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Kapitel 

C. M. Wieland's Werke.

Vierter Band.

Erstes Capitel.

Worin die Absichten des Hippias einen merklichen Schritt machen.

Inzwischen waren ungefähr geht Tage verflossen, welche dem stillschweigenden und melancholischen Agathon, zu großem Vergnügen des boshaften Sophisten, acht Jahrhunderte däuchten, als dieser an einem Morgen zu ihm kam, und ihm mit einer gleichgültigen Art sagte: "Danae hat einen Aufseher über ihre Gärten und Landgüter vonnöthen; was sagst du zu dem Einfall den ich habe, dich an diesen Platz zu setzen? Ich dächte, du solltest dich nicht übel zu einem solchen Amte schicken. Hast du nicht Lust in ihre Dienste zu treten?"Ein Wort, welches Bestürzung und übermäßige Freude, Mißtrauen und Hoffnung, Erblassen und Glühen zu gleicher Zeit ausdrückte, würde uns wohl zu Statten kommen, die Verwirrung auszudrücken, worein diese Anrede den guten Agathon setzte. Sie war zu groß als daß er sogleich hätte antworten können. Allein die Augen des Hippias, in welchen

er einen Theil der Bosheit las, die der Sophist zu verbergen sich bemühte, gaben ihm bald die Sprache wieder. — Wenn du Lust hast dich auf diese Art von mir los zu machen, versetzte er mit so vieler Fassung als ihm möglich war, so hab' ich nur Eine Bedenklichkeit."Und diese ist?"Daß ich mich sehr schlecht auf die Landwirthschaft verstehe."Das hat nichts zu bedeuten; du wirst Leute unter dir haben, die sich desto besser darauf verstehen, und dieß ist genug. Im übrigen glaube ich, daß du mit Vergnügen in diesem Hause seyn wirst. Du liebest das Landleben, und du wirst Gelegenheit haben alle seine Annehmlichkeiten zu schmecken. Wenn du es zufrieden bist, so geh' ich, die Sache in Richtigkeit zu bringen."Du hast dir das Recht erkauft, mit mir zu machen was du willst."Die Wahrheit zu sagen, Kallias, ungeachtet der kleinen Mißhelligkeiten unsrer Kopfe, verliere ich dich ungern. Allein Danae scheint es zu wünschen, und ich habe Verbindlichkeiten gegen sie. Sie hat, ich weiß nicht woher, eine große Meinung von deiner Fähigkeit gefaßt; und da ich alle Tage Gelegenheit haben werde dich in ihrem Hause zu sehen, so kann ich mir's um so eher gefallen lassen, dich an eine Freundin abzutreten, von der ich gewiß bin, daß sie dir so begegnen wird wie du es verdienest."Agathon beharrte in seinem angenommenen Tone von Gleichgültigkeit, und Hippias, dem es Mühe kostete die

Spöttereien zurück zu halten, die ihm alle Augenblicke auf die Lippen kamen, verließ ihn, ohne sich merken zu lassen, daß er wüßte was er von dieser Gleichgültigkeit denken sollte.Das Betragen Agathons bei diesem Anlaß wird ihn vielleicht in den Verdacht setzen, daß er sich bewußt gewesen sey, es stehe nicht so gar richtig in seinem Herzen. Denn warum hätte er sonst nöthig gehabt sich zu verbergen? Allein man muß sich seiner gegen den Sophisten gefaßten Vorurtheile erinnern, um zu sehen, daß er vollkommen in seinem Charakter blieb, indem er Empfindungen vor ihm zu verbergen suchte, die einem so unverbesserlichen Anti-Platon ganz unverständlich oder vollkommen lächerlich gewesen wären. Die Freude, welcher er sich überließ sobald er wieder allein war, läßt uns keinen Zweifel übrig, daß er damals noch nicht das geringste Mißtrauen in sein Herz gesetzt habe.Diese Freude war über allen Ausdruck. Liebhaber von einer gewissen Art können sich eine Vorstellung davon machen, welche der allerbesten Beschreibung werth ist; und den übrigen würde diese Beschreibung ungefähr so viel helfen als eine Seekarte einem Fußgänger. Die unvergleichliche Danae wieder zu sehen, nicht nur wieder zu sehen, in ihrem Hause zu seyn, unter ihren Augen zu leben, ihres Umgangs zu genießen, vielleicht — ihrer Freundschaft gewürdiget zu werden —hier hielt seine entzückte Einbildungskraft stille. Die Hoffnungen eines gewöhnlichen Liebhabers würden weiter gegangen seyn; allein Agathon war kein gewöhnlicher Liebhaber. Ich liebe die schöne Danae, sagte Hyacinthus, da er nach ihrem Genuß lüstern war. Eben darum liebst du sie nicht, würde ihm die

Sokratische Diotima geantwortet haben. "Derjenige, der in dem Augenblicke, da ihm seine Geliebte den ersten Kuß auf ihre Hand gestattet, einen Wunsch nach einer größern Glückseligkeit hat, muß nicht sagen daß er liebe."

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