Projektseite Wieland's Sämtliche Werke © arpa data gmbh
Textbreite
Schriftgröße
Kapitel 

C.M. Wielands Werke.

Dreiundzwanzigster Band

27. Brief.

S. 190. Bathylle — Bathyll hieß der Liebling Anakreons, dessen einzelne Schönheiten der Dichter einem Maler schildert, damit er sie zum Ganzen eines Bildes zusammensetzte.S. 198. Pentelikus. Hymmettus — Zwei Gebirge in Attika, berühmt wegen ihrer Marmorbrüche und ihres Honigs.S. 200. Parmenides — Zu Elea in Unter-Italien geboren, ein weiser Gesetzgeber für seine Landsleute, gleich ruhmwürdig durch seinen Charakter als seinen Tiefsinn, blühte um die 79ste Olympiade (464 v. Chr.), und so konnte Platon in dem Dialoge, dem er des

Parmenides Namen vorsetzte, diesen als Greis mit Sokrates als Jüngling redend einführen. Parmenides gehörte zu denen Philosophen, welche man, nach der Stadt Elea, Eleatische nennt, und deren Streben dahin ging, auf dem Wege des Pythagoras fortschreitend, im Philosophiren die Speculation oder Vernunfterkenntniß an die Stelle der bisherigen Beobachtung oder Sinnenerkenntniß zu setzen. Jene, ein Denken mittelst der Begriffe, gibt Erkenntniß des Allgemeinen (rationale), diese, ein Denken mittelst der Vorstellungen, gibt Erkenntniß des Besondern (empirische, Erfahrungs-Erkenntniß). Jenes Allgemeine nannte die philosophische Kunstsprache der Griechen das Eins, und dieses Besondere das Viele, so daß Erkenntniß des Eins gleichbedeutend ist mit rationaler, und Erkenntniß des Vielen mit empirischer Erkenntniß. Beide Arten von Erkenntniß sind sich gewissermaßen entgegengesetzt, und die Philosophen waren dadurch in zwei Parteien getheilt, in Anhänger des Einen (speculative Philosophen, Rationalisten), und in Anhänger des Vielen (empirische Philosophen). Diese suchten das Werden zu erklären (die in einem ewigen Wechsel zwischen Entstehen und Vergehen schwebenden Veränderungen der Gegenstände der Sinnenwelt), jene hergegen das Seyn (das bei allem Wechsel beharrliche Wesen), denn so war es dem Standpunkt eines jeden angemessen. Ehe man einsah, daß beide die Lösung desselben Problems, nur auf verschiedene Weise, versuchten, entstand zwischen beiden philosophischen Parteien Entzweiung, und bei dem Unbefangenen mußte die Frage entstehen, an welche von beiden Parteien man sich wohl zu halten habe, um die Wahrheit zu finden. Die Entscheidung war zu einer Zeit, wo man nach einer Psychologie, einer Logik, einer Wissenschaftslehre eben erst strebte, weder im Allgemeinen, noch in besonderer Hinsicht aus Parmenides zu erwarten. Gab es aber irgend einen Philosophen, der, von innerem Gefühl gedrängt und von einer dunklen Ahnung des Wahren geleitet, mit unablässigem Eifer nach jener Entscheidung strebte, so war es Platon, und wenn er, wie anderwärts, so auch in seinem Dialog Parmenides — einem, wie Schleiermacher sagt, für Viele von vielen Selten abschreckenden Gespräch — sich durch alle Labyrinthe der Dialektik, wie sie damals zu Gebote stand, nach diesem Ziele hin arbeitet, so kann er nur unsern Dank, aber nicht unsre Vorwürfe verdienen. Man darf, um ihn richtig zu beurtheilen, nicht aus den Augen lassen, daß er von Parmenides und den Eleaten überhaupt ausgeht, und daß deren Hauptsätze, mit Hauptsätzen der Pythagoräer zusammenfließend, ihn auf die damit verbundenen Schwierigkeiten führen. Mag

nun der Weg, den er führt, noch so dornig seyn, mag er noch so oft geirrt haben, dem Ziele näher hat er doch geführt. Wer davon eine größere Ueberzeugung gewinnen will, der lese in Füllehorns Beitragen zur Geschichte der Philosophie (Stück 6) dessen Erläuterungen zu den Fragmenten des Parmenides, und Schleiermachers Einleitung zu Platons Parmenides in der Uebersetzung von Platons Werken (Theil 1. Bd. 2). Antipater und Aristipp haben diesemnach hier kein Urtheil gefällt, das einen tieferen Blick verriethe; Wieland aber — gesetzt auch, daß sein Urtheil von dem ihrigen verschieden gewesen wäre — hätte ihnen doch kein anderes in den Mund legen können, denn sie beide gehörten zu der entgegengesetzten Partei, die gegen die eleatische Speculation das Zeugniß der Sinne und den gesunden Menschenverstand auf ihrer Seite hat. Wenn sie sich also auf beide beriefen, urtheilten sie im Geist ihrer Philosophie, in besonderer Beziehung auf Platon aber ihrer Individualität gemäß, d. i. über seine Untersuchungen dieser Art etwas zu voreilig absprechend, weil sie von Natur keine Neigung hatten, sich damit zu befassen. Wieland läßt sich den Aristipp hierüber auf die befrtedigendeste Weise aussprechen,