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Kapitel 

ERZÄHLUNGEN AUS DEM WESTSUDAN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1922

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT DREI TAFELN

55. Sani und Surukku

Sani rief alle Leute zusammen, daß sie zu ihm kämen und mit ihm im Dorfe seiner Schwiegereltern das Beschneidungsfest feierten. Alle Leute kamen zu Pferde. Sani hatte kein Pferd. Er sagte: "Reitet nur voraus, ich will mein Pferd holen und komme dann nachgeritten." Die anderen ritten zusammen voraus. Sani lief in den Wald und rief allen Tieren zu: "Wer will mein Pferd sein? Man wird dem Pferd Kuskus und Fleisch geben! Wer wird mein Pferd sein ?" Surukku hatte gerade nichts zu essen. Er hörte die Rufe des Sani und kam herbei. Er sagte: "Wir sind von Mutterseite verwandt. Meine Mutter war Kankudama, deine Mutter war Sandama. Sandama und Kankudama waren Schwestern. Wir sind also verwandt; und deshalb will ich dir als Pferd dienen. Du mußt mir aber ordentlich zu essen geben." Sani sagte: "Ich weiß, daß wir verwandt sind; und deshalb bin ich damit sehr zufrieden. Du sollst viel zu essen haben, Kuskus und Fleisch." Surukku sagte: "Schön, aber du darfst mich nicht mit dem Sporen (= sebre oder sebron) treten, denn dann muß ich in einem fort kacken. Und hinterher mußt du mich bezahlen." Sani sagte: "Abgemacht, aber du mußt schnell laufen, denn die anderen sind schon gestern abgeritten und sind also weit voraus." Surukku sagte: "Habe keine Sorge, ich werde alle überholen." Sani setzte sich auf Surukku, und der lief mit großer Geschwindigkeit von dannen, so daß sie bald bei den anderen ankamen. Alle Leute sagten: "Ali bongu fin soro (bongu = braun; fin = dunkel; soro = Pferd). Du hast ein schönes dunkelbraunes Pferd. Oh, Sani hat ein schönes Pferd erhalten."

Sani und die anderen trafen zu Pferde im Dorfe der Schwiegereltern ein. Alle banden ihre Pferde an kurze Pflöcke, Sani aber band sein Pferd sehr fest an einen starken Baum. Nachher brachten die anderen ihre Pferde zum Fluß, damit sie tränken. Sani sagte: "Mein Pferd ist aus der Sahel, daher trinkt es wenig, bringt ihm eine Kalebasse voll Wasser." Die Kinder setzten Surukku eine Schale mit Wasser hin. Nachher ließen die anderen Leute ihre Pferde auf der Weide frei laufen, damit sie fräßen. Sani sagte: "Mein Pferd ist aus der Sahara. Es ist nicht gewöhnt, viel zu essen.



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Gebt ihm ein wenig trockenes Stroh." Man warf Surukku Stroh hin. Er stierte es knurrend an und sagte zu Sani: "Du hast mir versprochen, Fleisch und Kuskus bereiten zu lassen und nun bekomme ich Heu." Sani sagte: "Warte und überstürze es nicht. Die Leute haben die Speisen noch nicht bereitet. Warte bis nachher!" Dann aßen die Leute. Nachher kratzte Sani das Essen zusammen und setzte es Surukku hin. Surukku sagte: "So bin ich zufrieden."

Am anderen Morgen fand das Wettrennen (das Pferderennen in der Beschneidungszeit ist Sitte bei den echten Malinke) statt. Sani sagte zu Surukku: "Sei heute ein gutes Pferd, damit ich das Wettrennen gewinne. Nachher sollst du auch viel Fleisch und eine reichliche Zahlung erhalten." Surukku sagte: "Ich will es gern tun, nur gib mir nicht die Sporen. Laß die anderen weit vorausreiten, wir werden sie doch einholen." Sani sagte: "Es ist gut so." Die anderen ritten weit vor. Sani stieg dann langsam auf seinen Surukku. Er jagte hinterher. Surukku sauste mit Wau wau dahin. Die anderen Pferde sprangen entsetzt beiseite. Sani kam weit vor den anderen am Ziele an. Die Dialli sangen: "Sani ist ein großer Reiter. Sani hat das beste Pferd!" Die Leute wiederholten den Wettritt dreimal. Dreimal gewann er den Ritt. Alle Leute lobten Sani und sein Pferd.

Nachher band Sani seinen Surukku wieder fest an den Baum, und abends gab er ihm wiederum den Rest der Speisen zu essen. Am anderen Tage war die Beschneidung selbst. Einige Stunden, nachdem die Sonne aufgegangen war, kamen die Leute mit "Fan"-Schreien und unter Abschießen der Flinten in das Dorf zurück. Sani nahm einen Knüppel auf die Schulter und hielt ihn, als wäre er sein Gewehr. Er ging bei Surukku vorbei und sagte: "Sie wollen jetzt über dich und mich herfallen, um uns zu erschießen, weil ich gestern mit dir das Rennen dreimal gewann." Surukku sagte: "Binde mich los, wir wollen schnell fliehen!" Sani sagte: "Ach, ich habe keine Furcht. Ich schieße erst zwanzig tot. Ein Mann wie ich läuft nicht fort!" Dabei ging er mit seinem Knüppel stolz auf und ab. Surukku sagte: "Wenn du so dumm sein willst, so bleib! Ich will fort!" Sani band ihn nicht ab. Da riß und zerrte Surukku in furchtbarer Angst so lange an Strick und Baum, bis der angefesselte Fuß abriß. Dann rannte er auf drei Beinen schnell davon.

Sani aber blieb noch im Dorfe und aß und trank gut. Man sprach viel davon, daß er der beste Reiter sei. Er hatte aber Surukku nicht zu bezahlen brauchen.


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