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Kapitel 

DÄMONEN DES SUDAN


ALLERHAND RELIGIÖSE VERDICHTUNGEN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1924

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE

2. Der Geizige

Ein Mann heiratete eine Frau und bearbeitete mit ihr seine Farm. Er gab niemals jemand anderem von seinem Essen ab, sondern verzehrte alles mit seiner Frau allein. Der Mann lebte in Wukari. In Donga wußten aber alle Leute, daß in Wukari ein Mann war, der niemand etwas von seinem Essen abgab. Man wußte in Donga, daß der geizige Wukarimann immer, wenn er essen wollte mit seiner Frau in den Busch ging und in der Farm sein Essen einnahm, damit nur niemand ihm zusehen und ihn um etwas bitten könne. Alle Leute in Donga sprachen über den geizigen Wukarimann.

Es kam einmal ein junger Wukarimann nach Donga und besuchte da seinen Freund, einen jungen Dongamann. Der Wukarimann sagte: "Wir haben einen geizigen Mann in unserer Stadt, der hat noch niemals einem andern Manne etwas abgegeben." Der junge Dongamann sagte: "Ich habe von diesem Manne gehört. Der Mann ist sehr geizig. Wenn ich es aber wünschen würde, so würde der geizige Mann mir zuletzt doch etwas abgeben müssen." Der



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Dongamann sagte: "Ich glaube nicht, daß es dir gelingen würde, von dem Manne Speise zu erhalten. Du glaubst mir das nicht. Ich werde es also versuchen. Ich will mich sogleich daranmachen. Nur will ich vorher noch einmal gründlich essen." Der junge Dongamann ließ sich viele und gute Speisen machen. Er aß, soviel er nur zu essen vermochte, steckte sich noch ein gut Teil in seinen Sack und machte sich auf den Weg nach Wukari. In Wukari erkundigte er sich danach, wo die Farm des Geizigen sei, in der dieser immer äße. Er ging zu der Farm. Als er dicht bei der Farm war, aß er noch alles, was er in seinem Beutel hatte, so daß er satt war.

Der Dongamann kam um Mittag (als die Sonne in der Mitte stand) auf die Farm des Geizigen. Die Frau des Geizigen hatte soeben das Essen bereitet. Ihr Mann saß bei ihr. Als der Mann den Fremden kommen hörte, sagte er zu seiner Frau: "Stelle schnell den Brei beiseite. Es kommt ein Fremder!" Die Frau kippte schnell den Brei aus dem Topf in die Kalebasse und schob sie unter das Bett. Der Dongamann trat in die Hütte. Er setzte sich nieder. Der Geizige fragte: "Fremder, was machst du hier? Hast du kein Essen bei dir?" Der Dongajüngling sagte: "Ich habe nichts zu essen bei mir. Ich brauch auch nichts zu essen fürs erste. Ich will mich hier nur ein wenig ausruhen!" Der Mann aus Donga blieb sitzen. Er saß in der Hütte bis zum Abend. Er saß dem Bett gegenüber. Der Geizige und seine Frau konnten das Essen nicht herausnehmen, ohne daß es der Mann aus Donga sah.

Als es dunkel ward, sagte der Geizige: "Wir wollen uns nun zum Schlafen hinlegen." Der Dongamann sagte: "Es ist mir recht, ich bin auch sehr müde." Der Geizige und seine Frau legten sich auf das Bett. Der Mann aus Donga hatte einen dicken Wanderknüppel bei sich. Den dicken Wanderknüppel nahm er in die Hand und legte sich vor das Bett auf die Erde.

Als es Nacht war, hatte der Geizige großen Hunger. Er griff mit der Hand unter das Bett, dahin, wo der Brei stand. Der junge Mann aus Donga achtete aber sehr wohl darauf; als die Hand des Geizigen nahe der Kalebasse war, faßte er seinen Reiseknüppel sehr fest und schlug darauf. Er rief: "Diese Ratten." Der Geizige sagte nichts. Er zog die Hand schnell zurück.

Am andern Morgen sagte der Geizige zu seiner Frau: "Frau, packe deine Last, wir wollen ins nächste Dorf gehen, um Essen zu kaufen." Der Fremde aus Donga mag so lange hier bleiben." Der Mann aus Donga sagte: "Nein, ich will nicht allein im Hause



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bleiben. Ich will euch helfen, euere Last zu packen und Essen zu kaufen." Die Frau packte ihre Last. Sie stellten die Kalebasse mit dem Essen herein. Der Mann aus Donga half ihr die Last zu schnüren. Dann machten sich alle drei auf den Weg. Sie waren ein Stück weit gegangen, da blieb der Dongamann ein wenig zurück. Der Geizige sah sich um. Er sagte zu seiner Frau: "Der Fremde aus Donga ist zurückgeblieben! Schnell, pack den Brei aus, daß wir ein wenig essen können!" Die Frau stellte die Last hin. Sie schnürte sie auf. Sie stellte die Körbe ab. Der Geizige hörte den Dongamann kommen. Der Geizige sagte: "Schnell, pack die Last wieder zusammen! Der Fremde kommt!" Die Frau packte die Last wieder zusammen. Dann gingen alle drei zusammen weiter.

Sie waren ein Stück weit gegangen, da blieb der Dongamann wieder zurück. Der Geizige sagte zu seiner Frau: "Schnell, pack ab, wir wollen essen." Die Frau packte ab. Dann kam aber auch der Dongamann, und die Frau mußte schnell wieder alles zusammenschnüren. So gingen sie bis zum Abend. Dann legten sich alle drei zum Schlafen nieder. Der Dongamann blieb aber mit seinem dicken Reiseknüppel ganz dicht bei der Last liegen, in der das Essen war.

Am andern Morgen machten sich alle drei wieder auf den Weg. Nach einiger Zeit blieb der Mann aus Donga wieder ein Stück weit zurück. Der Geizige sagte: "Wir müssen etwas Besonderes unternehmen, um diesen Mann aus Donga fortzubringen, sonst sterben wir noch vor Hunger. Mit den Toten wird der Mann nicht zusammen sein wollen. Wenn der Dongamann kommt, sage ihm also, ich sei gestorben." Die Frau sagte: "Es ist gut so." Der Geizige warf sich auf die Erde und blieb still liegen.

Nach einiger Zeit kam der Dongamann. Die Frau des Geizigen heulte und schrie: "Hier liegt mein Mann! Er ist gestorben! Er ist tot!" Der Dongamann sagte: "Das ist ganz ausgezeichnet. Hier habe ich mein Messer! Nun wollen wir ihn in zwei Teile schneiden. Jeder von uns beiden bekommt die Hälfte. Wir schneiden das Fleisch ab und verkaufen das Fleisch in der Stadt." Der Mann aus Donga zog sein Messer heraus. Er wetzte auf der Hand. Der Geizige sprang schnell auf und sagte: "Nein, ich bin nicht gestorben! Ich lebe noch!" Die Frau sagte darauf zu ihrem Manne: "Mein Mann, gib diesem Manne aus Donga von unserem Essen ab; er macht uns nur Unruhe. Wenn du ihm von dem Essen abgibst, wird er von dannen gehen!" Der Geizige fragte: "Wirst du auch nicht mehr verlangen



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als einen Teil von unserem Brei und nachher nicht mehr?" Der Dongamann sagte: "Gib mir meinen Teil und dann will ich gehen!" Der Geizige packte das Essen aus. Er gab dem Manne aus Donga einen Teil. Der Mann aus Donga steckte den Brei in seinen Gürtel und ging nach Wukari.

Er ging zu seinem Freunde, dem jungen Wukarimann, und sagte: "Hier ist das Essen, das der Geizige mir abgab."


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