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Kapitel 

C. M. Wieland's Werke.

Vierter Band.

Achtes Capitel.

Was die Nacht durch im Gemüthe der Hauptpersonen vorgegangen.

Wir haben schon so viel von der gegenwärtigen Gemüthsverfassung unsers Helden gesagt, daß man sich nicht verwundern wird, wenn wir hinzusetzen, daß er den übrigen Theil der Nacht in ununterbrochenem Anschauen dieser idealen Vollkommenheit zubrachte, die seine Einbildungskraft, mit einer ihr gewöhnlichen Kunst und ohne daß er den Betrug gewahr wurde, an die Stelle der schönen Danae geschoben hatte. Dieses Anschauen setzte sein Gemüth in eine so angenehme und ruhige Entzückung, daß er, gleich als ob nun alle seine Wünsche befriediget wären, nicht das geringste von der Unruhe, den Begierden, der innerlichen Gährung, der Abwechslung von Frost und Hitze fühlte, womit die Leidenschaft, mit welcher man ihn nicht ohne Wahrscheinlichkeit behaftet glauben kann, sich ordentlicher Weise anzukündigen pflegt.Was die Schöne betrifft, welche die Ehre hatte diese erhabenen Entzückungen in ihm zu erwecken, diese brachte den Rest der Nacht zwar nicht mit eben so erhabenen, aber doch in ihrer Art mit eben so angenehmen Betrachtungen zu. Agathon hatte ihr gefallen; sie war mit dem Eindrucke, den sie auf ihn gemacht, zufrieden; und sie glaubte, nach den Beobachtungen, die ihr dieser Abend bereits an die Hand gegeben, daß sie sich selbst mit gutem Grunde zutrauen könne, ihn durch die gehörigen Gradationen zu einem zweiten und vielleicht standhaftern Alcibiades zu machen. Nichts war ihr hierbei

angenehmer, als die Bestätigung des Plans, den sie sich, über die Art und Weise, wie man seinem Herzen am leichtesten beikommen könne, ausgedacht hatte. Es ist wahr, der Einfall sich an die Stelle der Tänzerin zu setzen, war ihr erst in dem Augenblick gekommen da sie ihn ausführte. Allein sie würde ihn gewiß nicht ausgeführt haben, wofern sie die gute Wirkung davon nicht mit einer Art von Gewißheit voraus gesehen hätte. Hätte sie in dem ersten Augenblicke, da sie sich unserm Helden in ihrer eigenen Person darstellte, in ihren Gebärden oder in ihrem Anzuge das mindeste gehabt, das ihm anstößig hätte seyn können: so würde es ihr schwer geworden seyn, den widrigen Eindruck dieses ersten Augenblicks jemals wieder gut zu machen. Agathon mußte in den Fall gesetzt werden, sich selbst zu hintergehen, ohne das geringste davon zu merken; und wenn er für subalterne Reizungen empfindlich gemacht werden sollte, so mußte es durch Vermittelung der Einbildungskraft und auf eine solche Art geschehen, daß die geistigen und die körperlichen Schönheiten sich in seinen Augen vermengten, ohne daß er in den letzteren nichts als den Widerschein der erstern zu sehen glaubte.Der weise Hippias hatte zu viel Ursache den Agathon der dieser Gelegenheit zu beobachten, als daß ihm das geringste entgangen wäre, was ihn des glücklichen Fortgangs seiner Anschläge zu versichern schien. Allein er schmeichelte sich zu viel, wenn er hoffte, Kallias werde, in dem ekstatischen Zustande, worin er zu seyn schien, ihn zum Vertrauten seiner Empfindungen machen. Das Vorurtheil, welches dieser wider ihn gefaßt hatte, verschloß ihm den Mund, so gern er auch dem

Strome seiner Begeisterung den Lauf gelassen hätte. Eine Danae war in seinen Augen ein allzu vortrefflicher Gegenstand, und das was er für sie empfand, zu rein, zu weit über die thierische Denkungsart eines Hippias erhaben, daß er nicht durch eine unzeitige Vertraulichkeit gegen diesen Ungeweihten beides zu entheiligen geglaubt hätte.

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