ich, dem Alcibiades diese Ausschweifungen übel nahm: so war es nicht sein Hang zu den Ergötzungen, oder seine Vertraulichkeit mit einer Person, welche durch Stand und Profession dem Vergnügen des Publicums gewidmet war; sondern der Uebermuth, der daraus hervorleuchtete, die Verachtung der Gesetze des Wohlstandes und einer gewissen Gravität, welche man in freien Staaten mit Recht gewohnt ist von den Vorstehern der Republik, wenigstens außerhalb dem Cirkel des Privatlebens, zu fordern. Man würde ihm, so gut als einem Perikles oder Cimon, seine Schwachheiten, oder seine Ergötzungen übersehen haben: aber man vergab ihm nicht, daß er damit prahlte; daß er sich seinem Hang zur Fröhlichkeit und Wollust bis zur unbändigsten Ausgelassenheit überließ; daß er, von Wein und Salben triefend, mit dem vernachlässigten und abgematteten Ansehen eines Menschen, der eine Winternacht durchschweift hatte, noch warm von den Umarmungen einer Tänzerin, in die Rathsversammlungen gehüpft kam, und, so übel vorbereitet, sich doch überflüssig tauglich hielt, die Angelegenheiten Griechenlands zu besorgen, und den grauen Vätern der Republik zu sagen, was sie zu thun hätten. Dieß war es, was sie ihm nicht vergeben konnten, und

was ihm die schlimmen Händel zuzog, von denen der Wohlstand Athens und er selbst endlich das Opfer wurde.Ueberhaupt ist es eine längst ausgemachte Sache, daß die Griechen von der Liebe ganz andere Begriffe hatten als die heutigen Europäer. Sie ehrten, wie alle polizirten Völker, die eheliche Freundschaft: aber von dieser romantischen Leidenschaft, von dieser Liebe, welche von einer ganzen Folge von Romanschreibern in Spanien, Wälschland, Frankreich und England zu einer Heldentugend erhoben worden ist; von dieser wußten sie eben so wenig als von der weinerlich-komischen, der abenteuerlichen Hirngeburt einiger neueren weiblichen Scribenten, welche noch über die Begriffe der ritterlichen Zeiten raffinirt, und uns durch ganze Bände eine Liebe gemalt haben, die sich von stillschweigendem Anschauen, von Seufzern und Thränen nährt, immer unglücklich und, selbst ohne einen Schimmer von Hoffnung, immer gleich standhaft ist. Von einer so abgeschmackten, so unmännlichen, mit dem Heldenthum, womit man verbinden will, so lächerlich abstechenden Liebe wußte diese geistreiche Nation nichts, aus deren schöner und lachender Einbildungskraft die Göttin der Liebe, die Grazien und so viele andre Götter der Freude hervorgegangen waren. Sie kannten nur die Liebe, welche glücklich macht; (oder richtiger zu reden) diese allein schien ihnen, unter gewissen Einschränkungen, der Natar gemäß, anständig und unschuldig. Diejenige, welche sich mit allen Symptomen eines fieberischen Paroxysmus der ganzen Seele bemächtiget, war in ihren Augen eine von den gefährlichsten Leidenschaften, eine Feindin der Tugend, die Störerin der

häuslichen Ordnung, die Mutter der verderblichsten Ausschweifungen und der häßlichsten Laster. Wir finden wenige Beispiele davon in ihrer Geschichte; und diese Beispiele sehen wir auf ihrem tragischen Theater mit Farben geschildert, welche den allgemeinen Abscheu erwecken mußten; so wie hingegen ihre Komödie keine andre Liebe kennt, als den natürlichen Instinct, welchen Geschmack, Gelegenheit und Zufall für einen gewissen Gegenstand bestimmen; der, von den Grazien und nicht selten auch von den Musen verschönert, das Vergnügen zum Zweck hat, nicht besser noch erhabner seyn will als er ist, und ihnen, im Ganzen betrachtet, noch immer weniger schädlich zu seyn däuchte, als jene tragische Art zu lieben, die vielmehr von der Fackel der Furien als des Liebesgottes entzündet, eher die Wirkung der Rache einer erzürnten Gottheit als dieser süßen Bethörung gleich zu seyn schien, welche sie (wie den Schlaf und die Gaben des Bacchus) für ein Geschenk der wohlthätigen Natur ansahen, um uns die Beschwerden des Lebens zu versüßen, und zu den Arbeiten desselben muntrer zu machen.Ohne Zweifel würden wir diesen Theil der Griechischen Sitten noch besser kennen, wenn nicht (durch ein Unglück, welches die Musen immer beweinen werden) die Komödien eines Alexis, Menander, Diphilus, Philemon, Apollodorus, und andrer berühmter Dichter aus dem schönsten Zeitalter der Attischen Musen, ein Raub der mönchischen und saracenischen Barbarei geworden wären. Allein es bedarf dieser Urkunden nicht, um das, was wir gesagt haben, zu rechtfertigen. Sehen wir nicht den ehrwürdigen Solon noch in seinem hohen

Alter, in Versen, deren sich der alte Dichter auf dem Berge Krapak nicht zu schämen hätte, von sich selbst gesehen: "daß er sich aller andern Beschäftigungen begeben habe, um den Rest seines Lebens in Gesellschaft der Venus, des Bacchus und der Musen auszuleben?" Sehen wir nicht den weisen Sokrates kein Bedenken tragen, in Begleitung seiner jungen Freunde der schönen und gefälligen Theodota einen Besuch zu machen, um über ihre Schönheit, welche einer aus der Gesellschaft als unbeschreiblich angepriesen hatte, den Augenschein einzunehmen? Sehen wir nicht, daß er seiner Weisheit nichts zu vergeben glaubte, indem er diese Theodota auf eine scherzhafte Art in der Kunst Liebhaber zu fangen unterrichtet? War er nicht ein Freund und Bewunderer, ja, wenn Plato nicht zu viel gesagt hat, ein Schüler der berühmten Aspasia, deren Haus (ungeachtet der Vorwürfe, welche ihr von der zaumlosen Frechheit der damaligen Komödie gemacht wurden) der Sammelplatz der schönsten Geister von Athen war? So enthaltsam er selbst in Absicht dieses Artikels gewesen zu seyn scheint, so finden wir doch seine Grundsätze über die Liebe mit der allgemeinen Denkungsart seiner Nation ziemlich übereinstimmend. Er unterschied das Bedürfniß von der Leidenschaft, das Werk der Natur von dem Werke der Phantasie. Er warnte vor dem letztern, wie wir schon anderwo im Vorbeigehen bemerkt haben, und rieth zu Befriedigung der ersten (nach Xenophons Bericht) eine solche Art von Liebe an, an welcher die Seele so wenig als möglich Antheil nehme. Ein Rath, welcher zwar seine Einschränkungen leidet, aber doch auf die gemeine Erfahrung gegründet ist: daß die Liebe, welche

sich der Seele bemächtiget, sie gemeiniglich aller Gewalt über sich selbst beraubt, und zu allen edlen Anstrengungen untüchtig macht.Nach den gewöhnlichen Begriffen der Zeit, in welcher Agathon lebte, wäre es demnach so schwer nicht gewesen, Liebe und Tugend mit einander zu verbinden. Aber Agathon hatte größere und feinere Begriffe von der Tugend. Eine gewisse ideale Vollkommenheit war zu sehr mit den Grundzügen seiner Seele verwebt, als daß er sie jemals ganz verlieren konnte. Was ist einer empfindsamen Seele Liebe ohne Schwärmerei? ohne diese Zärtlichkeit der Empfindungen, diese Sympathie, welche ihre Freuden vervielfältiget, verfeinert, veredelt? Was sind die Wollüste der Sinnen ohne Grazien und Museum? — Agathon hätte also diese Art zu lieben, wie er die schöne Danae geliebt hatte und von ihr geliebt worden war, gern mit seinem erhabenen Begriffe von der Tugend verbinden mögen; und von diesem Wunsche sah er alle seine Schwierigkeiten ein.Endlich däuchte ihn, es komme alles auf die Beschaffenheit des Gegenstandes an; und nun erinnerte ihn sein Herz wieder an Psyche. Er erröthete vor ihrem Bilde, wie er vor der gegenwärtigen Psyche selbst erröthet seyn würde; aber er empfand zu gleicher Zeit, daß sein Herz, ohne nur mit einem einzigen Faden noch an Danae zu hangen, wieder zu seiner ersten Liebe zurückkehrte. Seine wieder ruhige Phantasie spiegelte ihm, wie ein klarer tiefer Brunnen, die Erinnerungen der reinen, tugendhaften und mit keiner andern Lust zu vergleichenden Freuden vor, die er durch die zärtliche Vereinigung ihrer

Seelen in jenen Elysischen Nächten erfahren hatte. Er empfand itzt zu dem, was er ehemals für sie empfunden, noch alle die Liebe, welche ihm Danae eingeflößt hatte; aber so sanft, so geläutert durch die moralische Schönheit des veränderten Gegenstandes, daß es nicht mehr eben dieselbe schien. Er stellte sich vor, wie glücklich ihn eine unzertrennliche Verbindung mit dieser Psyche machen würde, welche ihm eine Liebe eingehaucht, die seiner Tugend sowenig gefährlich war, daß sie ihr vielmehr Schwingen angesetzt hatte. Er versetzte sich in Gedanken mit Psyche in den Ruheplatz der Diana zu Delphi, und ließ den Gott der Liebe, den Sohn der himmlischen Venus, das überirdische Gemälde ausmalen. Eine süße weissagende Hoffnung breitete sich durch seine Seele aus. Es war ihm, als ob eine geheime Stimme ihm zulisple, daß er sie in Sicilien finden werde. Psyche paßte ganz vortrefflich in den Plan, den er sich von seinem bevorstehenden Leben gemacht hatte. Was für Aussichten stellte ihm die Verbindung seiner häuslichen Glückseligkeit mit der öffentlichen vor, welcher er alle seine Kräfte zu widmen entschlossen war! Aber erst wollte er verdienen glücklich zu seyn! —Doch, ohne den Leser mit seinen Gesinnungen und Vorsätzen länger aufzuhalten, eilen wir, ihn auf einen Schauplatz zu versetzen, wo er sich uns durch Handlungen zu erkennen geben kann.

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