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Kapitel 

C. M. Wieland's Werke.

Fünfter Band.

Sechstes Capitel.

Agathon wird von einem Rückfall bedroht. Ein unverhoffter Zufall bestimmt seine Entschließung.

Wir kommen zu unserm Helden zurück, den wir zu Ende des vierten Kapitels auf dem Wege nach dem Hafen von Smyrna verlassen haben.

Man konnte nicht entschlossener seyn, als er war, das erste Fahrzeug, das zum Auslaufen fertig liegen würde, zu besteigen, und hätte es ihn auch zu den Antipoden führen sollen. Allein — so groß ist die Schwäche des menschlichen Herzens! — da er angelanget war, und eine Menge von Schiffen vor den Augen hatte, welche nur auf das Zeichen den Anker zu heben warteten: so hätte wenig gefehlt, daß er wieder umgekehrt wäre, um, anstatt vor der schönen Danae zu fliehen, ihr mit aller Sehnsucht eines entflammten Liebhabers in die Arme zu fliegen.Wir wollen billig seyn — eine Danae verdiente wohl, daß ihm der Entschluß, sie zu verlassen, mehr als einen flüchtigen Seufzer kostete; und es war sehr natürlich, daß er, im Begriff seinen tugendhaften Vorsatz ins Werk zu setzen, einen Blick ins Vergangene zurückwarf, und sich diese Glückseligkeiten lebhafter vorstellte, denen er nun freiwillig entsagen wollte, um sich von neuem, als ein im Ocean der Welt herumtreibender Verbannter, den Zufällen einer ungewissen Zukunft auszusehen.Dieser letzte Gedanke machte ihn stutzen; aber er wurde bald von andern Vorstellungen verdrängt, die ein Herz wie das seinige weit stärker rühren müßten, als alles was ihn allein und unmittelbar anging. Er setzte sich an die Stelle der Danae. Er malte sich ihren Schmerz vor, wenn sie bei ihrer Wiederkunft seine Flucht erfahren würde. Sie hatte ihn so zärtlich geliebt! Alles Böse, was ihm Hippias von ihr gesagt, alles was er selbst hinzu gedacht hatte, konnte in diesem Augenblicke die Stimme des Gefühls nicht übertäuben, welches

ihn überzeugte, daß er wahrhaftig geliebt worden war. Wenn die Größe unsrer Liebe das natürliche Maß unsrer Schmerzen über den Verlust des Geliebten ist, wie unglücklich mußte Danae werden! Das Mitleiden, welches diese Vorstellung in ihm erregte, machte sie wieder zu einem interessanten Gegenstande für sein Herz. Ihr Bild stellte sich ihm wieder mit allen den Reizungen dar, deren Zaubergewalt er so oft erfahren hatte. Was für Erinnerungen! Er konnte sich nicht erwehren, ihnen etliche Augenblicke nachzuhängen; und mit jedem fühlte er weniger Kraft, sich wieder loszureißen. Seine schon halb überwundene Seele widerstand noch, aber immer schwächer. Amor, um desto gewisser zu siegen, verbarg sich unter die rührende Gestalt des Mitleidens, der Großmuth, der Dankbarkeit. —Wie? er sollte eine so inbrünstige Liebe mit so schnödem Undank erwiedern? einer Geliebten, in dem Augenblicke, da sie in die getreuen Arme eines Freundes zurück zu eilen glaubt, einen Dolch in diesen Busen stoßen, welcher sich, von Zärtlichkeit überwallend, an den seinigen drücken will? sie verlassen, sich heimlich von ihr wegstehlen? Würde sie den Tod von seiner Hand, in Vergleichung mit einer solchen Grausamkeit, nicht als eine Wohlthat angenommen haben? So würde ihm zu Muthe gewesen seyn, wenn er sich an ihren Platz setzte; und dieß thut die Leidenschaft allezeit — wenn sie ihren Vortheil dabei findet.Allen diesen zärtlichen Bildern stellte sein gefaßter Entschluß zwar die Gründe, welche wir kennen, entgegen: aber diese Gründe hatten von dem Augenblick an, da sich sein Herz wieder auf die Seite der schönen Feindin seiner Tugend neigte,

die Hälfte von ihrer Stärke verloren. Die Gefahr war dringend: jede Minute entscheidend. Denn die Wiederkunft der Danae war ungewiß; und es ist nicht zu zweifeln, daß sie, wofern sie noch zu rechter Zeit angelangt wäre, Mittel gefunden hätte, alle die widrigen Eindrücke der Verrätherei des Sophisten aus einem Herzen auszulöschen, welches so viel Vortheil dabei hatte sie unschuldig zu finden.Ein glücklicher Zufall — Doch, warum wollen wir dem Zufall zuschreiben, was uns beweisen sollte, daß eine unsichtbare Macht ist, welche sich immer bereit zeigt, der sinkenden Tugend die Hand zu reichen? — Eine wohlthätige Schickung also fügte es, daß Agathon in diesem zweifelhaften Augenblick, unter dem Gedränge der Fremden, welche die Handelschaft von allen Weltgegenden her nach Smyrna führte, einen Mann erblickte, den er zu Athen vertraulich gekannt und durch beträchtliche Dienstleistungen sich zu verbinden Gelegenheit gehabt hatte. Es war ein Kaufmann von Syrakus, der mit den Geschicklichkeiten seiner Profession einen rechtschaffenen Charakter, und (was bei den Griechen weniger selten war als bei uns) mit beiden die Liebe der Musen verband; eine Eigenschaft, welche ihn dem Agathon desto angenehmer, so wie sie ihn desto fähiger gemacht hatte, den Werth Agathons zu schätzen. Der Syrakuser bezeigte die lebhafteste Freude über eine so unverhoffte Zusammenkunft, und bot unserm Helden seine Dienste mit derjenigen Art an, welche beweist, daß man begierig ist sie angenommen zu sehen; denn Agathons Verbannung von Athen war eine bekannte Sache, als daß sie in irgend einem Theile von Griechenland hätte unbekannt seyn können.

Nach einigen Fragen und Gegenfragen, wie sie unter Freunden gewöhnlich sind, die sich nach einer geraumen Trennung unvermuthet zusammen finden, berichtete ihm der Kaufmann als eine Neuigkeit, welche die Aufmerksamkeit aller Europäischen Griechen beschäftigte, die außerordentliche Gunst, worin Plato bei dem jüngern Dionysius zu Syrakus stehe; die philosophische Bekehrung dieses Prinzen, und die großen Erwartungen, mit welchen Sicilien den glückseligen Zeiten entgegen sehe, die eine so wundervolle Veränderung verspreche. Er endigte damit, daß er den Agathon einlud, wofern ihn nichts Wichtigeres in Smyrna zurück hielte, ihn nach Syrakus zu begleiten, welches im Begriff sey, ein Sammelplatz der Weisesten und Tugendhaftesten zu werden; und dabei meldete er ihm, daß sein Schiff bereit sey noch diesen Abend abzusegeln.Ein Funke, der in eine Pulvermine fällt, richtet keine plötzlichere Entzündung an, als die Revolution war, die bei dieser Nachricht in unserm Helden vorging. Seine ganze Seele loderte, wenn wir so sagen können, in einen einzigen Gedanken auf. Aber was für ein Gedanke war das! —Plato, ein Freund des Dionysius! —Dionysius, berüchtiget durch die ausschweifendste Lebensart, in welche sich eine durch unumschränkte Gewalt übermüthig gemachte Jugend dahin stürzen kann, Dionysius der Tyrann, ein Liebhaber der Philosophie, ein Lehrling der Tugend! — und Agathon sollte die Blüthe seines Lebens in müßiger Wollust verderben lassen? Sollte nicht eilen, dem göttlichen Weisen, dessen erhabene Lehren er zu Athen so rühmlich auszuüben angefangen hatte, das

glorreiche Werk vollenden zu helfen, einen zügellosen Tyrannen in einen guten Fürsten zu verwandeln, und die Glückseligkeit einer ganzen Nation zu befestigen? — Was für Arbeiten! was für Aussichten für eine Seele wie die seinige! Sein ganzes Herz wallte ihnen entgegen. Er fühlte wieder, daß er Agathon war; fühlte diese moralische Lebenskraft wieder, die uns Muth und Begierden gibt, uns zu einer edeln Bestimmung geboren zu glauben, und diese Achtung für sich selbst, welche eine von den stärksten Schwingfedern der Tugend ist. Nun bedurfte es keines Kampfes, keiner gewaltsamen Anstrengung mehr, sich von Danae loszureißen, um mit allem Feuer eines Liebhabers, der nach einer langen Trennung zu seiner Geliebten zurück eilt, sich wieder in die Arme der Tugend zu werfen. Sein Freund von Syrakus hatte keine Ueberredungen vonnöthen; Agathon nahm sein Anerbieten mit der lebhaftesten Freude an. Da er von allen Geschenken, womit ihn die freigebige Danae überhäuft hatte, nichts behalten wollte, als was zu den nöthigsten Bedürfnissen seiner Reise unentbehrlich war, so brauchte er wenig Zeit, um reisefertig zu seyn. Die günstigsten Winde schwellten die Segel, welche ihn aus dem verderblichen Smyrna entfernten; und so herrlich war der Triumph, den die Tugend in dieser glücklichen Stunde über ihre Gegnerin erhielt, daß er die anmuthsvollen Asiatischen Ufer aus seinen Augen verschwinden sah, ohne den Abschied, den er auf ewig von ihnen nahm, nur mit einer Thräne zu zieren."So? — Und was wurde nun (hören wir irgend eine junge Schöne fragen, der ihr Herz sagt, daß sie es der Tugend nicht verzeihen würde, wenn sie ihr ihren Liebhaber so

unbarmherzig entführen wollte)— was wurde nun aus der armen Danae?" — Ach! von dieser war itzt die Rede nicht mehr! — "Und der tugendhafte Agathon bekümmerte sich so wenig darum, ob seine Untreue ein Herz, welches ihn glücklich gemacht hatte. in Stücken brechen werde oder nicht?" — Aber, meine schöne Freundin, was hätte er thun sollen, nachdem er nun einmal entschlossen war? Um nach Syrakus zu gehen, mußte er Smyrna verlassen; und nach Syrakus mußte er doch gehen, wenn Sie alle Umstände unparteiisch in Betrachtung ziehen. Oder wollten Sie lieber, daß ein Agathon sein ganzes Leben am Busen der zärtlichen Danae hatte hinwegbuhlen sollen? Und sie nach Syrakus mitzunehmen, war aus mehr als Einer Ursache nicht zu rathen, gesetzt auch, daß sie um seinetwillen Smyrna hätte verlassen wollen. Oder meinen Sie vielleicht, er hätte warten und erst die Einwilligung seiner Freundin zu erhalten suchen sollen? Dieß wäre alles gewesen was er hätte thun können, wenn er die Absicht gehabt hätte, da zu bleiben. Alles wohl überlegt, konnte er also, däucht uns, weder mehr noch weniger thun als er that. Er hinterließ ein Briefchen, worin er ihr sein Vorhaben mit einer Aufrichtigkeit entdeckte, welche zugleich die Rechtfertigung desselben ausmacht. Er spottete ihrer nicht durch Liebesversicherungen, welche der Widerspruch mit seinem Betragen beleidigend gemacht hätte; hingegen erinnerte er sich dessen, was sie um ihn verdient hatte, zu wohl, um sie durch Vorwürfe zu kränken. Gleichwohl entwischte ihm beim Schluß ein Ausdruck, den er vermuthlich großmüthig genug gewesen wäre wieder auszulöschen, wenn er Zeit gehabt hätte sich zu bedenken. Denn er endigte

sein Briefchen damit, daß er ihr sagte: "er hoffe, die Hälfte der Stärke des Gemüths, womit sie den Verlust eines Alcibiades ertragen und den Armen eines Hyacinths sich entrissen habe, werde mehr als hinlänglich seyn, ihr seine Entfernung in kurzem gleichgültig zu machen. Wie leicht (setzte er hinzu) kann Danae einen Liebhaber missen, da es nur von ihr abhängt, mit einem einzigen Blicke so viele Sklaven zu machen, als sie haben will!" — Dieß war allerdings ein wenig grausam! Aber die Gemüthsverfassung, worin er sich damals befand, war nicht ruhig genug, um ihn fühlen zu lassen, wie viel er damit sagte.Und so endigte sich denn die Liebesgeschichte des Agathon und der schönen Danae. — Und so, holde Leserinnen, so haben sich noch alle Liebesgeschichten geendigt, und werden sich auch künftig alle endigen, welche —so angefangen haben!

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