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Kapitel 

ERZÄHLUNGEN AUS DEM WESTSUDAN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1922

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT DREI TAFELN

96. Kasarra Kent Ganani (Lausbube)

Kasarra Keni Gananis beide Brüder wollten auf Reisen gehen. Kasarra Keni Ganani sagte: "Ich will mitgehen." Die Brüder sagten: "Du bleibst!" Er sagte: "Ich will aber!" Die Brüder antworteten: "Du bleibst!" Die Brüder gingen. Kasarra Keni Ganani lief hinter ihnen her und schlug sie mit einem Stock. Dann sprang er vom Wege ab.

Er verwandelte sich in ein hübsches Messer und legte sich den Brüdern dahin in den Weg, wo sie vorbeikommen mußten. Der eine Bruder sah es, hob es auf, betrachtete es und sagte: "Das ist ein hübsches Messer. Wenn Kasarra Keni Ganani hier wäre, würde ich ihm das Messer schenken. Nun will ich es ihm mitbringen." Da sagte das Messer: "Ich bin ja dein kleiner Bruder." Der ältere warf sogleich das Messer fort. Das Messer verwandelte sich wieder in den Knaben Kasarra Keni Ganani, und der Knabe schlug wieder die Brüder. Alsdann sprang er vom Wege ab.

Er verwandelte sich in einen hübschen Dolo-ki (Überwurf) und legte sich den Brüdern dahin in den Weg, wo sie vorbeikommen mußten. Der eine Bruder sah ihn, hob ihn auf, betrachtete ihn und sagte: "Da ist ein hübscher Dolo-ki. Wenn Kasarra Keni Ganani da wäre, würde ich ihm den Überwurf schenken. Nun will ich ihn ihm mitbringen." Da sagte der Dolo-ki: "Ich bin ja dein kleiner Bruder." Der ältere warf sogleich den Dolo-ki fort. Der Dolo-ki verwandelte sich wieder in den Knaben Kasarra Keni Ganani, und der Knabe schlug wieder die Brüder. Alsdann sprang er vom Wege ab.

Er verwandelte sich in einen hübschen Bienje (kleiner eiserner Pfeil) und legte sich den Brüdern dahin in den Weg, wo sie vorbeikommen mußten. Der eine Bruder sah ihn, hob ihn auf, betrachtete ihn und sagte: "Da ist ein hübscher Bienje. Wenn Kasarra Keni Ganani da wäre, würde ich ihm den Bienje schenken. Nun



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will ich ihn ihm mitbringen." Da sagte der Bienje: "Ich bin ja dein kleiner Bruder." Der ältere warf sogleich den kleinen Pfeil weg. Der Pfeil verwandelte sich wieder in den Knaben Kasarra Keni Ganani, und der Knabe schlug wieder auf die Brüder ein.

Mittlerweile waren sie an ihrem Ziele, im Dorfe des Königs, angekommen. Der König sandte ihnen sogleich drei Kalebassen mit Dolo. Sie tranken ihn. Dann sagte Kasarra Keni Ganani: "Ich will meine Dolokalebasse zerbrechen." Die Brüder sagten: "Man soll nicht Gutes mit Schlechtem erwidern. Laß es!" Kasarra Keni Ganani zerbrach dann aber doch nicht nur seine, sondern alle drei Dolokalebassen.

Der König sandte alsdann drei Kalebassen mit Tii jenn. Sie verzehrten den Tii jenn. Dann sagte Kasarra Keni Ganani: "Ich will meine Kalebasse zerbrechen." Die Brüder sagten: "Man soll nicht Gutes mit Schlechtem erwidern. Laß es!" Kasarra Keni Ganani zerbrach dann aber doch nicht nur seine, sondern alle drei Tii-jenn-Kalebassen.

Der König sandte alsdann drei Kalebassen mit Kini (Kuskus). Sie aßen ihn. Dann sagte Kasarra Keni Ganani: "Ich will meine Kalebasse zerbrechen." Die Brüder sagten: "Man soll nicht Gutes mit Schlechtem erwidern. Laß es!" Kasarra Keni Ganani zerbrach dann aber doch nicht nur seine, sondern alle drei Kini-Kalebassen.

Der König sandte am Abend drei Mädchen zu den drei Burschen. Die schliefen bei den drei Wanderern. Am frühen Morgen sagte Kasarra Keni Ganani: "Ich will mein Mädchen totmachen." Die Brüder antworteten: "Laß das, laß das!" Kasarra Keni Ganani aber tat es doch. Er tötete nicht nur sein Mädchen, sondern auch die anderen beiden seiner Brüder. Dann flohen die Brüder gemeinsam auf einen großen Banabaum, der am Dorfplatz stand. Sie stiegen hinauf und versteckten sich in den Zweigen.

Als die Sonne höher stieg, sagte der König: "Die Mädchen sind noch nicht zurückgekommen. Sie schlafen recht lange. Man soll einmal nachsehen." Es ging ein Bote hin; der fand in den Hütten nur die toten Mädchen und die zerbrochenen Kalebassen. Er kam zurück und sagte es dem König. Der König ließ sogleich zu einem großen Marabut schicken, der das Mori-ke (das Erdorakel) zu befragen verstand. Der Marabut fragte das Mori-ke, wo die drei Burschen hingegangen seien. Das Mori-ke antwortete: "Der König soll sich unter den großen Banabaum setzen und dort erst sein Tii jenn und dann sein Kini verzehren."



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Der König setzte sich unter den Banabaum. Er ließ eine Schüssel mit Tii jenn kommen und begann etwas zu sich zu nehmen. Kasarra Keni Ganani sagte zu den Brüdern: "Ich will dem König in das Essen pissen!" Die Brüder sagten: "Laß es, laß es!" Der Junge pißte aber doch herunter und gerade in die Schüssel mit Tii jenn. Der König versuchte vom Tii jenn und sagte dann: "Das ist nicht gut. Bringt mir gleich die Schüssel mit Kini!"

Man brachte dem König eine Schüssel mit Kini unter den Banabaum. Kasarra Keni Ganani sagte zu den Brüdern: "Ich werde dem König in den Kini kacken." Die Brüder sagten: "Laß es, laß es!" Kasarra Keni Ganani tat es aber doch und kackte dem König gerade in den Kini. Der König sagte: "Äh! Was sind das für unangenehme Tiere auf dem Baum!" Er sah auf und entdeckte die drei Burschen über sich. Er sagte: "Sieh, da sind die drei Burschen!' Er rief seine Leute.

Die Leute kamen mit Äxten herbei und begannen den Baum zu fällen. Als der Baum umstürzte, kam eine Bassa hervor, die in einem Loch des Stammes gesessen hatte, und schlug mit dem Schwanz gegen den Stamm. Darauf richtete sich der Baum wieder auf und war ganz heil wie zuvor. Kasarra Keni Ganani sagte zu den Brüdern: "Ich möchte diese Bassa (Eidechse) wohl totmachen und ihr die Beine abreißen." Die Brüder sagten: "Laß es, laß es!" Kasarra Keni Ganani haschte aber die Bassa, riß ihr die Beine und den Schwanz ab und warf sie dann herunter.

Die Leute begannen wieder mit den Äxten auf den Baum einzuschlagen. Bald hatten sie ein mächtiges Loch in den Baum gehauen und er brach um. Sie fingen darauf die drei Brüder und brachten sie zum König. Der König fragte die älteren Brüder: "Habt ihr zwei die Frauen getötet und die Kalebassen zerschlagen?" Die beiden Brüder sagten: "Nein, wir haben es nicht getan. Kasarra Keni Ganani hat es gemacht." Hierauf ließen sie die beiden älteren frei und hielten Kasarra Keni Ganani fest. Der König gab Kasarra Keni Ganani einem Schmiede, damit er ihn verbrenne.

Der Numu packte Kasarra Keni Ganani und steckte ihn in einen Furruko (Schultersack aus zusammengenähter, enthaarter Bockshaut), in dem aber ein kleines Loch war. Er band den Furruko zu und hängte ihn zunächst im Hause an der Wand auf. Im Hause spielten die beiden kleinen Kinder des Numu. Der Numu war fortgegangen. Kasarra Keni Ganani hatte im Schurz noch zwei kleine Stückchen Honig (Li). Er rief die Kinder herbei und reichte jedem



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ein Stückchen zu dem Loch in dem Furruko heraus. Die Kinder aßen ihn, kamen nochmals und sagten: "Gib uns noch mehr!" Kasarra Keni Ganani sagte: "Sehr gern und sehr einfach. Dieser Furruko ist angefüllt mit Li. Macht also den Sack auf, laßt mich heraus, und ich werde euch hineinsetzen. Dann könnt ihr euch nach Belieben sattessen." Die Kinder sagten: "Das wollen wir gern tun." Sie öffneten den Ledersack, ließen Kasarra Keni Ganani heraus und ließen sich selbst hineinsetzen. Kasarra Keni Ganani band alsdann den Furruko fest zu.

Der Numu kam zurück, ergriff den Furruko und trug ihn zum Feuer. Die Kinder im Innern hatten inzwischen gemerkt, daß in dem Sack kein Honig war. Sie schrien deswegen: "Es ist kein Honig in dem Furruko. Wir sind ja die zwei Brüder! Wir sind ja die zwei Brüder!" Der Numu entgegnete: "Daß das nicht nach Honig schmeckt, glaube ich wohl. Und daß man gleich zwei für einen von dem Gesindel verbrennt, ist nur gut." Damit warf er den Sack in das Feuer. Die Kinder verbrannten. Kasarra Keni Ganani hatte sich in der Nähe versteckt. Als der Sack mit dem Inhalt verbrannt war, schrie er laut: "Du hast nicht Kasarra Keni Ganani, sondern deine Kinder verbrannt." Dann lief er schnell von dannen. Der Numu rannte hinterher, konnte den Burschen aber nicht erreichen.

Kasarra Keni Ganani rannte weit fort und kam in eine andere Stadt. Er traf da einen Numu bei der Arbeit, der war krank und hatte einen großen Hoden (=Kaja-to, wahrscheinlich Elephantiasis). Kasarra Keni Ganani setzte sich neben ihn und steckte einen eisernen Pfeil in das Feuer. Als er glühend war, stieß er ihn dem Numu in das Kaja-to. Alsdann sprang er auf und rannte so schnell von dannen, daß der Schmied ihm nicht zu folgen vermochte.

Der Schmied wollte den Burschen aber doch fangen. Er zog sich ein anderes Kleid an und ging nach einiger Zeit zu den Straßenjungen der Stadt und sagte: "Hier habe ich zwei große Batzen Honig. Ich will sie dem unter euch geben, der den tollsten Streich ausgeführt hat." Der erste Bursche sagte: "Ich habe meines Vaters größten Hammel getötet." Der Numu sagte: "Geh', du bist nicht der Rechte." Der zweite sagte: "Ich habe meiner Mutter kleinstes Kind mit heißem Wasser begossen." Der Numu sagte: "Du bist nicht der Rechte. Geh!" Jeder erzählte etwas. Alle wurden fortgeschickt. Endlich sagte der letzte: "Ich habe mit einem Pfeil einem Numu in das Kaja-to gestochen!" Der Numu sagte: "Du



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bist der Rechte!" Er reichte ihm den ersten Honigbatzen. Kasarra Keni Ganani nahm ihn. Er reichte dem Buben den zweiten Batzen hin, und als der ihn fassen wollte, packte er ihn und hielt ihn fest.

Der Numu nahm Kasarra Keni Ganani mit nach Hause und steckte ihn in einen Korb. Er wollte ihn zum Flusse tragen und ertränken. Auf dem Wege dahin stellte er einmal den Korb auf die Straße und ging abseits. Ein Marabut kam des Weges. Kasarra Keni Ganani rief ihn an und ließ sich von ihm befreien. Dann stopfte er den Marabut hinein und versteckte sich im Gebüsch. Der Numu kam wieder, nahm den Korb, trug ihn zum Flusse und warf ihn hinein. Als der Korb untergegangen war, rief Kasarra Keni Ganani: "Du hast nicht den bösen Buben, sondern einen Marabut ins Wasser geworfen!" Dann lief er von dannen.

Kasarra Keni Ganani lief nach Hause zurück. Er erzählte, was er erlebt hatte. Die Eltern sagten: "In Zukunft wirst du daheim bleiben." Der Knabe sagte: "Ich möchte noch eine Reise machen." Die Eltern erlaubten es ihm nicht.


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