| Wie so schnell ist die Schönheit, dein höchster Ehrgeiz, verdorret
Da der Strahl der Wahrheit sie traf! Wie wird dir die Weisheit,
Selbst um schön zu seyn, nöthig! Doch was du Freuden zu nennen
Würdigst, o sage mir, ist's nicht eben so flüchtig und eitel,
Als was dich in den Augen herzloser Thoren vergöttert?
O wie würd' Ein Blick in die Seligkeiten des Himmels,
Nur ein einziger Blick die Freuden dir ekelhaft machen,
Denen du dich unbedachtsam ergibst! Du nenntest's Entweihung,
Mißgeburten der Thorheit mit einem Namen zu ehren,
Der nur der Tochter Gottes gebührt. —Und schon auf der Erde
Könntest du sie genießen. Die Tugend bringt ihren Geliebten
Oftmals Früchte von Göttergeschmack, von olympischen Zweigen
Abgebrochen. Wer wollte da noch auf dem irdischen Boden
Wollust lesen, und gierig die Kost den Thieren entwenden,
Wenn uns Engel Ambrosia reichen? Verächtlich's Ergötzen,
Das uns empfindlicher rührt, je minder die Seele gefühlt wird;
Das in der Ferne sich dir mit tausend Reizungen anbeut,
Und zu beglücken verspricht, dann halbgekostet entfliehet,
Und, im Fliehen entzaubert, nur widrige schwarze Gespenster,
Ekel nud Sehnsucht zurückläßt. Wie thöricht, sich öfter als einmal
Von ihm täuschen zu lassen! es an den Gebärden nicht kennen,
Wenn es gleich seine Runzeln in ändernde Larven verhüllet!
Und was hat denn das Glück dir für dein Herz zu erwiedern?
Und was sind denn die Dinge, die dir zu gefallen verdienen?
Buntes Gewand, das ekle Gewebe von schleimigen Würmern,
Oder Blumen von strahlenden Steinen, die Locken zu schmücken;
Schlüpfriger Philomelen Gesang, zeittödtende Spiele;
Mitternächtliche Tänze, die noch der Morgenstern siehet,
Und der schimmernde Cirkel von hüpfenden Knaben und Schönen,
Deren jede sich selber nur sieht und heimlich frohlocket
Reizender als Narcissa zu seyn — dieß nennest du Freuden?
Arme Betrogne! Wie würdest du vor dir selber erröthen,
O wie beschämt, wie bestürzt, Narcissa, würdest du stehen,
Wenn dich mitten im Tanz einst der Gedank' überraschte
Daß in dir eine Seele schlummert, daß Engel dir zusehn?
Welche Vergnügungen, wenn, sie genießen zu können, die Seele
Eingeschläfert seyn muß; die Arme schmachtet indessen
Daß die erhitzten Sinnen in süßer Trunkenheit taumeln.
O wie übel befriedigt der niedrige Vorzug der Schönheit,
Oder des Glücks, den erhabenen Zug zur Ehre, das Zeichen
Einer großen Bestimmung, das uns der göttliche Finger
Eingedrückt hat! Die Ehrbegierde, die über den Sternen
Unter den Cherubinen zu glänzen bestimmt ist, wie kann sie
Mit der Beute der Muscheln, mit bunten Kieseln sich brüsten?
Aber noch übler sorgst du mit deinen fröhlichen Schwestern
Für den zärtlichen Hang zur Lust, die schätzbarste Gabe
Unsers Schöpfers, weil er ihm auch die Führerin zugab,
Die ihn zum Guten nur leite, das immer schön ist. Die Neigung
Die zur Freude dich lockt, ist dir mit dem keimenden Wurme
Wie mit dem ersten der Engel gemein; sie wächs't mit der Seele,
Reiniget sich mit ihr, und macht sie besserer Welten
Würdig. Doch nicht im Schooße der trägen geistlosen Freude,
Nicht im Ergötzen, das nur in den Sinnen wallet. Was Wunder,
Wenn du oft, zu dir selber verbannt, in der schönsten Einöde
Seufzest, wenn jeder befriedigte Wunsch in zwei sich zerspaltet
Und in reinerer Luft die Quelle der Fröhlichkeit stocket?
Oder erblickst du in deinem Herzen dieß traurige Leere
Und erzitterst? Dann fliehst du, das schwarze Gesicht zu vergessen,
Wieder mitten ins Rauschen der eiteln Ergötzung zurücke.
Arme Narcissa, die in der Blüthe des Lebens, des Alters
Mangel schon fühlt, nach Freuden seufzet und doch zum Genusse
Ungeschickt ist! Ein Ueberfluß an beglückender Wonne,
Reich an Aendrung und reizend genug für die flüchtigste Neigung,
Könnte dir werden, sobald du nur in dir selber ihn suchtest.
Freundin, jede Begierd', jetzt Hasserin deiner Ruhe,
Kann sich zu Tugend adeln, laß nur die Weisheit ihr zeigen,
Was sie lieben soll; statt nach fremden Quellen zu lechzen,
Wird sie selbst Zufriedenheit strömen. Bald wird ihr der Himmel,
Dem sie bestimmt ist, bekannt; du wirst aus der übenden Tugend
Neue Vergnügungen, die du dir selbst bekennen darfst, schöpfen.
Eben die Triebe, Narcissa, die jetzt mit streichenden Schwingen
Nah' an der Erde flattern, sind über die Sonnen zu steigen
Fähig; du bist, wie du willst, durch deine Begierden ein Engel,
Oder ein Wurm. —Und willst du noch lang, mit dem niedrigen Ruhme
Eines glänzenden Wurmes zufrieden, von Freude zu Freude
Flattern? von Wunsch zu Wunsch, von einem Schimmer zum andern?
Unvorsichtige, flieh! es lauschen verborgene Schlangen
Unter den Nektarblumen: sie scheinen zu schlummern, und warten,
Bis du, zur Ruhe gereizt, dich dem düftenden Bette vertrauest.
Zwar du bist stolz auf die Unschuld, die deinen Busen bewachet;
Du verachtest, wovor du zittern solltest. Du rühmst dich,
Kalt in den Flammen zu bleiben, und lächelst jede Gefahr an.
Wurde die Unschuld denn niemals gefällt? hat scheinbare Bosheit
Nie mit ihrer Besiegung geprahlt? O Freundin, nur Tugend
Sichert ein zärtliches Herz, und diese befiehlt dir zu fliehen.
Was du für Unschuld hältst, ist Güte des Herzens und Ehrgeiz;
Schwache Waffen, den reizenden Feind, der mit Liebe bedrohet,
Abzuweisen. Der Ehrgeiz gefällt sich, Sklaven zu machen;
Und wie leicht ist die Güte gewonnen, die gerne geliebt ist?
Glaubest du, daß Jokasto die werthe Freiheit zu flattern
Ohne Absicht dir opfre? — Er sollte dich lieben? Die Schönheit
Raubt ihm nur Einen Wunsch, der ohne Liebe gestillt wird.
Oder erwartest du bloß von schönen Augen und Wangen,
Daß sie das wirken, was selbst Clarissens Tugend nicht wirkte? —
Ein gefälliger Blick, ein süßes Pochen im Busen,
Kann dich fällen. Die Wollust (die allzuoft Liebe genennt wird)
Wechselt die Maske, worin sie spielt, nach der Sinnesart derer,
Denen sie nachstellt, doch meistens läßt sie Freude sich nennen,
Sicher, in dieser Gestalt zu gefallen. So lockt sie dich anfangs
Durch Gefilde voll Anmuth in ihren bezauberten Irrweg,
Wo du, durch krumme Mäander starkhauchender Rosengesträuche
Taumelnd und lüstern nach neuen betrüglich ahnenden Freuden,
Endlich dahin verirrst, woraus dich Thränen nicht retten.
Fürchte dein Herz, Narcissa, mehr als den gefährlichsten Anfall;
Wenn es am stärksten sich wähnt, ist's oft am schwächsten. Ich zittre,
Wenn die Gefahr sich mir zeigt, dir dir dein Vorwitz bereitet!
Unbewußt liebest du schon! Oft sind die Sirenengestalten
Unbekannter Freuden vor deine Stirne getreten,
Und dein Herz hai verlangend gewallt. Die Verführerin zeiget
Dem Betrogenen nur den ersten Aufzug des Spieles,
Lauter bezauberten Grund, elysische Auen und Haine,
Lauter Genuß, Entzückung und ewig blühende Wonne. —
Jetzo sitzet Narcissa, von blumigen Büschen verborgen
Auf der Bank von Violen, und ohne den Zaubergürtel
Schön wie Armide, von tausend Amoretten umgeben;
Wollusttrunken, den Arm um den weißen Nacken umschlingend,
Klebet Jokasto entzückt an ihren Lippen; die Büsche
Rauschen von lüsternen Seufzern umher; die schwimmenden Augen
Sehn nur Entzückung um sich. — Doch schaue nun, glückliche Göttin,
Einen Augenblick weiter. — O grauenvolle Verwandlung!
Himmel voll Wollust, wo seyd ihr? wo seyd ihr ewige Freuden?
Und wen seh' ich dann hier? o möchte mein Auge mich täuschen!
Eben diese Narcissa, mit matten irrenden Blicken,
Todesblässe bedeckt die verzehrten Wangen, die Augen
Sind von Thränen erschöpft, die Locken, die Seile der Liebe,
Irren wild um den Lilienhals. Verlassen, verachtet,
Schmachtet sie, schmachbelastet, und keine Einsamkeit ist ihr
Einsam genug, sie dem strafenden Blick der Welt zu verbergen.
Ach, die Ruh' ist auf ewig von ihr gewichen, und Reue,
Thränen und ewiger Gram ihr Loos; die menschlichsten Freuden,
Freundschaft und Liebe, der Lohn der Tugend, entflohn ihr auf ewig;
Da der Verbrecher indeß, mehr schuldig, doch sicher vor Strafe,
Seiner Besiegten vergißt, und neue Narcissen vergöttert. |